Arbeiter:innenmacht

Alles Krise! – Krieg, Klima, Energie

Ras Laffan LNG Terminal Katar, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ras_Laffan_LNG_terminal_in_2012.jpg

Martin Suchanek, Neue Internationale 267, September 2022

Sommerliche Hitzewelle hin oder her. Im kommenden Winter werden wir uns warm anziehen müssen, sollte die Bundesregierung ihre Pläne durchziehen. Die versprochenen sozialen Abfederungen erwiesen sich regelmäßig als völlig ungenügende Improvisationen. „Nachbesserung“ am schlechten Konzept lautet das Gebot der Stunde. Wenig verwunderlich setzen SPD und Grüne auf „sozialen Ausgleich“ – und verschweigen geflissentlich, dass dies wenig mehr als ein Nachjustieren an der sozialen Schieflage bedeutet, die sie selbst gerade befeuert haben.

Vom lukrativen Geschäftsmodell zum Milliardengrab

So die berüchtigte Gasumlage. Diese soll bekanntlich systemrelevante Großgashändler wie Uniper oder die kleinere VNG vor der Pleite bewahren. Dabei bescherte die Monopolstellung einiger weniger Konzerne, die exklusive Verträge mit Lieferanten wie z. B. Gazprom abschlossen und das importierte Gas an lokale Versorger verkauften, die ihrerseits private Kund:innen beliefern, über Jahre Milliardenprofite.

Das lukrative Geschäft wurde vor kurzem tendenziell noch attraktiver und schien geradezu narrensicher. Schließlich ist Deutschland weltweit der größte Gasimporteur, noch vor China. Knapp 160 Milliarden Kubikmeter wurden allein im Jahr 2020 eingeführt – und die Aussichten schienen prima, da Erdgas in der deutschen Energiewende zur führenden „Brückentechnologie“ erklärt (und verklärt) wurde, also dessen Anteil am Energiemix nach dem Atomaus und Kohleausstieg größer wurde.

Doch das ganze Kalkül platzte 2022 mit dem Ukrainekrieg, genauer mit der Sanktionspolitik des Westens und der Bundesregierung und dem damit verbundenen Ausstieg aus russischem Gas. Im Frühjahr konnte es so manchem, neugeborenen Kalten Krieger oder so mancher Ex-Pafizistin nicht schnell genug mit dem Kappen russischer Importe gehen. Im Kampf um die Ukraine verhängten die G7-Staaten, die EU und darunter natürlich auch die Bundesregierung, historisch einzigartige Sanktionen gegen Russland, die das Land effektiv von den internationalen Finanzmärkten abschneiden und die Wirtschaft in die Knie zwingen sollten.

Sanktionen

Keine Frage: Die Wirkungen auf die russische Ökonomie sind verheerend. Wichtige Industrien, die eng mit den globalen Lieferketten verzahnt und auf westliche Technologie und Zwischenprodukte angewiesen sind (z. B. Autoindustrie oder Luftfahrt), mussten ihre Produktion einstellen oder zumindest drastisch herunterfahren. Um den eigenen Betrieb aufrechtzuerhalten, gingen russische Fluggesellschaften zum Ausschlachten einzelner Maschinen über. Auch wenn die westlichen Sanktionen das Land nicht die Knie gezwungen haben, so richten sie verheerenden wirtschaftlichen Schaden an, von den Lebensbedingungen der Arbeiter:innenklasse ganz zu schweigen.

Allerdings gelang es dem Westen nicht, der russischen Ökonomie einen raschen, vernichtenden Schlag zu versetzen. Dazu hätte man letztlich die wichtigsten Gewinn und Devisen bringenden Exportgüter, Öl und Gas, vom Weltmarkt nehmen müssen. Doch das vermochten USA, EU, Deutschland und ihre Verbündeten nicht. Erstens erwies sich der komplette Embargoplan für Europa sowieso immer als schwierig, wenn nicht utopisch. In ihrer Euphorie versprachen neugeborene Kalte Krieger:innen wie Baerbock und Habeck, FPD-Einpeitscher:innen wie die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Strack-Zimmermann, Transatlaniker:innen aus der CDU/CSU im Frühjahr 2022 das Blaue vom energiepolitischen Himmel. Offen wurden immer radikalere und entschlossenere Schritte und „Signale“ gefordert. Als Ersatz für den russischen Rohstoff sollten LNG-Terminals her. Habeck versuchte in Katar, „sauberes“, also nicht-russisches Gas zu akquirieren. Der Kohleausstieg musste verschoben werden. Mittlerweile sind auch ganze 12 LNG-Terminals in Planung, das energiepolitische Rollback ist in vollem Gang.

Zugleich wurden dieselben Leute nicht müde, Russland an seine Lieferverpflichtungen zu ermahnen. Während der Westen offen den Vertragsbruch mit Gazprom und anderen russischen Unternehmen diskutierte und organisierte, sollte Putin weiter liefern, bis seine Rohstoffe nicht mehr gebraucht würden. Dass Russland dies nicht einfach hinnimmt und seinerseits Öl und Gas als Waffen einsetzt, darf natürlich niemanden verwundern, der die Sache einigermaßen nüchtern-rational betrachtet. Doch in der westlichen bürgerlichen Öffentlichkeit galten die zu erwartenden Gegenaktionen als weiterer Beweis für das perfide, geradezu dämonische Wesen Putins und seiner Gefolgschaft. Die innere Widersprüchlichkeit der eigenen Argumentation kümmert dabei Regierung und bürgerliche Opposition samt demokratischer Medienöffentlichkeit nicht weiter. Während Putin und seinem Regime so ziemlich alles zugetraut wird, gibt man sich verwundert darüber, dass Sanktionen mit Sanktionen, Embargos mit Embargos beantwortet werden.

Damit soll letztlich vor allem eines suggeriert werden: Jede mögliche Verknappung von Energie im Winter, jede Verteuerung gehen letztlich auf Putins Kappe. Die westliche, imperialistische Sanktionspolitik, die ökonomischen und geostrategischen Kriegsziele, die NATO und der Westen gegenüber Russland und in der Ukraine verfolgen, werden entweder ausgeblendet oder zu einem selbstlosen, geradezu schmerzlichen Akt der „Selbstverteidigung“ und des Kampfes für „Demokratie und Menschenrechte“ verklärt. Mit dieser Darstellung werden die realen Zusammenhänge geradezu auf den Kopf gestellt. Die Kosten des Krieges um die Ukraine und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt mit Russland (und China) werden so im Namen des staatsbürgerlichen Interesses gerechtfertigt. Ob nun das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, immer neue Kredite und Waffensysteme für die Ukraine, die Ausweitung und weitere Aufrüstung der NATO wie auch eine Energie- und Sanktionspolitik, die Russland in die Knie zwingen soll – alle diese Ausgaben werden als Mittel zur Verteidigung von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit verkauft, hinter denen das eigentliche ökonomische und geostrategische Interesse des deutschen Imperialismus verschwindet.

Dass Russland seinerseits mit Gegensanktionen und einer Drosselung der Gas- und Öllieferungen an Deutschland und die EU antwortet, war vorhersehbar – und die meisten außenpolitischen Strateg:innen und auch die Ampelkoalition wussten das natürlich. In der bürgerlichen Politik gehört es jedoch manchmal zur Taktik (und Täuschung der eigenen Bevölkerung), sich dümmer und naiver darzustellen, als man ist. So kommt es allemal besser, sich als Opfer eines Putins zu inszenieren, der willkürlich die ach so demokratische Nachkriegsordnung in Schutt und Asche legen will. Die eigenen Weltmachtinteressen treten dabei nicht nur in den Hintergrund, die eigene Aufrüstung und ökonomische Sanktionen erscheinen so noch als Akt, der „uns“ vom Gegner aufgezwungen worden ist. Auch das ist nichts Neues, sondern gehört vielmehr zum ABC bürgerlicher Politik – den auf bloße Machtpolitik verkürzten Imperialismus ideologisch nur bei der Konkurrenz ausmachen.

Grenzen westlicher Hegemonie

Dummerweise beschränkt sich der Kampf um die Neuaufteilung der Welt jedoch nicht auf solche Winkelzüge. Dass das Kalkül, Russland mehr und mehr mit Sanktionen und Embargos in die Knie zu zwingen (und gleichzeitig die Gasversorgung einigermaßen aufrechtzuhalten), nicht aufging, hat aber einen weiteren, für die westlichen Staaten jedoch durchaus besorgniserregenden Grund: Die Sanktionspolitik konnte bis heute nicht global durchgesetzt werden. Natürlich stellen die meisten Staaten diese in Rechnung, zumal wenn Unternehmen fürchten müssen, dass eine (offene) Fortsetzung ihres Russlandgeschäftes ihren Zugang zu westlichen Märkten einschränkt oder Sanktionen v. a. durch die USA nach sich zieht. Niemand sollte sich darüber hinwegtäuschen, dass diese Drohungen reale Konsequenzen nach sich ziehen und die Sanktionen gegen Russland durchaus auch über den engeren Kreis der westlichen Staatengemeinschaft und ihrer Verbündeten hinaus schmerzhafte und nachhaltige Wirkung entfalten, was sich am Rückgang der Produktion, des BIP und der massiven Verschlechterung der Lage der Bevölkerung zeigt.

Aber die führenden westlichen Mächte scheiterten nicht nur und durchaus vorhersehbar darin, ihrem wichtigsten imperialistischen Konkurrenten China eine solche Politik aufzuzwingen. Auch ökonomisch und politisch bedeutsame Halbkolonien wie Indien oder Brasilien verweigerten sich einem Boykott russischen Öls und Gases oder überhaupt der wirtschaftlichen Beziehungen. So könnte Russland, wenn auch keineswegs ohne Probleme und Preisabschläge, in China und Indien wichtige alternative Abnehmer fossiler Rohstoffe finden und so Lieferausfälle in die EU kompensieren.

Dies wurde auch dadurch erleichtert, dass sich die OPEC unter Führung Saudi-Arabiens weigerte, die Öl- und Gasproduktion massiv zu steigern. Dies hat natürlich nichts mit Solidarität oder Sympathie für Putin zu tun. Doch die OPEC war bislang nicht bereit, Teile der Kosten westlicher Kriegspolitik durch Erhöhung der Fördermenge zu übernehmen und mitzuhelfen, die Energiepreise zu senken. Im Gegenteil, viele der wichtigsten Exporteure befinden sich selbst in durchaus prekärer wirtschaftlicher Lage. Selbst die Golfstaaten stehen vor massiven und kostspieligen Umstrukturierungen, deren Gelingen längst nicht feststeht. In jedem Fall können sie einen massiven Schub an Öl- und Gaseinnahmen auf dem Weltmarkt dringend gebrauchen.

Entscheidend für das Verständnis der aktuellen Weltlage ist dabei auch, dass die hegemoniale Weltmacht USA und ihre Verbündeten, also jene Staaten, die über Jahrzehnte die imperialistische Weltordnung bestimmten, nicht in der Lage sind, wichtige Halbkolonien, darunter über Jahrzehnte beherrschte Länder zur vollen Umsetzung ihrer Politik gegen Russland zu zwingen. Dies ist ein unverkennbarer Ausdruck des Niedergangs der US-Vorherrschaft und der mit ihnen verbündeten westlichen Mächte. Natürlich inkludiert imperialistische Hegemonie auch, eigenen Alliierten oder Vasall:innen Kosten entgegen ihren eigenen unmittelbaren Interessen aufzuzwingen.

Doch je schwächer die Vorherrschaft einer bestimmten Macht wird, je mehr ein/e neue/r Rival:in oder eine konkurrierende Mächtegruppe auf den Plan tritt, umso eher geraten auch Widersprüche zwischen der dominierenden imperialistischen Großmacht oder Allianz und ihren halbkolonialen Verbündeten offen ans Tageslicht. Diese Konstellation erlaubt letzteren gerade in Krisen zeitweilig einen größeren Manöverspielraum, zumal wenn sie selbst über eigene ökonomische oder geostrategische Machtmittel verfügen. Das trifft auf Länder wie Indien oder Saudi-Arabien zu, aber auch auf die Türkei, die im Gegenzug für ihre Zustimmung zur NATO-Aufnahme Schwedens und Finnlands weitgehend freie Hand gegen die Kurd:innen erhält und auch ansonsten ihren Einfluss zu erweitern versucht.

China

Der Niedergang der US-Hegemonie fällt natürlich nicht vom Himmel. Seit Jahren erwächst mit China ein imperialistischer Rivale, der auf zahlreichen Gebieten den USA Paroli bietet. Auch wenn letztere nach wie vor die größte Finanzmacht und kapitalistische Ökonomie darstellen, mit dem US-Dollar faktisch das Weltgeld kontrollieren und über die schlagkräftigste Militärmacht verfügen, so sind die Zeichen des Niedergangs unverkennbar. Russland und die EU-Mächte stellen eigentlich die schwächsten Glieder in der Kette imperialer Weltbeherrschung dar. Ersteres prägt der extreme Widerspruch zwischen militärischem und geostrategischem Potential einerseits und – rein ökonomisch betrachtet – einem immer mehr schwächelnden Imperialismus andererseits. Die EU verfügt zwar über großes wirtschaftliches Potential und ihr aggregiertes BIP ist (noch) größer als jenes der USA und Chinas, aber sie verfolgt keine gemeinsame globale Strategie, agiert nicht als einheitliche Größe. Sie stellt nach wie vor einen von Deutschland und Frankreich beherrschten Staatenbund dar, aber ihre inneren nationalstaatlichen Gegensätze konnte sie bis heute nicht überwinden. Das wäre aber die Voraussetzung dafür, den USA und China im Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf Augenhöhe zu begegnen. Ob es dem deutschen und französischen Imperialismus gelingt, diese Neuordnung Europas hinzukriegen, ist fraglich. Im Moment jedenfalls haben die USA ihre hegemoniale Rolle im westlichen Bündnis verstärkt.

Während der globale Hauptkonflikt seit Jahren zwischen China und den USA ausgetragen wird, spitzt sich der Kampf um die Neuaufteilung der Welt 2022 im Krieg um die Ukraine zu, also in Europa. Auch wenn wohl beide Seiten den Krieg weiter auf einen Stellvertreter:innenkonflikt begrenzen mögen, so wird er mit einer solcher Härte geführt, dass ein Übergang zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland keineswegs ausgeschlossen werden kann.

Auf ökonomischer Ebene hat der Konflikt freilich längst globale Dimensionen angenommen. Gerade weil die Durchsetzung der jeweils eigenen Kriegsziele für das globale Kräfteverhältnis weitreichende Bedeutung hat, ist Deeskalation hier auch nicht angesagt. Die in Gang gesetzten Sanktionen haben sich zu einem veritablen „Energiekrieg“ ausgewachsen, der auch die EU-Staaten massiv in Mitleidenschaft zieht. Die Preissteigerungen, ja selbst drohende Versorgungsengpässe werden faktisch als Kollateralschäden betrachtet.

Daher ist auch ein Ausgleich mit Russland auf dem Feld der Energielieferungen so unwahrscheinlich. Im geostrategischen Kräftemessen und im Stellvertreter:innenkrieg um die Ukraine kämen eine Lockerung der Sanktionen und ein neuverhandelter Öl- und Gasdeal einer Bresche in der westlichen Kriegsfront gleich. Daher lehnen auch alle führenden Kräfte in der herrschenden Klasse, alle führenden Parteien in der EU und im deutschen Imperialismus jedes Einlenken ab. Von den USA ist erst recht in dieser Frage kein Zurück zu erwarten, da sie kaum auf russisches Gas oder Öl angewiesen sind.

Energiewende – fällt aus, Preise – steigen weiter

Doch auch die EU und Deutschland nehmen eine Vertiefung der beginnenden globalen Rezession, mögliche Lieferengpässe und die massive Inflation – und zwar nicht nur der Konsumgüter, sondern noch viel mehr der Produktionsgüter – in Kauf. Und zwar durchaus bewusst. Die Kosten für die im Rahmen des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt durchaus folgerichtige imperialistische Strategie sollen „natürlich“ die Massen zahlen und zwar auf verschiedenen kurz- und langfristigen Ebenen.

1. Mit der ökologischen „Erneuerung“ ist erstmal Schluss. Oder anders gesagt, der Green Deal der EU, der Grünen, aber generell des bürgerlichen Mainstreams offenbart sein reales Gesicht. Um die ökologische Wende geht es sowieso nicht, sondern lediglich um den Ausstieg aus russischen Öl- und Gaslieferungen. Dafür werden kurzfristig nicht nur Rohstoffe aus anderen Regionen mobilisiert, LNG-Terminals gebaut, wird auch schon mal Fracking in Deutschland ins Gespräch gebracht. Die Verlängerung der Kohleverstromung und die Diskussion um die AKW-Laufzeiten sind in diesem Zusammenhang nur konsequent. Natürlich werden auch erneuerbare Energien massiv ausgebaut werden – sei es in Wind- und Solarparks in Deutschland und der EU, sei es in Nordafrika, um so der EU günstige und „grüne“ Energie zu verschaffen und ihre Rohstoffabhängigkeit zu verringern. Die mögliche Rückkehr zu AKWs als „sauberer“ Energie zur Sicherung der „Souveränität“ passt in dieses Bild und es ist kein Zufall, dass immer größere Teile des Kapitals und der bürgerlichen Politik darauf drängen. Grüne und SPD lehnen das zwar noch ab, aber ein Umfallen – und sei es vorerst nur „befristet“ – ist durchaus wahrscheinlich.

2. Gerade die Frage von Windparks in Afrika und die AKW-Debatte verdeutlichen, dass die zukünftige Energiepolitik eng mit der imperialistischen Strategie von EU und BRD verbunden ist. Die Atomkraft hat auch noch den Vorzug, waffenfähige atomare Spaltprodukte (Plutonium) zu liefern, die für den deutschen Imperialismus nötig sind, will man ernsthaft um eine weltweite Führungsrolle kämpfen. Die „ökologische“ Wende wird nicht nur auf energiepolitischem Gebiet begraben. Die globale ökonomische, geopolitische und imperialistische Konkurrenz erfordert natürlich auch ein Mehr an Ressourcen. Die Sicherung industrieller Gewinne und imperialistischer Extraprofite erfordert Investitionen in erneuerte Anlagen, eine Umstellung und auch eine Erweiterung der Produktion in für den Weltmarkt zentralen Branchen. Ob die dafür nötige Leistung aus Kohle-, Gas und Atomkraftwerken oder aus erneuerbaren Energien kommt, ändert nichts daran, dass das deutsche Kapital weiter um den Titel des Exportweltmeisters konkurrieren will. Die Aufrüstung erfordert natürlich ebenso mehr Produktion wie den Ausbau strategisch wichtiger Hochtechnologie am Standort Deutschland. Unter diesen Bedingungen wird der gesamte Energieverbrauch, selbst wenn die Effizienz erhöht werden sollte, keineswegs zurückgehen – und ganz sicher nicht in dem Maße, das notwendig wäre, um eine ökologische Wende hinzulegen. Nachdem aber alle imperialistischen Staaten, alle, die auf dem Weltmarkt obsiegen wollen, vor ähnlichen Anforderungen stehen, bedarf es keiner großen Voraussicht, um eine Verschärfung der gesamten ökologischen Katastrophe zu prognostizieren. Unter diesen Bedingungen müssen wir damit rechnen, dass sich die Entwicklung der Periode von 1990 – 2019 fortsetzt. In diesem Zeitraum erhöhte sich der Energieverbrauch global um etwa 60 %.

3. Der Krieg, die steigenden Rohstoffpreise und die kapitalistische Umstellung des Energiesektors verdeutlichen den Aberwitz des Systems aber auch auf einer anderen Ebene. Die Öl- und Gaskrise hat einige Großimporteure wie Uniper an den Rand des Ruins gebracht. Da dieser Konzern – quasi als energiepolitische Version der Lehman-Brothers – als „too big to fail“ gilt, übernahm der deutsche Staat für 12 Milliarden Euro 30 % der Aktien. Weitere Rettungsaktionen könnten folgen. Ein weiteres Mal werden die Verluste vergesellschaftet. Uniper und Co. erwischten die aktuelle Energiekrise und die Bewegung der Weltmarktpreise offenkundig auf dem falschen Fuß. Für die gesamte Branche hingegen spült eben diese Entwicklung satte Extraprofite, neuerdings „Übergewinne“ genannt, in die Kasse. So erwartet RWE aufgrund der gestiegenen Preise und des Braunkohleausbaus für 2022 einen Gewinnzuwachs auf 5 bis 5,5 Mrd. Euro statt der ursprünglich veranschlagten 3,6 – 4 Mrd. Es steht dabei nur für eine gesamte Branche. Auch andere Energieriesen wie E.ON und Shell – aber nicht nur diese! – machen Milliardengewinne, während Millionen nicht wissen, wie sie ihre Strom- und Heizkosten begleichen sollen. Großzügig erklären sie, auf die Gasumlage bei ihren Kund:innen verzichten zu wollen. Ganz so großzügig ist das natürlich nicht. Die Vorstände der Übergewinnler:innen haben auch mitgekriegt, dass ihre Profitmacherei Empörung und – noch viel schlimmer – die Forderung nach Besteuerung ihrer zusätzlichen Rendite hervorbringen. Der „großzügige“ Verzicht gilt somit als Signal an „die Politik“ – wir verzichten auf die Gasumlage und ihr lasst das mit höheren Steuern bleiben.

4. Die Gasumlage illustriert aber ebenso wie die Milliarden für die Rettung von Uniper: An die Reichen und erst recht an das kapitalistische Privateigentum will man nicht ran. Dabei wird die sog. Gasumlage in jedem Fall weiter Löcher in die ohnedies schon schwer gebeutelten Taschen der Konsument:innen, also vor allem der Arbeiter:innenklasse reißen. Und wie so oft trifft es dabei vor allem die ohnedies schon ärmsten Schichten der Bevölkerung. Die Ratschläge der Bundesregierung erweisen sich dabei entweder als zynische Albernheit, wenn beispielsweise Minister:innen wie Habeck alle, die ihre Rechnungen schon jetzt nicht mehr begleichen können, zu „Verzicht“ und „Sparsamkeit“ ermahnen. Zum Ausgleich verspricht die Regierung ansonsten Flickschusterei statt klarer Entlastung. Statt die Kosten für die Masse der Bevölkerung für Energie, Strom, Lebensmittel zu deckeln, soll die asoziale Gasumlage bleiben. Allerdings sollen die Massen zeitweilig mit einer Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 % versöhnt werden. Lt. Kanzler Olaf Scholz würde damit die Gasumlage nicht nur kompensiert, sondern sogar ein Plus bei den Haushalten bleiben. Wer’s glaubt, wird selig. Wahrscheinlich findet sich trotz Olafs Rechenkünsten ein Minus am Ende des Jahres wieder.

5. In Wirklichkeit handelt es sich bei den sozialdemokratischen (und auch den grünen) Versprechen sozialen Ausgleichs und Nachbesserns vor allem darum, die Massen zu beschwichtigen. Dabei frisst die Inflation schon jetzt ihre bescheidenen Einkommen. In den letzten Jahren fielen die Lohnrunden bekanntlich bescheiden aus, die Erhöhungen der Renten ebenfalls. Jene der Hartz-IV-Regelsätze kommen einer Verhöhnung der Ärmsten der Armen gleich. Und auch vom Mindestlohn wird die Preissteigerung wenig reale Kaufkraft übrig lassen. Kein Wunder also, dass SPD und Grüne ein weiteres „Entlastungspaket“ versprechen, das, wie seine Vorgänger, die Belastung allenfalls etwas abmildern wird. Während sich dieser Flügel der Regierung, vorzugsweise in einer Allianz mit den Gewerkschaftsapparaten, um den Schein „sozialen Ausgleichs“ bemüht, spielt die FPD die neoliberale Kassenwartin. Von einer „Übergewinnsteuer“, wie sie Sozis und Grüne ins Spiel gebracht haben, will Finanzminister Lindner natürlich nichts wissen. Für die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets, immerhin einer der wenigen realen Verbesserungen für Millionen, gibt es keinen Cent. Dafür verspricht er Milliardenentlastungen über eine Steuerreform für die Besserverdienenden, während die mittleren und unteren Einkommensgruppen wenig bis gar nichts davon haben. Der Rückenwind von der bürgerlichen, auch der rechtspopulistischen Opposition ist ihm sicher. SPD und Grüne werden ihm – und damit Kapital und den gehobenen Mittelschichten – wohl entgegenkommen.

All das zeigt, wie eng der Krieg, die aktuelle Energiekrise, steigende Verbraucher:innenpreise mit der imperialistischen und klassenpolitischen Neuausrichtung in Deutschland verbunden sind. Von SPD und Grünen sind allenfalls eine paar sozialpolitische und grüne Placebos, Trostpflaster ohne Wirkung, zu erwarten. Der drohende soziale Kahlschlag wird damit ebensowenig aufzuhalten sein wie imperialistische Aufrüstung und kapitalistische Umstrukturierung.

Doch die sozialen Beschwichtigungsmaßnahmen und Versprechen von SPD und Grünen zeigen auch – in der Bevölkerung brodelt es gewaltig!

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