Arbeiter:innenmacht

Der verwässerte Verbrennerausstieg

Mattis Molde, Neue Internationale 282, Mai 2024

Es war alles klar in der EU-Kommission. Ab 2035 sollten Autos mit Verbrennungsmotoren nicht mehr zugelassen werden. Auf dem letzten Meter legten Wissing und Lindner in der Regierung ein Veto ein, es musste neu verhandelt werden.

Ein Vorgehen, das für Irritationen in der Ampelregierung und Verärgerung in der EU sorgte. Die deutsche Umweltministerin Lemke hatte das Paket maßgeblich ausverhandelt und wurde nun vom Verkehrsminister öffentlich brüskiert. In der EU tritt Deutschland für Reformen ein, die Entscheidungsprozesse auf Kosten der Einstimmigkeit beschleunigen sollen. In diesem Fall sabotierte es den Beschluss genau mit der Veto-Regel, deren ungerechtfertigte Nutzung es anderen Ländern gerne vorwirft. Was die deutschen Medien anschließend als „Einigung Wissings mit der EU“ verkauften, sehen andere als die schlichte Erpressung, die Deutschland ansonsten gerne Ungarn und anderen „europafeindlichen“ Staaten vorwirft.

Comeback des Verbrenners

Motoren, die mit fossilen Brennstoffen laufen, sind ein bedeutender Beitrag zur Erderwärmung. Also, so der allgemeine Konsens, brauchen wir einen schnellen Ausstieg. Damit endet dieser aber, denn das kostet Arbeitsplätze, gefährdet Deutschlands Platz in der internationale Konkurrenz und die Technologieführerschaft beim Autobau. In dieser Debatte spielen auch Greenwashing, Produktionsverlagerung, Emissionen und Subventionen eine Rolle, vor allem weil die deutschen Autoriesen vor ca. 6 Jahren auf das E-Auto gesetzt hatten.

Schon die ursprüngliche Terminierung des Ausstiegs auf 2035 zeigt, dass der Konsens sehr begrenzt ist. Ausstieg heißt auch, dass alle bis dahin zugelassenen Verbrennerautos erstmal weiterfahren. Angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels wären schon bei dieser Entscheidung andere Fristen und Bedingungen sowie flankierende Maßnahmen nötig.

Der zentrale Konflikt: Die Klimabewegung im weitesten Sinne sieht eindeutig die Notwendigkeit, den Individualverkehr wo irgend möglich generell zu reduzieren. Die Autoindustrie spricht nicht von einer Verkehrs-, sondern Antriebswende und setzt auf E-Antrieb.

Aber nicht mehr so richtig. Die Ankündigung von z. B. VW, bis 2030 nur noch E-Autos herzustellen, ist zurückgenommen worden. Das Konzept der Autokonzerne gerät ins Wanken. Nicht, weil es die Versprechen hinsichtlich des Klimas nicht erfüllt oder die Beschäftigten bedroht, sondern weil es für das Kapital nicht funktioniert.

Der Absatz von E-Autos läuft nicht wie erhofft. Im März 2024 wurden fast ein Drittel weniger Neuwagen zugelassen als ein Jahr zuvor. Beim Absatz von E-Autos liegen die heimischen Konzerne deutlich hinter Tesla und die chinesischen Hersteller:innen drängen in den Markt. Weltweit ist die Lage für die deutschen Kapitale eher noch ungünstiger.

E-Fuels

So ist der Plan entstanden, wieder auf den Verbrennungsmotor zu setzen, aber eben nicht fossile Brennstoffe zu nutzen, sondern „E-Fuels“, ein etwas unscharfer Begriff für industriell, z. B. durch Elektrolyse, hergestellten Brennstoff (z. B. Wasserstoff). Es wird auch mit Kohlenwasserstoffverbindungen experimentiert.

Man kann das als Greenwashing des Verbrenners bezeichnen. Aber dieses ist im Grunde nicht mehr Schönfärberei als beim E-Auto. In beiden Fällen wird letztlich elektrische Energie eingesetzt, nur unterschiedlich gespeichert. Das eigentliche Problem ist und bleibt der individuelle PKW, der nach dem Willen der Autokonzerne, besonders der deutschen, möglichst groß, schwer und teuer sein soll. Der wiederbelebte Verbrenner wird dabei zu deren Hoffnung, auf dem Markt wieder zur alten Dominanz zurückkehren zu können.

Tatsächlich ist auch die Idee des E-Fuel- oder Wasserstoffverbrenners nicht das eigentliche Problem. Die Technik an sich ist nicht des Teufels. Sowie E-Antriebe unbestritten Sinn machen an Personen- und Lastenfahrrädern, Gabelstaplern o. ä., bei begrenztem Einsatz im innerstädtischen Personen- oder Lastentransport und im öffentlichen Personenverkehr sowieso, so gibt es auch für nichtfossile Verbrenner sinnvolle Verwendungszwecke. Zum Beispiel als Ersatz für Dieselloks auf noch nicht elektrifizierten Strecken, die ja auch noch zunehmen könnten und müssten, wenn all die in den letzten Jahrzehnten stillgelegten wiederbelebt würden. Als Brückentechnologie bis zur Elektrifizierung also. Ebenso könnte der Einsatz im Schiffsverkehr sinnvoll sein oder für LKW und Busse in entlegenen Weltregionen.

Aber das sind nicht die Themen, die die Großkonzerne der Autoindustrie beschäftigen und auch nicht den Verkehrsminister, der sich – wie seine Vorgänger (ja, alles Männer) – als Autoindustriebeauftragter versteht.

Profite und Imperialismus

Dass es VW, Daimler und BMW um Profite geht und nicht um das Klima, ist ein Allgemeinplatz. Sie würden auch noch an Tag der Überflutung Norddeutschlands fette SUVs nach Hamburg ausliefern. Aber die Rolle der deutschen Autoindustrie, vor allem ihres Exportes, ist noch eine andere. Die Ausfuhr von industriellen Gütern wie Autos, Maschinen, Chemie und Waffen sicherte bislang dem Land einen Exportüberschuss, der auf der anderen Seite die Abnehmenden in Verschuldung brachte. Diesen konnte Deutschland, vor allem innerhalb der EU, auch politisch diktieren.

Damit dieser Hebel weiter funktioniert, wurden und werden Milliarden an Subventionen eingesetzt. Am 20.9.2023 brüstete sich Habeck damit: „Wir unterstützen als Bundesregierung die Automobilindustrie bei diesem Wandel – allein im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz tun wir das mit mehr als sechs Milliarden Euro in den kommenden Jahren.“ Dazu kamen Kaufprämien, Forschungsmilliarden, „Transformationsnetzwerke“ und andere Geschenkpackungen an das Großkapital. Umverteilung vom Feinsten – nach oben!

Angeblich geht es auch um Arbeitsplätze und so macht die IG Metall bei diesem Spiel gerne mit und fordert weitere Subventionen. Weit weniger Einsatz gibt es übrigens für die Zulieferfirmen, bei denen schon zehntausende Stellen abgebaut und etliche Werke geschlossen wurden. Deren Produktion ist aber überwiegend ins Ausland gewandert, nicht in irgendeinem Sinne klimafreundlich „transformiert“ worden. Auch das erhöht die Konkurrenzfähigkeit – der Zulieferkonzerne, vor allem aber der großen Autoherstellerfirmen, die aufgrund ihrer Marktmacht Preise diktieren können.

Gegenstrategie

In dieser Gemengelage wird noch deutlicher, dass es völlig verkehrt ist, darauf zu hoffen, dass mit diesen Konzernen das Klima gerettet werden kann. Aber auch die Idee, dass die Regierung diese zu irgendetwas mit Anreizen treiben könnte, bleibt Illusion.

Natürlich muss die Klimabewegung weiter Forderungen erheben wie den Ausbau das öffentlichen Verkehrs. Die Situation in den Regionalzügen zeigt, dass die Leute diese massenhaft nutzen wollen, aber die Länder nicht genügend bereitstellen. Umgekehrt muss der Pkw-Verkehr dort, wo das öffentliche  Angebot vorhanden ist, in den Städten, drastisch beschränkt werden. Dabei wird auch der Ansatz wichtiger, deren Größe und Gewicht zu beschränken, denn unabhängig vom Antrieb ist es eine unsinnige Energieverschwendung, wenn zweieinhalb Tonnen bewegt werden, um 1,2 Personen durchschnittlich zu befördern, und ein Viertel des Gewichts locker reicht.

Aber die Manöver rund um die Attacke der Autokonzerne zeigen auch, dass die Gesetze des Kapitalismus, die Logik seines Funktionierens, einen Wandel unmöglich machen ohne massive Eingriffe in das Eigentum der Kapitalist:innen. Das ist mit dem Staat, also der Regierung und dem Verwaltungsapparat, nicht ohne weiteres zu machen. Das ist kein Problem bürokratischer Trägheit. Wissing hat  bewiesen, wie leichtfüßig und schnell er agieren kann, wenn es den Kapitalinteressen dient. Daher muss die Forderung nach entschädigungsloser Verstaatlichung der Autoindustrie wie des gesamten Verkehrsektors mit der nach Arbeiter:innenkontrolle, durch die Beschäftigten und lohnabhängigen Nutzer:innen, verbunden werden.

Kapitalismus heißt zudem auch, dass die Gesetze des Profits und der Konkurrenz sich ebenfalls auf internationaler Bühne durchsetzen. Je stärker diese Konkurrenz durch die Krise des Systems entartet, desto härter und blutiger werden Kriege und Unterdrückung. Eine Zusammenarbeit der Staaten zur Lösung des Klimaproblems scheitert dabei am nationalen Interesse, besonders der führenden imperialistischen Staaten und Blöcke. Wo es die Staatsräson erfordert, Kinder zu töten oder verhungern zu lassen, gebietet sie es auch, das Klima dem Kapitalinteresse zu opfern.

Wir müssen unseren Kampf weiterführen – ohne Illusionen!

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