Arbeiter:innenmacht

USA: Eine Verschiebung nach „links“ – und ihre Grenzen

Mo Sedlak, Infomail 1031, 28. November 2018

Am Dienstag, den 6. November, fanden in den USA die Wahlen zu einem Drittel der Sitze im Senat und allen im Repräsentantenhaus sowie vielerorts auf lokaler und staatlicher Ebene statt. Am Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump kontrollierte die Republikanische Partei sowohl Repräsentantenhaus als auch den Senat. Die oppositionelle Demokratische Partei wollte darauf mit einer „blauen Welle“ (Blau ist die Farbe der Demokratischen Partei; d. Red.) bei den „Mid Term elections“, den Wahlen bei Halbzeit der Präsidentschaftsperiode, antworten, um beide Kammern zurückzugewinnen. Das würde ihnen effektiv ermöglichen, Gesetzes- und Personalvorschläge aus dem Weißen Haus zu blockieren.

Viele Linksliberale, ReformistInnen und ZentristInnen unterstützten diesen Anspruch und sahen die Demokratische Partei entweder als das „kleinere Übel“ oder sogar als progressive Alternative. Obgleich sie das Repräsentantenhaus gewannen, verloren die DemokratInnen im Senat an Boden und machten kurz darauf völlig klar, wie wenig ihr Widerstand gegen Trumps rassistische, frauenfeindliche, anti-LGBTQ- und arbeiterInnenfeinliche Agenda bedeutete, indem sie eine parteiübergreifende Zusammenarbeit ankündigten. Die ganze Episode betont das doppelte zentrale Problem der US-Politik, dass die beiden großen Parteien nicht nur in der Politik, sondern in ihrem Charakter insgesamt gleichermaßen bürgerlich sind, als auch die Notwendigkeit, eine ArbeiterInnenpartei aufzubauen, die weit über die Wahlpolitik hinausgeht.

Ergebnisse und demokratische Defizite

Nach der öffentlichen Empörung über den Kongress, der den Kandidaten für den Obersten Gerichtshof Brett Michael Kavanaugh bestätigte, der mit mehreren Anschuldigungen wegen sexueller Gewalt konfrontiert war, hoffte die Demokratische Partei, genug von den 35 umstrittenen Sitzen im Senat zu gewinnen, um dies in Zukunft verhindern zu können. Es sollte erwähnt werden, dass ein demokratischer Senator, Joe Manchin III. von West Virginia, dafür gestimmt hat, Kavanaugh zu bestätigen, und eher den Anspruch seiner Partei, eine Art Bollwerk gegen Frauenfeinde zu sein, die an die Macht kommen, diskreditiert. Jedoch verloren die DemokratInnen bei den Wahlen 3 Sitze und gewannen nur einen; der blaue Anteil im Senat verringerte sich.

Sie waren jedoch erfolgreich dabei, das Repräsentantenhaus zu erobern, von einer Minderheit mit 193:235 Sitzen zu einer Mehrheit mit 231:198 Sitzen, wobei 7 Sitze aufgrund von Nachzählungen noch nicht entschieden waren.

Kein Kommentar zu den Wahlen in den USA kann abgegeben werden, ohne Licht auf die verschiedenen undemokratischen Maßnahmen zu werfen, die ergriffen wurden, um zu verhindern, dass eine große Zahl von WählerInnen unterdrückter Minderheiten und der ArbeiterInnen ihre Stimme abgibt. Die Registrierung von WählerInnen, die Gesetze über den Lichtbildausweis, die Gesetze über die Straßenanschrift (überproportional zum Ausschluss indigener WählerInnen führend), die Schließung von Wahllokalen in schwarzen und mehrheitlich ArbeiterInnenbezirken sowie der Ausschluss von ImmigrantInnen, Gefangenen und Ex-Häftlingen legen nahe, dass die gezählten Stimmen überwiegend von weißen und wirtschaftlich gut situierten WählerInnen stammen.

Darüber hinaus verzerren das Wahlsystem, das die Sitze auf der Grundlage von Mehrheiten in den Bezirken und nicht im Verhältnis zur gesamten Bevölkerungszahl zuweist, und das Prinzip der 2 SenatorInnen pro Bundesstaat, unabhängig von dessen Bevölkerungszahl, die tatsächlichen Ergebnisse. Sie bedienen das Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten, in dem beide Parteien traditionell Parteien der herrschenden Klasse sind. Dies wiederum macht es AmtsträgerInnen (Abgeordneten) äußerst schwer, in den gesetzgebenden Organen Macht zu erlangen.

Eine Verschiebung nach links

Insgesamt erhielten die Demokratinnen in beiden Entscheidungen die Mehrheit der Stimmen. Unter den demokratischen KandidatInnen gewannen mehrere BewerberInnen, die deutlich links von der nationalen Fraktion lagen, Vorwahlen und Wahlen in den Bundesstaaten, insbesondere Alexandra Ocasio-Cortez aus New York City. Abgesehen von den immensen demokratischen Defiziten kann man sagen, dass die Wahlen 2018 eine bescheidene Verschiebung der US-Wählerschaft nach links darstellen.

Die Ergebnisse veranschaulichen die Krise der Führung, die die Trump-Administration über die herrschende Klasse und die Republikanische Partei gebracht hat. Ideologisch gesehen wird sie von chauvinistischen, rassistischen, frauenfeindlichen und anti-LGBTQ-Stimmungen zusammengehalten. Noch wichtiger ist, dass Trump versucht, seine WählerInnen an sich selbst zu binden, indem er behauptet, durch den Willen des Volkes und nicht durch die etablierten demokratischen Institutionen, einschließlich der Republikanischen Partei selbst, zu regieren. Er macht den traditionellen Anspruch bonapartistischer PolitikerInnen geltend, ohne in der Lage zu sein, ihre üblichen Versprechen zu erfüllen, was ihn in eine unangenehme Lage der Instabilität bringt und die repressive Staatspolitik zur Sicherung seiner Macht eskaliert. Dies ist nicht nur für jede progressive Agenda sehr gefährlich, sondern auch für die Millionen, die für ihn gestimmt haben, nicht sehr attraktiv. Es überrascht nicht, dass viele Trump-WählerInnen bei diesen Wahlen einfach nicht ihre Stimme abgegeben haben. Die DemokratInnen ernteten einen Teil der Gewinne aus dieser Instabilität.

Diese Verschiebung wird jedoch durch mehrere wichtige Faktoren begrenzt. Erstens liegt, wie in jedem kapitalistischen Regime, die wahre Macht nicht in Abstimmungen. Wirtschaftliche Entscheidungen werden in der Unternehmenszentrale von Menschen getroffen, deren Macht in ihrem Eigentum an den Produktionsmitteln liegt, oder von ExpertInnen in Regierungsstellen, die weit entfernt von jeder öffentlichen Abstimmung sind. Die Repressionsmacht wird nicht nur von den Streitkräften, sondern auch von der stark militarisierten Polizei und den Geheimdiensten getragen, und die Justizmacht wird von einer kleinen und undurchsichtigen Elite von RichterInnen ausgeübt, wie der Fall Kavanaugh deutlich gezeigt hat.

Das sind die Gremien, die die KapitalistInnen mobilisieren werden, wenn die ArbeiterInnenklasse versucht, die Macht zu übernehmen. Es wäre naiv und falsch zu glauben, dass eine Wahlplattform einen effektiven Widerstand gegen diese Kräfte leisten könnte. Die wahre Macht liegt in den Fabriken, Stadtteilen und auf den Straßen, wo die ArbeiterInnen den Klassenkampf organisieren müssen.

Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass es in den Vereinigten Staaten keine bedeutungsvolle Wahlrepräsentation der ArbeiterInnenklasse gibt, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen sozialdemokratische und neoreformistische „kommunistische“ Parteien dieses Erbe vertreten. Obwohl diese oft bis ins Mark verrottet sind, bedeuten ihre historischen und immer noch bestehenden Bindungen an die Klasse und ihre Organisationen, dass die ArbeiterInnen mobilisiert werden können, um sie zu bewegen. Dies gilt nicht für die Demokratische Partei, eine traditionelle Partei der herrschenden Klasse, deren Beziehungen zu Gewerkschaften und unterdrückten Minderheiten eher taktisch als organisch sind.

Das sind die wirklichen Grenzen für jeden Linksruck bei den US-Wahlen, aber selbst innerhalb dieser Grenzen war der Schritt nach links moderat.

Die unerhört schwache demokratische Plattform

Ein Grund, warum die Demokratische Partei nicht mehr tun konnte, als nur von der instabilen politischen und wirtschaftlichen Situation zu profitieren, war die peinliche Schwäche ihrer Wahlplattform, selbst gemessen an den Standards bürgerlicher Parteien. Sie unterstützten nur widerwillig und halbherzig jede Ausweitung der staatlich unterstützten Gesundheitsversorgung, eines der Grundbedürfnisse der amerikanischen ArbeiterInnenklasse, nach langen Kämpfen innerhalb der Partei. Statt eine starke Haltung gegen den ekelhaften und unverhohlenen Rassismus der Regierung einzunehmen, versuchten sie, einen Mittelweg zu finden, der nur als Rassismus mit einem menschlicheren Gesicht bezeichnet werden konnte. Anstatt eine Wirtschaftspolitik vorzuschlagen, um die massive Umverteilung des Reichtums zugunsten der Reichsten im Steuerplan von Trump umzukehren, schwiegen sie völlig zum Thema wirtschaftliche Gerechtigkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie absolut nicht in der Lage waren, ArbeiterInnenklasse-WählerInnen in Schlüsselstaaten zurückzugewinnen, die zuvor ihre Illusionen in die Demokratische Partei verloren hatten, weil ihr Lebensstandard unter einem demokratischen Präsidenten zurückging.

Mitten in einem Aufschwung von Gewerkschaftsaktivitäten, Streiks und Organisation von Kampagnen sagten sie zu diesen Kämpfen kaum etwas und zogen es vor, ihre Loyalität zu den Chefs aufrechtzuerhalten. Selbst angesichts einer drohenden Klimakatastrophe war die Partei nicht in der Lage, sich für Umweltfragen zu engagieren, die eines der Kernthemen in diesem Land sind, über die Kritik an Trumps Rückzug aus den Pariser Abkommen hinaus. Und angesichts der empörenden frauenfeindlichen und anti-LGBTQ-Rhetorik und -Politik war ihre Antwort die Forderung nach „Höflichkeit“, nicht nach echtem Widerstand.

Grenzen des bürgerlichen Elektoralismus

Die bürgerliche Demokratie ist die Form, in der die KapitalistInnen in den meisten kapitalistischen Ländern regieren. Während der Bevölkerung im Namen des Volkes das aktive und passive Wahlrecht gewährt wird, bleibt die wahre Macht in den Händen der Reichen: Die Streitkräfte und das Oberste Gericht, die Geheimpolizei und die ManagerInnen an der Spitze der Regierungsbehörden unterliegen nicht der Stimmabgabe durch das Volk. Und auf jeden Fall endet die Demokratie an der Tür zum Arbeitsplatz: Die ArbeiterInnen haben kein Mitspracherecht darüber, wie sie arbeiten, was sie produzieren und was mit dem Produkt geschieht.

Es gibt jedoch verschiedene Formen der Beteiligung der ArbeiterInnen an Machtstrukturen oder aber ihrem Ausschluss davon. Es wäre töricht zu argumentieren, dass diese nicht wichtig sind, nur weil die Macht letztendlich bei den Chefs bleibt. In den Vereinigten Staaten ist dieser demokratische Schleier im Vergleich zu anderen kapitalistischen Demokratien besonders dünn. Während EinwanderInnen in fast allen Nationalstaaten von den Wahlen ausgeschlossen sind, eine rassistische Politik an und für sich, ist das Ausmaß des Wählerausschlusses, der Manipulation und der Schließung von Wahllokalen in den Vereinigten Staaten empörend, selbst für den/die konservativste/n BeobachterIn von außen. Millionen von ArbeiterInnen, insbesondere die rassisch Unterdrückten, werden systematisch daran gehindert, ihre Stimme abzugeben. Darüber hinaus stellen Manipulation, das Wahlkollegium und das Wahlsystem für den Kongress sicher, dass es nicht die Volksmehrheit ist, die Entscheidungen trifft.

Numerisch gesehen haben die DemokratInnen nicht nur die Parlaments- und Kongress-, sondern auch die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Während die Partei selbst mit der rassistischen und antidemokratischen Situation relativ zufrieden zu sein scheint, wirft dies ein Licht darauf, wie wenig Substanz hinter dem Anspruch steht, die „größte und fortschrittlichste Demokratie der Welt“ zu sein. Das enthält auch wichtige Lehren für alle AktivistInnen, die durch Wahlen Veränderungen herbeiführen wollen: Nicht nur, dass Polizei und Geheimdienste ihre Loyalität gegenüber der herrschenden Klasse nicht nur wegen einer Abstimmung aufgeben werden, es ist auch fast unmöglich, durch einen Wahlkampf eine Machtposition in den Vereinigten Staaten zu erlangen.

ArbeiterInnenpartei

Die Instabilität des Trump-Regimes und die zunehmenden Widersprüche innerhalb der regierenden Republikanischen Partei sind keine Überraschung für MarxistInnen, die bei seiner Wahl eine Analyse ihres Programms und ihrer sozialen Basis lieferten. Sie bieten jedoch die Möglichkeit, ernsthaften Widerstand gegen die reaktionäre Reorganisation großer Teile der US-Politik und des dortigen Lebens zu leisten.

Die Demokratische Partei ist nicht nur nicht in der Lage, eine Alternative für die ArbeiterInnenklasse zu schaffen, sie scheint sogar nicht einmal fähig zu sein, eine Alternative für ihre eigenen Bürokratinnen und ihre liberal-kapitalistische soziale Basis zu bieten. Es nützt nichts, wenn sich RevolutionärInnen, SozialistInnen oder, offen gesagt, jede halbfortschrittliche Person, die etwas in diesem Land ändern will, auf diese Partei verlassen. Stattdessen ist ein sauberer Bruch mit dieser durch und durch bürgerlichen Partei und ihrer arbeiterInnenfeindlichen Politik längst überfällig.

Der ungebrochene Anstieg der Mitgliederzahlen für selbsternannte sozialistische Gruppen wie die Demokratischen SozialistInnen von Amerika, DSA, zeigt, dass es eine bedeutende Minderheit von neuen AktivistInnen gibt, die bereit sind, sich außerhalb der bürgerlichen Politik zu organisieren. Es gibt noch viel mehr, die überzeugt werden könnten von der vergeblichen Politik, die Demokratische Partei nach links oder die Grünen nach ebenfalls links und aus der Bedeutungslosigkeit herauszuziehen.

Allerdings muss die DSA nicht nur mit ihrer Unterstützung für DemokratInnen wie Sanders brechen und ihre eigenen AnhängerInnen von demokratischen Tickets abziehen, sondern auch mit ihrem reformistischen Erbe und stattdessen ein Programm aufstellen, das Bestand haben kann, auch wenn die KapitalistInnen alles gegen sie mobilisieren: ein revolutionäres Programm zum Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei.

Dies ist in erster Linie die Aufgabe der Mitglieder, ihr Versprechen einer radikalen und sozialistischen Politik zu erfüllen, anstatt eine weitere Generation von AktivistInnen zuerst in die Politik der Demokratischen Partei und dann in die Resignation zu treiben. Sie müssen den opportunistischen Kurs der Führung bekämpfen und eine ehrliche programmatische Debatte anstelle der leeren „Große Zelt“-Rhetorik führen, die nur die kommende Konfrontation verzögert.

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