Yorrick F., Neue Internationale 292, Juni 2025
Als letzte Amtshandlung unter der alten SPD-Innenministerin Nancy Faeser hat der Verfassungsschutz veröffentlicht, dass die AfD als gesamte Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ einzustufen ist. Grundlage hierfür ist die „die Menschenwürde missachtende extremistische Prägung der Gesamtpartei“. Belegen sollen das wohl Aussagen der AfD, welche Muslim:innen mit deutscher Staatsangehörigkeit als „Deutsche zweiter Klasse“ betiteln und damit das deutsche Volk ethnisch definieren.
Aktuell ist durch einen Eilantrag der AfD vor einem Kölner Gericht die Hochstufung der Gesamtpartei durch eine sogenannte „Stillhaltezusage“ ausgesetzt. Im Zuge dessen wird die Forderung nach einem Verbot der AfD durch verschiedene linke Kräfte laut – von der Kampagne „AfD-Verbot jetzt“ über die Interventionistische Linke bis hin zu marx21 und Teilen der Linkspartei. Warum wir diese Forderung nicht unterstützen und sie sogar als aktiv schädlich für den Kampf gegen die AfD und den Rechtsruck ansehen, wollen wir in diesem Artikel aufzeigen.
Warum ändert der Verfassungsschutz genau jetzt seine Einschätzung der AfD? Die zugrunde liegenden Fakten und Gutachten liegen wohl bereits seit Ende 2024 in den Schubladen der Behörde. Die vorausgehenden Beobachtungen innerhalb der Partei gehen viel weiter zurück. Dass sich neben Rechtskonservativen, rechten Ultra-Liberalen in der Partei auch jede Menge Nazis tummeln, weiß man seit Jahren.
Jedoch ist es interessant, dass die Hochstufung der AfD exakt drei Tage vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags durch das bis dahin von der SPD geführte Innenministerium beschlossen wurde, die für die Koalition mit den Unionsparteien auch innerhalb der eigenen Mitgliedschaft in der Kritik stand.
Da passt es der SPD-Spitze recht gut, dass sich ihre scheidende Ministerin noch rasch als „Antifaschistin“ präsentieren konnte. Zudem kann so die Hürde für CDU/CSU höher gelegt werden, mit einem Wechsel zur AfD auch nur zu drohen. Schließlich stehen auch die Unionsparteien fest hinter dem Verfassungsschutz, wenn es um die Bespitzelung und Bekämpfung des linken, migrantischen und islamistischen „Extremismus’“ geht.
Die SPD kann sich wie gesagt als antifaschistisch gerieren – und zugleich als Garantin des Kampfes gegen rechts in der Koalition mit den Unionsparteien darstellen. So lassen sich dann auch Rechtfertigungen besser verkaufen: „Seht her, wir können leider nichts machen, als gemeinsam mit der CDU/CSU einen Generalangriff auf die Arbeiter:innenklasse vorzubereiten und rassistische Gesetze mit umzusetzen. Denn die Alternative wäre ja die jetzt amtlich bestätigt rechtsextreme AfD – und die müssen wir von der Regierung fernhalten. Da muss man nun einmal in den sauren Apfel beißen“ – ein „Argument“, das unter anderem vom kommenden Vizekanzler, Lars Klingbeil, vorgeschoben wurde.
Natürlich ist die Einstufung durch den Verfassungsschutz nicht (nur) ein taktisches Manöver. Sie ist auch Ausdruck einer Radikalisierung der AfD, die, als dessen zentralster Ausdruck, auf den Wellen des Rechtsrucks denselben auch am stärksten vorantreibt. Natürlich sind etliche kleine Nazi-Organisationen weitaus rechter und echte faschistische Gruppierungen, aber die AfD formiert Millionen Menschen als Wähler:innen und nicht nur wenige Tausende.
Schließlich ist die Neueinstufung auch ein Feigenblatt des Innenministeriums, um angesichts breiter Proteste gegen die AfD – wie z. B. in Riesa – zu suggerieren, man würde tatsächlich gegen rechts kämpfen, um von der eigenen rechten Politik abzulenken und die Protestbewegung ein Stück weit einzuhegen.
Letztlich ist sie auch Ausdruck der sich zuspitzenden Blockbildung: In einer Situation, in der sich der deutsche Kapitalismus in einer tiefgreifenden Krise aufgrund der Verschiebung des gesamten innerimperialistischen Gefüges befindet, versucht die aktuell herrschende Kapitalfraktion, ihre außenpolitische Orientierung in Richtung Stärkung der EU auch gegen die AfD und die von ihr vertretenen Fraktionen des Kleinbürger:innentums und eine Minderheit des Kapitals zu verteidigen.
Um zu verstehen, warum es für Linke kein übermäßiger Grund zur Freude sein sollte, dass der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, ist es notwendig zu klären, was dieser überhaupt ist. Der Verfassungsschutz ist der Inlandsgeheimdienst der BRD. Seine Aufgabe ist die „Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, also der Schutz des deutschen Staates nach innen.
Schon das macht klar: Der Verfassungsschutz kann kein Verbündeter im Kampf gegen rechts sein – selbst, wenn er jetzt, oder durch seine Rolle im Verbot des „Königreichs Deutschland“ „die Richtigen“ trifft. Er ist seit Jahren dafür bekannt, besonders linke Strukturen zu überwachen und zu infiltrieren (nicht zuletzt im Antifa-Ost-Verfahren) und auf dem rechten Auge nicht nur blind zu sein, sondern durch die Rolle von V-Leuten bei den NSU-Morden faschistische Verbrechen begünstigt zu haben. Seine Aufgabe beseht darin, dem deutschen Staat und seiner herrschenden Klasse zu dienen und die Regierung mit Informationen zu versorgen. Das bedeutet auch, dass seine Einschätzungen geheimdienstlicher Natur und eher beratend sind – und eben keine juristischen Urteile, auch wenn diese daraus unter Umständen folgen können, z. B. als Grundlage für Verbotsverfahren.
Solche Verfahren sind oft sehr langwierig. Das letzte Verbotsverfahren – gegen die NPD – wurde wegen zu geringer Relevanz (nicht zuletzt durch das Erstarken der AfD) eingestellt und dauerte über drei Jahre. Die AfD ist deutlich größer, liefert deutlich mehr Material, ein entsprechendes Verfahren würde vermutlich noch länger dauern – insbesondere, weil der deutsche Staat kein echtes Interesse daran hat, dieses tatsächlich durchzuziehen.
Die AfD (oder wenigstens ein Teil von ihr) bleibt schließlich eine potenzielle Bündnispartnerin für die Unionsparteien, wenn es um besonders rassistische und arbeiter:innenfeindliche Gesetze geht. Auch wenn CDUler:innen wie Jens Spahn sich momentan öffentlich distanzieren – der Wind kann sich schnell drehen, wie das Manöver von Merz Anfang 2025 zeigt. Insbesondere ein Erstarken der Arbeiter:innenbewegung und ein konsequenter Kampf gegen Kürzungen, rassistische Politik und Militarisierung könnten es für die CDU notwendig machen, mit der AfD Angriffe durchzusetzen, zu denen nicht einmal die SPD bereit wäre. Natürlich müsste dazu auch die AfD ihre Position zur EU ändern, aber das ist durchaus möglich, wie die Wandlungen von Meloni und ihrer Partei Fratelli d’Italia gezeigt haben.
Zudem würde ein Verbot der AfD den Rechtsruck nicht stoppen, da es seine Ursachen nicht bekämpfen kann. Dieser ist Ausdruck der kapitalistischen Krise. In der sich zuspitzenden Blockbildung und im Kampf um Einflusssphären sieht sich der deutsche Imperialismus gezwungen, aufzurüsten und die Bevölkerung nicht nur auf ökonomische Konkurrenz, sondern auch auf militärische politisch-nationalistisch vorzubereiten. Heute geschieht das vornehmlich im Namen der „Verteidigung der Demokratie“, doch auch das kann sich rasch ändern. Zudem müssen deren Kosten auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden – und auch dazu braucht es rassistische Rhetorik zur Spaltung und reale rassistische Politik wie Abschiebungen als Repressionsinstrument.
Die AfD ist nur der radikalste Ausdruck davon – nicht die Ursache. Ein Verbot würde auch nicht die etwa 10 Millionen AfD-Wähler:innen verschwinden lassen. Diese könnten sich weiter radikalisieren, neue Strukturen gründen oder zur CDU bzw. zu faschistischen Gruppen wie den Freien Sachsen oder dem Dritten Weg überlaufen. Die AfD selbst würde sich wahrscheinlich rasch unter anderem Namen reorganisieren. Gleichzeitig würden alle anderen Parteien weiterhin rechte Politik betreiben, wie die GEAS-Reform, die „Antisemitismusresolution“ oder die Agenda 2030 zeigen.
Gleichzeitig zeigt der Blick ins Ausland: Die Isolierung rechter Kräfte kann diese sogar stärken. So etwa in Belgien, wo der mediale und politische Boykott („Cordon sanitaire“) gegenüber dem Vlaams Belang dazu führte, dass sich die Partei als Opfer inszenieren konnte – mit dem Ergebnis, dass sie bei den EU-Wahlen 2024 mit 14,5 % stärkste Kraft wurde.
Die oben genannten Gründe erklären den Rechtsruck nur unzureichend. Es ist kein Automatismus, dass auch ein großer Teil der Arbeiter:innenklasse bei den Wahlen zur AfD abwandert. Die eigentliche Ursache liegt in der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse und dem Fehlen einer schlagkräftigen linken Bewegung, die gegen die Ursachen des Rechtsrucks kämpft: die kapitalistische Krise und ihre Erscheinungsformen. Der Aufbau einer solchen Bewegung, die die AfD tatsächlich stoppen und nicht bloß verbieten könnte, wird durch die Verbotsforderung nicht nur nicht gefördert, sondern letztlich erschwert.
Denn ein solcher Fokus auf ein Verbot durch den bürgerlichen Staat verstärkt das Grundproblem: die strategisch defensive Stellung der radikalen Linken. Die Forderung ist Ausdruck von Ohnmacht und Kapitulation – und selbst wenn man einen Verbotsprozess erwirken kann, steht man einem bürgerlichen Gerichtsverfahren passiv gegenüber, ohne dem Rechtsruck substanziell etwas entgegengesetzt zu haben. Hinzu kommt, dass ein Verbot, selbst wenn es erwirkt würde, auch die Illusionen in den Staat als Instrument gegen rechts stärken und der Arbeiter:innenklasse, Linken und Migrant:innen nahelegen würde, dass sie sich erst gar nicht organisieren, sondern nur den Verfassungsschutz rufen müssten.
Zugleich gibt man dem Staat ein gefährliches Instrument in die Hand: Wenn Linke heute ein Parteiverbot basierend auf einer Verfassungsschutzeinschätzung fordern, vergessen sie offenbar, wie derselbe Verfassungsschutz in den letzten Jahren agierte – mit Verfolgung, Bespitzelung und Verbot linker, vor allem palästinasolidarischer Organisationen. Es wäre naiv zu glauben, dass ein AfD-Verbot nicht auch zur Repression gegen links führen würde – wie nach dem Verbot der NSDAP-Nachfolgepartei SRP 1952, das als Präzedenzfall für das Verbot der KPD 1956 diente. Im Gegenteil, eine Verbotsforderung auf Basis der „Expertise“ des Verfassungsschutzes durch Linke, würde natürlich auch Verfahren gegen die linke Organisationen mehr Legitimität verleihen.
Das bedeutet nicht, dass Revolutionär:innen Protesten für ein AfD-Verbot fernbleiben sollten. Im Gegenteil: Wir rufen dazu auf, sich an großen Demonstrationen zu beteiligen und diese zu nutzen, um für eine schlagkräftige Bewegung an Schulen, Unis und in Betrieben gegen den Rechtsruck zu agitieren. Ein Teil davon muss sein, die Forderung nach einem AfD-Verbot offen zu kritisieren – aber nicht, ohne Alternativen aufzuzeigen.
Wir treten dafür ein, die AfD aktiv zu bekämpfen. Das kann nur eine Bewegung schaffen, die den Rechtsruck in seinen Ursachen angreift. Forderungen, die das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse heben statt senken, könnten sein: