Arbeiter:innenmacht

Der Kanzlerkandidat

CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons / Michael Lucan

Paul Dreher, Infomail 1266, 9. Oktober 2024

Mit Friedrich Merz haben CDU/CSU ihren Kanzlerkandidaten aufgestellt. Nach dem, mehr oder minder freiwilligen, Verzicht von Wüst und Söder dürfte der CDU-Vorsitzende eine der größten Hürden, wenn nicht die größte, auf dem Weg ins Kanzleramt gemeistert haben, denn der Sieg bei den nächsten Bundestagswahlen dürfte den Unionsparteien kaum zu nehmen sein.

Die CDU führt momentan alle Umfragen überlegen an und konnte, bis auf Brandenburg, in den letzten Landtagswahlen leichte Gewinne erzielen.

Merz steht nicht nur für die Lösung der K-Frage, sondern auch für einen klaren Bruch mit der Ära Merkel. Daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. Mittlerweile ist sein Kurs auch der vorherrschende der Union geworden, die sich damit weiter nach rechts verschoben hat.

Als Vertreter des Großkapitals, von der Wirtschaftselite gefördert und mit tiefen Verbindungen zu Konzernen wie BlackRock, ist er der Inbegriff einer neoliberalen Politik, die sich gegen die Interessen der Arbeiter:innenklasse richtet. Der Mann, der seit Jahren in den höchsten Sphären der Finanzwelt verkehrt, wird von der CDU als „Retter der Mitte präsentiert“ – einer „Mitte“, zu der sich der Multimillionär bekanntlich selbst zählt.

Was also kommt auf uns zu, wenn Friedrich Merz wie erwartet der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird?

Woher kommt Friedrich Merz?

Friedrich Merz begann seine politische Karriere in den 1990er Jahren als Abgeordneter des Europaparlaments und später des Deutschen Bundestags. Dort setzte er sich vehement für eine Politik der Reichen und Großindustrie ein und machte damals schon Schlagzeilen mit seinen gewerkschaftsfeindlichen Positionen. So sprach er 2003 den Gewerkschaften „jede Legitimation“ ab, allgemein für Beschäftigte in Deutschland sprechen zu können bzw. für den Sozialstaat einzutreten, und versprach bereits krasse Einschnitte in der Rente: „Viel mehr als eine Basissicherung ist in Zukunft nicht mehr möglich.“

Schnell stieg der Mann, der sich mehr Respekt für Besserverdienende wünscht, in den Reihen der CDU auf, bevor er 2007 vorerst verkündete, er werde nicht mehr für die Bundestagswahl kandidieren. Dies war Resultat eines Machtkampfes mit Angela Merkel, die ihn (neben anderen parteiinternen Konkurrent:innen) systematisch an den Rand drängte, nachdem er 2002 erst den Fraktionsvorsitz und 2004 schließlich auch die Position als stellvertretender Fraktionsvorsitzender aufgeben musste.

Seinen vorübergehenden Rückzug aus der Politik nutzte er, um eine beeindruckende Karriere als Lobbyist und Aufsichtsrat in verschiedenen Großkonzernen – insbesondere bei der globalen Investmentfirma BlackRock – aufzubauen. BlackRock ist berüchtigt für seine Spekulationen auf Finanzmärkten, die zur Verarmung ganzer Regionen führen können, sowie für seine zentrale Rolle bei der Förderung von Privatisierungen und Schwächung staatlicher Kontrolle über die Wirtschaft.

Als die Krisen der Merkel-Regierung deutlicher wurden, versuchte Merz sein Comeback, jedoch scheiterten seine ersten beiden Versuche, Parteivorsitzender zu werden, knapp. Zunächst verlor er gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, bevor er darauffolgend auch Armin Laschet unterlag – beide versprachen eine Kontinuität der Merkel-Politik – bis er sich schließlich durchsetzen konnte. In der CDU vollzog sich damit auch ein Machtwechsel hin zum rechtskonservativen Teil der Partei.

Wofür steht Friedrich Merz und was droht?

a) Für eine Belebung der Wirtschaft

In der kommenden Periode will Merz für eine „Belebung“ der Wirtschaft sorgen. Doch was bedeutet diese „Belebung“ konkret? In seiner wirtschaftlichen Vision stehen Deregulierung, Steuersenkungen für Unternehmen und das Zurückfahren staatlicher Interventionen im Vordergrund. Die Rhetorik dieser Wirtschaftsbelebung dient letztlich nur dem Kapital, während die Kosten auf die Schultern der arbeitenden Bevölkerung abgewälzt werden sollen.

Ganz im Kontrast zur „Belebung“ der Wirtschaft sollen Arbeiter:innen nicht etwa mehr von ihrem Leben haben, sondern für kaum existenzsichernde Jobs „aktiviert“ werden. Seine Vorstellung von „Aktivierung“ bedeutet nichts anderes als den Zwang, auch die schlechtesten und am wenigsten existenzsichernden Jobs anzunehmen. Merz nämlich gehen die bereits von der Ampel geplanten Einsparungen beim Bürgergeld nicht weit genug. Wer arm ist oder keine Arbeit hat, soll dafür bestraft werden. Die Kürzung von Sozialleistungen und die Streichung des Bürgergeldes würde die Armut weiter vertiefen und Millionen Menschen in die soziale Unsicherheit stürzen. Dabei werden die Grenzen eines menschenwürdigen Existenzminimums entweder schöngerechnet oder einfach direkt übergangen.

Ähnliche Pläne hat Merz auch in der Rentenpolitik. Seine Forderung nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters macht klar, dass man nicht nur unter schlechteren Bedingungen, sondern auch länger arbeiten soll.

b) Rassismus und deutsche Leitkultur

Friedrich Merz spricht sich in migrationspolitischen Belangen für die sogenannte „Leitkultur“ aus, ein Begriff, der vage Konzepte von „deutschen Werten“ propagiert, aber in der Praxis dazu dient, Migrant:innen und Geflüchtete zu marginalisieren, gar als Bedrohung für den Arbeitsmarkt darzustellen.

Die Forderung nach Assimilation in seine „deutsche Leitkultur“ dient nicht der Integration, sondern der Kontrolle und Unterdrückung von migrantischen Arbeiter:innen sowie der weiteren Spaltung der Arbeiter:innenklasse. Zu den Konsequenzen gehören der weiter sinkende Lebensstandard der ohnehin schon Marginalisierten und eine Schwächung der kollektiven Widerstandskraft der Arbeiter:innen insgesamt.

Merz nutzt weiterhin jede Gelegenheit, um seine rassistischen Positionen zu verbreiten. Der Anschlag in Solingen war ihm nicht zu schade, um zu fordern, man müsse einen nationalen Notstand mit „faktischem Aufnahmestopp“ ausrufen. Dass diese populistische Forderung an geltendem Recht (z. B. Grundgesetz, aber auch EU-Recht) vorbeigeht, ist in erster Linie nebensächlich; gefährlich ist sie trotzdem. Dass der, auch von Friedrich Merz oft beschworene, „Rechtsstaat“ offen übergangen werden soll, wenn es um die Umsetzung von rassistischen Maßnahmen geht, veranschaulicht noch einmal den allgemeinen Rechtsruck.

c) Rückkehr zum Konservativen: Frauen und LGBTIAQ-Personen in Gefahr

Ganz im Sinne seiner propagierten „Rückkehr zum Konservativen“ steht Merz für eine Politik, die das traditionelle Familienbild glorifiziert und Frauen wieder vermehrt in die Rolle der Hausfrau und Mutter drängen will. Ohne ausreichende soziale Absicherung und bei einem Arbeitsmarkt, auf dem Frauen ohnehin schon häufiger prekärer Arbeit nachgehen, sind sie besonders von Armut betroffen und werden in Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt.

Durch die Kürzung von Sozialleistungen und die Ablehnung der – ohnehin ausgebremsten – Kindergrundsicherung wird das Armutsrisiko für Frauen und Kinder weiter steigen.

In seinem Bild einer traditionellen bürgerlichen Familie, in der die Frau Unterdrückte bleibt (so stimmte Merz 1997 mit einigen anderen CDU-Abgeordneten auch gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe), finden andere sexuell Unterdrückte keinen Platz. Das machte er mehrfach klar, z. B. indem er Homosexualität mit Pädophilie assoziierte.

d) Klimawandel: Nicht einmal warme Worte

Zwar erkennt Merz, im Gegensatz zur AfD, den menschengemachten Klimawandel als solchen an, mehr aber auch nicht. Er hat sich klar gegen wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz ausgesprochen und verfolgt eine Politik, welche die Interessen der fossilen Industrie und der Großunternehmen schützt.

Statt auf nachhaltige Lösungen setzt er auf marktorientierte Ansätze und betont die Wichtigkeit „technologischer Innovationen“. Da es seiner Meinung nach nicht der Fall sei, „dass morgen die Welt untergeht“, wird es der Markt schon irgendwie richten – ganz nach dem Mantra der FDP.

Mit ihm in der Regierung werden es auch Klimaaktivist:innen nicht einfacher haben. So sprach er sich z. B. für ein Verbot der Letzten Generation aus, hält gleichzeitig ein AfD-Verbot aber für sinnfrei.

e) Aufrüstung und imperialistische Außenpolitik

Merz spricht sich für eine stärkere Rolle Deutschlands auf der internationalen Bühne aus: Es müsse seiner „Verantwortung“ gerecht werden. Damit einhergehend fordert er noch höhere Verteidigungsausgaben, die in der aktuellen Regierung schon einen nie dagewesenen Anstieg erlebten. Die Ampel-Koalition versucht, im Unterschied zu Merz, der die Aufrüstung offen fordert, ihre Politik mit einer humanitären und friedenssichernden Rhetorik zu versehen, was die eigentlichen Ziele jedoch kaum verschleiert.

Merz fordert auch eine umfassende Modernisierung der Bundeswehr, um diese „voll einsatzfähig“ zu machen. Offensichtlich geht es dabei jedoch nicht um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung, sondern um die der deutschen Exportwirtschaft. Das steht auch nur in Kontinuität mit der Politik der Ampel, wie Aussagen wie die von Robert Habeck, der sich für eine „effektive Nutzung“ der Gelder zur Verteidigung Europas aussprach, verdeutlichen.

Die CDU wird sich mit Merz in außenpolitischen Fragen auch weiterhin am US-Imperialismus orientieren. Er betonte mehrfach, dass eine starke Bindung an die USA unerlässlich sei, um die Sicherheitsinteressen Deutschlands und Europas zu schützen: „Die USA sind unser wichtigster Verbündeter“. In diesem Zusammenhang positioniert er sich klar gegen eine Annäherung an Russland oder China und propagiert eine „harte Linie“ gegenüber der imperialistischen Konkurrenz, wobei er die deutsche Außenpolitik konsequent auf die Interessen westlicher Allianzen und die militärische Abschreckung ausrichtet. Er plädiert für eine aktive Rolle Deutschlands bei der militärischen Absicherung von Handelswegen und Rohstoffen weltweit. Im Gegensatz zu Merz, der eine klare Konfrontation mit Russland und China sucht, versucht die Ampel-Koalition – insbesondere durch die SPD –, weiterhin Dialogoptionen offenzuhalten.

Für Merz ist auch die Ausweitung der Europäischen Union zu einer sicherheitspolitischen Macht von zentraler Bedeutung. Dazu fordert er einen stärkeren Ausbau der „Europäischen Verteidigungsunion“ und stellte in der Vergangenheit auch mehrfach die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Armee auf. Diese Militarisierung der EU wird als notwendiger Schritt dargestellt, um die europäische Souveränität zu stärken – was letztlich vor allem der Sicherung der Interessen des europäischen bzw. deutschen Kapitals und seiner globalen Einflussnahme dient.

Fazit

Friedrich Merz als Kanzlerkandidat vertritt eine Politik, die sich offen gegen die Interessen von Arbeiter:innen richtet. Insgesamt steht er für eine endgültige Abkehr vom Merkelismus hin zu einer Politik mit offen rechter Rhetorik – einer Rhetorik, von der man ausgehen darf, dass ihr auch Taten folgen.

Ob Merz die strategischen Probleme und Widersprüche des deutschen Imperialismus lösen kann, bleibt offen. Erstens, weil die Frage der Westanbindung mit der der Rolle der EU kollidiert oder zumindest unklar bleibt. Zweitens benötigt Merz Koalitionspartner:innen: Solange die AfD außen vor bleibt, muss er mit der SPD oder gar den Grünen koalieren – die FDP reicht sicher nicht für eine Mehrheit. Damit müsste er jedoch Konzessionen zugestehen, die im Widerspruch zu seiner straffen Agenda bleiben – auch in Bezug auf die Rolle der EU. Eine Rechtsregierung aus CDU und AfD wiederum wäre ebenfalls instabil, vor allem da sie einen Bruch mit der bisherigen EU-Politik seitens der Union erfordern würde.

Mit seinen neoliberalen Wirtschafts- und Sozialprogrammen, einer fortgesetzten Militarisierung sowie der Blockade des Klimaschutzes müssen wir mit einer Zuspitzung der Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse rechnen. Während sich das Kapital auf einen Merz im Kanzleramt freuen kann, bleibt für die breite Masse der Bevölkerung wenig übrig. Mindestlöhne und Sozialleistungen, Arbeitsrecht und Streikrecht – all dies ist in Gefahr, wenn die CDU unter Merz die Regierung stellen wird.

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