Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 265, Juni 2022
Die Uhr, um unsere Lebensgrundlage, die Erde, zu retten tickt. Doch statt ernsthaft diese Probleme angehen zu können, tauchen Pandemien, Lebensmittelkrisen und Kriege auf, die zugleich unsere Aufmerksamkeit fordern. Im Moment scheint es also wenig Anlass für Hoffnung zu geben.
Die Krise der Linkspartei oder der Interventionistischen Linken, die Passivität vieler linker Organisationen werfen somit auch die Frage auf: Können wir überhaupt etwas verändern? Schließlich waren es doch diese Organisationen, die eine große Alternative bieten wollten, unsere Gesellschaft zu verändern, weil „die alten Wege“ nicht mehr klappten. Motivierend ist dies alles nicht. Aber den Kopf in den Sand zu stecken mag vielleicht für einige eine Option sein. Da dies allerdings nicht einmal vom Vogel Strauß praktiziert wird, sondern nur auf falsch interpretierten Beobachtungen beruht, wollen wir uns fragen: Was tun?
Ähnlich wie dieser Artikel beginnt der Aufruf zur Demonstration am 25. Juni gegen die G7 in München mit der Feststellung, dass wir nicht mehr so viel Zeit haben. Unter dem Motto „Klimakrise. Artensterben. Ungleichheit. Gerecht geht anders“ heißt es: „Die 2020er Jahre sind das letzte Jahrzehnt, in dem wir noch eine Klimakatastrophe und ein gigantisches Artensterben abwenden können.“
Wenn wir allerdings erfolgreich kämpfen wollen, reicht es nicht aus zu sagen, dass es „jetzt aber mal wirklich Zeit ist“. Bloßer Alarmismus und wissenschaftliche Fakten zu benennen können ein System nicht ändern, das darauf beruht, Profite zu erwirtschaften. Darüber hinaus müssen wir verstehen, unter welchen Bedingungen wir politisch aktiv sind.
Davon wird im von den NGOs durchgesetzten Aufruf natürlich nicht gern gesprochen, da dies bedeuten würde, dass man sich zum Krieg in der Ukraine klar positionieren müsste und nicht nur floskelhaft von „gemeinsamer Friedenspolitik“ reden dürfte, während man gleichzeitig ein Energieembargo und somit eine weitere Eskalation des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt fordert.
Kurz gesagt: Wir leben in einer Zeit eines historischen Umbruchs. Die Periode der Globalisierung, der scheinbar offenherzigen internationalen Zusammenarbeit nähert sich ihrem Ende. Dafür tritt die imperialistische Konkurrenz ganz offen zum Vorschein, – und sie wird die Zukunft prägen.
Doch was bedeutet das für uns? Unter welchen subjektiven Voraussetzungen gehen wir in die kommenden Auseinandersetzungen? Die Bedingungen, unter denen wir auf die Straße gehen, unterscheiden sich sehr von jenen vor 10 oder 20 Jahren. Der Arabische Frühling, der Widerstand in Griechenland und davor die Weltsozialforen und Antiglobalisierungsproteste haben viele Aktivist:innen geprägt und Massen von Menschen auf die Straße gebracht. Sie fanden in einer Zeit des Aufschwungs von Bewegungen statt und nahmen in einigen Ländern oder Regionen revolutionäre Ausmaße an. Doch gleichzeitig haben sie ihre selbstgesetzten Ziele nicht erreicht, ja sie endeten in Niederlagen. Auch wenn eine ganze Generation von Aktivist:innen heute keine Erinnerung mehr an solche politischen Ereignisse hat, prägen die Resultate dieser Kämpfe – insbesondere die unverarbeiteten Niederlagen – auch heute noch den Rahmen, in dem wir agieren.
Seit Jahren befinden wir uns in einer Phase der Defensive. Nach 2016 fand international ein Rechtsruck statt. Auch wenn es dagegen viele Proteste, ja, immer wieder auch massenhaften Widerstand gab, so veränderte das bislang nicht das Kräfteverhältnis. Der entscheidende Grund dafür ist eine historische Führungskrise der Arbeiter:innenklasse, die sich auf allen Ebenen der Bewegung auswirkt und auch mit einer organisatorischen und ideologischen einhergeht.
Dabei befindet sich der Kapitalismus selbst in einer tiefen Krise, die sich auch in einer Zunahme der verschärften imperialistischen Konkurrenz ausdrückt. Das bedeutet nicht nur Krieg wie in der Ukraine, sondern auch, dass die Verteilungsspielräume enger werden.
Zusammengefasst heißt das: Wir befinden uns derzeit in einer Situation der Defensive. Wir wehren eher Angriffe ab, als voranzugehen und Massen für eine neue Gesellschaft auf die Straße zu bringen, und wir müssen auch in Zukunft mit mehr Angriffen auf die Lohnabhängigen rechnen. Natürlich können und werden solche Abwehrkämpfe auch massive Gegenreaktionen, also offensive Möglichkeiten hervorbringen – wie zur Zeit in Sri Lanka, wo eine vorrevolutionäre Situation entstanden ist. Wie aber die Beispiele des Arabischen Frühlings oder der Generalstreiks in Griechenland gegen die EU-Diktate offenbaren, schaffen solche Zuspitzungen zwar die Bedingungen für eine Lösung der Probleme – sie lösen sie aber nicht grundsätzlich. Wenn wir eine andere Gesellschaft erkämpfen wollen, müssen wir uns daher darüber klar sein, welche Kraft überhaupt die Gesellschaft verändern kann und wie diese Kraft zu einem revolutionären Subjekt werden kann.
Die zur Demonstration am 25. Juni aufrufenden NGOs geben darauf eine, und zwar falsche, Antwort: „Die G7-Mitglieder müssen endlich entschlossen gegen die Klimakrise und das Artensterben handeln und Hunger, Armut und Ungleichheit bekämpfen.“
Das heißt jene, die das Problem lösen sollen, sind die Regierungen der führenden imperialistischen Mächte.
Dass viele der Themen auch auf bisherigen Gipfeln immer wieder auf der Agenda standen, ist den Verfasser:innen des Aufrufs klar. Deswegen schreiben sie: „Armuts- und Hungerbekämpfung standen bei G7-Gipfeln häufig auf der Tagesordnung. Doch es blieb bei leeren Worten. Das wollen wir ändern. Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten müssen jetzt dafür sorgen, dass …“, und es folgen wieder Forderungen. Kurzum: Die Idee der NGOs besteht darin, dass man Appelle an die Regierungschef:innen richtet. Die ominöse Zivilgesellschaft soll dann Druck aufbauen.
Das verkennt gleich mehrere Aspekte: Zum einen, dass die Zeit, in der wir leben, von größerer Konkurrenz untereinander geprägt ist. Das bedeutet, dass die „gerechte“ Verteilung, die im Aufruf gefordert wird, objektiv schwerer wird. Warum sich gerade jetzt dies ändern soll, was in der Vergangenheit nicht passiert ist, bleibt uns der Aufruf schuldig zu erklären.
Zentraler ist jedoch, dass der bürgerliche Staat, in dem wir leben, keinesfalls ein neutraler Verwalter aller Interessen ist. Dies scheint zwar auf den ersten Blick so, letztendlich agiert der Staat aber als ideeller Gesamtkapitalist und vertritt das Interesse der Herrschenden.
Der nächste Punkt ist die Frage des Drucks und des Subjektes der Veränderung. Der Begriff der „Zivilgesellschaft“ stellt an der Stelle nichts Neues dar und wird auch in vielen linken Kreisen (bspw. Ende Gelände) als Grundlage für die Praxis genommen.
Entscheidend für uns ist jedoch, dass nicht nur für die NGOs, sondern für einen großen Teil der Linken, die „Zivilgesellschaft“ die Arbeiter:innenklasse als Subjekt der Veränderung abgelöst hat. Bei genauer Betrachtung entpuppt sich der so schön nebulöse Begriff „Zivilgesellschaft“ jedoch einfach als die bürgerliche Gesellschaft. Anstelle von Klassen tritt eine klassenübergreifende, „fortschrittliche“ Allianz verschiedener Klassen, deren Hauptträger:innen die Mittelschichten, das Kleinbürger:innentum und privilegierte Teile der Arbeiter:innenklasse sind, also jene Klassen und Schichten, die die bürgerliche Demokratie tragen. Ganz übersehen wird dabei, dass die bürgerliche Demokratie keine „neutrale“ Veranstaltung, sondern vor allem eine Herrschaftsform darstellt – und zwar eine des Kapitals. Dass sich Letzteres diese Herrschaftsform in der gegenwärtigen Periode immer weniger leisten kann, dass der Kampf um demokratische Rechte zu einem wichtigen Kampffeld geworden ist, ändert jedoch nichts am Klassencharakter „der“ Demokratie oder der „Zivilgesellschaft“.
Es ist aber kein Zufall, sondern folgerichtig, dass sich vor allem die NGOs, kirchliche Vereinigungen, diverse Interessensverbände, professionalisierte „soziale Bewegungen“ und Individuen als Träger der Zivilgesellschaft gerieren. Dass diese alle unterschiedliche Interessen haben, wird als Stärke verstanden, schließlich geht es darum, so viele Partner:innen wie möglich zu vereinen, um „das Ziel“ durchzusetzen. Dass dabei Kompromisse gemacht werden müssen, versteht sich von selbst, und darin liegt auch eines der zentralen Probleme. Nicht, weil Kompromisse an sich immer falsch wären, sondern weil der klassenübergreifende Charakter dieser Strategie Kompromisse zwischen Klassen erfordert.
Kritik an der Gesellschaft ist zwar erlaubt, ja erwünscht – sie findet ihre Grenze jedoch am Privateigentum und der bürgerlichen Ordnung. Dies wird am Ende des Aufrufs deutlich: „Mit zehntausenden Menschen werden wir am Samstag, dem 25. Juni in München friedlich auf die Straße gehen und für eine andere Politik der G7-Staaten eintreten.“
Der Großteil der Lesenden wird sich an dieser Stelle nicht wundern, wenn nun die Arbeiter:innenklasse erwähnt wird. Dem Großteil der Gesellschaft scheint dieser Begriff jedoch nicht so geläufig. Die Arbeiter:innenklasse gebe es nicht mehr, ausgestorben sei sie wie die Dinosaurier. Im Aufruf der NGOs finden wir zwar andere gesellschaftliche Gruppen – die Lohnarbeiter:innen kommen aber nicht vor.
Dabei hat sich, rein faktisch betrachtet, die Arbeiter:innenklasse in den letzten Jahrzehnten massiv vergrößert. Gemeint sind hiermit übrigens Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen und nichts anderes als ihre Arbeitskraft verkaufen können, um ihre Leben zu sichern – nicht nur jene, die in der klassischen Industrie arbeiten. Allein in China und Indien umfasst sie jeweils rund eine halbe Milliarde Menschen; hunderte Millionen von ihnen wurden erst in den beiden letzten Jahrzehnten proletarisiert. In den „alten“ imperialistischen Zentren schrumpft zwar die industrielle ArbeiterInnenklasse, nicht jedoch die Klasse der LohnarbeiterInnen insgesamt. Infolge der immer schärferen Konkurrenz verringert sich auch der Umfang der „traditionellen“ Arbeiter:innenaristokratie, während andere, ehemals privilegierte Schichten (z. B. Ingenieur:innen, Lehrer:innen) immer weniger die Vorzüge der lohnabhängigen Mittelschichten genießen und eine neue Arbeiter:innenaristokratie zu bilden beginnen.
Grundsätzlich wuchs die Arbeiter:innenklasse trotz Krisenprozesse weiter. Massiv zugenommen hat dabei der Teil der Klasse, der zu den „prekären“ Schichten gehört, der oft nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft zu ihren Reproduktionskosten zu verkaufen oder aufrechtzuerhalten. Dieser Prozess findet universell statt, wie auch die Ausdehnung des Billiglohnsektors infolge der Hartz-Gesetze und der „Agenda 2010“ beweist. Er betrifft aber auch im besonderen Maße die Lohnarbeit im „globalen Süden“, die in ihrer Mehrheit aus „Prekären“ wie Contract Workers besteht. In Ländern wie Indien und Pakistan machen diese rund drei Viertel der Klasse aus.
Zum einen können die Arbeiter:innen am effektivsten Druck erzeugen. Streik erzeugt ökonomischen Druck, der, anders als bloße Demonstrationen, Kapitalist:innen – und somit auch den Staatsvertrerter:innen – schadet. Zum anderen haben sie, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, ein einheitliches Interesse, und zwar brachenübergreifend. Dies ist darin begründet, dass sie keine Produktionsmittel besitzen und „frei“ sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen (oder zu verhungern). Im Rahmen der Lohnarbeit produzieren sie dann Mehrwert, den sich die Kapitalist:innen aneignen. Deswegen kann es zwischen den beiden Klassen auch keinen dauerhaften Ausgleich geben.
Wollen sie ihre Lage verbessern, dann sind sie gezwungen, sich zusammenzuschließen und für Verbesserungen zu kämpfen. So sind die ersten Gewerkschaften entstanden – als Ausdruck des gemeinsamen Kampfes für ökonomische Verbesserungen. Ebenso lässt sich daraus auch ableiten, warum die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Rolle an sich spielen kann: Da sie nicht von dem System profitiert, aber gleichzeitig eine zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung dessen spielt, darf sie letzten Endes um ihre eigene Rolle als Ausgebeutete zu beenden, nicht nur bei einfachen ökonomischen Verhandlungen stehenbleiben, sondern muss den Kapitalismus, die Aneignung des Mehrwerts durch die Kapitalist:innen, abschaffen. Anders verbessert sich ihre eigene Position nicht.
Statt also scheinbar viele verschiedene Kräfte zu sammeln, macht es Sinn sich auf die Arbeiter:innenklasse zu stützen, um die eigenen Forderungen effektiv durchzusetzen. Darüber hinaus zeigt sich also auch, dass es ein Mythos ist, dass es sich bei Arbeiter:innen nur um „den weißen Mann im Blaumann“ handelt. Nachdem die Frage, wer das Subjekt der Veränderung sein kann, diskutiert worden ist, kommen wir nun zu einer weiteren elementaren Frage.
Ein großer Teil der Bewegung gegen den G7-Gipfel hält den Sturz des kapitalistischen Systems für eine Utopie, für unmöglich. Selbst viele, die grundsätzlich für die Überwindung des Kapitalismus eintreten, gehen davon aus, dass eine Revolution nicht „auf der Tagesordnung“ stünde, das Kräfteverhältnis dafür zu schlecht sei. Daher wäre für die absehbare Zukunft nur eine längerfristige Politik der Reform oder der Transformation möglich. Die aktuelle Praxis – mit Blick auf die Linkspartei oder die SPD, die sich ja auch einmal dieses Ziel gesetzt hatte – sollte eigentlich Beweis genug sein, dass zumindest dieser Weg nicht der richtige ist. Aber hier ist es ähnlich wie mit „Alarmismus“ und „wissenschaftlichen Fakten“: Reine Erkenntnisse verändern allein nicht viel. Somit ist die Frage: Wie entsteht eigentlich Bewusstsein, insbesondere jenes, das das Ziel hat, den Kapitalismus zu zerschlagen?
Festzuhalten ist, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus immer wieder verschiedene Formen von Widerstand und Kämpfen hervorbringen. Diese können sich bis zur Entwicklung revolutionärer oder vor-revolutionärer Situationen entwickeln. Die Beispiele dafür sind zahlreich wie der Arabische Frühling oder die aktuelle Situation in Sri Lanka. In der aktuellen gesellschaftlichen Lage kommt es insbesondere in Halbkolonien aufgrund der katastrophalen Versorgungslage auch immer wieder zu solchen Situationen. Ebenso gibt es immer wieder Streiks für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne. Sie entstehen also scheinbar „spontan“, aber zur Revolution führen sie nicht.
Dies ist darin begründet, dass revolutionäres Klassenbewusstsein sich nicht in Bewegungen und erst recht nicht im rein gewerkschaftlichen Kampf vollständig entwickeln kann. Im Gegenteil, das spontane Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse, wie es im ökonomischen Kampf erscheint, ist selbst eine Form bürgerlichen Bewusstseins. Dies ist darin begründet, dass es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht. Die Frage, die in solchen Kämpfen gestellt wird, ist: Wie können wir unsere Verbesserungen erreichen? Dies ist an sich eine gute Frage, der Punkt ist aber, dass sie nicht automatisch den Kapitalismus in Frage stellen. Schärfere Auseinandersetzungen (Massenstreiks, Aufstände, politische Bewegungen) können in diese Richtung einer revolutionären Entwicklung drängen, indem sie Fragen nach der weiteren Perspektive, nach Strategie, Taktik aufwerfen, die in „friedlichen“ Zeiten für die Masse der Lohnarbeiter:innen (und der Gesellschaft insgesamt) abstrakt, überflüssig und unrealistisch erscheinen, ja erscheinen müssen. Daher muss revolutionäres Klassenbewusstsein von außen in die Klasse getragen werden. Damit ist nicht gemeint, dass es „Nicht-Arbeiter:innen“ tun, sondern dass eine politische Kraft, eine Partei, auf Basis einer wissenschaftlich fundierten Programmatik geschaffen werden muss. Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Praxis im vollständigen Sinn des Wortes geben. Das bedeutet aber auch, dass das Kräfteverhältnis nie nur einfache Widerspiegelung ökonomischer Verhältnisse ist. Es ist vielmehr von den Kräfteverhältnissen innerhalb der Arbeiter:innenklasse und ihren Beziehungen zu anderen Klassen bestimmt.
Die Arabischen Revolutionen oder die revolutionären Möglichkeiten in Griechenland sind in den letzten Jahren gescheitert. In solchen Momenten werden auch immer indirekt die Machtfrage und die Frage, welche gesellschaftliche Kraft überhaupt die Gesellschaft umgestalten soll und kann, gestellt. Das reicht aber, wie wir oben festgehalten haben, nicht aus. Es fehlte an einer politischen Kraft, die die Massen in einer Revolution oder einer vorrevolutionären Periode zur Machtergreifung hätte führen können. So haben andere Kräfte dieses „Vakuum“ gefüllt, die Massen in die Niederlage geführt. Die passive Betrachtung des Kräfteverhältnisses als „strukturell gegeben“ entschuldigt letztlich die Fehler bürgerlicher, reformistischer oder kleinbürgerlicher Führungen, da die Niederlage nicht an deren falscher Politik und Strategie, sondern am ungünstigen Kräfteverhältnis gelegen habe.
Es muss also die Aufgabe von Revolutionär:innen sein, sich als Kraft zu organisieren, die solche Konflikte offen zuspitzt, die offenen Fragen aufzeigt und beantwortet: Mit welchen Mitteln kann die Kontrolle über bspw. die Versorgung gewährleistet werden? Wer soll darüber bestimmen?
Revolutionäres Bewusstsein entsteht nicht von allein, sondern aus Kämpfen, die über ihren Rahmen zugespitzt werden. Darüber hinaus ist es zentral, dass alle diese Auseinandersetzungen – wie überhaupt die Entwicklung des Kapitalismus – von einem internationalen Standpunkt aus betrachtet werden. Der Klassenkampf ist international, oder er ist letztlich gar nicht. Im Folgenden wollen wir uns mit diesen Punkten näher beschäftigen.
Um erfolgreich gegen die Auswirkungen des Kapitalismus, die so zahlreich im Aufruf der NGOs aufgezählt werden, dürfen wir es also nicht bei bloßen Worthülsen bzw. bei Appellen an Regierungen belassen. Wir müssen den Kampf gegen die Umweltzerstörung, des Artensterbens und Ungleichheit mit dem Kampf gegen die Ursache dieser Probleme selbst verbinden. Dabei sind für uns das Subjekt der Veränderung jene, die selbst davon betroffen sind und keine Profite aus der aktuellen Situation ziehen: die Arbeiter:innenklasse. Darüber hinaus ist es wichtig, die aktuelle Periode zu verstehen, und auch ein Gesamtprogramm zu entwerfen, das auf der Höhe der Zeit ist und das eine Antwort auf die großen Fragen von Krise, Krieg und drohender ökologischer Katastrophe liefert.
Dabei wird offensichtlich, dass es nur eine internationale Lösung geben kann. Keines der wichtigen Probleme kann letztlich national gelöst werden. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte im globalen Maßstab entwickelt, damit aber auch die Grundlage, ja die Notwendigkeit einer weltumspannenden Reorganisation der Produktion und Verteilung gelegt. Ebenso können revolutionäre Bewegungen, die in einzelnen Ländern ausbrechen, auch nur erfolgreich sein, wenn sie internationalisiert, ausgeweitet werden. Internationalismus ist daher für uns nicht nur ein Beiwerk zum Aufbau einer revolutionären Organisation hier, sondern von Beginn an integraler Bestandteil unserer Politik. Um eine revolutionäre Organisation aufzubauen, braucht es freilich nicht nur Klarheit über die strategischen Ziele – es braucht auch ein Programm, das diese in den aktuellen Kämpfen, mit den unmittelbaren Auseinandersetzungen vermitteln kann. Gerade weil unser Ziel der Sturz des Kapitalismus ist, muss der Kampf für die sozialistische Revolution mit dem Kampf für soziale und demokratische Forderungen verbunden werden. Ansonsten bleiben diese unvermittelt nebeneinanderstehen, bleibt die „revolutionäre“ Perspektive nur eine Gesinnung, keine praktische Politik. Um die Brücke vom Jetzt zur Zukunft zu schlagen, ist eine bestimmte Art von Programm, ein Übergangsprogramm notwendig. Auch kleine kommunistische Organisationen, die selbst noch weit davon entfernt sind, eine Partei zu sein, müssen sich der Aufgabe der Entwicklung eines solchen Programms stellen – und den Kampf für ein solches Programm mit dem Kampf für eine neue Internationale, die Fünfte Internationale verbinden.