Markus Lehner, Neue Internationale 291, Mai 2025
Der 2. April kann als Meilenstein hin zu einer von Handelskriegen gekennzeichneten neuen Krisenperiode des Kapitalismus angesehen werden. An diesem von ihm als „Liberation Day“ bezeichneten Tag verkündete US-Präsident Donald Trump ein neues System von Zöllen der USA mit so gut wie allen möglichen Handelspartner:innen: Auf einen Mindestsatz von 10 % sollen je nach Größe des Handelsdefizits der USA mit dem Partnerland und deren Zölle (bzw. „unlauterer“ Subventionspolitik) entsprechend „reziproke“ US-Zölle auf Importe in die USA erhoben werden. Dies bedeutete z. B. für China ein Plus von 34 % (zum damaligen Zeitpunkt), 27 % für Indien, 24 % für Japan und 20 % für die EU. Für bestimmte Sektoren, wie die Automobilindustrie (25 %), Halbleiter etc. gibt es davon abweichende Sonderzölle. Ausgenommen von dem Schema sind einerseits Kanada und Mexiko (aufgrund des nordamerikanischen Handelsabkommens, das allerdings schärfer ausgelegt wird), andererseits Russland (wegen der anstehenden Ukraineverhandlungen).
Im Unterschied zum letzten Zoll-Coup in Trumps erster Amtszeit kann z. B. China seine Exporte in die USA nicht einfach über Indien oder Vietnam umleiten, da auch diese Länder inzwischen von seiner Zollpolitik erfasst werden (Vietnam hat sogar 46 % abbekommen). Der Schlag für den Welthandel bei einer Umsetzung dieser Zolllawine wäre stark. Die Verteuerung von Importen beträfe ja nicht nur die Märkte für Endprodukte, da ein großer Teil des Welthandels mittlerweile Zwischenprodukte umfasst und über globale Lieferketten läuft. Auch der 15-%-Weltmarktanteil der USA in Bezug auf Endprodukte ist relevant. Insbesondere die US-Tech-Branche, mit ihrer großen Abhängigkeit von Importen aus Asien, wäre auch mit ihren Lieferketten schwer von Zöllen betroffen. Es wurde berechnet, dass bei einer Umsetzung der Trump’schen Zölle und einer unveränderten Lieferkette bei Apple ein iPhone 16 etwa 3.500 Dollar kosten würde (mehr als dreimal so viel wie derzeit). Insgesamt würde mit einem Preisschock gerechnet, der in den USA die Inflationsrate wieder auf über 4 % schießen ließe. Die Indizes zu Verbrauchervertrauen und Geschäftsstimmung gingen in den USA sofort in den Keller, so dass alle wichtigen Finanzinstitutionen (z. B. Morgan Stanley) von einer unmittelbaren Rezessionsgefahr für die US-Wirtschaft sprachen – mit schwerwiegenden Folgen für die insgesamt gerade lahmende Weltwirtschaft.
Die Begründung Trumps für diese radikale Erschütterung der globalen Welthandelsordnung ist mehr als fragwürdig. Die Handelsbilanzdefizite der USA werden angeführt, um zu begründen, dass die US-Wirtschaft seit Jahrzehnten ausgenutzt und ausgeblutet werde. Tatsächlich führt die Sonderrolle der USA auf den Finanzmärkten zu dem, was man im Finanzwesen „extraordinary privileges“ nennt. Trotz Handelsbilanzdefiziten führt die Weltwährung US-Dollar dazu, dass es nicht nur keinen Dollarabfluss gibt, sondern im Gegenteil selbst alle möglichen Schuldenarten der US-Wirtschaft (und des Staates) selbst wieder in Dollaranlagen hinterlegt werden. Die negative Handelsbilanz wird durch den Dienstleistungs- und Kapitalanlagesektor mehr als aufgefangen.
Dazu kommen die für die USA (insbesondere durch ihre Stellung in technologielastigen Wirtschaftssektoren) günstigen „Terms of Trade“, die dazu führen, dass durch den Welthandel in Wirklichkeit ein Werttransfer in Richtung USA stattfindet („ungleicher Tausch“) – also das Gegenteil von Trumps Behauptung. Auch wenn Arbeitsplätze außerhalb der technologielastigen Sektoren und des Dienstleistungsbereichs, also vor allem in der klassischen Industrie, in großem Maßstab in der Globalisierungsperiode insbesondere nach Asien abgewandert sind, so verschwand dadurch die US-Arbeiter:innenklasse nicht, sondern wurde neu strukturiert. Dass der Trump’sche Zolllhammer jetzt diesen Trend umkehren würde und tatsächlich wieder die klassischen Industrien und sogar solche Bereiche wie Halbleiterproduktion im großen Stil in die USA zurückkehren würden, wird von den meisten Ökonom:innen ausgeschlossen – dafür wären enorme Investitionen und auch die Hinnahme enormer Verluste in einer Übergangsperiode nötig. Es ist überhaupt nicht absehbar, dass das US-Kapital auch nur ansatzweise dazu bereit wäre, wie dies auch in den Stellungnahmen der großen Kapitalmarktakteur:innen, wie Morgan Stanley oder Goldman Sachs, deutlich wurde (der US-Endkonsument:innenmarkt ist dann doch nicht so groß, dass sich der Aufwand lohnen würde). In den englischsprachigen Journalen der Finanzwelt konnte man in Reaktion auf diese Vorstellung des Trump-Lagers von der Wirkung der Zollpolitik denn auch eine zuvor nicht gekannte Masse an englischen Ausdrücken für „Schwachsinn“ kennenlernen.
Die Reaktion der Finanzmärkte auf den „Liberation Day“ war entsprechend – insofern titelte das britische Wirtschaftsmagazin „Economist“ die Trump-Aktion auch um in „Ruination Day“. Einen derartigen Kursverfall der globalen Börsen hat wohl noch selten die Rede eines einzelnen Politikers ausgelöst wie Trumps reziproke Zolltafel-Präsentation. Innerhalb von zwei Tagen verschwanden durch Kursverluste etwa 5 Billionen US-Dollar an Marktwert allein bei S&P-500-gelisteten Unternehmen. Vor der Erholung erreichte der Boden der Verluste ein Minus von 23 % unterhalb des Jahreshöchstwerts. Die US-Märkte zogen insbesondere die asiatischen Finanzmärkte und schließlich auch die europäischen nach unten. Ein globaler Finanzcrash drohte – und Trump war bei einem Golfturnier unabkömmlich, erklärte nur, alles laufe bestens.
Inzwischen wurde kolportiert, im Trump-Lager gäbe es zwei Fraktionen: eine, die die ganze Zollankündigung nur als Mittel zur Erreichung besserer Handelsverträge ansehe (insbesondere um den Finanzminister Scott Bessent), eine andere, die tatsächlich in Protektionismus und Isolationismus die Zukunft der US-Wirtschaftspolitik anstrebe (um den Handelsminister Howard Lutnick) – und Trump würde irgendwie beides vertreten. Diese Erzählung führte denn auch in den Tagen der Börsenpanik zu ständigen Meldungen von einem Zollmoratorium, das Trump dann auch tatsächlich am 9. April für 90 Tage erklärte. Alle Länder hätten sich auf Verhandlungen eingelassen, mit Ausnahme Chinas.
Mit diesem ging es dann in einen Überbietungswettbewerb, so dass die USA nunmehr gegenüber China bei 145 % stehen, während Letzteres umgekehrt auf 125 % nachgezogen hat (insbesondere was US-Elektronikprodukte betrifft, ist China ein großer Markt). V. a. im Technologiebereich wurden sodann auch die Zollerhöhungen gegenüber China klammheimlich wieder ausgesetzt. Dieser Aufschub des Preisschocks hat an den Börsen für Beruhigung gesorgt, auch wenn die 9 % Erholung bis Ostern die Verluste nicht wettmachen. Das Vertrauen in eine langfristige Normalisierung ist gering.
Die Antworten der Handelspartner:innen der USA sind durchaus unterschiedlich – und insbesondere die EU und China sind in keiner so schwachen Position, wie die US-Administration wohl erwartet hat. Während die EU in anderen Fragen schwächlich sein mag, ist sie es weder in Handels- noch inzwischen in Währungsfragen. Zoll- und Handelspolitik liegt zentral bei der EU-Kommission, nicht bei den Mitgliedsstaaten – hier gibt es kein Veto mehr, es gilt das Mehrheitsprinzip. Insbesondere das „Anti-Coercion Instrument“ (ACI) der Kommission kann zu schwerwiegenden Gegenmaßnahmen, z. B. gegen den Dienstleistungsimport aus den USA (bei dem die USA einen Handelsüberschuss verzeichnen), insbesondere gegen Tech-Konzerne, verwendet werden. Auch wenn es unterschiedliche Interessen bei den EU-Ländern gibt (z. B. Irland, was die Tech-Konzerne betrifft), so drängen insbesondere exportorientierte Ökonomien wie Deutschland, die Niederlande und die skandinavischen Länder auf die volle Wucht der eigentlich beschlossenen ACI-Maßnahmen (was den Anfang vom Ende der Marktmacht von Google, Amazon, Facebook & Co. in der EU bedeuten könnte). Dies dient jetzt zumindest als Drohkulisse in den Verhandlungen während des 90-Tage-Moratoriums.
China setzt neben wirksamen Gegenzöllen auch auf Exportverbote gegenüber den USA. Dies betrifft unter anderem bestimmte Gruppen aus der Kategorie der „Seltenen Erden“. Dies sind schwere Elemente mit besonderen chemischen Eigenschaften, die sie sehr bedeutsam für viele neuere Technologien sind (z. B. Halbleiter für Computer mit KI-Programmen, Elektromotoren, Magnetlagerungen für Generatoren etc.). Die besonderen chemischen Eigenschaften machen aber auch ihre Gewinnung aus natürlichen Lagerstätten schwierig. China hat nicht nur eine bevorzugte Rolle, was Letztere betrifft, sondern auch ein de facto Monopol, was das Know-how ihrer Gewinnung betrifft – dies wird in letzter Zeit nur von russischen Firmen eingeholt (Trumps Deals mit der Ukraine und Russland drehen sich auch stark um Seltene Erden und andere rare Metalle wie Titan). Chinas Exportrestriktionen für 7 Seltene Erden, die am 4. April verkündet wurden, haben im US-Technologiesektor durchaus für Panik gesorgt – drohen doch weitere Restriktionen für den gesamten Bereich, die vor allem Firmen wie Nvidia (Grafikprozessoren und KI-Beschleuniger) und Tesla (E-Autos) hart treffen könnten.
Die andere Antwort von China, der EU und Japans auf die Handelsbeschränkungen der USA liegt in der Ausweitung ihrer jeweiligen Handelsabkommen untereinander beziehungsweise mit anderen Regionen. Dies beinhaltet das Vorantreiben des Mercosur-Abkommens zwischen der EU und Lateinamerika, aber auch größere Deals zwischen z. B. China und Vietnam, China und Malaysia usw. In der EU gibt es sowohl Bestrebungen der weiteren Öffnung für chinesische Investitionen als auch Bedenken, dass eine Flut chinesischer Waren nunmehr vom US-Markt in die EU umgelenkt werden könnte.
China und die EU sind in einem Handelskrieg also keineswegs wehrlos. Dennoch werden die inneren Auswirkungen auch enorm sein. In China wird eine Verringerung der US-Nachfrage das ohnedies bestehende Problem der Überproduktion in wichtigen Sektoren verschärfen, was neben der Suche nach anderen Märkten und Handelsabkommen auch dazu führt, dass sich der Druck auf Xi erhöhen wird, die Konsumnachfrage auf dem Binnenmarkt zu stärken (was er bisher gegenüber diesen Kapitalgruppen abgelehnt hatte). In der EU wird natürlich auch die Wirtschaft massiv getroffen, was zumindest teilweise auch durch Konjunkturpakete für das Kapital (inkl. massiv steigender Rüstungsausgaben) abgefedert werden soll.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des aufkommenden Handelskrieges betrifft die Umorientierung der Währungs- und Staatsschuldenpolitik. Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse des Börsenabschwungs Anfang April betraf das Aussetzen eines bisher eindeutigen Gesetzes: Bei Unruhen auf den Kapital- und Anlagemärkten sicherten Anleger:innen ihr Kapital durch Kauf von US-Staatsanleihen bzw. bunkerten es auf Konten der US-Zentralbank (Fed). Diesmal geschah das Gegenteil: Gleichzeitig mit US-Aktien wurden auch US-Schuldenpapiere und Fed-Bonds in großem Stil verkauft und der Dollarkurs fiel parallel zu den Aktienkursen.
Dies ist ein deutliches Zeichen, dass die Rolle des US-Dollars als „sicherer Hafen“ für das globale Finanzkapital in Frage gestellt ist. Dies wird noch verstärkt durch den politischen Druck, den die Trump-Administration auf die Fed ausübt (bis hin zur Drohung, Fed-Chef Jerome Powell zu entlassen, falls er die Zinsen nicht schnell genug senkt). Der US-Dollar ist zwar immer noch zentrale Reservewährung (58 % der weltweiten Devisenreserven), aber Euro (20 %) und Yen (6 %) haben in den letzten Jahren stark aufgeholt. Nach der Eurokrise sind die europäischen Finanzinstitutionen und Kapitalmärkte viel besser auf Erschütterungen vorbereitet und bieten eigene „sichere Häfen“ (z. B. Bundesanleihen im Rahmen der groß angelegten deutschen Sondervermögen). Insofern wundert es nicht, dass die Trump’schen Erschütterungen zu einer Umschichtung weiterer Reserven und Sicherungsfonds von US-Werten hin zu insbesondere Euro und Yen geführt haben. Auch wenn die jüngsten Entwicklungen, insbesondere der Ukrainekrieg, die politischen und militärischen Schwächen der EU offenlegen, so ist sie gerade in Handels- und Finanzfragen ein geopolitischer Faktor. Dies wird das EU-Kapital in den Handelsdeals mit den USA, China und dem globalen Süden in nächster Zeit ebenso auszuspielen versuchen, wie es sie zur eigenen Aufrüstung nutzen wird.
Sicherlich bleibt das Rätsel, welcher Plan hinter dieser ganzen Aktion der Trump-Administration steckt. Die vorgeblichen Ziele – Abbau der Handelsbilanzdefizite der USA und ihre Reindustrialisierung – sind damit sicher nicht erreichbar. Die Reaktion der Finanzmärkte und die tatsächlichen Auswirkungen auf Konjunktur und Inflation in den USA zeigen die wirklichen Konsequenzen: Tendenzen zu Rezession bzw. Wachstumseinbrüchen, Belastungen von unteren Schichten, besonders durch steigende Preise und Ausfall von Rentensicherungen, möglicherweise sogar eine neue Finanzmarktkrise. Es zeigen sich hier auch deutliche Risse in der ursprünglich engen Verbindung der Trump-Bewegung mit großen Teilen von Finanz- und Monopolkapital der USA. Eine Schwächung des US-Dollars und damit der US-Finanzmärkte ist nicht nach deren Sinn. Es gibt Vermutungen, dass ein Teil der US-Bourgeoisie die Trump-Politik befürwortet, um damit ein „Weiter so“ zu beenden – also diese Politik als „Disruption“ einer Entwicklung der US-Ökonomie sieht, die immer stagnativer und „industrie“befreiter und abhängiger von Fertigungschampions in z. B. China wird. Insofern würden diese Teile der Bourgeoisie die Trump-Schocktherapie als eine Art „Reset“knopf sehen, um die Weltwirtschaft in ihrem Sinn neu zu ordnen.
Für die Arbeiter:innenklasse gibt es in der Auseinandersetzung zwischen Protektionismus und Freihandel nichts zu gewinnen. Klar ist, dass eine Phase des Protektionismus von der Bourgeoisie genutzt wird, um die Arbeiter:innen in sehr offener Weise nationalistisch zu spalten. Dies wird in den USA klar, wo die Klasse sowieso angesichts des Strukturwandels in der Globalisierungsperiode tief gespalten ist – und ein Teil der Arbeiter:innen in den niedergehenden Industrien tatsächlich Illusionen in ihren „Retter“ Trump hegen mag, der „ihren“ Industrien einen zollpolitischen Wettbewerbsvorteil verschaffe. Gleichzeitig werden die (großteils vom Wahlrecht ausgeschlossenen) migrantischen Teile der Bevölkerung, die vielfach die Billiglohnarbeitskräfte im Dienstleistungssektor oder in den neu zurückgeholten Fertigungen stellen, extremer Repression durch die Trump’sche Migrations- und Innenpolitik ausgesetzt. Dies bildet nur die Kehrseite davon, dass in den „Freihandelsnationen“ die Arbeiter:innen in den Exportindustrien zur „Standortsicherung“ aufgerufen werden – die „Wettbewerbsfähigkeit“ soll durch Lohnverzicht und Mehrarbeit gewährleistet, damit „unsere“ Arbeitsplätze nicht durch die verrückte Trump-Politik gefährdet werden. So hören wir es auch von unserer Gewerkschaftsführung. Diese Orientierung auf Standortsicherung, die Spaltung der Klasse im Inneren wie auch global, nutzen auf beiden Seiten des Atlantiks nur dem Kapital, das dadurch verbesserte Ausbeutungsbedingungen für sich gegenüber der Konkurrenz durchsetzen kann – womit das globale Ausbeutungsregime Kapitalismus eine verlängerte Lebensdauer erhält. Natürlich muss die Arbeiter:innenklasse die Verschärfung des sich anbahnenden Handelskrieges genau beobachten, da sich diese Konflikte immer mehr auch mit der militärischen Auseinandersetzung um die Neuaufteilung der Welt unter zwischen den großen Mächten und Blöcken vermischen werden. Gegen dieses Aufhetzen gegeneinander und die verhängnisvolle nationalistische Spaltung muss die Arbeiter:innenklasse ihre globalen Verbindungen stärken und aufbauen, um diesem immer mörderischer und irrationaler werdenden kapitalistischen System seine eigene internationale Alternative durchzusetzen – den internationalen, die bestehenden Grenzen überwindenden Sozialismus und zuvorderst eine neue, revolutionäre Fünfte Internationale.