Stefan Katzer, Neue Internationale 282, Mai 2024
Die Tarifverhandlungen zwischen der GDL und Deutschen Bahn sind beendet. Nach sechs Streikrunden, die sich über mehrere Monate hinzogen, konnte die GDL ihre Kernforderung schließlich weitgehend durchsetzen: die Reduzierung der Arbeitszeit für Schichtarbeiter:innen auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Wochenarbeitszeit soll nach der erzielten Einigung mit der Deutschen Bahn zwischen 2026 und 2029 schrittweise auf die nun vereinbarten 35 Stunden reduziert werden.
Für die Erfüllung dieser zentralen Forderung haben die Kolleg:innen der GDL hart gekämpft. Sie mussten sich dabei von bürgerlichen Medien und Politiker:innen immer wieder vorhalten lassen, egoistisch zu agieren und die Interessen der Bahnreisenden nicht zu berücksichtigen. Politiker:innen der FDP und CDU/CSU forderten deshalb während des Streiks immer wieder eine Einschränkung des Streikrechts, da dieses von der GDL unverhältnismäßig eingesetzt würde, um vermeintlich vollkommen überzogene Forderungen durchzusetzen.
Betrachten wir den Abschluss, so hebt er sich positiv von denen der DGB-Gewerkschaften ab insofern, als ein zentrales Kampfziel, wenn auch längst nicht für alle Beschäftigten oder Mitglieder der GDL, erreicht wurde. Die 35-Stundenwoche stellt, auch wenn sie, wie wir sehen werden, mit einigen Zugeständnissen erkauft wurde, einen Teilerfolg dar. Nun steht es den Kolleg:innen frei zu wählen, ob sie ihre Arbeitszeit reduzieren oder weiterhin 40 Stunden arbeiten möchten, wobei jede zusätzliche Stunde mit einer Erhöhung von 2,7 % entlohnt werden soll. Allerdings gelten zugleich auch schmerzhafte Abstriche. Erstens wurde im Gegenzug für die Arbeitszeitverkürzung die Zahl zusätzlicher Urlaubstage von 12 auf 6 reduziert. Zweitens beinhaltet das Wahlmodell auch, dass angesichts der Personalknappheit weiter Druck ausgeübt werden wird, doch das 40-Stundenmodell statt der 35 Stunden zu „wählen“. Damit haben sie dann zwar mehr auf dem Konto, aber auch noch mehr Stress bei einer ohnedies schon überlasteten Belegschaft.
Noch größer sind die Probleme, wenn wir auf die Frage des Entgeltes blicken. GDL und Deutsche Bahn haben sich darauf verständigt, eine zweiteilige Erhöhung der Entgelte von insgesamt 420 Euro vorzunehmen. Die erste Erhöhung soll im August diesen Jahres erfolgen, die zweite im April 2025, wobei die Erhöhung jeweils 210 Euro betragen soll. Darüber hinaus wird eine Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro in zwei Stufen ausgezahlt werden. Auszubildende sollen jeweils die Hälfte der geplanten Erhöhungen erhalten.
Damit bleibt die GDL deutlich hinter ihrer Forderung von 555 Euro bei einer Laufzeit von einem Jahr zurück. Bei der Inflationsprämie von 3.000 Euro fallen die Abstriche vergleichsweise gering aus. Doch diese stellt keine tabellenwirksame Erhöhung dar, was sich langfristig negativ auf die Einkommenssituation der Beschäftigten auswirkt. Die nun festgelegte Laufzeit mit 26 Monaten ist sehr lang, rechnet man die 420 Euro auf ein Jahr um, so bleiben von den geforderten 555 Euro gerade 194. Das kann sich noch bitter rächen, sollte die Inflation in dieser Zeit wieder stärker ansteigen und damit die nun erkämpften Erhöhungen auffressen.
Mit der Forderung, bestehende Tarifverträge für Netzbetrieb und -instandhaltung zu übernehmen, setzte sich die GDL ebenfalls nicht durch.
Schließlich hat der Abschluss auch Auswirkungen auf die Tarifvereinbarungen der GDL mit anderen privaten Verkehrsunternehmen. Diese sind z. T. besser als der Abschluss bei der Bahn, inkludieren aber auch den Vorbehalt, dass sie nur gelten, sofern auch die Bahn AG diese übernimmt. Bei eine Pressekonferenz hat „Kämpfer“ Weselsky in bester sozialpartnerschaftlichen Manier auch schon verkündet, dass diese Unternehmen auf ihn zukommen mögen, er stünde für eine „gütliche“ Einigung gern zur Verfügung.
Auf die volle Durchsetzung der aufgestellten Forderungen war die Strategie der Gewerkschaftsführung um den Vorsitzenden Claus Weselsky erst gar nicht ausgerichtet. Hierin unterscheidet sie sich nicht von denjenigen der DBG-Gewerkschaften, die die aufgestellten Forderungen der Kolleg:innen in intransparenten Verhandlungen häufig abmildern oder den Kampf abwürgen, ohne dass die Kolleg:innen dies nachvollziehen können.
Wäre die volle Durchsetzung der Forderungen das Ziel gewesen, hätte Weselsky den von den Kolleg:innen in einer Urabstimmung Ende Dezember 2023 befürworteten unbefristeten Erzwingungsstreik auf die Tagesordnung setzen müssen, um den Druck auf die Deutsche Bahn deutlich zu erhöhen. Das tat er aber nicht. Stattdessen ignorierte er das Votum der Beschäftigten und nutzte sein Mandat, um hinter verschlossenen Türen in Verhandlungen mit dem Bahnvorstand zu treten, der seinerseits die Unmöglichkeit der Erfüllung der Kernforderung der GDL immer wieder betonte, um ihr schließlich doch, wenn auch im Gegenzug für massive Abstriche beim Entgelt, nachzugeben. Dieses undemokratische Manöver der Gewerkschaftsbürokratie macht deutlich, dass die GDL sich allenfalls partiell von den DGB-Gewerkschaften unterscheidet und keinesfalls ein wirkliches Kampforgan in den Händen der Beschäftigten darstellt.
Von vornherein fokussierte Weselsky auf die Durchsetzung der in der Tat sehr bedeutenden Forderung der Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden. Dass die GDL sich hier durchsetzen konnte, ist ein wichtiges Signal für andere Kolleg:innen. Es macht deutlich, was möglich ist, wenn die Führung der Gewerkschaften nicht von vornherein mit beiden Füßen auf der Bremse steht, um die berechtigten Interessen der Beschäftigten nach besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen mit denen des „eigenen Unternehmens“ oder des „Standorts Deutschland“ in Einklang zu bringen.
Der Streik der Lokführer:innen wurde somit vor allem getragen von der Entschlossenheit der Kolleg:innen, für ihre Forderungen zu kämpfen, auch wenn sie dafür von der bürgerliche Presse heftig kritisiert wurden. Nur auf der Grundlage dieser Entschlossenheit konnte er letztlich erfolgreich sein. Kampfbereite Gewerkschafter:innen sollten sich jedoch nicht davon abhängig machen, ob ihre Führung ihnen den notwendigen Freiraum gewährt, um effektiv für ihre Forderungen zu kämpfen. Bei vielen Tarifrunden haben wir in der Vergangenheit immer wieder beobachten können, wie die Gewerkschaftsfunktionär:innen den Kampf ausbremsen und vorzeitig abbrechen, obwohl die betroffenen Kolleg:innen durchaus bereit gewesen wären, weiterzukämpfen.
Deshalb ist es zentral, dass die Kolleg:innen an der Basis zu jeder Zeit die Kontrolle über den Streik ausüben. Sie müssen es sein, die über die Forderungen, die Kampfmaßnahmen und die Dauer des Streiks entscheiden. Auch die Verhandlungen sollten, anders als beim Streik der GDL, transparent geführt werden. Diejenigen, die als gewählte Delegierte in Verhandlungen mit der Gegenseite treten, sollten gegenüber der Basis rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein. So können die Gewerkschaften zu einem wirkungsvollen Instrument in den Händen ihrer Mitglieder werden, um ihre Interessen durchzusetzen und Verbesserungen für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Dafür müssen wir innerhalb ihrer Reihen kämpfen.
Obwohl hier ein Verweis auf den Aufbau einer revol. Gewerkschaftsfraktion, eine klassenkämpferische Basisbewegung und auf die Relation zur GdED fehlt, ist das ein guter Artikel.