Arbeiter:innenmacht

Kuschelkurs des DGB zum 1. Mai – oder doch alles Strategie?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 282, Mai 2024

Der erste Mai steht vor der Tür und wie immer sehen wir in vielen deutschen Städten DBG-Material, in welchem die Gewerkschaften zu Kundgebungen und Aktionen aufrufen. Der 1. Mai als Kampftag der Arbeiter:innenklasse blickt auf eine lange und kämpferische Tradition zurück, welche durch den DGB jedoch schon lange nicht mehr hochgehalten wird. „Kuschelkurs statt Klassenkampf“ lautet vielmehr die Devise. Das erkennt man nicht nur am veröffentlichten Aufruf, sondern auch an der Art und Weise, wie die letzten Tarifrunden geführt wurden oder sich die Gewerkschaftsspitze zu politischen Themen positionierten.

Erster-Mai-Aufruf: Sozialpartner:innenschaft par excellence

Im diesjährigen Aufruf des DGB werden unterschiedliche Themen und Forderungen genannt, die kurz und prägnant formuliert sind, um den Kolleg:innen nicht zu viel Text zuzumuten. Unabhängig davon, ob man ihn nun zu kurz oder zu lang findet, bietet er dennoch Gelegenheit, sich ein Bild darüber zu machen, welche politischen Forderungen der DGB aufstellt und zu welchen Themen die Funktionär:innen lieber schweigen.

Wird in den Punkten „Streikrecht und Solidarität“ sowie „Tarifwende jetzt“ noch positiv auf die 437.000 Kolleg:innen Bezug genommen, die im Laufe des vergangenen Jahres in die Gewerkschaften eingetreten sind, wird dabei mit keiner Silbe erwähnt, welche Streiks eine gewisse Dynamik entfaltet und dafür gesorgt haben, dass neue Kolleg:innen sich den Gewerkschaften angeschlossen haben. Hier hätte sich der Aufruf positiv auf die kämpferischen Kolleg:innen im TVöD, hier vor allem im Pflege- und Erzieher:innenbereich, beziehen müssen. Denn das waren die Elemente, die mit großen Mobilisierungen in den Tarifrunden dafür gesorgt haben, dass diese nicht nur offener und demokratischer geführt werden mussten, sondern auch, dass neue Kolleg:innen die Gewerkschaften als ein nützliches Mittel zur Artikulierung und Durchsetzung ihrer Interessen wahrgenommen haben. Wichtig ist hier aber auch zu erwähnen, dass nach den unbefriedigenden Abschlüssen der Bürokratie mit den jeweiligen Arbeit„geber“:innen viele der neu aktivierten Kolleg:innen wieder desillusioniert wurden.

Charakter der Bürokratie

Hier war es für klassenkämpferische Gewerkschafter:innen wichtig, den Charakter der Gewerkschaftsbürokratie offenzulegen, wie auch die fatale Entscheidung zu kritisieren, im Zuge der der sog. „Konzertierten Aktion“ mit der Regierung anzubandeln, statt konsequent für die Interessen der Beschäftigten zu kämpfen. Sie bildete eine der zentralen Stützen für Regierung und Kapital in den letzten Tarifrunden. Zugleich konnte die Gewerkschaftsbürokratie ihnen dadurch signalisieren, dass sie die Arbeiter:innenklasse auch weiterhin unter ihre Kontrolle bringen kann, wenn es darauf ankommt. Dass der Bürokratie dies gelang, zeigen die letzten Tarifrunden sehr deutlich. Diese endeten mit fast identischen Abschlüssen, und das, obwohl einige starke Mobilisierungen erreichten und den Kampfeswillen der Kolleg:innen auf der Straße offenbarten. An der Kampfkraft der Kolleg:innen hat es somit nicht gelegen, dass die Gewerkschaften nicht mehr herausholten. Vielmehr hatte die Bürokratie von Anfang an die abgesprochenen Ziele als Orientierungspole klar vor Augen und ihre gesamte Strategie danach ausgerichtet, diese zu erreichen.

In Tarifrunden, in welchen sie stärker unter Druck der Basis geriet, hat sie dem Unbehagen der Kolleg:innen Ausdruck verliehen und durch basisdemokratisch anmutende „Townhalls“ oder „Tarifcafés“ Raum geboten. Hier konnten aktive Kolleg:innen Dampf ablassen, untereinander in Austausch treten und gewisse Punkte miteinander diskutieren. Die großen Eckpfeiler der Forderungen waren aber von vornherein abgesteckt. Daran ließ die Bürokratie nicht rütteln. Schließlich versteht sie sich selbst als eine ausgleichende Kraft, die nicht nur für die Interessen der Beschäftigten kämpft, sondern dabei immer auch jene des deutschen Kapitals, des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“, mit berücksichtigt.

Gegen Hass und Spaltung: gemeinsam mit Regierung und Konzernen?

Dies wird auch in dem Punkt „Gemeinsam für eine starke Demokratie“ deutlich. Hier spricht sich der DGB gegen Hass und Spaltung aus und für die Verteidigung „unserer Demokratie“. Eine Demokratie wohlgemerkt, die nicht nur viele Menschen und Arbeiter:innen mit z. B. Migrationshintergrund ausschließt, sondern unter deren Flagge auch Kriege geführt und abgesegnet werden. Hier wird deutlich, dass der DGB keine „Arbeiter:innendemokratie“ meint, die es zu verteidigen und auszubauen gilt, sondern die bürgerlich-imperialistische Ordnung der Herrschenden. Anstatt die revolutionäre Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung in Ausbeuter:innen und Ausgebeutete anzustreben, geht es dem DGB darum, diesen Konflikt zu moderieren und ihn in reformistische Bahnen zu lenken.

Auch wenn er ansonsten versucht, politische Themen in seinem Aufruf möglichst auszuklammern, sichert er dem deutschen Kapital hiermit seine volle Unterstützung zu, um dessen Interessen in der Welt unter dem Banner des „Kampfes für Demokratie“ durchzusetzen. Das heißt nichts anderes als volle Unterstützung für die geostrategischen Interessen des deutschen Imperialismus.

Demokratische Tarifrunden?

Gleichzeitig zeigen die Branchengewerkschaftsführungen in den Tarifrunden ganz praktisch, dass sie Elemente von Arbeiter:innendemokratie in keinster Weise für notwendig erachten, ja als Bedrohung ihrer eigenen Macht empfinden. Demokratische Kampfformen, die die Position und Vormachtstellung der Bürokratie gefährden, werden von dieser deshalb lieber vermieden, wenn nicht bekämpft. So sind die einberufenen Tarifkommissionen etwaigen Streikversammlungen nicht notgedrungen rechenschaftspflichtig. Ihnen kann durch Abstimmungen auf Streikversammlungen weder etwas vorgeschrieben noch können sie einfach abgewählt werden – alles Elemente, die der „bürgerlichen Demokratie“ innerhalb der Gewerkschaften durch durch klassenkämpferische Gewerkschafter:innen abgerungen und entgegengesetzt werden müssen.

Dabei müssen wir klar und deutlich die Stärken der „Arbeiter:innendemokratie“ mit ihrer basisdemokratischen Beschlussfassung, der Abwählbarkeit von Delegierten und Rechenschaftspflicht gegenüber der Basis betonen, da sie es den Kolleg:innen ermöglicht, ihren Kampf konsequent zu führen und selbst zu kontrollieren. Zusätzlich müssen wir auch die gewerkschaftsinterne Demokratie erneuern und ausbauen, um der Basis mehr Mitspracherecht zu gewähren gegenüber der Bürokratie, um sie somit letztlich besser ganz abschaffen zu können.

Das sind sicherlich Forderungen, die die Machtstellung der Bürokratie angreifen und deshalb nur mit einer antibürokratischen und klassenkämpferischen Basisopposition durchgesetzt werden können. Aus diesem Grund beteiligen wir uns nicht nur am Aufbau der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), sondern fordern auch alle anderen Revolutionär:innen dazu auf, sich daran ebenfalls zu beteiligen.

Gewerkschaftsbürokratie als verlängerter Arm des Staatsapparats

Aber nicht nur im Punkt „Demokratie“ wird die enge politische Verbundenheit der Gewerkschaftsbürokratie mit der Regierung und dem deutschen Kapital deutlich. Auch die Punkte „Mehr Sicherheit durch einen gerechten Wandel!“ und „Mehr Sicherheit durch einen aktiven Staat“ zeigen auf, wie stark die Bindung der Bürokratie an die Sozialpartner:innenschaft ist und wie beschränkt ihre politische Perspektive.

Deutlich wird das etwa in Formulierungen, in denen sie die Aufgabe der Gewerkschaften definiert. Diese bestehe darin, „den Wandel sozial gerecht zu gestalten.“ Dafür brauche es „mehr Mitbestimmung, denn Transformation gelingt nicht ohne die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften.“ Aber auch Formulierungen, in denen an die Handlungsfähigkeit des Staates appelliert wird, zeigen auf, wie eng die Verbindung ihrer Perspektive mit derjenigen des bürgerlichen Staates gerät.

Anstatt eine klassenunabhängige, internationalistische Perspektive für die Arbeiter:innenklasse in Deutschland, Europa und der Welt zu formulieren, ordnet sich die Bürokratie den Interessen des deutschen Kapitals unter und verkauft uns jeden „richtig investierten Euro“ als Gewinn für unser aller Wohlstand. Dass es den Kapitalist:innen beim „Investieren“ immer auch darum geht, möglichst viel Mehrarbeit aus den Lohnabhängigen herauszupressen, verschweigt die DGB-Spitze wohl lieber. Schließlich ist die Vermittlung dieses Konflikts ihr tägliches Geschäft.

Proletarische Kriegs- und Militärpolitik statt Burgfriedens!

Interessant ist zudem, welche Themen im Aufruf nicht erwähnt werden. Eine klare Positionierung gegen die steigenden Militärausgaben der Regierung sucht man in dem Aufruf vergebens. Dabei stellen die damit verbundenen Angriffe auf den Sozialstaat eine Verschlechterung der Lebenslage für Millionen Arbeiter:innen dar. Sie werden es sein, die die Kosten für die zunehmende Militarisierung werden zahlen müssen, sofern die Gewerkschaften ihren bisherigen Kurs weiter verfolgen und dem Vorhaben der Regierung keinen ernsthaften Widerstand entgegenbringen.

Ernsthafter Widerstand seitens der organisierten Arbeiter:innenschaft darf sich jedoch im Fall von Krieg bzw. seiner Unterstützung nicht darauf beschränken, die Abwälzung seiner Kosten auf sie zu bemängeln, sondern muss politisch Stellung zum jeweiligen Konflikt beziehen. Im Konflikt um Gaza kann das nur bedeuten, die Niederlage des israelischen Militärs herbeizuwünschen und durch Boykott von Kriegsmaterial und Unterstützung für seine Regierung aktiv zu befördern. Im Fall der Ukraine sollte sie dagegen den Aspekt der gerechten Verteidigung ihres nationalen Selbstbestimmungsrechts gegen die russische Invasion berücksichtigen, aber gegenüber Selenskyj, der NATO, Bundesregierung und den neuen Kalten Krieg in politischer Opposition stehen. Das bedeutet, im Parlament, Betrieb und auf der Straße gegen jeden Cent für Aufrüstung und Auslandseinsätze aktiv zu opponieren.

Der Aufruf zum 1. Mai lässt hier nichts Gutes erahnen. Durch die Nichtpositionierung zu diesem Thema signalisiert der DGB der SPD-geführten Regierung letztlich seine Zustimmung zu jedem „richtig investierten Euro“ in Militärausgaben, aber auch für „richtige Einsparungen“, um die Investitionen für unser „aller Wohlstand“ tätigen zu können.

Antibürokratische, klassenkämpferische Basisopposition aufbauen!

Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass die Bürokratie im Falle eines Falles ihre Aufgaben erledigen wird: ihren Mitgliedern und uns Arbeiter:innen erklären, warum wir unsere Gürtel wieder enger schnallen müssen. Warum „wir alle“ über Jahre hinweg über unsere Verhältnisse gelebt haben und nun „gemeinsame Anstrengungen“ zu unternehmen sind, um die Ziele zu erreichen und unseren Wohlstand zu sichern.

Die Vergangenheit hat uns in solchen Situationen gezeigt, dass die Bürokratie auf der Seite des Kapitals stehen wird und wir uns somit gemäß des Slogans „mit ihr wenn möglich, ohne sie wenn nötig“ organisieren müssen: in einer klassenkämpferischen und antibürokratischen Basisopposition, die das Ziel verfolgt, die Gewerkschaften zu dem zu machen, was sie sein sollen: klassenunabhängige Kampforgane im Interesse der internationalen Arbeiter:innenklasse! Daran erinnern wir nicht nur am internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse, sondern dafür kämpfen wir auch praktisch im Aufbau der VKG!

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