Markus Lehner, Neue Internationale 195, Dez. 14/Jan. 15
Es ist schon ein Gemeinplatz, von wachsenden Spannungen in den internationalen Beziehungen zu sprechen. Das Zusammentreffen der Ukraine-Krise mit der 100jährigen Wiederkehr des Ausbruchs des 1. Weltkriegs ist auch den genügsamsten Kommentatoren nicht entgangen.
Die innerimperialistischen Rivalitäten haben sich soweit verschärft, dass selbst bewaffnete Zusammenstöße zwischen der Allianz USA-EU-Japan und einem möglichen Russland-China-Block künftig durchaus denkbar erscheinen.
Ab Herbst 2013 entwickelte sich in der Ukraine eine Krise. Sie wurde durch die Versuche der USA, der EU und ihnen nahestehende nationalistische Kräfte in Kiew ausgelöst, ein Assoziierungsabkommen durchzudrücken, das die bestehenden Bindungen zu Russland gekappt hätte. Die Euromaidan-Bewegung, eine Pseudorevolution, entpuppte sich bald als ein weiterer Versuch der US-Administration, einen Regimewechsel herbeizuführen.
Die USA wie die EU stützen sich bei ihrer Strategie auf faschistische Kräfte bei der Etablierung einer ihnen genehmen Regierung. Der Ukraine-Konflikt ist nicht nur eine lokale Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Oligarchen, sondern v.a. Teil einer weltweiten Strategie, mit der Washington seine Rolle als Weltbeherrscher wieder herzustellen hofft. Damit verbunden ist das Ziel, die NATO an die Grenzen Russlands vorzuschieben.
Die US-Politik in der Ukraine erzeugt auch einen Konflikt mit Deutschland und blockiert Berlins Pläne für Wirtschaftsverbindungen mit China und Russland. Die Sanktionen gegen Russland schädigen auch deutsche Wirtschaftsinteressen. Russland hat auf die westliche Offensive mit der Festigung des Eurasischen Wirtschaftsverbunds mit Kasachstan und Weißrussland geantwortet und ein Gasabkommen mit China geschlossen.
Das enttäuschende Ergebnis des Arabischen Frühlings hat in den islamischen Ländern zu weiteren Zuspitzungen geführt. Die Revolutionen in Ägypten, Lybien und Tunesien endeten in einer repressiven Militärdiktatur oder in Regimen, die für die arbeitenden Massen keinen Fortschritt bringen.
In Syrien konnte sich das Assad-Regime dank Russland an der Macht halten, während die fortschrittlichen Kräfte im Bürgerkrieg, v.a. auf kurdischem Gebiet, immer stärker von islamistischen Milizen an den Rand gedrängt werden. Das nach dem letzten Golfkrieg installierte korrupte Schiiten-Regime im Irak kollabierte und mündete in einen Bürgerkrieg. In Pakistan und Afghanistan ist der ökonomische Abwärtstrend unübersehbar und mit Problemen nationaler Unterdrückung verquickt, die von Islamisten wie vom Staat gegen die Arbeiterklasse genutzt werden. Schließlich hat auch das AKP-Regime in der Türkei angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs am Ende des türkischen „Wirtschaftswunders“ zu autoritären Maßnahmen in Verbindung mit islamistischer Mobilisierung gegriffen, um einer fortschrittlichen Opposition, wie sie mit der Ghezi-Park-Bewegung aufkam, zu begegnen.
Auch für Palästina ist keine Lösung in Sicht. Die USA sind nicht in der Lage oder Willens, Israels Regierung, die jeden „Friedensprozess“ untergräbt, zu bremsen, während die Hamas- und Fatah-Führungen den PalästinenserInnen kein brauchbares Konzept für eine Lösung ihrer armseligen Existenz anbieten können. Die Bombardierung Gazas durch Israel markierte einen Tiefpunkt der „neuen Weltordnung“ und ihrer Fähigkeit zur Lösung zentraler nationaler Fragen gerade in der arabischen Welt.
Da wundert es nicht, dass eines ihrer Finanzierungsprojekte, das auch noch kräftig vom türkischen AKP-Regime mitaufgebaut worden war, der „Islamische Staat“ (IS), ihnen nun wie dem Zauberlehrling völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Mit ihrer straffen militärischen Struktur, ihrer sozialen Herkuft aus deklassiertem Kleinbürgertum (nicht zuletzt aus dem MigrantInnen-Milieus in den imperialistischen Zentren), ihrer menschenverachtenden Ideologien und Methoden kann der IS als eine Art islamischer Faschismus bezeichnet werden.
Die Golf-Milliardäre und die Türkei wollten einen schlagkräftigen Verbündeten gegen die KurdInnen und gegen Assad. Mit dieser Hilfe konnte der IS sich eine Basis im syrischen Bürgerkrieg schaffen. Von dort aus attackiert er nun das nach den beiden Weltkriegen von den Imperialisten in der Region etablierte Staatensystem. Anfänglich von der IS-Dynamik überrascht, nutzen die USA diese neue Bedrohung nun, um die Golf-Monarchien wieder stärker an sich zu binden und ein neues globales Bündnis aufzubauen, mit dem sie – an der UNO vorbei – jederzeit eingreifen kann, um den „Terrorismus“ zu bekämpfen. Der IS-Faschismus, wie auch die neue US-geführte „Koalition der Willigen“ stellen gleichermaßen eine Bedrohung für die arabischen Werktätigen dar.
China als neue imperialistische Macht ist vielleicht der destabilisierendste Faktor. Chinas Wirtschaftsboom war zentral für die Unterstützung der US-Vormachtstellung in der Globalisierung. Doch schließlich hat die schiere Größe von Chinas Wirtschaft eine gegenläufige Wirkung eingeleitet. Ihr Wachstum hat alle Konkurrenten aus dem Feld geschlagen. Zugleich ist Chinas Hunger nach Rohstoffen enorm.
Auch Japan gibt sich neuerdings kriegerischer. Verfassungsbeschränkungen für Größe und Ausrichtung der Armee sollen fallen – ein untrügliches Zeichen für eine militärisch offensivere Strategie.
Die Beweise für die gewachsene innerimperialistische Rivalität mehren sich – aber wohin führt das? Viele glaubten, dass die Globalisierung die Kriegsgefahr minimieren würde. Unsere Organisation hat dies stets abgelehnt und darauf verwiesen, dass die Globalisierung nur eine neue Phase in der imperialistischen Epoche darstellt und eine neue, krisenhaftere Periode vorbereitet.
Unsere Vorhersagen von schwachen und schwankenden Erholungen haben sich insgesamt bestätigt. Die Kombination von billigem Geld und Finanzspekulation führte 2008 zur Finanzkrise. Doch ironischerweise führten die Maßnahmen, die Krise, deren Ursache die Überakkumulation von Kapital ist, zu managen, dazu, die nötige Vernichtung von Kapital zu begrenzen. Die Aufkäufe der Zentralbank von wertlosen Papieren, die auf freien Märkten nicht verkauft werden konnten, die Kürzung von Zinsraten auf fast 0%, ein Anreizpaket von 400 Mrd. Dollar und massives Hineinpumpen von Geldmengen durch ‚quantitative easing‘ verhinderten den Zusammenbruch des Bankensystems. Doch dies ging nicht an die Wurzel der Krise.
Das Ausmaß der Krise 2008 erzeugte zwar zu Beginn einen hohen Grad an Gleichzeitigkeit in seiner Auswirkung auf der ganzen Welt. Die Erholungsprozesse dagegen hängen von vielen Umständen ab. So erlitt z.B. Deutschland 2009 einen Rückgang des BIP um 5,1%, erlebte einen Anstieg um 4,0 % im folgenden Jahr, der sich dann 2012 auf 0,7% verlangsamte. Im Gegensatz dazu schrumpfte das US-BIP 2009 um 2,8%, wandelte sich 2010 in ein Wachstum von 2,5% und erreichte 2012 2,8%.
Im Gefolge der Rezession stieg auch die Arbeitslosigkeit in allen großen Ökonomien. Der Jahresdurchschnitt in Frankreich und Deutschland stieg von 2008-09 von 7,8 auf 9,5% bzw. 7,5 auf 7,8%. Danach wuchs die Arbeitslosigkeit in Frankreich weiter bis 2012 auf 10,6%, während sie in Deutschland auf 5,3% fiel. Ein noch größerer Kontrast ergab sich in Spanien: 2008 11,3%, 2012 24,9%.
In den USA gingen bis Februar 2010 8,7 Mill. Arbeitsplätze verloren. Danach erfolgte eine stete Zunahme der Beschäftigtenzahlen. Im März 2014 waren die Arbeitsplatzverluste wieder ausgeglichen. Dennoch sollte beachtet werden, dass viele dieser Jobs in Niedriglohnsektoren geschaffen wurden, wo die Lohnkosten unter den Reproduktionskosten für die Arbeitskraft liegen.
Die zyklische Erholung 2014/15, von der die Medien oft laut tönen, kommt in den seriöseren Berichten nicht so optimistisch vor. Der IWF bemerkte im Frühjahr 2014, dass in den alten imperialistischen Kernländern die Investitionen (gemessen am BIP) immer noch fielen und selbst in den aufstrebenden Märkten die Wachstumsraten nicht mehr das Niveau vor 2007 erreichen würden. Ein ähnlich pessimistischer Ton findet sich in den Aussichten vom Juli 2014. Der IWF hat seine Prognose für das globale Wachstum um 0,3 auf 3,5% nach unten korrigiert und schätzt, dass die „globale Erholung sich fortsetzt, aber in ungleichmäßigem Tempo und die Gefahr von Einbrüchen bestehen bleibt.“
Die andauernde Schwäche der produktiven Investitionen zeigt, dass die Profiterwartungen insgesamt niedrig sind. Die Profitmasse der Konzerne hat jedoch stark zugenommen und die Aktienmärkte waren auf Gipfelfahrt. Sie zeigten damit aber, dass das ‚Wachstum‘ vornehmlich auf fiktivem Kapital beruht. Im Juni erklomm der Dow Jones den historischen Höchststand von 15.000 Punkten, zwei Monate später durchbrach er schon die 17.000-Marke. Die Kreditstatistik bestätigt diesen Trend: im ersten Quartal nahmen die Anleihen der Firmen um 9,3% zu, im letzten Viertel von 2013 waren es nur 7,7%. Insgesamt bewegten sich die aufgenommenen Geschäftkredite auf einem historischen Hoch.
Die niedrigen Zinsraten begünstigen das Wachstum zwar grundsätzlich, wenn aber die Zinssätze zu steigen beginnen, was sie in einer anhaltenden Erholungsphase tun müssten, wenn die Politik des lockeren Geldes endet, wären Rückzahlungen zunehmend schwierig und würden den Grundstein für eine neue Finanzkrise legen.
Vor dem Hintergrund der sehr schwankenden Erholung haben diverse ‚Retter‘ des Kapitalismus überlegt, welche vermeintlich alternativen Kräfte die Rolle eines Zugpferdes übernehmen könnten. Viele von ihnen setzten auf die BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Einige von ihnen hatten tatsächlich kurzzeitig hohe Zuwachsraten. Doch sie konnten in keinem dieser Länder gehalten werden. Nachdem der IWF seine Global-Prognose nach unten korrigieren musste, haben auch die Herbstgutachten der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute nachgezogen. Für die Weltwirtschaft wurde von +3,5% (Juli) auf nur noch +3,3% korrigiert, was global gesehen Rezession bedeutet.
Gleichzeitig mussten die deutschen Institute ihre Prognosen auch für die BRD dramatisch nach unten korrigieren: statt der erwarteten Konjunkturexplosion liegt die Prognose jetzt für dieses Jahr bei 1,3%, mit einer weiteren Abschwächung auf 1,2% für 2015. Besonders schmerzlich seien die Einbrüche bei den Investitionen und im Export. Im August war der deutsche Export sogar um 5,8% im Vergleich zum Vormonat gefallen – so stark, wie nicht mehr seit 2009. Die Investitionen betragen derzeit nur noch 1,9% vom BIP, die Auftragslage bricht ein, der ifo-Geschäftsklima-Index sinkt seit 5 Monaten – all das ist für die führenden Wirtschaftszeitungen Deutschlands ein klares Krisensignal. Der Einbruch der deutschen Konjunktur ist dabei Gift für den Rest des EU-Raums. Die EU-Wirtschaft bewegt sich wieder klar auf eine Rezession zu. Ex-US-Finanzminister Summers sprach auf der Herbsttagung von IWF und Weltbank sogar von einer „EU-Depression“.
Die deutsche Regierung und die deutschen Wirtschaftsblätter ziehen noch eine andere Konsequenz. So kommentierte die FAZ: „Man darf vermuten, dass mit der Finanzkrise mehr zerbrach, als es sich mit einer temporären Nachfrageschwäche erfassen lässt (…) Langsam sickert die Erkenntnis (…) , dass das Wachstumspotential vielfach wohl geringer ist als zuvor“. Der FAZ-Kolumnist zieht dann auch die notwendige Konsequenz aus kapitalistischer Sicht: die bisherige Politik, die Nachfragelücke durch die Politk des lockeren Geldes zu schließen, sei gescheitert. Es müsse wieder zu einer „Angebots-orientierten“ Politik zurückgekehrt werden. Dies ist eine akademische Umschreibung für Kapazitätsabbau, bewusstes Scheitern-lassen auch „systemrelevanter“ Unternehmen und Kapitale etc. um die „überlebenswerten“, d.h. verwertbaren Kapitale wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Dies bedeutet: Angriff auf die Existenzbedingungen von Milliarden von Menschen. Etwas, vor dem viele Kapitalfraktionen bisher noch zurückschreckten.
Der schwankende Charakter der Erholung von der tiefsten Depression der Neuzeit ist der Hintergund für die gewachsene Aggressivität des Kapitals sowohl im Klassenkampf nach innen wie auch auf internationaler Ebene im Konkurrenzkampf der Großmächte. Die neue Periode der Weltpolitik ist geprägt von scharf zugespitzten innerimperialistischen Konflikten, in denen, wie Lenin es klar formuliert hat, die Großmächte sich für eine Neuaufteilung der Welt rüsten.
Das heißt nicht, dass aktuell ein direkter Konflikt zwischen den Großmächten droht. Vielmehr ist eine Kombination von ‚sanfter‘ Gewalt, um strategische Vorteile zu erlangen, und begrenzten Kriegen zwischen kleineren Staaten zu erwarten, die auch dort, wo sie nicht als Stellvertreterkriege beginnen, die Hauptmächte in die Auseinandersetzung hineinziehen können.
Dieses Szenario verweist auf die Notwendigkeit für RevolutionärInnen, die nationalen und regionalen politischen Entwicklungen in Bezug auf das Gesamtbild auf Weltebene zu untersuchen. Alle Einzelfälle haben ihre eigene Charakteristik, abgeleitet vom Klassenkampf in den jeweiligen Ländern, aber die mögliche offene oder unterschwellige Verwicklung der imperialistischen Mächte macht es notwendiger denn je, politisch unabhängige Arbeiterparteien aufzubauen.
International müssen RevolutionärInnen die strategischen Ziele der verschiedenen Imperialismen in Betracht ziehen und betonen, dass wir Solidarität mit allen Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung üben und zugleich in den imperialistischen Ländern den Hauptfeind im eigenen Land, die herrschende Klasse, bekämpfen müssen.
Diese ehernen Grundsätze sind strenger denn je zu befolgen, denn der Imperialismus hat von den Erfahrungen einer Vielzahl von Bewegungen profitiert, die als demokratische Opposition gegen stalinistische Bürokratien oder gegen unterdrückerische Regime begonnen haben. Die ‚Farbenrevolutionen‘ oder die Euromaidan-Bewegung zeugen von dieser Lernfähigkeit des Imperialismus.
Angesichts der zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen imperialistischen Mächten um die Neuaufteilung der Welt und der gesteigerten Bereitschaft der deutschen Bourgeoisie, dabei entscheidend mitzuspielen, werden in der nächsten Periode Fragen der internationalen Solidarität wesentlich sein. Was die Bundesregierung oder der Bundespräsident als „Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt“ beschönigen, bedeutet tatsächlich: verstärkte Aufrüstung, Herstellen von Interventionsfähigkeit, wirtschaftliche und politische Einflussnahme in verschiedenen Weltregionen und v.a. Ausbau der als „Osterweiterung“ der EU begonnenen Strategie der Erweiterung des deutschen Einflusses in Osteuropa. Es muss klar aufgezeigt werden, wie sehr die „Verteidigung demokratischer und völkerrechtlicher Prinzipien“ tatsächlich Instrumente imperialistischer Politik sind.
Von daher wird auch die Politik der Bundesregierung gegenüber den KurdInnen weiterhin zynisch und spalterisch sein. Man kann davon ausgehen, dass Deutschland das größte Hindernis in der EU für eine Streichung der PKK aus der EU-Terrorliste sein wird.
Auf dem G7-Gipfel 2015 in Bayern werden die imperialistischen Mächte ihre Strategien gegenüber der russischen und chinesischen Herausforderung abstimmen. Der Gipfel wird mehr als frühere der Bildung eines „Blocks der demokratischen Imperialisten“ gegenüber Konkurrenten und Herausforderern der bestehenden Weltordnung, v.a. China und Russland, dienen. Insofern muss er ein zentrales Moment der linken Mobilisierung sein.
Ein untrügliches Zeichen der verschärften internationalen Krise ist die massive Zunahme von Fluchtbewegungen. Allein der Bürgerkrieg in Syrien hat 2,5 Millionen aus dem Land vertrieben, 6,5 Millionen sind Binnenflüchtlinge. Diejenigen, denen die Flucht in die EU gelungen ist, erwartet dort ein immer repressiveres Regime der Kontrolle, Aussiebung und Abschiebung. In vielen EU-Staaten, auch in Deutschland, haben die Geflüchteten inzwischen mit Selbstorganisation und Widerstand auf ihre trostlose Situation reagiert. Doch es ist insgesamt nicht gelungen, eine breite, auch große Teile der Arbeiterklasse umfassende, Bewegung zu initiieren. Eine Verbreiterung der Bewegung und ihre Verbindung mit sozialen Kämpfen inländischer ArbeiterInnen ist dringend notwendig, um eine Niederlage der Bewegung zu verhindern.
Mit der Krise sind Rassismus gegenüber Geflüchteten, besonders gegenüber MigrantInnen mit islamischem Hintergrund stark gestiegen. In Deutschland, den Niederlanden oder Britannien entstanden EU-kritische Parteien oder wurden gestärkt, die mit Vorurteilen, wie „Wir zahlen nicht mehr für die faulen Griechen“, starke Wahlresultate erzielen können.
Formationen wie die AfD zeigen, dass aggressiver Nationalismus auch in den Bourgeoisien und im Kleinbürgertum der reichen imperialistischen Nationen salonfähig ist. Die lange Vorherrschaft von Zentrums-„Volksparteien“ wird durch den Aufstieg national-liberal/konservativer Parteien herausgefordert. In ihrem Windschatten könnten sich auch wieder faschistische Kräfte in Position bringen. Das ungarische Beispiel – der Aufstieg von Jobbik im Gefolge der autoritären Orban-Regierung – ist hier eine Warnung, genauso wie die Goldene Morgenröte in Griechenland.
In Deutschland sind die organisierten Faschisten zwar nach dem NSU-Skandal und dem schlechten Abschneiden der NPD bei den letzten Wahlen geschwächt. Anti-islamistische Mobilisierungen, v.a. die letzten Auftritte mit rechten Hooligans (Hogesa-„Bewegung“) zeigen jedoch, wie rasch sich die Faschisten neue Milieus erschließen können. Auch Mobilisierungen gegen Geflüchtete bedingen weiter die Notwendigkeit anti-faschistischer Gegenmobilisierung.
Die Politik der großen Koalition in Deutschland ist wenig spektakulär und folgt dem Merkelschen Prinzip des Aussitzens und Beschwichtigens. Innenpolitisch werden kaum weitreichende Projekte vorangeracht. Weder die „Reformen“ bei der Rente, dem Mindestlohn oder der Pflege sind mehr als Kosmetik der Agenda-Politik Schröders. Der größte Aufreger der Koalition ist weiterhin die Einführung einer Kfz-Maut, die vornehmlich als bayerische Kabarett-Veranstaltung aufgeführt wird.
Tatsächlich ist die Bundesregierung v.a. damit beschäftigt, sich als Führungsmacht in der EU durchzusetzen. Dies betrifft die restriktive Finanzpolitik im gesamten EU-Raum und die Abwehr aller Versuche, die Krisenfolgen durch schuldenfinanzierte Investitionsprojekte abzumildern.
Die günstige Zinssituation führt in Deutschland zu einer Entspannung der Haushaltslage – ein Hauptfaktor dafür, dass es die Bundesregierung im Inneren derzeit eher locker angehen kann und sogar erstmals seit Jahren eine „schwarze Haushaltsnull“ vorweisen kann.
Letztlich ist auch das aggressivste Projekt, was die sozialen Folgen betrifft, das Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA ein deutsches EU-Projekt, das im Interesse der Export-Konzerne gegen allen Widerstand durchgesetzt werden soll.
Auf lange Sicht wird die „Politik der ruhigen Hand“ der deutschen Bourgeoisie nicht genügen. Einerseits werden immer mehr Stimmen (nicht zuletzt des Bundespräsidenten) laut, die eine offenere militärische Seite deutscher Politik fordern. Der derzeitige Zustand der Bundeswehr wird angeprangert – mit dem Ziel einer Aufrüstung und eines Umbaus auf eine stärke Interventionsfähigkeit. Andererseits drohen zentrifugale Kräfte, das Hauptprojekt des deutschen Imperialismus, die EU, auseinander brechen zu lassen.
Insofern wird Deutschland früher oder später einen entschlossenen Vorstoß zur Vertiefung der EU-Integration durchführen oder eine Initiative zur Rettung des Projekts in einer Art „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ mit Deutschland in einem nord/mitteleuropäischen „Kerneuropa“ ergreifen.
Die relative Stabilität der Industriekonjunktur der letzten Jahre und die Krisenpartnerschaft von SPD und DGB mit dem Kapital haben die DGB-Gewerkschaften noch zahmer gemacht. Über Kurzarbeitsregelungen, Abwrackprämie etc. wurde der Kern der deutschen Arbeiteraristokratie weitgehend „in Ruhe“ gelassen, während andererseits die Kosten durch Ausbau von Leih- und Niedriglohnarbeit gesenkt werden. Erst in letzter Zeit, mit dem Einbruch der Auftragslage in vielen Industriebereichen nehmen betriebliche Auseinandersetzungen auch in Kernbereichen wieder zu. Durch die Sparpolitik der öffentlichen Haushalte standen daher die Konflikte im Öffentlichen Dienst, besonders im Gesundheits- und Pflegebereich im Vordergrund. Andererseits machen sich gewachsene Produktivitätsanforderungen in immer dichteren Arbeitsbedingungen mit entsprechendem Stress- und Krankheitsfolgen bemerkbar. Auch dies ist eine Quelle gesteigerter betrieblicher Auseinandersetzungen.
Schließlich ergab sich für kleinere Berufsgewerkschaften (GdL, Cockpit) angesichts der Passivität der DGB-Gewerkschaften die Möglichkeit, durch Streiks in besonders empfindlichen Bereichen große Effekte zu erzielen. Mit dem Tarifeinheitsgesetz will die Regierung daher einen ihrer massivsten Angriffe gegen das Streikrecht umsetzen.
Weder SPD noch Die Linke, geschweige denn die Gewerkschaftsbürokratie haben eine Alternative zur gegenwärtigen Krisenpolitik. SPD und DGB-Bürokratie sind in die Hauptprojekte des deutschen Kapitals eingebunden und bieten allenfalls etwas soziale Kosmetik (Mindestlohn, Änderungen bei der Leiharbeit). Die Linkspartei macht dort, wo sie mitregiert, dasselbe. In der Opposition spricht sie zwar von einem „sozialen Europa“, Investitionsprogrammen, Schuldenerlässen etc. – aber immer mit der Rückversicherung, alles „auf Machbarkeit“ zu prüfen. Auch in Bezug auf Konflikte wie in der Ukraine, Syrien oder Palästina erweist sich der abstrakte linke Pazifismus als unfähig zum Beziehen einer Klassenposition. So endet er damit, alle Konflikte „völkerrechtskonform“ und unter UN-Kontrolle zu regeln und versagt völlig bei der Unterstützung progressiver Kämpfe wie der KurdInnen oder der PalästinenserInnen. So ist man auch nicht mehr weit entfernt von der Zustimmung zu Militäreinsätzen mit UN-Mandat – dem letzten großen Hindernis für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene.
Die Perspektivlosigkeit des Reformismus und seine einzige politische Perspektive – die Regierungsbeteiligung – führen zu immer größerer Desillusionierung und Entfremdung auch weiter Teile der Arbeiterklasse von ihm. Es ist daher kein Wunder, dass SPD und Linke kontinuierlich an Wählerpotential verlieren. Auch die Mittelschichten verlieren immer mehr Interesse an diesen Parteien und wenden sich den liberal gewendeten Grünen oder rechten Parteien wie der AfD zu.
Weiterhin sind weder Linkspartei noch Gewerkschaftsbürokratie in der Lage zu erkennen, dass selbst für ihre reformistischen Projekte Massenmobilisierungen und ein verstärkter Kampf in Betrieb und auf der Straße notwendig wären. Damit ist auch klar, dass die Linkspartei die weiterhin bestehende Hegemonie der SPD über zentrale Teile der deutschen Arbeiterklasse, insbesondere durch deren Dominanz in der DGB-Bürokratie, nicht brechen kann – und dies auch nicht will.
Aber auch große Teile der radikalen Linken sind weit entfernt davon, hier eine zielführende Strategie zu entwickeln, sie sind zumeist nicht einmal in der Lage, die Dominanz der SPD über zentrale Teile der ArbeiterInnenklasse zu erkennen bzw. diese auch nur irgendwie ansprechen zu können.