Furfur, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
Revolutionary Socialist Movement (RSM)/Pakistan, Infomail 1281, 29. April 2025
Die jüngste Ermordung von 25 Tourist:innen und einem Reiseführer in Pahalgam, im indischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir, ist ein weiterer Vorfall in einem jahrzehntelangen Kampf gegen die koloniale Besetzung der Region. Wir trauern um die tragisch ums Leben gekommenen Menschen, aber wir lassen nicht zu, dass dieser Vorfall als Rechtfertigung für weitere staatliche Gewalt instrumentalisiert wird. Das Blutvergießen in Kaschmir ist kein isolierter Akt des „Terrorismus“, sondern die unvermeidliche Folge der brutalen Militärherrschaft Indiens, der systematischen Aushöhlung der Rechte der Kaschmiris und des bewussten Schürens des Hindu-Majoritarismus (Mehrheitsherrschaft) unter Modis autoritärem Regime.
Seit der illegalen Aufhebung von Artikel 370 im Jahr 2019 wurde Kaschmir in ein Freiluftgefängnis verwandelt, das nur als militärische Besatzung bezeichnet werden kann. Mit der Aufhebung des Artikels hat der indische Staat den Kaschmiris nicht nur ihre Autonomie entzogen, sondern auch systematisch alle demokratischen Rechte abgeschafft und eine erstickende militärische Abriegelung verhängt, die bis heute andauert.
Berichte vor Ort zeigen eine Verschärfung der ethnischen Säuberungspolitik: Über 85.000 Wohnsitzbescheinigungen wurden an Nicht-Kaschmiris ausgestellt – ein offensichtlicher Versuch der demografischen Manipulation, um den politischen Charakter der Region dauerhaft zu verändern. Dies entspricht dem Vorgehen Israels im Westjordanland in Palästina, wo die Besatzung durch Landenteignungen, Bevölkerungsumsiedlungen und institutionalisierte Apartheid aufrechterhalten wird.
Die aktuellen Repressionen nach dem Massaker von Pahalgam – darunter die Zerstörung von Wohnhäusern mit Bulldozern, die außergerichtliche Tötung eines „Terroristen“ und Massenverhaftungen – stellen eine Eskalation dieses Kolonialprojekts dar. Indischen Medienberichten zufolge haben Sicherheitskräfte in mehreren Distrikten nächtliche Razzien durchgeführt und Hunderte von Kaschmiris willkürlich unter Berufung auf drakonische Gesetze wie den Public Safety Act (PSA) festgenommen, der eine jahrelange Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren erlaubt. Ganze Stadtviertel wurden unter dem Vorwand von „Anti-Terror-Operationen“ dem Erdboden gleichgemacht, wodurch Familien obdachlos wurden, was einer kollektiven Bestrafung gleichkommt.
Diese seit den Anschlägen von Pulwama (Westkaschmir) 2019 perfektionierten Methoden haben dazu geführt, dass Tausende in Indiens Folterkammern verschwunden sind, routinemäßige Internetsperren als Kontrollinstrument eingesetzt werden und es ein dokumentiertes Muster von außergerichtlichen Tötungen gibt, die fälschlicherweise als „Tod bei Zusammenstößen“ bezeichnet werden.
Weit davon entfernt, „Normalität“ zu bringen, wie es das Modi-Regime behauptet, hat diese brutale Unterdrückung die Entfremdung und den Widerstand der Kaschmiris nur noch verstärkt. Der Kreislauf von staatlicher Gewalt und bewaffneter Reaktion offenbart die grundlegende Wahrheit aller kolonialen Besatzungen: Kein Volk wird sich für immer kampflos unterwerfen.
Die eigenen Handlungen des indischen Staates – von demografischer Manipulation bis hin zu massiver Unterdrückung – beweisen, dass er Kaschmir nicht als integralen Bestandteil Indiens versteht, sondern als feindliches Gebiet, das mit militärischen Mitteln befriedet werden muss. Das ist die Realität hinter der Rhetorik von „Entwicklung“ und „Integration“ – eine koloniale Besatzung, deren Gewalt unweigerlich weiteren Widerstand hervorruft.
Die indische herrschende Klasse hat in ihrer üblichen chauvinistischen Raserei auf den Anschlag von Pahalgam nicht mit Gerechtigkeit, sondern kollektiver Bestrafung reagiert. Die Regierung Modi droht nun mit der Aussetzung des Indus-Wasserabkommens, ein reaktionärer Schritt, der den Zugang zu Wasser als Waffe gegen Pakistan einsetzen würde.
Unterdessen hat Indien seine Verstöße gegen den Waffenstillstand und seine Truppenstationierungen entlang der Kontrolllinie (LoC) verstärkt und riskiert damit einen größeren Krieg. Diese Eskalation fügt sich in ein globales Muster der Aggression unter rechtsgerichteten Machthaber:innen ein – von Trumps Drohungen mit „Feuer und Zorn“ bis zu Putins Invasion in der Ukraine. Der Aufstieg solcher Führer:innen hat Regime wie das von Modi ermutigt, noch ungestörter zu handeln und ihren Nationalismus als Deckmantel für ihr Versagen zu nutzen.
Als Reaktion auf die Maßnahmen Indiens hat die pakistanische Regierung einen Stopp des Handels mit Indien angekündigt und mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die Ausweisung pakistanischer Staatsbürger:innen aus Indien gedroht. Entlang der Grenze liefern sich indische und pakistanische Streitkräfte bereits Gefechte, wenn auch derzeit „nur Scharmützel“. Obwohl beide Atommächte den Konflikt eindämmen wollen, spielen sie mit dem Feuer und schüren nationalistische und chauvinistische Gefühle auf beiden Seiten – was natürlich auch dazu dient, ihre eigene reaktionäre Politik und ihre inneren politischen Kämpfe zu verschleiern.
Die indischen Konzernmedien, ein loyales Propagandainstrument des Modi-Regimes, sind auf einen neuen Tiefpunkt gesunken – einige Kommentator:innen fordern offen die Zerstörung Kaschmirs „wie Gaza“. Diese völkermörderische Rhetorik spiegelt die Entmenschlichung der Palästinenser:innen durch den israelischen Staat und die israelischen Medien wider. Die Parallele ist kein Zufall: Kaschmir ist seit Jahrzehnten eine indische Kolonie, in der der indische Staat zunehmend apartheidähnliche Maßnahmen, Massenüberwachung und militärischen Terror einsetzt. Diese unwidersprochenen Forderungen nach ethnischer Säuberung bereiten den Nährboden für faschistische Tendenzen in der indischen herrschenden Klasse und der Kleinbourgeoisie.
Die gesamte politische Klasse Indiens – von der BJP (Bharatiya Janata Party) bis zur sogenannten „säkularen“ Opposition – macht sich der Komplizenschaft bei der Besetzung Kaschmirs schuldig. Die Kongresspartei, die den ursprünglichen Verrat an Kaschmir inszeniert hat, begnügt sich nun mit halbherziger Kritik und akzeptiert die Besetzung als vollendete Tatsache. Die kommunistischen Parteien (CPI und CPI(M)) haben sich zwar formal gegen die Aufhebung von Artikel 370 ausgesprochen, aber sie haben es völlig versäumt, sich gegen die Besetzung Indiens mit der Begründung zu stellen, dass diese dem „islamistischen Extremismus“ entgegenwirke, und damit ihre reformistische Bankrotterklärung abgegeben.
Regionale Gruppierungen wie AAP (Aam Aadmi Party), BSP (Bahujan Samaj Party) und TMC (All India Trinamool Congress) haben die Annexion entweder offen bejubelt oder mit halbherzigen Protesten hingenommen und damit ihre Anti-Modi-Haltung als reine Show entlarvt. Selbst Parteien, die sich als Verteidigerinnen von Minderheiten präsentieren – die DMK (Dravida Munnetra Kazhagam), NCP (Nationalist Congress Party) und andere – haben die militärische Unterdrückung und die koloniale Bevölkerungsmanipulation stillschweigend gebilligt.
Dieser parteiübergreifende Konsens legt die Wahrheit offen: Die Unterdrückung Kaschmirs ist nicht nur ein Projekt der BJP, sondern ein Gründungsdelikt des indischen Staates. Die Opposition streitet nur über die Art und Weise der Besatzung, niemals über deren Legitimität. Revolutionäre Sozialist:innen müssen diese verfaulte parlamentarische Farce vollständig ablehnen und eine unabhängige Arbeiter:innenbewegung schmieden, die keinem Establishment in Delhi Rechenschaft schuldig ist – weder dem safrangelben noch dem „säkularen“.
Das Versagen der Linken ist besonders verwerflich – sie behauptet, Modi zu bekämpfen, weigert sich aber, die Arbeiter:innen gegen die Besatzung zu mobilisieren, um ihre kleinbürgerliche Basis nicht zu verprellen. Trotz ihrer Kritik an den Verfassungsänderungen von 2019 haben sie weder das Selbstbestimmungsrecht Kaschmirs unterstützt noch haben sie jemals nennenswerte Kräfte in Solidarität mit Kaschmir mobilisiert. Dieses Versagen, das Selbstbestimmungsrecht kleiner Nationen zu unterstützen, bildet die Achillesferse der sogenannten kommunistischen Parteien.
Unterdrückte Völker greifen oft zu asymmetrischen Kampfmitteln, wenn ihnen alle friedlichen Wege des Widerstands versperrt sind. Der indische Staat hat den von ihm verwalteten Teil Kaschmirs mit 900.000 Soldat:innen überschwemmt, um eine Bevölkerung von nur 12,5 Millionen Menschen zu kontrollieren. Zusammen mit seinen Folterkammern und seiner Marionettenregierung trägt Indien daher die volle Verantwortung für den Kreislauf der Gewalt. Der Anschlag von Pahalgam muss wie der Bombenanschlag von Pulwama zuvor als blutiges Symptom der Besatzung verstanden werden – nicht als deren Ursache.
Die Reaktion der etablierten linken Organisationen wie der pakistanischen Haqooq-e-Khalq-Bewegung (HKM) unter der Führung von Farooq Tariq auf den Vorfall in Pahalgam offenbart die fatalen Grenzen der liberalen „Anti-Terror“-Politik. Indem sie ihre Analyse mit einer Verurteilung des Anschlags statt der Besetzung durch Indien beginnen, übernehmen sie unbewusst den Rahmen des indischen Staates – sie behandeln koloniale Gewalt als legitime „Sicherheit“ und stellen Widerstand als kriminell dar. Dieser moralistische Ansatz, der von einem Großteil der liberalen Linken in Pakistan geteilt wird, weigert sich, die grundlegende Wahrheit anzuerkennen, dass bewaffnete Angriffe in Kaschmir nicht die Ursache, sondern die Folge der Besatzung sind.
Wir lehnen Angriffe auf Zivilist:innen eindeutig ab, aber revolutionäre Marxist:innen verstehen, dass die bloße Verurteilung von Gewalt, ohne zunächst ihre Ursache – in diesem Fall die militärische Besetzung durch Indien – zu bekämpfen, eine/n zum/r Kompliz:in des Unterdrückungszyklus macht. Forderungen nach „Frieden“ und „Dialog“ im Rahmen der indischen Souveränität belohnen objektiv die Aggressorin, die Besatzungsmacht, da sie von den Kaschmiris verlangen, ihr Recht auf Widerstand aufzugeben, bevor Verhandlungen überhaupt beginnen können. Dies spiegelt die bankrotte Rhetorik der „Zweistaatenlösung“ für Palästina wider, die versucht, das Unvereinbare zu versöhnen: den Kolonisator und die Kolonisierten.
Gegen diese liberale Kapitulation vertreten wir eine proletarisch-internationalistische Position:
Die Arbeiter:innenklasse braucht weder die brutale Besetzung durch den indischen Staat noch die zynische Instrumentalisierung Kaschmirs durch das pakistanische Militär. Unsere Waffe ist der Klassenkampf – der Aufbau von Brücken zwischen den kaschmirischen Widerstandskämpfer:innen, anderen unterdrückten Nationen in Südasien und den indischen, pakistanischen und anderen südasiatischen Arbeiter:innen, die keinen Anteil an den Kriegen ihrer Herrscher:innen haben.
Die herrschenden Klassen Indiens und Pakistans haben Kaschmir zynisch als nationalistisches Instrument benutzt, um Arbeiter:innen und Bäuer:innen auf dem gesamten Subkontinent zu spalten. Während Delhi seine brutale Besatzung in Kaschmir aufrechterhält, nutzt das Militärregime in Islamabad die Kaschmir-Frage, um seine eigene Unterdrückung in Belutschistan zu verschleiern – wo Führer:innen wie Mahrang Baloch den Zorn des Staates auf sich ziehen, weil sie sich gegen Verschleppungen und staatliche Gewalt wehren. Keiner der beiden Staaten bietet Befreiung. Die indische und pakistanische Bourgeoisie dienen nur ihren eigenen Interessen, indem sie unterdrückte Völker gegeneinander ausspielen und gleichzeitig mit dem globalen Imperialismus kollaborieren.
Die Lösung liegt nicht in der Wahl zwischen diesen reaktionären Staaten, geschweige denn in der falschen „Hoffnung“ auf einen Krieg zwischen ihnen, sondern im revolutionären Internationalismus. Die Arbeiter:innenklassen Indiens, Pakistans, Kaschmirs und aller unterdrückten Nationen in der Region haben keinen Anteil an diesen Konflikten – ihre wahren Feind:innen sind Modis Hindutva-Chauvinismus, die autoritäre Herrschaft des pakistanischen Militärs und das kapitalistische System, das von ihrer Spaltung profitiert. Nur durch einen gemeinsamen Kampf können sie die Ketten der Besatzung, der Kasten und Ausbeutung sprengen.
Wir fordern:
Der einzige Weg zu dauerhaftem Frieden liegt nicht in Appellen an die bestehenden Staaten, sondern in ihrem revolutionären Sturz und der Errichtung der Arbeiter:innendemokratie. Diese historische Aufgabe erfordert jedoch mehr als abstrakte Parolen – sie erfordert konkrete Übergangslosungen, die die Grenzen der bürgerlichen Herrschaft aufzeigen und gleichzeitig den Weg zur sozialistischen Revolution weisen.
Wir stellen unmittelbare Forderungen, die die Staatsmacht herausfordern und die Grundlage für die Doppelherrschaft schaffen:
Diese Kämpfe offenbaren den Bankrott sowohl des indischen als auch des pakistanischen Staates und entwickeln gleichzeitig die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse. Aber um diesen Widerstand zu koordinieren und ihm eine revolutionäre Richtung zu geben, müssen wir eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei aufbauen – eine Partei, die die Ausgebeuteten und Unterdrückten unter einem Programm der internationalistischen Revolution vereint. Nur eine solche Partei kann wirtschaftliche und demokratische Kämpfe systematisch miteinander verbinden, in Krisenmomenten strategische Führung übernehmen und die Arbeiter:innenklasse darauf vorbereiten, kapitalistische Staaten durch Arbeiter:innenstaaten auf der Grundlage von Arbeiter:innenräten und Milizen zu ersetzen.
Der Weg ist lang, aber die Alternative – endlose Zyklen staatlicher Gewalt und nationalistischer Spaltung – ist unerträglich. Für den revolutionären Sozialismus! Für ein Südasien der Arbeiter:innen!