Arbeiter:innenmacht

Führungskampf in der Linkspartei: Alle gegen Wagenknecht oder Wagenknecht gegen alle?

Tobi Hansen, Infomail 968, 25. Oktober 2017

Besonders die bürgerliche Presse war interessiert an den internen Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsspitze der Linkspartei. Die „Bild-Zeitung“ zitierte Mitglieder, welche in eidesstattlicher Erklärung Parteichef Riexinger geplantes Mobbing gegen Wagenknecht vorwarfen. Andere wiederum wie Parteichefin Kipping fütterten „Die Welt“, „taz“, „N24“ und andere Medien mit Infos über den internen Zwist. Vordergründig ging es um die Machtbefugnisse der Parteivorsitzenden in der Fraktion: wie viel Rederecht diese wann haben und ob sie stimmberechtigt im Fraktionsvorstand sind.

Schon weniger deutlich warfen sie die Forderung auf, dass die Fraktionsmitglieder die Position der Partei und das Programm vertreten sollen, quasi die Mehrheitsmeinung der Partei zu gewissen Themen, z. B. der Politik gegenüber den Geflüchteten. Dies dürfte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, nämlich dass die Abgeordneten das Programm der sie legitimierenden Partei auch vertreten. Historisch hat gerade die ArbeiterInnenbewegung schlechte Erfahrungen mit „eigenmächtigen“ Fraktionen und deren Politik gesammelt: Z. B. hatte die SPD-Reichstagsfraktion vor und nach 1914 das Programm und die 2. Internationale de facto beerdigt.

Showkampf als Klausurtagung

Vor der Klausurtagung setzte sich die Führungsspitze in einen Glaskasten und ließ die bürgerlichen Medien die versteinerten Mimen ablichten. Kipping stellt das gern als „Transparenz“ dar. Zuvor hatte Wagenknecht öffentlich gedroht, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen, falls entsprechende Geschäftsordnungsanträge des Parteivorstandes durchkommen sollten. Als bürokratischen Kompromiss durfte sich die Fraktion nach dem Glaskastengespräch dann Folgendes präsentieren lassen: Die Parteivorsitzenden (die jetzt beide in der Fraktion sind) haben sich beim Rederecht nach vorne geschoben, z. B. vor die FachpolitikerInnen aus den jeweiligen Ausschüssen, und damit de facto ähnlichen Status wie die Fraktionsvorsitzenden zugebilligt bekommen. Im Fraktionsvorstand haben beide jetzt beratendes Stimmrecht.

Der wesentliche Streitpunkt, ob Reden sich ans Parteiprogramm halten müssen, wurde nicht mehr abgestimmt – beim Inhalt hört dann meistens der Diskurs auf. Letztlich konnten sich sowohl Partei- wie auch Fraktionsvorstand als „Sieger“ fühlen. Das gefällt jeder „Führung“ prinzipiell, nur dass jetzt andere Koalitionen aufgetaucht sind als beim Göttinger Parteitag (mit der Kampfabstimmung zwischen Bartsch und Riexinger um den Parteivorsitz). So steht hinter Wagenknecht die westdeutsche Linke, welche vergleichsweise entschieden Oppositionskurs fährt. Dass jene nun mit Bartsch, der Spitzenfigur des FDS (Forum Demokratische Sozialisten) ein Bündnis eingeht, ist daher auf den ersten Blick verwunderlich.

Das Scheitern von Rot-Rot-Grün (R2G)

Letztlich sind alle Beteiligten der Führung mit ihrem Konzept für die Linkspartei und den Wahlkampf gescheitert. Eine Regierung mit SPD und Grünen war schnell außerhalb des Realistischen – sowohl von den Umfragen wie auch von der Orientierung der SPD her. Am klarsten brachte diese Realität Wagenknecht auf den Punkt, die deutlich SPD und Grüne für deren Politik gegenüber und mit der Union anprangerte. Einzig für diese Haltung wäre es zu rechtfertigen, dass Linke in Partei und Fraktion Wagenknecht in Schutz nimmt. Sie unterstellen aber auch oft genug, Wagenknecht sei die Garantin für eine antikapitalistische, sozialistische und internationalistische Orientierung. Hier ist auf jeden Fall der Wunsch Vater des Gedankens.

Wagenknecht, früher als Vertreterin der kommunistischen Plattform zum linken Flügel gehörig, hat längst viele ihrer Positionen aufgegeben. In der Wirtschaftspolitik hat sich Wagenknecht als Verteidigerin der „sozialen Marktwirtschaft“ positioniert, möchte diese aus der Ära des Kalten Krieges zurückholen, wohl wissend, dass diese Verteilungsspielräume im globalisierten Kapitalismus nicht mehr vorhanden sind. Ihren „Internationalismus“ hat sie dem Niveau der SPD angeglichen – sicherlich am deutlichsten vom gesamten Spitzenpersonal, das sich aber auch mehr im Ton als in der Substanz von Wagenknecht unterscheidet.

Kipping wiederum sitzt beim ISM (Institut Solidarische Moderne) im Vorstand. Dies ist eine sog. parteienübergreifende Programmwerkstatt, um R2G-Regierungsoptionen auszumalen. Es darf sich auch der Unterstützung von attac, Teilen der IL u. a. sicher sein. Gemeinsam mit Riexinger arrangierte Kipping die Parlamentariertreffen mit SPD und Grünen. Dieser Teil der Linksparteispitze wollte die Option R2G auch noch 2017 „retten“. Dieser Vorstand, als „Zentrum“ angetreten, vertrat schnell und deutlich die Regierungsoption, das beliebte Steckenpferd des rechten Parteiflügels. Das ist der „Hauptkonflikt“, der sich hinter der Debatte gegen und um Wagenknecht verbirgt.

Die Debatte um die Geflüchteten

Nach den Bundestagswahlen und der Fraktionsklausur brachten Lafontaine und Wagenknecht ihre Haltung zur „Flüchtlingspolitik“ auf den Punkt. Für Wagenknecht reicht es, das bestehende Asylsystem mit allen staatlichen rassistischen Implikationen wie Duldung, Abschiebung etc. zu verteidigen. Forderungen nach offenen Grenzen sind für sie „unrealistisch“. Für Ehemann Lafontaine, welcher schon 1993/94 das damalige Asylsystem mit abschaffte (nach den „Wirtschaftsasylanten“-Kampagnen von REP, DVU und NPD) steht die Verteidigung des nationalen Sozialstaats im Vordergrund. Dort sah er im Wahlkampf der Linkspartei wie auch beim persönlichen Zwist zwischen Spitzenpersonal Mängel.

Mit dieser Diskussion verfolgt der Parteivorstand ein mögliches Mittel, gegen die weiterhin populäre Wagenknecht ins Feld zu ziehen. Diese hatte doch bereits zum „Gastrecht“ und zum Thema Abschiebungen deutlich die rechte Flanke offengelassen. Dieser Konflikt wurde aber zuvor nicht in der Partei ausgetragen. Als Wagenknecht ihre Losung „Wer sein Gastrecht verwirkt, gehört abgeschoben“ von sich gab, reagierten teils antideutsche Aktive mit einem Tortenwurf auf einem Parteitag. Die inhaltliche Debatte verschwand damit aus der Partei. Es ist richtig, Wagenknecht für diese sozial-chauvinistische Positionen zu kritisieren und darum ebenso einen politischen Kampf wie um Regierungsbeteiligungen zu führen. Allerdings müssten dazu die anderen Fraktionen auch real einen fortschrittlicheren Standpunkt vertreten. Dem ist aber leider nicht so. Parteichefin Kipping formulierte einen Vorschlag für ein neues Einwanderungsgesetz, welches schlussendlich die ökonomische Verwertbarkeit der Geflüchteten ins Zentrum rückt. Dies steht den Vorstellungen von SPD und Grünen nahe. So ist darin auch Kriminalität als Abschiebegrund enthalten. Damit kommt sie wie ihre Kontrahentin dem offiziellen Rassismus entgegen, wenn auch nicht so populistisch zugespitzt wie bei Wagenknecht. In dieser Frage gibt es zwischen diesen beiden kein Links und kein Rechts, beide erweisen sich hier als staatstragende Sozialdemokratinnen.

Auch der „Regierungsflügel“ in Ostdeutschland, welcher in der aktuellen Auseinandersetzung eher überraschend Wagenknecht in der Fraktion stützte, hat keine fortschrittlicheren Positionen. Im Gegenteil, in Thüringen bspw. wird gemäß der bundesweiten Richtlinien abgeschoben.

Die Debatte jetzt war ein Versuch, Wagenknecht in ein rechtes Licht zu rücken, in die Nähe des Rassismus. Damit kann die Auseinandersetzung, welche Probleme es in der Linkspartei und der deutschen ArbeiterInnenbewegung insgesamt gibt, leicht umgangen werden – nämlich wie sozialchauvinistische Positionen durch welche Mittel wirken und vor allem, wie dem entgegenzuwirken ist.

Standortpolitik und Sozialchauvinismus bekämpfen!

Einig sind sich nämlich alle Fraktionen der Führung, dass am „Modell Deutschland“ und/oder der „sozialen Marktwirtschaft“ nicht gerüttelt werden darf, deutsche Arbeitsplätze in der internationalen Konkurrenz verteidigt werden sollten und deswegen auch der deutsche Sozialstaat als besonders erhaltenswürdig gilt. Hier wirken aber keine offen rassistischen Positionen, sondern vielmehr die klassischen nationalbornierten der Sozialdemokratie, welche dann den Boden für weitergehende bürgerliche Ideologie wie Nationalismus und Rassismus bereiten.

Für die Standortpolitik, für die Exportfähigkeit der deutschen Industrie haben schon viele GewerkschaftsbürokratInnen und RegierungssozialdemokratInnen die internationale Solidarität gebrochen, haben deutsche Standorte gegen „ausländische“ ausgespielt und speziell diese Konkurrenz ins Bewusstsein der Klasse gepflanzt. Durch diese ökonomische Stärke des deutschen Imperialismus war es auch ein Leichtes, eine besser gestellte ArbeiterInnenaristokratie in Deutschland aufrechtzuerhalten und dort den Sozialchauvinismus gegenüber „ausländischen“ ArbeiterInnen einzuimpfen, wie er gerade bei schlechter bezahlten ArbeiterInnenschichten grassiert. Die deutsche „Wertarbeit“, das „Made in Germany“, das Höherstellen der Ausbeutung und Produktivität der deutschen ArbeiterInnenklasse im Vergleich zur internationalen Konkurrenz ist klassische sozialdemokratische Politik, welche auch in Deutschland immer den Lohnabstand zu migrantischen ArbeiterInnen konserviert.

Und so wurden die „einheimischen“ ArbeiterInnen stets in Furcht vor der internationalen Konkurrenz und untereinander gehalten, um bspw. Lohndrückerei und Überausbeutung hier und im Ausland zu rechtfertigen. Von Internationalismus ist die gesamte Linksparteispitze meilenweit entfernt. Dort existiert er eher auf dem Niveau der sozialdemokratischen und stalinistischen reformistischen Parteien. Grußbotschaften und/oder Erklärungen gibt es gerne, internationale Solidarität und Arbeit eher weniger. Und so sollten sich die Linken in der Partei und in der WählerInnenschaft z. B. an Karl Liebknecht erinnern, welcher in seiner Rede „Fort mit dem Demoklesschwert der Ausweisung“ 1907 wesentliche Punkte zu diesem Thema einforderte:

„Abschaffung aller Beschränkungen, welche bestimmte Nationalitäten und Rassen vom Aufenthalt im Lande und den sozialen, politischen und ökonomischen Rechten der Einheimischen ausschließen (…) Die Kongressresolution fordert also die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in Bezug zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, dass die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.“

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