Oda Lux, Neue Internationale 291, Mai 2025
Streik, so weit das Auge reicht. Am 31. März 2025 hatten christliche und sozialistische Gewerkschaften in Belgien gegen die Pläne der neuen Regierung zu einem 24-Stunden-Streik in den meisten Sektoren aufgerufen – egal was man vorhatte, man merkte den Streik. Das war der zweite nationale Streiktag dieses Jahr und die Chancen stehen gut, dass es nicht der letzte war. Krise, Kriegsvorbereitung und Kürzungspolitik breiten sich in Europa aus wie eine Epidemie. Doch aus der derzeitigen Situation können wir auch etwas lernen: In Zeiten der Krise müssen wir mehr Generalstreik wagen!
Arizona (Name des Koalitionsbündnisses) war kaum geboren und schon hat die Regierung de Wever ihren nächsten Streik hervorgebracht. Die Koalition aus Liberalen, Nationalist:Innen, Christ- und Sozialdemokrat:Innen ist unbeliebt. Überall sehen die „Reformpläne“ Kürzungen vor, nur nicht beim Militär (zwischen 2017 und 2024 haben sich die belgischen Militärausgaben verdoppelt).[i] Und bei den Gehältern der Abgeordneten, wie die PTB (Parti du travail de Belgique) in einem Statement Anfang April angekreidet hatte.[ii] Der Streik richtete sich daher gegen die Kürzungen und kann sowohl als ökonomischer als auch politischer gesehen werden. In Deutschland kaum vorstellbar.
Nah- und Fernverkehr wurden weitestgehend eingestellt, am Boden, in der Luft, zur See. Die Müllabfuhr kam nicht. Auch die Post und Krankenhäuser wurden bestreikt. Sogar Supermärkte wurden geschlossen und in Gefängnissen kam es zu Engpässen. Hier richteten sich die Forderungen auch gegen die zunehmende Bedrohung, der sich Gefängniswärter:innen ausgesetzt sehen. Zudem standen Betriebe, etwa Brauereien und in Teilen der Automobilbranche, still. Die Anzahl der streikenden Lehrkräfte hat sich von Februar bis Ende März verdreifacht auf 34.000. Hintergrund ist hier vor allem der Angriff auf die Rente, die um 130–150 Euro beschnitten werden soll. Fast in der Hälfte der Schulen fiel der Unterricht aus. Auf den Streikkundgebungen kam es ebenso zu Solidaritätsaktionen aus der Kulturbranche. Lange stand Belgien nicht mehr so nah an einem unbefristeten Generalstreik. Selbst die Polizei war zum Streik aufgerufen und nur eine Minimalbesetzung vorgesehen.[iii]
Doch es gab natürlich auch „Unbehagen“. So nannten die Kapitalist:innen den Streik „unverantwortlich“ – kein Wunder, denn so ein Generalstreik geht an die Profite. Und bei einer Blockade in Liège (dt.: Lüttich; nl.: Luik) wurden Streikende durch ein fahrendes Auto angegriffen. Es fuhr in die Streikenden und zwei Gewerkschafter:innen wurden verletzt. Von Seiten der Gewerkschaftsführung setzt man auf Gespräche und „Einsicht der Regierung, obwohl offensichtlich ist, dass die Basis auf der Straße sich nicht darauf verlassen will und Druck ausübt. Einmal mehr zeigt sich, dass sich das sozialpartner:innenschaftliche Konzept nur zugunsten einer Richtung neigt. Die Regierung tut weiterhin so, als wären Kürzungen das einzige Mittel.
Wir brauchen keinen Gewerkschaftsapparat, der sich hinter imperialistischen Interessen und Aufrüstung stellt oder diese billigt – getreu dem Motto: Egal wer regiert, wir bleiben kooperativ. Was die Arbeiter:innenklasse jetzt braucht, ist eine Führung, die die Streikbereitschaft nutzt, um politischen und ökonomischen Druck auszuüben. Denn eintägige Generalstreiks sind zwar ein Sammelpunkt für die eigene Stärke, letztlich aber auch nur begrenzte Aktionen, auf deren Ende sich Kapital und Regierung wie bei jeder Demonstration einstellen können.
Unsere Strategie heißt: Gegenmacht aufbauen, statt sich auf eine kuschende Gewerkschaftsbürokratie zu verlassen. Dafür braucht es Druck und Strukturen von unten. Es haben sich in vielen Betrieben bereits Streikkomitees gegründet, die den unbefristeten Generalstreik organisieren und tragen können. Diese brauchen Verstetigung und Vernetzung, sodass es bald von Streikkomitees und Vollversammlungen in Betrieben, an Unis und Schulen nur so wimmelt. Unabdinglich für die komplexe Lage in Belgien ist hierbei ein politisches Programm. Gerade zwischen den Sprachgrenzen, aber auch durch die Spaltung in sozialistische und christliche Gewerkschaften gibt es Hindernisse für den gemeinsamen Kampf. Wir schlagen vor, dass Delegierte aus den Betrieben zusammentreten.
Wir rufen kämpferische Gewerkschafter:innen und Revolutionär:innen dazu auf, in Diskussion zu treten darüber, wie der Kampf geführt werden soll. Wir brauchen die Kontrolle von unten. Hier geht es nicht nur darum, die Kürzungen abzuwenden, sondern auch um eine strategische Diskussion, wie die maximale Kampfkraft erreicht werden kann. Ein gewerkschaftlicher Kampf alleine reicht hier nicht! Politische Angriffe brauchen politische Antworten. Für uns liegt diese in einem Neuaufbau revolutionärer Parteien – in Belgien, Europa und letztlich weltweit. Die Streiks und Kämpfe in Belgien bieten Revolutionär:innen eine Möglichkeit, solch eine Debatte zu führen: Wie kämpfen wir, wie gewinnen wir?
• Streikversammlungen und -komitees, jetzt! Lasst uns demokratische Streikkomitees aufbauen und für eine europaweite gewerkschaftliche Einheit einstehen und den Standortnationalismus unserer bürokratischen Führungen bekämpfen!
• Wir zahlen ihre Krise nicht! Anstatt immer zurückzustecken, brauchen wir Forderungen, die uns alle vereinen: bezahlbare Mieten überall, kostenlose Gesundheitsversorgung und Nulltarif im ÖPNV, höhere Löhne und Kampf für ein Renteneintrittsalter ab 60 für alle! Solche Forderungen könnten nicht nur die Spaltung zwischen Wallonien und Flandern überwinden, sondern auch die rassistische Spaltung unserer Klasse.
Unsere Devise: Internationalismus statt Kriegstreiberei!
[i] https://www.ptb.be/series/le-gouvernement-demasque/qui-veut-la-paix-prepare-la-guerre-le-gouvernement-demasque
[ii] https://www.ptb.be/presse/gouvernement-arizona-tout-le-monde-doit-travailler-plus-longtemps-pour-moins-de-pension-sauf
[iii] https://www.rtv.be/actualiteit-actualiteit-en-nieuws/maandag-de-nationale-stakingsdag-ontdek-hier-waar-de-meeste