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Jona Everdeen, Neue Internationale 286, Oktober 2024
Nach langem Hin und Her hat Frankreich eine neue, rechte Regierung unter dem Konservativen Premierminister Barnier. Diese steht nicht nur für weitere rassistische und Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse, sie zeigt auch einmal mehr, wie viel „die Demokratie“ dem französischen Präsidenten Macron wert ist.
Nach den EU-Wahlen, in denen Marine Le Pens rechtspopulistische Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) stärkste Kraft wurde, war in Frankreich der Aufschrei riesig und Macron rief, wohl in der Hoffnung, seine Regierung zu stabilisieren, Neuwahlen fürs Parlament aus. Angesichts des Schocks sammelten sich linke und linksreformistische Parteien, von der eurokommunistischen PCF bis zu den Grünen, unter dem Banner der Nouveau Front Populaire (NFP = Neue Volksfront), einem Bündnis mit dem expliziten Anspruch, eine „Volksfront gegen rechts“ zu sein.
Nachdem es in der ersten Wahlrunde bereits recht gut für diese aussah und sehr schlecht für Macrons Wahlbündnis, entschied sich die Volksfront dann dazu, Macron Hilfe anzubieten, um die Rechten weiter zu schwächen. So zog man bereitwillig aus allen Wahlbezirken, in denen man selber nur drittstärkste Kraft wurde, die Kandidat:innen zugunsten Macrons zurück. Im Gegenzug erwartete man das Gleiche von seinem Bündnis, was aber nur teilweise passierte. So profitierte in drei Viertel der Fälle der Staatspräsident von dieser Regelung und nur in einem Viertel die NFP. So konnte, mit linker Schützenhilfe, Macrons Allianz doch noch zweitstärkste Kraft werden, hinter der NFP aber vor der RN.
Ein Sieg der vereinigten Demokrat:innen gegen die Autokratie? Da hatte die Volksfront die Rechnung ohne ihren unfreiwilligen Verbündeten gemacht. Diesem war nämlich die Idee einer linken Regierung offenbar mehr zuwider als die einer rechten. Nach ungeschriebenen demokratischen Gepflogenheiten hätte Macron eigentlich eine/n linke/n Ministerpräsident:in mit der Regierungsbildung beauftragen sollen. Darum – ganz im bonapartistischen Stil – ernannte er Michel Barnier von der rechtskonservativen Partei Les Républicains, die lediglich abgeschlagen viertstärkste Kraft bei der Wahl wurde, zum Premierminister. Diese Regierung, die ganz im Sinne Macrons handelt, an dessen Rentenreform festhält und für eine schärfere Migrationspolitik eintritt, kann sich nur halten mit Rückendeckung durch die RN, die sie wohl auch nach Geheimverhandlungen Macrons mit Le Pen bekommt. Aus der „Einheit der Demokrat:innen gegen rechts“ ist die Einheit der bürgerlichen und reaktionären Parteien gegen links geworden.
Die Neue Volksfront und die sie größtenteils unterstützenden Gewerkschaften und Studierendenverbände antworteten mit empörten Protesten. 300.000 gingen bei einem ersten Protesttag landesweit auf die Straße, außerdem wurden ab dem 1. Oktober Großdemonstrationen und Streiks angekündigt. Die Volksfront und insbesondere ihre stärkste Kraft, Mélenchons La France insoumise, muss nun, nachdem ihre Taktik der Zusammenarbeit gegen rechts von Macron so plump aufgekündigt wurde, eine neue Strategie finden, will sie ihren Wahlsieg nicht komplett verpuffen und ihre Macht verstreichen sehen.
Zentrale Herausforderung dürfte dabei sein, die Arbeiter:innenbewegung doch wieder für den Kampf auf der Straße zu mobilisieren, nachdem man ihr zuvor suggeriert hatte, der entscheidende Kampf sei der im Parlament zusammen mit den „demokratischen“ Bürgerlichen, innerhalb wie außerhalb der Volksfront.
Anders als in Deutschland erleben wir in Frankreich eine politische Instabilität, die sich nicht nur im Wachstum der rassistischen rechten RN ausdrückt, sondern auch in immer wieder aufbrandenden Wellen des Widerstandes durch die Arbeiter:innenklasse, in den letzten Jahren vor allem den Massenstreiks gegen die Rentenkürzungen. Dies führte zu einer Zersetzung der sozialen Basis des Macronismus. RN und die NFP konkurrierten bei den Parlamentswahlen darum, zur stärksten Kraft zu werden.
Dabei erhob die NFP einerseits wichtige soziale Forderungen, am prominentesten die nach Rücknahme der Rentenreform, rassistischer Gesetze, einem Investitionsprogramm und höherer Besteuerung der Reichen. Zugleich war aber klar, dass man nach der Wahl bereit wäre, wichtige Versprechen zur Disposition zu stellen. Schon vorher wurde klargestellt, dass die NFP nicht vorhat, die Außenpolitik des französischen Imperialismus und die Aufrüstung in Frage zu stellen.
Besonders eindrücklich wurde diese Priorisierung der „Einheit“ selbst gegenüber sozialen Forderungen dadurch gezeigt, dass die drittplatzierten NFP-Kandidat:innen auch zugunsten von Rentenreformministerpräsidentin Élisabeth Borne und Macrons Bluthund Gérald Darmanin, der sich einen Namen durch das brutale Niederschlagen von Protesten gemacht hatte, zurücktraten und somit Linke und Arbeiter:innen zu Wahl dieser erbitterten Klassenfeind:innen aufriefen.
Ganz generell ist es eigentlich sehr logisch, dass man, will man mit den Hauptkräften der bürgerlichen Klasse oder selbst nur ihren moderaten Liberalen zusammenarbeiten, auf alles verzichten muss, was irgendwie radikaleren Klassenkampf beinhaltet. Je nach Situation kann man dann vielleicht ein paar kleine Reförmchen in einer Volksfrontregierung durchsetzen, aber selbst das nur zum Preis der aktiven Hilfe bei der Demobilisierung von Arbeiter:innen und sozialen Bewegungen. Doch nicht einmal diese kleinen Reförmchen wollte Macron der NFP zugestehen und so darf sie jetzt nicht das bestehende Übel mitverwalten, um ein größeres zu verhindern.
Für Arbeiter:innenparteien, auch für bürgerlich-reformistische, also solche, die sich zwar auf die Klasse der Lohnabhängigen stützen, aber zugleich rein bürgerliche Politik betreiben, ist diese Strategie fatal. Während nämlich die bürgerlichen Parteien, ganz gleich ob grün oder blau, ihre Basis in Bourgeoisie (und Kleinbürger:innentum) haben und ganz logisch in deren Interesse bzw. dem ihrer jeweiligen Kapitalfraktion Politik machen müssen, liegt die Basis von Arbeiter:innenparteien wie der PCF, aber in gewissem Maße auch der Sozialistischen Partei und der linkspopulistischen wie La France Insoumise bei den Lohnabhängigen (ähnlich wie hier bei SPD und Linkspartei).
Da die herrschende Klasse und ihre Parteien in der Krise zwingend versuchen müssen, deren Kosten den Lohnabhängigen aufzubürden, müssen die Parteien der Arbeiter:innenklasse für ein Regierungsbündnis der „Demokrat:innen“ ihre eigene Basis angreifen. Sie helfen dabei der herrschenden Klasse, jeden Protest und jeden Widerstand ausbremsen, zu verhindern oder zumindest zu schwächen – und spielen dabei zugleich rechtspopulistischen oder gar faschistischen Kräften in die Hände, die sich demagogisch als „echte Opposition“ gerieren können.
Die Aufgabe von Arbeiter:innenparteien wäre es in dieser Situation, gemeinsam mit den Gewerkschaften, eine Front der Arbeiter:innen zu bilden, um die Angriffe der Bourgeoise entschlossen und energisch zurückzuschlagen, und zwar von Macron wie Le Pen, von Baerbock wie Weidel!
Sich hingegen mit den „weniger schlimmen“ Bürgerlichen, mit dem geringeren Übel, zusammenzuschließen, ist in Wahrheit das größte Übel für Arbeiter:innen wie ihre Parteien. Denn in Wahrheit gießt eben diese Strategie Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulist:innen, die sich als einzige Alternative zum bestehenden Elend darstellen, auch wenn sie das Gegenteil einer Lösung im Sinne der Arbeiter:innen beabsichtigen. Wenn aber die Linkspartei mit der CDU paktiert, die NFP mit Macron, um AfD und Le Pen zu verhindern, und dafür deren Politik des Sozialabbaus, der Erhöhung des Rentenalters, der massenhaften Abschiebung mittragen, ergo das Elend mitverwalten, da es sich bei diesem Elend um das geringere Übel handele, dann können Le Pen und AfD bloß mit dem Finger darauf zeigen und sagen: „Seht ihr, wir haben recht – die sind Teil des Systems, wenn ihr was verändern wollt, müsst ihr uns wählen!“
Und mit dem ersten Teilsatz liegen sie ausnahmsweise einmal richtig! Denn man kann nicht gleichzeitig das System gegen eine/n reaktionäre/n Konkurrent:in innerhalb des bürgerlichen Lagers stützen und es bekämpfen im Interesse der proletarischen Klasse! Das aber wäre nötig, um dem Rechtsruck eine Offensive von links entgegenzuwerfen!
Die Aufgabe derer, die sich als konsequente Interessenvertretung der Arbeiter:innen sehen, liegt darin, in der Situation des Rechtsrucks nicht nach der Einheit der Demokrat:innen, sondern der der Arbeiter:innen zu trachten!
In Frankreich ist vorerst die Zusammenarbeit mit Macron gescheitert – aber nicht aufgrund der Entschlossenheit der Führung der Arbeiter:innenklasse, sondern aufgrund dessen Politik. Das führt dazu, dass die Spitzen der NFP aktuell gezwungen sind, ihre Anhänger:innen zu mobilisieren. Revolutionär:innen müssen sich daran mit aller Kraft beteiligen, ohne ihre Kritik an den reformistischen und populistischen Führungen zurückzunehmen.
Es gilt dabei, die reformistischen Parteien und Gewerkschaften aufzufordern, über einzelne Aktions- und Streiktage hinauszugehen, sich zu einer Einheitsfront gegen die Angriffe der bürgerlichen Parteien und Führer:innen zusammenzuschließen, gegen neue Regierung und RN! Nur wenn man eine Opposition gegen das ganze Übel aufbaut, und nicht nur gegen das (vermeintlich) Schlimmste von mehreren, indem man den Kampf gegen den Rechtspopulismus mit dem gegen die Offensive der Bourgeoisie verbindet, den gegen Le Pen und RN mit dem gegen die Rentenreform, ist es möglich, die Rechten und ihre Agitation zu bremsen! So kann man nicht nur die eigenen Kräfte mobilisieren, sondern auch den proletarischen und subproletarischen Massen aufzeigen, dass nicht die Rechten eine Alternative zum System verkörpern, nicht die migrantischen oder queeren Kolleg:innen schuld sind am Elend, sondern die Bosse! Dafür muss man aber erst einmal selber eine reale Alternative zum Bestehenden darstellen und sich nicht „im Sinne der Demokratie“, mit diesem gemeinmachen!
Daher ist in den kommenden Kämpfen in Frankreich die Forderung nach dem Aufbau von Aktionskomitees in den Betrieben und Wohnvierteln, an Unis und Schulen zentral, um möglichst viele in die Mobilisierung gegen die nächsten Angriffe und das zu erwartende Sparpaket der Regierung zu ziehen, aber auch um demokratische Kampforgane zu schaffen, die Kontrolle und Kommando über den Kampf übernehmen können. Zugleich können solche auch den Ort und Rahmen für die politische Auseinandersetzung um die richtige politische Strategie für die Arbeiter:innenklasse – die Auseinandersetzung zwischen Reformismus und Linkspopulismus einerseits und revolutionärem Kommunismus andererseits – bilden.