Arbeiter:innenmacht

FDP-Parteitag: Liberales Gift

Ernst Ellert, Infomail 1252, 24. April 2024

In einer Vorlage für den Bundesparteitag am kommenden Wochenende tritt das FDP-Präsidium für Rentenkürzungen, Bürgergeldsanktionen, Steuersenkungen für „Leistungsträger:innen“, klimaschädliche Energiepolitik und „Bürokratieabbau“ ein. Dass liberales Gift durchaus nicht nur von der gelbblauen Freien Deutschen Porschefahrer:innenpartei (FDP) angerührt wird, beweist hingegen der Fall Aktienrente.

Marktradikales Wunschkonzert

Unter dem Motto „Arbeitskräfte mobilisieren“ sieht die Vorlage ein Streichprogramm für die große Masse der Normalbürger:innen vor, die von den Liberalen gerade nicht zu den „Leistungsträger:innen“ gezählt werden: Die Rente mit 63 – nach 45 Beitragsjahren – soll ebenso entfallen wie Vorruhestandsregelungen, um „das wertvolle Know-how und die Arbeitskraft älterer Menschen länger zu sichern.“ Diese geschraubte Rhetorik erweist sich bereits bei flüchtiger Betrachtung als pure Demagogie, denn es geht um längeres Ausnutzen der Arbeitskraft fürs Kapital, eben gerade nicht um die Sicherung menschlicher Gesundheit und wohlverdienten Lebensabends. Geradezu doppelt zynisch gerät diese Strategie angesichts des Geredes vom sogenannten Fachkräftemangel, für den nicht die über 63 Jahre alten Arbeiter:innen verantwortlich zeichnen, sondern das immer ausbildungsunwilligere Kapital, insbesondere der Großkonzerne.

Weitere Wünsche der FDP: Flexibilisierung von Arbeitszeiten und schärfere Sanktionen beim Bürgergeld. Sie verlangt sofortige Kürzung um 30 %, sobald jemand „zumutbare“ Arbeit ohne triftigen Grund ablehnt. Derzeit dürfen bei der ersten Pflichtverletzung maximal 10 % für einen Monat gestrichen werden, danach 20 %, bevor eine 30 %ige Kürzung für höchstens 2 Monate erfolgen kann, allerdings nicht bei den Kosten für die Unterkunft.

„Bürokratieabbau“ und Steuergeschenke für die Reichen bilden weitere Eckpfeiler des Papiers. Streichung von Subventionen für Ökostrom einer- und Zulassung der klimaschädlichsten Methode zur Energiegewinnung überhaupt, des Frackings, andererseits sollen die Energiepreise senken helfen. Den Solidaritätszuschlag, ursprünglich nach der deutschen Wiedervereinigung für den Aufbau Ost erhoben, zahlen seit Langem nur die reichsten 10 % der Besteuerten. Mit dessen Wegfall will die FDP Unternehmen und „Leistungsträger:innen“ in Nadelstreifenanzügen um 12 Mrd. Euro jährlich spürbar „entlasten“.

Des Weiteren hält die Partei an der Schuldenbremse fest und sperrt sich gegen staatliche Investitionsprogramme für Klimaschutz und Infrastruktur. Zudem will sie das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen, das große Unternehmen in bescheidenem Ausmaß für Arbeitsbedingungen und Umweltstandards in ausländischen Zulieferbetrieben in die Verantwortung nimmt. Folgerichtig sorgte sie auch dafür, dass Deutschland das EU-Lieferkettengesetz ablehnt. Es wurde dennoch verabschiedet. Bis zu dessen Umsetzung in deutsches Recht wollen die Liberalen das geltende nicht nur aussetzen, sondern auch gleich festlegen, dass später bei der Umsetzung der EU-Richtlinie „sämtliche Spielräume genutzt werden, um die Belastungen für die Wirtschaft zu begrenzen“.

Vorstoß aus der Koalition raus?

Bundesarbeitsminister Heil (SPD) verwahrte sich gegen den Vorschlag. Abbau von Arbeit„nehmer“:innenrechten und Rentenkürzungen hätten mit „Wirtschaftskompetenz“ wenig, viel aber  mit „Parteitagsfolklore“ zu tun. Sein Parteikollege und Generalsekretär Kühnert sagte, die SPD lasse „nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbanker:innen geführt werde“, und verwies auf den Koalitionsvertrag. Ähnlich äußerten sich Fraktionschef Rolf Mützenich und Parteivorsitzender Lars Klingbeil sowie der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour.

CSU-Chef Söder bezeichnete das FDP-Papier als „Scheidungsurkunde für die Ampel“. Sahra Wagenknecht (BSW) forderte Kanzler Scholz auf, die Vertrauensfrage zu stellen und den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Christian Görke, seines Zeichens Parlamentarischer Geschäftsführer der Gruppe DIE LINKE, bemühte seinen neokeynesianischen „Sachverstand“, zu mehr reicht es in dieser Partei offensichtlich nicht: Die Vorschläge der Liberalen seien auch „fatal für die Wirtschaft“, da „man so die Gesamtnachfrage reduziert […]. Die Ärmsten geben schließlich jeden Cent direkt wieder aus, die Reichen nicht.“

Klar ist, der 12-Punkte-Plan zur „Wirtschaftswende“, der zusätzlich für die nächsten 3 Jahre weitere Sozialleistungen ausschließt, verkörpert eine Drohgebärde an die Koalitionspartner:innen. Durch das laute Aufbegehren gegen einige sozialpolitische Maßnahmen der Ampel will die FDP ihre Kernwähler:innenschaft zurückgewinnen. Dieser Plan ist bisher jedoch nicht aufgegangen. War sie bei der letzten Bundestagswahl 2021 noch auf 11,4 % gekommen, dümpelt sie in den jetzigen Meinungsumfragen um die 5 %-Hürde herum. Sie muss folglich hoffen, dass sie durch ihr Gebaren bis zur Wahl im nächsten Jahr genug Kredit anhäuft, um in einer zukünftigen Mitte-Rechts-Koalition Gefallen und Aufnahme zu finden. Von Scheidungswilligkeit ist aber zumindest bei ihren Partnerinnen Grünen und SPD – leider – nichts zu sehen. Im Gegenteil!

Gebrauchter Kaugummi: Aktienrente

Kürzungen bei der Rente lehnte Kanzler Scholz am 5. März in einem Videopodcast ab. „Passend“ zu dieser Botschaft stellten Arbeitsminister Heil und Finanzminister Lindner am gleichen Tag ihr „Rentenpaket II“ vor – Scheidung sieht anders aus. Die Renteneinkünfte sollen auf dem bisherigen Niveau – 48 % des durchschnittlichen Nettolohns nach 45 Beitragsjahren – verbleiben. Bisher galt das nur bis 2025. Dafür soll das „Generationenkapital“ sorgen, ein Staatsfonds, der bis Mitte der 2030er Jahre auf 200 Mrd. Euro anwachsen soll. Er soll jährlich 10 Mrd. Euro an die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ausschütten und so ab 2035 zu einer Beitragsminderung von 0,3 % führen.

Die Einkünfte der GRV, der außer der Deutschen Rentenversicherung (DRV) – Arbeiter:innen- (LVA) und Angestelltenanstalten (BfA) gingen in ihr auf – auch noch die Altersversicherung der Landwirt:innen (SVLFG) angehört, speisen sich somit aus 3 Quellen: paritätische Unternehmens- und Beschäftigtenbeiträge, Bundeszuschüsse und diesem zukünftigen Kapitalstock auf dem Aktienmarkt. Eine Stiftung öffentlichen Rechts nach dem Vorbild des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo) soll über die Anlagen entscheiden.

Es soll also weder eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters noch eine Rentenkürzung geben. Im Moment liegt das Durchschnittseintrittsalter bei 64 Jahren und wird bis 2031 auf 67 steigen. Der Unterschied zwischen „Generationenkapital“ und der von der FDP im Wahlkampf favorisierten Aktienrente ist minimal. Beitragsgelder fließen nicht wie ursprünglich geplant in den Kapitalstock.

Geschiedene Geister

Skepsis äußerten die Sozialverbände. Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD, vor 1995: Sozialverband Reichsbund e. V.), sieht zu Recht in der Regelung eine Vorstufe zur Aktienrente. Das meint, wenn auch mit ganz anderer Zielsetzung, Finanzminister Lindner ebenso. Die neue Maßnahme, das „Generationenkapital 1.0“, wie er es nannte, sei geeignet, eine allgemeine Debatte über das Vertrauen in privates Kapital anzustoßen. Engelmeier führte weiter aus, erst eine Anhebung des Durchschnittsniveaus auf 53 % verspreche Nachhaltigkeit.

Hubertus Heil bezeichnet das als Forderung „von ganz links“ und unrealistisch. Die neuen Gesetze zur Behebung des Fachkräftemangels, Förderung des inklusiven Arbeitsmarkts und Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung stellten wichtige Faktoren zur Stabilisierung der Rente dar. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskopf-Deffaa kritisierte das Finanzministerium. Es habe in den vergangenen Monaten auf sozialpolitische Kürzungen gepocht und wolle nun den Einstieg in die Aktienrente finanzieren. Echte Versäumnisse des Rentensystems, z. B. die fehlende Berücksichtigung von Sorgearbeit, würden nicht angegangen.

Für DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi stellt die neue Regelung eine „Wette mit offenem Ausgang“ dar, wenngleich das Rentenpaket „Vertrauen in den Sozialstaat“ schüre. Nun sollen wir also froh sein, dass die Rente ab 2025 nicht weiter sinkt, wie ehedem von der Großen Koalition beschlossen. Die SPD lässt sie bewusst aus der Schusslinie, hat diese doch nicht nur an Kürzungen mitgewirkt, sondern Rohrkrepierer wie die sogenannte Riester-Rente beschlossen, ein Unterfangen vom Prototyp Kapitalmarktdeckung, ähnlich der Aktienrente.

Matthias W. Birkwald, Rentensprecher der Bundestagsgruppe DIE LINKE, rechnete vor, dass die durchschnittliche Rentenleistung nach 35 Beitragsjahren mit 1.384 Euro nur um 100 Euro über der EU-Armutsschwelle liegt. Eine „sofortige, zusätzliche, einmalige und außerordentliche Rentenerhöhung um 10 Prozent“ höbe die Rentenhöhe auf 53 Prozent an. Er bemängelte außerdem, dass Geldanlagen in Immobilien und Pflege wie beim Kenfo Mieten und Pflegeheimkosten nach oben trieben. Zudem habe der Fonds zur Finanzierung der Ewigkeitskosten der Atommülllagerung 2022 mehr als 3 Mrd. Euro Aktienwertverlust erlitten. Fügen wir an, dass heute alle Aktienmärkte deutlich überbewertet sind und ein Crash nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.

Uwe Klett, Vizepräsident des Sozialverbands Volkssolidarität, fordert wie DIE LINKE 53 % und die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, in die auch Selbstständige, Beamt:innen und Bundestagsabgeordnete einzahlen müssten. DIE LINKE verlangt zusätzlich die Verdopplung der Beitragsbemessungsgrenze. Den Schlusspunkt setzte Wagenknecht. Die „Casinorente“ bilde den „sozialen Tiefpunkt der SPD“. Sie forderte eine Abstimmung ähnlich wie in der Schweiz. Dort hatte ein Volksentscheid am ersten Märzwochenende eine 13. monatliche Rentenzahlung errungen.

Licht und Schatten

Die unmittelbaren Forderungen von DIE LINKE und der Volkssolidarität gehen grundsätzlich in die richtige Richtung. Ob nun in Gestalt einer durch Progressivsteuer oder Pflichtsozialversicherung für alle ohne Beitragsbemessungsgrenzen erfolgenden Deckung, die Rentenversicherung stellt eine wichtige Errungenschaft der lohnarbeitenden Klasse unterm Kapitalismus dar. Deshalb sollten wir auch nicht von einer Bürger:innen-, sondern Arbeiter:innenversicherung reden, die allein ihre Organisationen neben den Versicherten verwalten müssen. Unternehmer:innen raus aus der Sozialversicherung! Ihre Beiträge sind verschleierte Lohnbestandteile des indirekten Reproduktionsfonds der Arbeitskraft. Seine Erweiterung auf Haus- und Sorgetätigkeiten lässt sich zudem am besten durch deren Vergesellschaftung in Formen der Lohnarbeit bewerkstelligen. Dieser historische Klassenaspekt fehlt bei allen Diskussionsteilnehmer:innen.

Schlüsselfaktor Klassenkampf

Aktienrente wie 12-Punkte-Plan der gelbblauen Nieten in Nadelstreifen lassen sich nicht durch Räsonnements und Appelle an einen imaginären Sozialstaat aufhalten. Ebenso wenig zielführend sind Sahra Wagenknechts populistische Vorschläge, seien es vorgezogene Neuwahlen oder der Volksentscheid. DWe lässt grüßen!

Die drohenden Angriffe auf Errungenschaften der Lohnabhängigen können letztlich nur durch Massenaktionen, genauer durch politische Massenstreiks gestoppt werden. Auch hiervon ist bei den Diskutant:innen keine Rede, die die Hoheit der staatsbürgerlichen Institutionen nicht ankratzen wollen. Sozialverbände, Gewerkschaften, SPD und DIE LINKE müssen zum Handeln aufgefordert werden, nicht zuletzt zum Bruch mit offen bürgerlichen Parteien wie der FDP und den Grünen.

Allerdings werden dazu auch bloße Forderungen an die bürokratisierten und sozialparterschaftlich ausgerichteten Führungen dieser Organisationen nicht ausreichen. Es braucht vielmehr die Organisierung und den Druck der Basis in den Gewerkschaften, aber auch anderen Massenorganisationen, die ihre Führungen zum Handeln zwingt oder, wenn nötig, auch ohne und gegen diese initiativ wird.

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