Arbeiter:innenmacht

Frauenbefreiung international, aber wie? Verónica Gagos Versuch

Jürgen Roth / Martin Suchanek (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Die Frauen*streiks rücken das Potential des Feminismus, genauer eines popularen, volkstümlichen Feminismus’ ins Zentrum politischer Debatten und Diskussionen. Mit dem 2019 erschienenen Buch „La potencia feminista – O el deseo de cambiarlo todo“ untersucht die argentische feministische Sozialwissenschafterin und Aktivistin Verónica Cago die Ursachen und das Potential der großen Kämpfe, die seit 2016 in mehrfacher Hinsicht den Beginn einer neuen Welle der Frauenbewegung markieren.

Den Ausgangspunkt diese Bewegung bildeten die in Argentinien bereits ab 2016 beginnenden Frauenstreiks sowie die US-amerikanische Bewegung gegen die drohende Machtübernahme Trumps. Auf ihrem vorläufigen Höhepunkt 2019 umfasste sie mehrere Millionen Streikende, vor allem in Lateinamerika, aber auch in Spanien und anderen Ländern. In ihnen kommt nicht nur ein neuer Aufschwung der Bewegung zum Ausdruck, sondern gerade im globalen Süden auch eine radikal neue Opposition von unten gegen den Neoliberalismus.

In ihrem Buch, das 2020 unter dem Titel „Feminist International – How to change everything“ (Verso, GB-London/USA-Brooklyn, NY) und 2021 auf Deutsch mit dem Titel „Für eine feministische Internationale. Wie wir alles verändern“ (Unrast-Verlag) erschien, will sie aber keineswegs nur die Bewegung und ihre Aktivitäten nachzeichnen.

In dem Buch und vor allem in den abschließenden „8 Thesen zur feministischen Revolution“ versucht sie, die Ursachen für die Entstehung und Bedeutung dieser Bewegung theoretisch zu fassen und zu begründen, worin deren zukunftsweisender Charakter besteht. In der folgenden Besprechung der Arbeit folgen wir dem Aufbau des Textes, beziehen uns aber immer wieder auf die 8 Thesen, die auch eine Art Zusammenfassung ihrer Untersuchung darstellen. Die Zitate beziehen sich in der Regel auf die englischsprachige Ausgabe.

Ausgangspunkt

Das für Gago Entscheidende an den Frauen*streiks der letzten Jahre besteht darin, dass sie ein neues politisches Potential zum Ausdruck bringen: die potentia (Macht, Handlungsvermögen) der Frauen aus dem Proletariat und den unteren Klassen. „Das Konzept der feministischen potentia spiegelt diese Art von Bewegung wider, indem es eine alternative Theorie der Macht anstrebt. Feministische potentia bedeutet, die Unbestimmtheit dessen, was man tun kann, was wir tun können, zu rechtfertigen.“ (Seite 2, Englische Ausgabe, eigene Übersetzung)

Damit, so Gago, wolle sie keineswegs einem naiven Verständnis von Macht das Wort reden, das von Institutionen und Strukturen der Herrschaft absieht. Die potentia steht für sie vielmehr für die Konfrontation mit diesen Strukturen, für eine Art Gegenmacht:

„In diesem Sinne handelt es sich um ein Verständnis von potentia als Entwicklung einer Gegenmacht. Letztlich geht es um die Bejahung einer anderen Art von Macht: die der gemeinsamen Erfindung gegen die Enteignung, des kollektiven Engagements gegen die Privatisierung und die Ausweitung dessen, was wir im Hier und Jetzt für möglich halten.“ (Ebenda)

Der von Hardt/Negri entnommene Begriffe der potentia stellt ein Schlüsselkonzept des gesamten Buches dar. Doch die von Negri übernommene Interpretation ist selbst überaus fragwürdig. In dem Buch „Die wilde Anomalie, Spinozas Entwurf einer freien Gesellschaft“ behauptet er, die Begriffe potentia und potestas würden bei Spinoza einen „absoluten Antagonismus“ darstellen. Ersterer stünde für das kreative Vermögen der Vielen, deren kollektives und schöpferisches Vermögen, deren dynamische Gestaltungsmacht, zweiterer für die Unterdrückung der Vielheit, von Freiheit, Kreativität. In dieser Lesart steht die potestas für die Herrschaft des unterdrückerischen Staates, für Ausbeutung, Unterdrückung, Kolonialismus oder für das Empire. Die potentia steht für Macht und Begehren der Menge, der Multitude.

Spinoza verwendet die Begriffe in der von Negri behaupteten starren Gegenüberstellung nicht, vielmehr begreift er potentia und potestas als dialektisches Verhältnis. Dabei stellt die potentia durchaus das vorrangige, treibende Moment dar. So soll bei ihm die vernünftige potentia potestas werden. Die potestas des Staats begreift er als durchaus notwendig (z. B. zum Schutz gegen reaktionäre religiöse Intoleranz). Sie muss allerdings seiner Vorstellung nach demokratisch kontrolliert werden.

Es geht uns an dieser Stelle jedoch nicht um eine richtige oder falsche Interpretation Spinozas, sondern vielmehr darum, dass Gago die falsche, undialektische Gegenüberstellung von potentia und potestas von Negri unkritisch übernimmt.

So knüpft sie am Begriff der Multitude, der Menge an, die bei Hardt/Negri schon den Kern und die Produktionsweise einer zukünftigen Gesellschaft darstellt. Die Frauen*streiks sind für Gago deshalb von so großer Bedeutung, weil sie das Hervortreten, die Selbstformierung eines neues Subjekts und einer neuen Form der Vergesellschaftung von unten darstellen. Hier trete einen neues, umfassendes proletarisches Klassensubjekt hervor, das nicht mehr auf die (marxistischen) Eingrenzungen auf die industrielle (zumeist weiße) Lohnarbeit beschränkt wäre. Hier würden vielmehr transversale Verknüpfungen gebildet, die alle popularen und proletarischen Schichten und Subjektivitäten umfassen würden. Dass Gago dabei die Begriffe popular und proletarisch fast durchgängig synonym verwendet, ist kein Zufall, denn bei ihrem Klassenbegriff verschwimmen die Grenzen zwischen der Lohnarbeit und anderen nicht-ausbeutenden Klassen, insbesondere zu den unteren Schichten des Kleinbürger:innentums und zur Bauern-/Bäuerinnenschaft.

Ähnlich wie Hardt/Negri lehnt auch Gago die Dialektik ab. Die umfassende Klasse bedarf keiner zusammenfassenden strategischen Zielsetzung, keines wissenschaftlichen Programms, das ihre heterogenen Teile politisch auf ein gemeinsames Ziel orientiert. Die Klasse muss nicht erst von einer an sich zu einer für sich werden. Sie muss eigentlich nur ihre Diversität miteinander verknüpfen und anreichern. Dies erklärt auch, warum für Gago die neue Qualität in den Frauen*streiks hervortrete. Das revolutionäre, gesellschaftsverändernde Subjekt existiert in diesen nämlich bereits. Indem die verschiedenen Unterdrückten ihre eigenen Bedürfnisse entdecken, artikulieren, verbinden, schaffen und erweitern sie auch ihr Bedürfnis zur Revolution, zur Neueinrichtung der Gesellschaft. Letztere versteht sie aber nicht als politischen Kampf um die Macht, um den Sturz einer Klasse durch einen andere, sondern als stetig vor sich gehenden Transformationsprozess, der die Gegenüberstellung von Reform und Revolution hinter sich lasse.

Neue Qualität der Streikwaffe?

Doch nun zu den einzelnen Aspekten ihrer Argumentationskette. Der feministische Streik ginge mit der Erweiterung des Klassenbegriffs einher. Die Frauen*streiks würden den engen Horizont der gewerkschaftlichen, reformistischen, aber auch marxistisch dominierten Arbeiter:innenbewegung, die nur auf die weißen, männlichen Industriearbeiter geblickt habe, sprengen.

Dies geschehe schon dadurch, dass er mehr als den „normalen“ Streikkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital umfasse. Indem er Haus-, Reproduktions- und migrantische Arbeit einbeziehe, mache er diese ebenso sichtbar wie die „territoriale“ Dimension des Kampfs um Land der indigenen Bevölkerung. Zweifellos liegt eine Stärke darin, breitere Schichten in den Kampf einzubeziehen, als dies die Gewerkschaftsbürokratie üblicherweise tut, und auch nicht weiter darauf zu warten, bis diese grünes Licht für die Aktion gibt.

Zu den Stärken zählt sie auch, dass der Frauen*streik ebenfalls jene Unterstützer:innen umfasse, die sich trotz der „Unmöglichkeit zu streiken“ solidarisieren.

Spätestens hier wird die Sache jedoch problematisch. Es ist natürlich sehr positiv, dass auch Menschen, die aufgrund von Repression oder ihrer sozialen Stellung nicht am Streik teilnehmen können, die Aktionen befürworten oder das sogar sichtbar machen. Doch wir machen uns nur selbst etwas vor, wenn wir auch Menschen, die die Arbeit aufgrund von Repression, geringerem Organisationsgrad oder mangelnder Solidarität unter Kolleg:innen (noch) nicht niederlegen können, als Streikende mitrechnen. Der Klassengegner wird sich davon leider nicht beeindrucken lassen.

Ebenso ist es problematisch, den Unterschied zwischen streikenden Lohnarbeiter:innen und anderen „Streikenden“ als nebensächlich zu betrachten. Grundsätzlich ist es natürlich sehr gut, wenn sich auch Genoss:innenschaften, kleine Selbstständige, Studierende, Schüler:innen und Erwerbslose dem Streik anschließen. Anders als Lohnarbeiter:innen setzt ihr „Streik“ jedoch das Kapital oder den Staat als Arbeit„geber“ nicht ökonomisch unter Druck.

Natürlich zeigt es zwar eine Stärke der Frauen*streiks als politischer und gesellschaftlicher Massenbewegung, dass sich ihr Millionen anschlossen, die zur Zeit ihre Arbeitskraft nicht gegen Lohn verkaufen (können). Aber für die reale Durchsetzungsfähigkeit ist es letztlich von entscheidender Bedeutung, ob es gelingt, vor allem die große Masse der lohnarbeitenden Frauen in den Streik zu ziehen wie auch ihre männlichen Kollegen (ansonsten fungieren letztere eigentlich, ob sie wollen oder nicht, objektiv als Streikbrecher). Das ist vor allem entscheidend, wenn der Frauen*streik über einen befristeten, eintägigen Demonstrationsstreik hinausgehen und zu einem unbefristeten werden soll.

Dazu ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass auch die Gewerkschaften in den Kampf gezogen werden und die Bürokratie durch klare Forderungen und eine Basisbewegung von unten unter Druck gesetzt wird. Dazu wäre bei den Frauen*streiks ein gemeinsames, möglichst internationales Aktionsprogramm für Schlüsselforderungen notwendig gewesen. Nur so können die weiblichen (wie männlichen) Beschäftigten im prekären Sektor auch wirklich grundlegende Forderungen durchsetzen, weil sie gerade aufgrund ihrer prekären Stellung auf die Solidarität und den gemeinsam Kampf der gesamten Arbeiter:innenbewegung angewiesen sind.

Ein solches Programm wird leider im gesamten Buch von Gago nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert. Hier zeigt sich die Achillesferse ihrer Strategie, die jedoch aus dem Verständnis der Subjektkonstituierung der Autorin durchaus logisch folgt.

Arbeiter:innenklasse oder populare Klasse?

Für sie umfasst die feminisierte Arbeit die von Frauen, Lesben, Transgender und Travestis, aber auch die Arbeit von Menschen unterschiedlicher Klassen, die umstandslos zu einem erweiterten Begriff einer Klasse vereint werden.

So beläuft sich beispielsweise der informelle Sektor, die Schattenwirtschaft, in Argentinien auf rund 40 % aller Arbeitenden. Dieser Anteil ist aufgrund der Krise um die Jahrtausendwende in diesem Land selbst für lateinamerikanische Verhältnisse sehr hoch. Unabhängig davon ist es sicher sehr wichtig, Forderungen für diesen Sektor aufzustellen. Doch dieser Sektor, den Verónica Gago auch als „populare Ökonomie“ bezeichnet, besteht keineswegs nur aus Lohnarbeiter:innen.

In einer deutschsprachigen Veröffentlichung der 8 Thesen zur Feministischen Revolution definieren die Herausgeber:innen, was darunter verstanden wird: „Die «populare Ökonomie» umfasst Arbeitsformen, die traditionell als informell definiert werden, sowie Subsistenzarbeit und außerhalb des traditionellen Lohnsystems erfundene Arbeitsformen; sie bezieht sich auf ein heterogenes Proletariat, das mit unterschiedlichen Mitteln für seinen Lebensunterhalt sorgt, etwa durch Müll- und Flaschensammeln oder durch gemeinnützige Arbeit in Suppenküchen. Das Konzept einer «popularen Ökonomie» will diese Arbeitsformen politisieren sowie einer Marginalisierung und Abwertung durch Begriffe wie «informelle Wirtschaft» oder «soziale Ausgrenzung» begegnen.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 6)

Hier wird aus der Not eine Tugend gemacht. Menschen, vor allem Frauen, die aufgrund der kapitalistischen Krise dauerhaft ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen können, die sich durch Müll- und Flaschensammeln durchbringen müssen, unterliegen objektiv einem Verelendungs- und Entproletarisierungsprozess. Um diesen zu stoppen, ist es notwendig, dafür zu kämpfen, dass diese Menschen wieder ins Lohnarbeitsverhältnis zu existenzsichernden Löhnen integriert werden. Diesen Prozess als „populare Ökonomie“ zu charakterisieren, bedeutet nicht nur, ihn schönzureden. Es bedeutet auch, die Augen vor den objektiven Deklassierungsprozessen des Kapitalismus zu verschließen und damit auch davor, dass diese Tendenzen die Arbeiter:innenklasse schwächen, weil größere Teile aus ihr herausfallen – entweder in Richtung prekäre kleinbürgerliche Existenz oder, im allerschlimmsten Fall, in Richtung Lumpenproletariat. Noch deutlicher wird bei der Einbeziehung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in die Arbeiter:innenklasse.

Die „erweiterte Klasse“ entpuppt sich hier als Zusammenwürfeln von Proletariat und Kleinbürger:innentum. Mit dieser Ausweitung des Begriffs wird auch die zentrale Rolle der kapitalistischen Ausbeutung, also der Aneignung des Mehrwerts durch das Kapital, für die Bestimmung der Arbeiter:innenklasse relativiert. Anstelle der Ausbeutung durch das Kapital tritt bei diesem „erweiterten Klassenbegriff“ „die spezifische Abwertung von gemeinnütziger, nachbarschaftlicher, migrantischer und reproduktiver Arbeit. Wir haben verstanden, wie im Alltag ihre Unterordnung im Verhältnis zu allen Formen von Arbeit steht.“ (Ebenda, S. 7)

Nun wird niemand bestreiten, dass diese Arten von Arbeit oft „unterbewertet“ werden. Doch in Wirklichkeit ist die „Ausweitung“ des Ausbeutungsbegriffs einfach nur unscharf und undifferenziert. Migrantische und auch reproduktive Arbeit sind oft Formen der ausgebeuteten Lohnarbeit. Die nachbarschaftliche Tätigkeit mag nicht geschätzt werden – sie stellt ein anderes Verhältnis dar. Mit der Vermischung von Ausbeutung und „Unterordnung“ werden vor allem jedoch die Klassenverhältnisse, in denen sie stattfinden, unklar. So ist sicher auch die Arbeit von armen Bauern und Bäuerinnen oder von unteren Schichten des Kleinbürger:innentums „unterbewertet“. Viele mögen ärmer sein als manche Lohnabhängige. Dennoch gehören sie verschiedenen Klassen an. Während die Arbeiter:innenklasse über kein Privateigentum an Produktionsmitteln verfügt und gezwungen ist, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, sind die Bauern/Bäuerinnen kleine Eigentümer:innen und Warenproduzent:innen. Sie nehmen daher eine widersprüchliche gesellschaftliche Stellung ein. Bei Gago hingegen sind sie umstandslos Teil des Proletariats und sogar „antikapitalistisch“.

Neue Kritik der politischen Ökonomie

Im Buch theoretisiert sie dies weiter. Zwischen feministischen Ökonomietheorien und volkstümlicher Schattenwirtschaft ohne kriminellen Sektor wie Drogenhandel habe es „Intersektionen“ gegeben. Es handle sich bei Letzterer um eine antineoliberale, kollektiv organisierte Überwindung individuellen Lebens in Gestalt von Kooperativen, autonomen Lebensstilen und -entwürfen. Dabei sei Neoliberalismus nicht auf den Gegensatz Staat – Markt reduzierbar.

Für Gago ist die feministische ökonomische Perspektive schon deshalb antikapitalistisch, weil Wertextraktion aus Körperterritorien erfolge. Hier folgt sie dem feministisch-operaistischen Ansatz von Mariarosa Dalla Costa, der ihrer Forderung nach Lohn für Hausarbeit zugrunde lag. Sie weitet ihn sogar aus über die Hausarbeit in der Sphäre der Lohnarbeiter:innenfamilie hinaus, auf praktisch alle Frauen, die irgendwie körperlich arbeiten und nicht zur herrschenden Klasse gehören.

Was in „Feministische Internationale“ als Ausweitung des Klassenbegriffs versprochen wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als die Auflösung des marxistischen Klassenbegriffs. Im Grunde wird der Klassen- durch einen Volksbegriff ersetzt, der stark an die Vorstellungen der antimarxistischen russischen Volkstümler:innen Ende des 19. Jahrhunderts erinnert, die in der Bauern-/Bäuerinnenschaft eine konsequent revolutionäre Klasse erblickten.

Die „Volksökonomie von unten“ produziert zwar in Teilen Mehrwert in Gestalt prekärer Lohnarbeit. Der Rest lebt aber von staatlich vermittelten Transfereinkünften, die wesentlich vom indirekten (Sozial-)Lohn gespeist werden. Der informelle Sektor ist noch abhängiger als Lohnarbeit und sollte (Verteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und öffentliche Arbeiten zu Tariflöhnen unter Arbeiter:innenkontrolle) vollständig in die offizielle Lohnarbeit integriert statt konserviert werden!

Antikapitalistisches Wirtschaften kann unter Herrschaft des Kapitals nur Nischen bekleiden und ihn nicht graduell sukzessive ersetzen. Angesichts des Weltmarkts der Agrokonzerne wäre die Revitalisierung der ursprünglichen Ackerbaugemeinde noch reaktionärer und utopischer als die sozialdemokratischen und populistischen Genossenschaftsillusionen. Die Landfrage kann genossenschaftlich nur in Kooperation mit sozialistischer Planwirtschaft auf höchstem technischen und vergesellschafteten Niveau gelöst werden, nicht durch eine Idealisierung der Subsistenzwirtschaft. Wirklicher Antikapitalismus ist mit dem ökonomischen Romantizismus der russischen Sozialrevolutionär:innen oder großer Teile der lateinamerikanischen populistischen Bewegungen inkompatibel. Gagos Nähe dazu ist als radikale Linkspopulist:in kein Zufall.

Es ist daher auch kein Zufall, dass sich ihr „Antikapitalismus“ im Wesentlichen auf einen Anti-Neoliberalismus, Anti-Extraktivismus und die Betonung des Kampfes gegen die massenhafte Verschuldung von Communities und Armen konzentriert. All dies sind wichtige Themen und Aufgaben, um die sich auch eine proletarische Frauenbewegung organisieren muss. Doch das reicht nicht, um zu bestimmen, worin eigentlich das Ziel des Kampfes bestehen soll. Hier stellt Gago vor allem fast, was sie nicht will: weder kapitalistischen Markt noch Planwirtschaft. Diese wenig originelle Zurückweisung des Sozialismus hat freilich weitreichende Konsequenzen für das Programm zur Frauenbefreiung. Die Überwindung der Trennung von Produktion und Reproduktion ist ohne Sozialisierung der Hausarbeit letztlich nicht möglich. Diese erfordert aber ihrerseits die Enteignung der herrschenden Klasse und die bewusste Reorganisation von Produktion und Reproduktion auf Basis einer Planwirtschaft.

Reform und Revolution

Gago meint hingegen, ohne solche grundlegenden revolutionären Veränderungen auskommen zu können. Für sie überwindet die argentinische Bewegung eine Beschränkung auf Themen, Quoten und Sektoren. Sie praktiziere eine Intersektion von Geschlecht, Klasse und rassistisch Unterdrückten.

Der Ort dieser Verbindung unterschiedlicher Sektoren sind Frauenvolksversammlungen (Asambleas), Netzwerke, die sich gleichzeitig auf Institutionen bezögen, indem sie Forderungen stellten.

Somit würden sie verkörpern, was Rosa Luxemburg revolutionäre Realpolitik genannt hatte: Handeln in der Gegenwart und gleichzeitige Existenz als Möglichkeit, Potenzial. Dieses könne zum Bruch mit dem System führen, sei also eine Rohform der Methode des Systemübergangs. Der Wunsch nach Revolution („Wir wollen alles verändern!“) stamme aus der Realität des vor sich gehenden Wandels. Die Zeit der Revolution sei jetzt angebrochen. Transversalität als neue Organisationsform entwickle die Kapazität, den Feminismus an jeder Ecke in Szene zu setzen, ohne sich in eine Logik umschriebener Forderungen einzwängen zu lassen. In These 5 fasst Gago dies folgendermaßen zusammen:

„Die feministische Bewegung besetzt die Straßen, trifft sich zu Versammlungen, schmiedet territoriale Allianzen und erstellt Diagnosen der politischen Konjunktur. Sie erzeugt eine Gegenmacht, die sich Rechte erkämpft und gleichzeitig einen radikalen Horizont beibehält. Damit demontiert sie den Gegensatz zwischen Reform und Revolution.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 16)

Die Asambleas bilden die Gegenmacht in dem Sinne, dass sie – wie bei Negris Multitude – der Ort sind, an dem sich die Frauen und Unterdrückten zum Subjekt konstituieren, ihre potentia entdecken, einander mitteilen, vermitteln. Die Aufgabe der Asambleas besteht daher auch nicht darin, ein gemeinsames Kampfprogramm zu diskutieren, zu verabschieden und gemeinsame Aktionen zu vereinbaren. Im Gegenteil, diese Form der demokratischen und politischen Zusammenfassung der Kämpfenden unter einem Ziel ist Gago suspekt. Die Verbindung würde vielmehr durch die Diversität und Transversalität der Akteur:innen geschaffen.

Hier wird deutlich, dass sich ihr Begriff von Gegenmacht grundlegend von der revolutionär-marxistischen Vorstellung unterscheidet. Gegenmachtorgane sind grundsätzlich Kampforgane gegen die bestehende Staatsmacht und Klassenherrschaft. Sie können daher auch nur in bestimmen krisenhaften Klassenkampfsituationen entstehen, müssen entweder auf gesellschaftlicher Ebene verallgemeinert werden oder sie sind letztlich dem Untergang – sei es durch Repression oder Integration – geweiht. Werden sie jedoch verallgemeinert, sei es auf betrieblicher und/oder örtlicher Ebene, entwickelt sich eine Situation der Doppelmacht, die entweder revolutionär oder konterrevolutionär gelöst werden muss, also indem die Kampforgane der Gegenmacht zu Machtorganen einer neuen, sozialistischen Gesellschaft oder von den Machtorganen der herrschenden Kapitalist:innenklasse zerschlagen werden.

Nicht so bei Gago. Den „Gegensatz zwischen Reform und Revolution“ „demontiert“ sie, indem sie die Revolution als stetiges Voranschreiten der (feministischen) Gegenmacht konzipiert. Diese bezieht immer neue Schichten und Teile des Proletariats ein, immer neue Sektoren der „popularen Ökonomie“. Die Asambleas oder andere Organe der Gegenmacht erheben dabei natürlich auch Reformforderungen an den bestehenden Staat, organisieren Debatten, erweitern ihren Diskurs, ihr Handlungs- und Vorstellungsvermögen und vor allem auch schon die zukünftige Gesellschaft selbst, indem sie für die Ausweitung der „popularen Ökonomie“ kämpfen. Zu Kampforganen um die politische Macht müssen die Asambleas, muss die so verstandene „Gegenmacht“ erst gar nicht geraten, da die Transformation und Revolution bereits im Gange ist.  Für sie bedeutet soziale Revolution schließlich nicht den Übergang der Staatsmacht in die Hände einer anderen Klasse, sondern ein Höchstmaß an Bewegung und Ausdehnung der Alternativökonomie.

Dieses Konzept ist historisch nicht neu. Es ähnelt vielmehr recht offenkundig dem Revisionismus eines Bernsteins und dem sozialdemokratischen Reformismus, der Abkehr vom Ziel der Machteroberung. Revolutionäre Realpolitik beinhaltet für Gago keine Übergangsstrategie, die Teilkämpfe um Verbesserungen mit Übergangslosungen und der Machtfrage verknüpft, sondern ihr gerät unter der Hand die aktuelle Bewegung zu einer, die beides, Reform und Revolution, „aushält“. Da sie den Kampf für Reformen nicht als untergeordnetes Moment des revolutionären Kampfs akzeptieren kann und will, bleibt von der „Revolution“ letztlich nur die ideologische Verkleisterung einer Spielart der reformistischen Transformationsstrategie übrig, wie sie heute im linken Reformismus und auch bei Strömungen des Linkspopulismus vertreten wird.

Feministische Internationale

Nachdem auch auf nationaler Ebene kein Programm, keine revolutionären Strategie nötig seien, ja als schädlich betrachtet werden, vertritt Gago auch eine Internationale, die ohne diese auskommt.

„Die aktuelle feministische Bewegung bringt einen neuen Internationalismus hervor. Dabei geht es nicht darum, den verschiedenen Kämpfen eine abstrakte Struktur aufzuerlegen, sie zu homogenisieren und dadurch auf eine «höhere» Ebene zu heben. Ganz im Gegenteil: Sie wird an jedem einzelnen Ort als spürbare Kraft wahrgenommen, die ausgehend von Körpern und individuellen Lebensverläufen transnationale Dynamiken auslösen kann. Somit ist die feministische Bewegung eine global organisierte, destabilisierende, im Globalen Süden verankerte und von dort aus wirkende Kraft.“ (Ebenda, S. 19)

Für unsere argentinische, postoperaistische Feministin bildet die Bewegung eine koordinierte Kraft globaler Destabilisierung, webt Netzwerke antiautoritärer Insubordination und Selbstermächtigung ausgehend von Lateinamerika. Sie sei trans- und plurinational (Letzteres bezieht sich auf die indigenen Ethnien, Nationalitäten), überkomme somit Internationalismus wie Nationalstaat, weil sie überall existiere. Ihr Transnationalismus verkörpere die Inversion eines Internationalismus’ von oben.

Der Streik sei zum globalen Schlüsselwort geraten: „Wenn wir streiken, macht die Welt Halt!“

In Anbetracht der Friedhofsruhe innerhalb der klassischen Arbeiter:innenbewegung kann die Bedeutung der Frauen*streiks gar nicht genug betont werden. Haben sie aber „die Welt“ wirklich destabilisiert? Und reicht das aus oder braucht es vielmehr zusätzlich Vorstellungen, wie eine neue Ordnung errichtet werden soll und organisiertes Eintreten dafür? Bei Gago werden Aufbau, Strategie und Programm ganz bewusst der Spontaneität und Unmittelbarkeit überlassen.

„Dieser Ansatz unterscheidet sich stark davon, kollektive Organisationsformen moralisch vorauszusetzen oder theoretisch zu fordern. Der Feminismus in den Stadtvierteln, im Bett oder zu Hause ist nicht weniger internationalistisch als der Feminismus auf den Straßen oder den regionalen Treffen. Genau darin liegt sein starker raumpolitischer Aspekt: In seinem Ansatz, Feminismus nicht in getrennten Sphären zu denken, sondern Transnationalismus aktiv zu praktizieren, in ihm Wurzeln zu schlagen und Territorien gleichzeitig für unerwartete, unzählige und weltweite Zusammenhänge zu öffnen.“ (Ebenda, S. 21)

Mit diesen Zeilen endet die Darlegung der neuen, entstehenden Feministischen Internationale. Sie soll also offensichtlich unterschiedliche Teile und Konzepte ohne Debatte um Strategie, Taktik und Programm lose verbinden. Das Problem der Vermittlung von aktuellem Bewusstsein der Klasse und revolutionärer Strategie, die Frage, um welche Forderungen, um welche kollektiven Organisationsformen, um welche Kampagnen und verbindlichen Aktionen sich eine neue proletarische Frauenbewegung konstituieren soll, taucht in der Schrift erst gar nicht auf. Es scheint vielmehr durch die spontane Entwicklung gelöst. Man müsse einfach „Sphären“ gemeinsam denken, Transnationalismus praktizieren, dann erledigt sich die Frage, um welche Kampfziele und Forderungen sich alles drehen soll, von alleine. Die ökonomistische Vorstellung, dass Klassenbewusstsein spontan aus dem gewerkschaftlichen Kampf entstehe, wird hier auf die Sphäre des Kampfes gegen die Unterdrückung von Frauen und LGBTIAQ-Personen übertragen, wenn auch philosophisch durch den Rekurs auf die potentia der Menge, durch das politische und ökonomische Handlungsvermögen der (proletarischen) Frauen.

Eine solche Strategie wird unvermeidlich an ihre Grenzen stoßen. Schon jetzt erweist sie sich nach zwei Jahren Pandemie und Krise als unfähig, eine Antwort auf die Stagnation oder sogar den Rückgang der Frauen*streiks in vielen Ländern zu geben. Natürlich wäre es kindisch, einfach ein lineares Wachstum der Bewegung zu erwarten. Zeitweilige Rückschläge und Schwankungen sind unvermeidlich, selbst bei einer revolutionären Führung der Bewegung.

Doch schon allein diese Entwicklungen sind eigentlich ein Argument für verbindliche, internationale Strukturen einer Bewegung und für die Diskussion und Erarbeitung gemeinsamer Forderungen und Aktionen.

Aber – ähnlich wie die Sozialistische Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg – muss sich auch eine neue, internationale Frauenbewegung, wenn sie ihr Potential realisieren will, grundsätzlich den großen strategischen Fragen widmen. Nur so wird sie in der Lage sein, den Kämpfenden, den verschiedenen Bewegungen und Kräften angesichts der aktuellen kapitalistischen Krise und angesichts des schärfer werdenden Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten Orientierung zu geben. Das betrifft auch den Kampf gegen die geschlechtliche Unterdrückung und seine untrennbare Verbindung zur sozialistischen Revolution. Gagos Buch „Feministische Internationale“ kommt zweifellos das Verdienst zu, die Frage der Internationale aufgeworfen zu haben. Eine revolutionäre Antwort darauf präsentiert sie jedoch nicht.

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