Arbeiter:innenmacht

Deutsche Gewerkschaften: Alle gegen Rassismus?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 291, Mai 2025

Ob Konferenzen oder Bildungsseminare gegen rechts, Gedenkveranstaltungen und -reisen zu den Verbrechen des Nationalsozialismus bis hin zu Projekten wie „Mach’ meinen Kumpel nicht an!“ oder „Die Gelbe Karte“ – die Liste gewerkschaftlicher Proteste gegen Rassismus und rechte Hetze ist lang. Besonders nach dem sogenannten „Sommer der Migration“ 2015 wurde im Rahmen politischer Bildung verstärkt versucht, ein „realistisches Bild der Asyl- und Migrationspolitik“ zu vermitteln. Hinzu kommt die Beteiligung an Demonstrationen und Konzerten gegen die AfD und wachsende Ausländerfeindlichkeit.

Aber trotz aller Anstrengungen: Immer mehr Gewerkschaftsmitglieder wählen diese Rechten. So stieg ihr Anteil von 5 % bei der Wahl 2013 auf 12 % im Jahr 2021. Bei der letzten Bundestagswahl im Februar lag er laut einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen bei 21,8 % – zudem wurde die SPD erstmals nur drittstärkste Kraft, hinter CDU (23,2 %) und AfD. Diese Entwicklung steht scheinbar im Widerspruch zu vielen gewerkschaftlichen Initiativen wie „Klare Kante gegen rechts“ oder ver.dis Seminarreihe „Fakten statt Populismus“ und zeigt, dass Bildungsangebote und Aufklärung nicht alle erreichen. Somit bleibt die zentrale Frage: Warum sind so viele Kolleg:innen empfänglich für rechte Positionen bezüglich Abschiebung – und bereit, die AfD zu wählen?

Ursachen des Scheiterns

Die Verschlechterung der Lebenslage vieler, verschärfte Konkurrenz, explodierende Preise im Supermarkt und bei Mieten, Kriege und Aufrüstung sind real. Während ihre Ursache in der kapitalistischen Krise liegt, machen die Rechten Migrant:innen dafür verantwortlich. Weil es in den letzten Jahren kaum erfolgreiche Kämpfe seitens der Linken gab, können sie sich gut gegen etablierte Parteien und alle, die die Krise mitverwalten (auch die Gewerkschaften), positionieren.

Da hilft es nicht, dass mittlerweile alle Parteien außer der Linkspartei in den Abschiebewahn einstimmen – im Gegenteil: Das befördert nur, dass rassistische Parolen salonfähiger werden. Der Reallohnverlust der letzten Jahre und das Ausbleiben von Kämpfen um grundlegende Verbesserungen tragen zusätzlich dazu bei, dass auch Gewerkschaftsmitglieder rechten Argumenten Glauben schenken. Parallel dazu graben – wenn auch kaum wahrnehmbar – rechte Scheingewerkschaften und Betriebsräte etablierten Strukturen das Wasser ab. So konnte bei der Betriebsratswahl am VW-Standort Zwickau Ende Januar eine Liste von AfD-Politiker:innen ihre Sitzzahl verdoppeln.

Rassismus breitet sich seit Jahren auch im Beruf aus. Laut Afrozensus, der größten Befragung unter schwarzen Menschen in Deutschland, äußerten acht von zehn Befragten, dass sie im Arbeitsleben Diskriminierung erlebt haben – fast jede dritte Person sogar „oft“ oder „sehr häufig“. Das war im Jahr 2020 und angesichts der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Zahlen weiter stiegen. Das verdeutlichen auch Statistiken der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Mit über 8.000 Anfragen verzeichnete diese 2022 ein Rekordhoch, wobei fast 43 % davon aufgrund rassistischer Diskriminierung erfolgten und diese betroffene Gruppe somit mit Abstand die größte darstellte.

Diese Entwicklung der letzten Jahre beweisen, dass Rassismus nicht durch individuelle Bildungs- und Aufklärungsarbeit aufgehalten werden kann. Gleichzeitig wirft sie andere Fragen auf: Ist wirklich alles getan worden, um sich gegen die Rechtsentwicklung zu stellen? Und was sollte stattdessen getan werden?

Rassismus ist nicht nur das, was man sagt?

Die kurze, einfache Antwort auf die obige, erste Frage lautet: Nein. Es ist nicht nur bequemer, so zu tun, als ob Rassismus ein individuelles Problem von Kolleg:innen sei, das mit genügend Aufklärung therapiert werden könnte. Diese Herangehensweise lenkt auch davon ab, dass es innerhalb der Gewerkschaften mehr als nur ein bisschen Nachhilfepotenzial gibt, wenn es um Rassismus geht. Wir wollen an dieser Stelle nur kurz an die Räumung der Geflüchteten erinnern, die im September 2014 das DGB-Haus in Berlin besetzten – oder an den Umgang mit jenen Geflüchteten 2013, die in Hamburg als Teil von ver.di aufgenommen wurden. Wem das nicht ausreicht, wird vielleicht mit diesen Beispielen wärmer: Wenn etwa in Berlin Lehrer:innen verbeamtet werden (was ohnehin eine reaktionäre Idee ist), aber Kolleg:innen ohne deutsche Staatsbürger:innenschaft systematisch ausgeschlossen bleiben, handelt es sich dabei um keine Panne, sondern strukturelle Diskriminierung.

Hinzu kommen Positionen aus Gewerkschaften, die argumentieren, man solle sich zu „politischen Fragen“ wie Abschiebungen nicht positionieren, da man sonst „die Kolleg:innen“ verschrecke, die dann eventuell austreten. Das illustriert: Im Falle der deutschen Gewerkschaften zeigt sich Rassismus systematisch im Schweigen und Nicht-Handeln angesichts gesellschaftlicher Ungleichheit. Da helfen auch Bildungsangebote für Kolleg:innen wenig, wenn es an anderer Stelle systematisch hakt, antirassistische Politik praktisch umzusetzen und klar Stellung zu beziehen. Die Wurzel des Problems bleibt dabei dieselbe, die auch verhindert hat, dass in den letzten Jahren erfolgreiche Kämpfe stattfanden: Sozialpartner:innenschaft und die gesamte Politik der Klassenzusammenarbeit mit Kapital und Regierungen.

Ganz grundsätzlich ist der rein gewerkschaftliche Kampf seiner Natur nach auf Fragen der Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft, auf Löhne und Einkommen innerhalb des Kapitalismus ausgerichtet. Die Gewerkschaftsbürokratie stützt sich letztlich auf diese Beschränkung, die es – nicht nur im Kampf gegen Rassismus, sondern gegen den Kapitalismus überhaupt – aufzubrechen gilt.
Das institutionalisierte Modell deutscher Arbeitsbeziehungen (Sozialpartner:innenschaft, betriebliche Mitbestimmung, Tarifrundenritual, Aufsichtsratsposten usw.) wird zudem vor allem von der Gewerkschaftsbürokratie gehegt und gepflegt. Es lähmt nicht nur Kämpfe, sondern schließt viele bewusst oder unbewusst aus. Die Gewerkschaften wie auch Betriebsräte in den Großunternehmen fungieren seit Jahren als Vermittler:innen zwischen Lohnarbeit und Kapital und konzentrieren sich dabei zunehmend auf ihre „Kernklientel“, vor allem die Arbeiter:innenaristokratie.

Statt klassenkämpferischer Politik, die zu einer breiteren Organisierung führen müsste, begnügt man sich mit minimalen Verbesserungen in Absprache mit der eigenen Kapitalist:innenklasse, um den inneren Frieden zu wahren und die Stellung der Gewerkschaftsbürokratie zu sichern. Das schließt partielle Kämpfe nicht aus, wohl aber reale Konfrontationen, die dem Kapital als Klasse gefährlich werden könnten und um fast jeden Preis vermieden werden.

Das führt zu mehreren Problemen: Wer nicht die „richtige“ Staatsbürgerschaft besitzt, in prekären oder informellen Verhältnissen arbeitet oder über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügt, kommt in diesen institutionalisierten Aushandlungsprozessen selten vor. Rechte und Organisierungsgrad wie Beteiligung an Betriebsratswahlen oder Tarifbindung erstrecken sich auf immer geringere Teile der Beschäftigten, und viele Sektoren, in denen migrantische Arbeitskraft konzentriert ist, sind auch jene, wo oft erst gar keine Betriebsräte oder Tarifbindung existieren. Privilegien wie die Verbeamtung sind oft an formale Kriterien wie Staatsangehörigkeit geknüpft – wer diese nicht erfüllt, bleibt außen vor oder ist schlechter repräsentiert. Das gilt generell für alle Teile der Klasse, die nicht in Schlüsselsektoren arbeiten.

Zum anderen – und das greift tiefer – ist die Sozialpartner:innenschaft nicht nur national ein Mittel zur Befriedung der Klassenverhältnisse. Sie manifestiert auch international ein System der Ungleichheit, das die globale Arbeitsteilung im Interesse des Kapitals absichert. Die höheren Löhne und größeren Rechte von Beschäftigten in Deutschland – oft als Errungenschaften von Tarifpolitik und „sozialem Dialog“ gefeiert – beruhen auch auf Extraprofiten, die durch systematische Überausbeutung von Halbkolonien ermöglicht werden. Besonders zynisch wird es, wenn unter dem Schlagwort „Standortsicherung“ Nationalchauvinismus gefördert wird, der den globalen Konkurrenzkampf unter Arbeiter:innen verschärft.

Es ist dann nur ein kleiner Schritt von der Standortpolitik im Bündnis mit dem „eigenen“ Unternehmen gegen die ausländische Konkurrenz und deren Arbeiter:innen, sich gegen migrantische Arbeiter:innen in Deutschland zu wenden und Arbeitsplätze zuerst für Deutsche zu fordern. Die zugespitzte Folge: Man hat auf Basis dieser Logik keine Probleme, Geflüchtete abzuschieben oder „anders Qualifizierte“ schlechter zu bezahlen – im Konfliktfall steht man auf Seiten der eigenen Kapitalist:innen, wie es im Ersten Weltkrieg geschah.

Was Linke und Revolutionär:innen tun müssen

Wer also erfolgreich gegen rechts und Rassismus in der Gesellschaft – und somit auch in den Gewerkschaften – kämpfen will, hat mehrere Aufgaben:

1. Gemeinsam kämpfen gegen Ausbeutung

Weder reine Bildungsarbeit noch Argumentationstrainings reichen aus, um die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu ändern. Es braucht Kämpfe der gesamten Klasse für reale Verbesserungen wie z. B. die Erhöhung des Mindestlohns, Mietendeckel und Enteignung der Wohnungskonzerne etc., um so wirkliche Probleme aller Lohnabhängigen anzugehen und eine Basis für die Einheit im gewerkschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Kampf zu schaffen. Dabei muss klar sein: Rein ökonomische Verbesserungen werden den Rechtsruck nicht umkehren. Es braucht eine bewusste Kombination aus diesen mit wirksamem Widerstand gegen Rassismus und Rechtsruck. Nur so wird Solidarität konkret und macht deutlich, dass es nicht nur eine moralische Frage bleibt, sondern essenziell für die Kampfkraft, sich gegen die Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse zu stellen.

2. Bruch mit der Sozialpartner:innenschaft und Standortlogik

Nicht nur um die eigenen Kämpfe erfolgreich zu führen, sondern auch fortschrittliche politische Positionen beziehen zu können, ist es notwendig, mit der Sozialpartner:innenschaft zu brechen. Die Alternative zur Standortlogik heißt: Klassenkampf – nicht Konkurrenz. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern international. Gegen die Krise in der Autoindustrie, um nur ein Beispiel zu geben, führt die bloße Verteidigung von Betrieben in Deutschland ins Leere, vielmehr muss der Abwehrkampf gegen alle Entlassungen grenzübergreifend an allen Standorten von VW, Daimler, BMW usw. geführt werden.

3. Antirassistische Strukturen aufbauen

Klar ist: Wir müssen nicht nur die gewerkschaftliche Verankerung in jenen Bereichen ausweiten, in denen viele Migrant:innen arbeiten, sondern auch klare politische Positionen beziehen. Antirassistische Strukturen aufzubauen, ist keine Frage der „Erneuerung“ durch ein paar Personen mit Migrationshintergrund im Apparat – es geht darum, demokratische Strukturen und Inhalte aufzubauen.

Das heißt: Auf Betriebs- und Streikversammlungen müssen Betroffene von Rassismus das Recht haben, vom Podium (!) zu sprechen. Es braucht ein Caucusrecht für gesellschaftlich Diskriminierte sowie eine klare Haltung gegen Abschiebungen, rechte Gewalt und Lohndumping – nicht nur durch Bildungsangebote, sondern aktive Kampagnen. Eine antirassistische Gewerkschaftspolitik muss rechte Parolen bekämpfen, aber auch die eigenen Strukturen hinterfragen – und jene einbinden, die bislang nicht mit am Tisch saßen. Daher fordern wir: Geflüchtete in die Gewerkschaft, das Recht auf Arbeit für alle – unabhängig von Staatsbürger:innenschaft und Aufenthaltsstatus, keine Kompromisse bei Mindestlohn und Sozialleistungen! Wir kämpfen gegen Standortchauvinismus und Lohndrückerei – für offene Grenzen und gleiche Rechte für alle!

4. Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition in den Gewerkschaften

Klar, das zu schreiben ist einfacher, als es in der Praxis tatsächlich durchzusetzen. Und ja, es gibt gute Projekte, die versuchen, prekäre Bereiche zu organisieren, Initiativen innerhalb der Gewerkschaften, die versuchen, migrantische Kolleg:innen auf Streiks reden zu lassen etc.

Doch wir wissen auch, dass diese Projekte – ähnlich wie Lampedusa in Hamburg – auf massiven Widerstand stoßen und somit nur eine kleine Insel inmitten der sonstigen sozialpartner:innenschaftlichen Realität verkörpern. Wenn wir die Gewerkschaften also nachhaltig ändern wollen, dann müssen wir uns – wie überall – auch in ihnen in Opposition zur Bürokratie organisieren. Dazu gehört auch, dass wir statt zu glauben, den bestehenden Apparat übernehmen zu können, eine Opposition an der Basis aufbauen, die beispielsweise für Wähl- und Abwählbarkeit von Funktionär:innen und deren Bezahlung nach dem Durchschnittslohn eintritt. Vor allem aber muss sie für ein Programm des Klassenkampfes, für einen grundlegenden politischen Kurswechsel in den Gewerkschaften eintreten.

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