Martin Suchanek, Infomail 1284, 4. Juni 2025
Seit dem 1. Juni ist es auch gerichtsfest. Die Zurückweisung von Asylsuchenden an den Grenzen ist rechtswidrig. Damit hielt das Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren, das drei somalische Asylsuchende angestrengt hatten, fest, was auch bürgerliche Jurist:innen immer schon vertreten hatten: Die Verordnungen des Innenministeriums unter dem CSU-Hardliner Dobrindt widersprechen europäischem und damit auch deutschem Recht.
Einen echten Law-and-Order-Mann ficht das nicht an. Der Gerichtsbeschluss sei eine „Einzelfallentscheidung“, so die Unrechtsauffassung des Innenministers, der sich „natürlich“ auch Kanzler Friedrich Merz anschließt. Im Klartext: Die Zurückweisungen gehen weiter. Jedenfalls bis ein „Hauptsacheverfahren“ alles weiter geklärt hat. Ob und wann ein solches überhaupt zustande kommt, steht in den Sternen. Das wissen auch Dobrindt und Merz, aber es macht sich beim rechtswidrigen Beharren auf weitere Zurückweisungen und verschärfte Grenzkontrollen besser, so zu tun, als stünde man auf rechtsstaatlichem Boden, als wäre der Rechtsstreit, den man gerade verloren hat, weiter „offen“.
Damit setzt die neue Bundesregierung, genauer deren CDU/CSU-Teil, gleich mehrere Signale. Erstens wird der reaktionären, rassistischen Klientel aus den eigenen Parteien wie aus der AfD und anderen Abschiebefanatiker:innen die Botschaft übermittelt, dass die Unionsparteien eine neue rassistische Politik an den Grenzen mit allen legalen und auch illegalen Mitteln durchzupeitschen gedenken. Wer staatlichen Rassismus will, so das zynische Kalkül, könne sich wieder auf die Unionsparteien verlassen und daher wieder in die konservative „Heimat“ zurückkehren.
Zweitens vermittelt das auch an die EU-Länder und die EU eine Botschaft. Deutschland ist wieder da, wenn es darum geht, eine Vorreiterrolle in rechtskonservativer Politik und staatlicher Abschottung zu spielen – natürlich nur vorübergehend, bis die EU-Außengrenzen wieder total dicht sind und wirklich nur noch jene selektive und kontrollierte Migration von Arbeitskräften stattfindet, die exakt die Ausbeutungserfordernisse des deutschen und europäischen Kapitals erfüllt.
Drittens führen die Unionsparteien einmal mehr die SPD vor. Diese hatte immer wieder darauf gepocht, dass eine verschärfte Migrationspolitik wenigstens auf dem Boden des Gesetzes stattfinden müsse. Doch selbst zur gerichtlich festgestellten Rechtswidrigkeit der Zurückweisungen schweigen Parteispitze und Minister:innen. Lediglich Leute wie der „Parteilinke“ Ralf Stegner geben den Alibi-Kritiker, der auf eine „Humanität“ pocht, die nicht nur Dobrindt und Merz im Koalitionsvertrag längst begraben haben. Dieser sieht schließlich ausdrücklich „Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen“ vor. Zu Recht pochen CDU und CSU darauf, dass sie sich auf dem Boden einer Politik bewegen, der auch die Sozialdemokratie zugestimmt hat.
Während die SPD schweigt und den Koalitionsfrieden nicht gefährden will, geben sich die Grünen empört. Zurecht prangern sie den Rechtsbruch durch das Innenministerium an – freilich auch, um von ihren eigenen rassistischen Gesetzesverschärfungen unter der Ampelkoalition abzulenken. Im Übrigen erschöpft sich dann auch die ganze grüne Empörung in Interviews, parlamentarischen Anfragen und etwaigen Klagen vor europäischen Gerichten.
Grenzkontrollen, Abschiebungen und Zurückweisungen gehen derweil weiter. Schließlich fühlen sich Merz und Dobrindt in ihren Maßnahmen bestätigt. Stolz wird eine Zunahme der Zurückweisungen um 45 % in der ersten Woche seit Einführung der verschärften Grenzkontrollen verkündet, werden Brutalität und Barbarisierung zum Beleg effektiven Regierungshandelns.
Dass sich Dobrindt dabei von einem Gerichtsbeschluss nicht ausbremsen lässt, sollte eigentlich niemanden wundern. Zweifellos verdeutlicht das, wozu diese Regierung bereit ist. Angesichts der Angriffe auf demokratische Rechte – nehmen wir nur die Kriminalisierung der Palästinasolidarität, das willkürliche Verbot des Palästinakongresses oder die Unterstützung des Genozids in Gaza – auch unter anderen Regierungen sollten wir uns jedoch davor hüten, die rechtswidrigen Zurückweisungen als etwas „ganz Neues“ zu begreifen. Vielmehr systematisiert und vertieft die schwarz-rote Koalition eine Tendenz zum Autoritarismus mit legalen und eben auch illegalen Mitteln.
Zu Recht lehnt die Linkspartei die rassistischen Grenzkontrollen ab und fordert deren ersatzlose Einstellung. Aber bei Worten und scharfer Kritik darf es nicht bleiben. Den Worten müssen auch Taten folgen – auf der Straße und beim Aufbau einer Einheitsfront gegen die rassistischen Gesetzesverschärfungen, gegen alle Abschiebungen und für offene Grenzen und volle Staatsbürger:innnenrechte für alle, die hier leben wollen. Wir müssen jetzt mobilisieren und dazu vor allem auch in den Betrieben und Gewerkschaften dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften aktiv gegen die Grenzkontrollen und für obige Forderungen kämpfen, dass sie die Geflüchteten in Gewerkschaften aufnehmen und politische Streiks gegen die rassistischen Gesetze vorbereiten und durchführen.