Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1153, 14. Juni 2021
Am Mittwoch, den 16. Juni 2021, treffen sich wieder die GesundheitsministerInnen von Bund und Ländern. Ver.di hat Proteste angekündigt. Eine Übersicht mit Veranstaltungsorten findet Ihr unter gmk21.verdi.de und hier: https://www.gesundheit-statt-profite.de/aktionen/fruehjahrsaktionen-2021.
Von der „Systemrelevanz“ der Pflege war seit Ausbruch der Coronapandemie viel die Rede. Doch viele Beschäftigte in der Altenpflege haben bis heute noch nicht einmal die sog. Coronaprämie bekommen. Es wird also wieder viel heiße Luft dabei herauskommen. Die Beschäftigten müssen das Heft des Handelns endlich selbst in die Hand nehmen!
2015 erkämpfte die Berliner Charité einen Tarifvertrag (TV) für mehr Personal. Doch umfasste dieser nicht alle Bereiche. Zudem funktionierte das Entlastungsmanagement im Fall der Unterschreitung der Personalgrenzen, das nach wie vor in den Händen der Krankenhausbetriebsführung lag, nicht zufriedenstellend. Folglich kündigte die Gewerkschaft ver.di nach dem Probelauf 2017 den Vertrag.
Inzwischen sind ähnliche Abmachungen in zahlreichen Kliniken getroffen worden. Die fortschrittlichsten Kämpfe fanden in den Unikliniken Düsseldorf und Essen sowie in Jena und Mainz statt. In Jena hat das Personal selber den Stellenbedarf pro Station ausgerechnet und durchgesetzt. In Düsseldorf und Essen wurde nicht nur die Pflege, sondern die gesamte Belegschaft, auch der ausgegliederten Tochtergesellschaften, mit ins Boot genommen.
8397 Unterschriften haben Beschäftigte der landeseigenen Berliner Kliniken Vivantes und Charité sowie von deren Tochterunternehmen am 12. Mai vor dem Roten Rathaus überreicht. Damit fordern sie „ArbeitgeberInnen“ auf, mit Unterstützung der Politik in ernsthafte Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung und einen Tarifvertrag für die Vivantes-Töchter einzutreten, nach dem deren Beschäftigte zukünftig auf TVöD-Niveau bezahlt werden sollen. Sollten die Verträge nicht innerhalb der nächsten 100 Tage – also bis zum 20. August – unterschrieben sein, kündigten die Beschäftigten an, in den Streik zu gehen.
Gut daran ist zweierlei: Erstmals ziehen die Beschäftigten der Unikliniken und der kommunalen Krankenhäuser an einem Strang. Schon 2017 waren die Vivantes-Beschäftigten drauf und dran, sich denen der Charité-Standorte anzuschließen. Doch hier bremste der ver.di-Apparat. Zum Zweiten wird wie in den beiden oben genannten Unikliniken in NRW das Personal der Vivantes-Töchter einbezogen.
Die Unterschriftenzahl zeigt die hohe Mobilisierung und den Druck der Belegschaften, dem sich auch die ver.di-FunktionärInnenriege nicht entziehen konnte. Weitere günstige Faktoren für einen erfolgreichen Kampf kommen hinzu: Im September stehen in Berlin zwei Wahlen und ein Volksentscheid zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne, falls die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) an. Darüber hinaus steht im Herbst die Tarifrunde für die 2,2 Millionen Länderbeschäftigten im öffentlichen Dienst an. Schließlich haben DWE und das Netzwerk „Gesundheit vor Profit“ dem Anliegen des Klinikpersonals ihre Unterstützung zugesagt.
Letzteres ist jedoch gut beraten, der ver.di-Spitze nicht blind Vertrauen zu schenken: mit der Bürokratie, wo möglich, gegen sie, wo nötig! Sie fordert ja nicht, dass die Kliniktochtergesellschaften allesamt wieder unters Dach ihrer Mütter kommen, sondern lediglich die Anwendung des TVöD auf diese, was zweifellos schon ein Fortschritt wäre. Ein sich lange hinziehender Arbeitskampf ihrer KollegInnen von der Charité-Tochter CFM mit insgesamt 85 Streiktagen führte schließlich zu einem Kompromiss, der weder die Übernahme noch vollständige Angleichung an den TVöD zeitigte. Die Rückführung in den Schoß der Kliniken war zudem ein Versprechen des rot-rot-grünen Senats. Auch gegenüber ihm müssen die Streikenden also skeptisch bleiben.
Nicht gelöst und durch einen TV Entlastung auch schwer zu lösen ist das Problem seiner Umsetzung bei Unterschreitung der vereinbarten Personaluntergrenzen. Statt der schwerfälligen Interventionskaskade, die außerdem trotz sozialpartnerschaftlicher Gremien letztlich in der Hand der Klinikleitung liegt, brauchen wir eine wirksame Kontrolle mit Bettensperrungen bzw. Stationsschließungen, wenn’s kritisch wird. Jena zeigt hier den Weg.
Wie in Jena beginnen jetzt die Stationen und Funktionsabteilungen, ihre Personalschlüssel festzulegen, aber genauso müssen sie ihre Delegierten in die Tarifkommissionen wählen, verbunden mit Vollversammlungen. Dafür müssen die Betriebs- bzw. Personalräte in die Pflicht genommen werden. Ebenso die Gewerkschaftsführung mit dem Ziel der Ausdehnung der in Berlin gestarteten Kampagne aufs ganze Bundesgebiet, vorzugsweise in Gestalt einer Bndeskrankenhauskonferenz mit von unten gewählten Delegierten.
Im Streikfall müssen die Streikkomitees genauso demokratisch aufgebaut werden und funktkionieren und jederzeit durch die Basis absetz- und erneuerbar sein. Die TarifberaterInnen bzw. -botschafterInnen, die eine wichtige Funktion in der Gewinnung neuer Gewerkschaftsmitglieder und als MultiplikatorInnen der Kampagne für den Arbeitskampf hatten, dürfen sich von den SpitzenfunktionärInnen weder im noch nach einem Streik aufs Abstellgleis schicken lassen, wenn sie in deren Augen ihre Schuldigkeit getan haben. Sie können einen mächtigen Hebel für die Revitalisierung des Gewerkschaftslebens im Krankenhaus abgeben, Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörper ins Leben rufen oder aus dem Dornröschenschlaf erwecken.
Ihre zweite wichtige Aufgabe bestünde darin, das dynamische Element für die auszuübende Kontrolle der Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen abzugeben, bei der Organisierung echter ArbeiterInnenkontrolle (Betriebskontrollkomitees) initiativ zu werden und die Solidarität mit den anderen DGB-Gewerkschaften für einen politischen Streik für ein Personalbemessungsgesetz im Gesundheitswesen herzustellen. Ein politischer Streik, der schließlich auch die ganze Frage der Rekommunalisierung der privatisierten Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten und PatientInnen und der vollen Refinanzierung der aufkommenden Kosten im Gesundheitsbereich aufwerfen muss. Schließlich sollten sie auch ihr Augenmerk auf den Aufbau von Solidaritätskomitees besonders mit den proletarischen Teilen der Bevölkerung richten, v. a. PatientInnenverbänden, aber auch UnterstützerInnen wie DWE und „Gesundheit vor Profit“.
Diese Forderungen können einen Schritt darstellen zur Sozialisierung der gesamten Care- und Reproduktionsarbeit einschließlich der unbezahlten in Privathaushalten. Das kann auch die prekär Beschäftigten auf unterster Stufenleiter unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, ferner alle Azubis mitnehmen und die Tür aufmachen zu einem vernünftigen Gesellschaftssystem, das den arbeitenden Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktionszwecke stellt: Sozialismus statt Kapitalismus!