Javiad Imran, Neue Internationale 261, Dezember 2021/Januar 2022
Nach einem Jahr mutigen Kampfes haben die indischen Bauern und Bäuerinnen Indiens „starken Mann“ Narendra Modi gedemütigt. Modi musste der Nation verkünden, dass er beabsichtigt, die neoliberalen Agrargesetze aufzuheben.
Hunderttausende haben gestreikt und Blockaden errichtet, um die Regierung und die großen AgrarkapitalistInnen, denen sie dient, zum Rückzug zu zwingen, und haben ihre Aktionen trotz des schlechten Wetters und der Verwüstungen durch Covid-19 fortgesetzt. Selbst unter diesen Umständen wurden sie von der Polizei der Regierung weiterhin brutal gefoltert und verhaftet. Mehr als 700 Bauern und Bäuerinnen erlitten ihr Martyrium.
Trotz aller Repressionen und Gewalt ist es der Modi-Regierung nicht nur nicht gelungen, die Aktionen der Kleinbauern und -bäuerinnen zu stoppen, sondern auch ihre Politik des „Teile und Herrsche“ ist gescheitert. Außerdem scheiterte auch das Vorhaben der Regierung, die Führung der Bauern und Bäuerinnen durch eine Reihe von Verhandlungen zu spalten, die sich letztlich als erfolglos erwiesen. Auch Modis verlogene Propaganda, die das Gesetz als Fortschritt für die wirtschaftliche Entwicklung und eine gerechtere Gesellschaft darstellte, misslang.
Stattdessen hat die bäuerliche Bewegung, unterstützt von den LandarbeiterInnen, gezeigt, dass ein gemeinsamer Kampf siegen kann. Sie wurde von Gewerkschaften, StudentInnen- und Frauenorganisationen aus dem ganzen Land mitgetragen. Viele Proteste wurden in Solidarität mit dem Sit-in der Bauern und Bäuerinnen abgehalten, an denen sich ArbeiterInnen, StudentInnen und Frauen beteiligten. Unter diesen Umständen geriet die Bauern- und Bäuerinnenbewegung zu einem Leuchtturm der Hoffnung nicht nur für die Bauern und Bäuerinnen in ganz Indien, sondern auch für die Muslima/e, die von den hinduchauvinistischen Regierungen der Bundesstaaten und von Delhi verfolgt wurden.
Am 22. Januar, dem indischen Tag der Republik, marschierten Millionen von Bauern und Bäuerinnen durch Delhi und besetzten das historische Rote Fort aus der Zeit der Mogulreiche. Danach breitete sich die bäuerliche Bewegung auf Uttar Pradesh und andere Teile des Landes aus. Versuche, sie zu zerschlagen, scheiterten. Daraufhin gingen auch in anderen Bundesstaaten zahlreiche Bauern und Bäuerinnen auf die Straße, und auch StudentInnen und ArbeiterInnen schlossen sich an und bekundeten ihre Solidarität mit diesem Kampf.
In seiner Ansprache an die Nation am Freitag, den 19. November, kündigte Modi an: „Heute bin ich gekommen, um Ihnen, dem ganzen Land, mitzuteilen, dass wir beschlossen haben, alle drei Landwirtschaftsgesetze zurückzuziehen. In der Ende des Monats beginnenden Parlamentssitzung werden wir den verfassungsrechtlichen Prozess zur Aufhebung dieser drei Landwirtschaftsgesetze abschließen.“
Zu den umstrittenen Gesetzen gehörte die Abschaffung des Mindestpreises zur Stützung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Dem Gesetz zufolge sollten Verkauf und Preisgestaltung vom Markt bestimmt werden, so dass größere privatkapitalistische Agrarbetriebe und der Unternehmenssektor die Preise festlegen konnten. Die kleinen und mittleren LandwirtInnen waren sich darüber im Klaren, dass dies zu einem regelrechten wirtschaftlichen Massaker führen würde, mit Hortungen und anderen Taktiken der Modi-BefürworterInnen unter den Geschäftsleuten. In ähnlicher Weise forderten die LandwirtInnen die Rücknahme des Gesetzes, das die kostenlose Stromversorgung für Kleinbauern und -bäuerinnen beendete. Außerdem wollen sie, dass für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse faire Preise gesetzlich garantiert werden sollten. Solange diese Forderungen nicht erfüllt seien, würden sie ihren Sitzstreik fortsetzen. Dies zeigt das Bewusstsein der bäuerlichen Bewegung, das sie im Laufe des Kampfes gewonnen hat.
Obwohl die gegen die Bauern und Bäuerinnen gerichteten Gesetze angeblich im Namen der Abschaffung feudaler Verhältnisse auf dem Lande eingeführt wurden, haben sie in Wirklichkeit die Rolle der ZwischenhändlerInnen gestärkt, indem sie den Handel zwischen den Bundesstaaten zuließen und die Vorratshaltung lockerten. MilliardärInnen wie Mukesh Ambani und Gautam Adani, die laut Bloomberg-Index zu den reichsten Männern Asiens gehören, unterstützten Modis „Reformen“ eifrig, da sie eine erhebliche Steigerung der Gewinne aus der Landwirtschaft bedeuteten. Infolge dieser „Reformen“ sind die Lebensmittelpreise in die Höhe geschossen und die Lebenshaltungskosten für die ArbeiterInnen gestiegen. Die Lage der Armen in den Städten und auf dem Lande, die ohnehin schon den größten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, wurde noch verschlimmert.
Die Ankündigung der Aufhebung war natürlich ein Grund zum Feiern, wurde aber auch mit Vorsicht genossen, da Modis Regierung die DemonstrantInnen oft betrogen hat, sobald sich ihre Mobilisierungen auflösten. Die Bauern und Bäuerinnen weigerten sich daher, Modis Aufforderung zur Beendigung der Blockaden nachzukommen. Sie erklärten, dass sie ihren Sitzstreik an der Stadtgrenze von Delhi fortsetzen würden, bis der Gesetzentwurf zur Aufhebung dieser Gesetze von der Lok Sabha (1. Kammer des indischen Parlaments) verabschiedet worden sei und andere Forderungen zur Sicherung der Einkommen der LandwirtInnen erfüllt worden seien.
Die Wahlen in Uttar Pradesh, Punjab (Pandschab) und anderen Bundesstaaten stellen den unmittelbaren Grund dafür dar, dass die Regierung Modi die Gesetze zurückgenommen hat. In diesen Bundesstaaten ist der Hass auf die Regierung Modi groß, weil die Änderungen schwerwiegende Auswirkungen auf die ArbeiterInnen und die Armen in Stadt und Land mit sich führen. Modi und seine Partei waren der Meinung, dass in dieser Atmosphäre des Zorns und Hasses große Wahlverluste zu erwarten wären.
Aus all dem wird deutlich, wie tief die bäuerliche Bewegung auch andere Schichten der Gesellschaft berührt hat. Dieser Sieg zeigt, dass weitere Kämpfe gegen die repressive Modi-Regierung möglich sind und gewonnen werden können.
Die Bauern und Bäuerinnen müssen nun gewarnt werden, dass die Modi-Regierung, selbst wenn sie diese Gesetze durch die Lok Sabha aufhebt, versuchen wird, sie in einem anderen Gewand wieder einzuführen, denn Indiens größter Gewinn für indische und ausländische MilliardärInnen ist die Landwirtschaft. Die Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft und eines Teils der KapitalistInnen, die sich auf diesen Sektor stützen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie zur Entwicklung des indischen Kapitalismus und seiner Rolle in der Welt.
Nicht nur Modi blickt auf die bevorstehenden Wahlen. Die Kongresspartei und die reformistischen kommunistischen Parteien wollen nun den Erfolg der LandwirtInnen nutzen, um Sitze zu gewinnen. Letztere glauben, dass Modis Bharatiya Janata Partei (BJP; Indische Volkspartei) durch ein Wahlbündnis mit der Kongress-Partei besiegt werden kann. Diese Strategie ist aus zwei Gründen falsch. Erstens würde ein Wahlbündnis mit der traditionellen Partei der indischen Bourgeoisie nur eine politische Unterordnung unter die alternative Partei der KapitalistInnen bedeuten. Zweitens müssen die Wahlen als ein Mittel zur unabhängigen Mobilisierung der ArbeiterInnen und LandwirtInnen, der Frauen, der Jugend, der MuslimInnen und aller national und sozial unterdrückten Sektoren gegen die Herrschaft der BJP gesehen werden.
Der erfolgreiche Kampf der Bauern und Bäuerinnen, angeführt vom Allindischen Kisan Sangharsh Koordinationskomitee (AIKSCC), hat deutlich gemacht, dass nur eine kämpferische antineoliberale Bewegung, die in den unterdrückten Teilen der Gesellschaft verwurzelt ist und mit den ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen und Armen in den Städten und auf dem Land verbunden ist, Modis höchst reaktionäre Regierung besiegen kann.
Nach der Niederschlagung der Unruhen in Delhi und der Bewegung gegen das Nationale BürgerInnenregister (NRC) und das StaatsbürgerInnenschaftsänderungsgesetz (CAA) im Jahr 2019 sowie der Inhaftierung von Anti-Hindutva-AktivistInnen hat sich die Bewegung der BäuerInnen zu einer starken Alternative zur Modi-Regierung entwickelt. Ihr Sieg ist ein großer Schritt nach vorn, aber es ist notwendig, sich mit den ArbeiterInnen, MuslimInnen und der Dalit-Bewegung (Angehörige der untersten Kasten) zusammenzuschließen, die zusammen mit anderen Forderungen der Bauern und Bäuerinnen den Kampf gegen die Modi-Regierung in Bezug auf das CCA, das Arbeitsgesetz, Kaschmir und andere Themen fortsetzen und ein alternatives Programm zu ihr anbieten.
Der Kampf gegen die Regierung und ihre neoliberale Politik muss sich über die vom indischen Kapitalismus gesetzten Grenzen hinaus auf alle grundlegenden Verbesserungen bei Löhnen, Bildung und Gesundheitsdiensten ausweiten, ganz zu schweigen von den Rechten der Frauen und der national, religiös und rassistisch Unterdrückten. Es ist klar, dass Modis Regierung besiegt werden kann, aber dafür braucht die ArbeiterInnenklasse eine politische Partei mit einem Programm, das die heutigen Auseinandersetzungen in einen Kampf gegen den Kapitalismus verwandeln kann.