Arbeiter:innenmacht

GDL – Genossenschaft Deutscher Lokomotivführer?

bigbug21, CC BY-SA 2.5 , via Wikimedia Commons

Leo Drais, Infomail 1226, 12. Juni 2023

Die Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL, Eigenschreibweise nicht gegendert) hat am 5. Juni an einem selbstverkündeten „Großen Tag“ ihre Forderungen für die Tarifrunde mit allen Unternehmen für 2023 präsentiert.

Mit viel Applaus wurden die „Fünf für Fünf“ aufgenommen: 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35 Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35- Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Neben diesen Forderungen gab es dann noch eine Überraschung. Die GDL hat zum Juni 2023 eine eigene Genossenschaft eintragen lassen, die als Leiharbeitsfirma zunächst Triebfahrzeugführer:innen für den Eisenbahnmarkt stellen will. Mitglied werden kann nur, wer in der GDL ist. Die Konditionen sollen dabei den Forderungen der GDL entsprechen.

Fair Train e. G.

Die Gründung der Genossenschaft Fair Train kommt nicht ungefähr. Sie ist eine versuchte doppelte Kampfansage: Sowohl an gewisse Eisenbahnunternehmen –  allen voran den „roten Riesen“ DB – aber auch in Richtung der Konkurrenzgewerkschaft EVG.

Bereits im Vorfeld sollen Gespräche über Fair Train gelaufen sein – natürlich nicht mit der Mitgliedschaft, die mehr oder weniger vor den Kopf gestoßen war, sondern mit den sogenannten Wettbewerbsbahnen, also Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die nicht im Eigentum des Bundes sind (sog. NE-Bahnen). Man muss ja als gute, als bessere Sozialpartnerin erstmal abchecken, ob der Sozialpartner Kapital überhaupt Interesse an den verliehenen Kolleg:innen hat.

Anscheinend gibt es dieses Interesse – und warum auch nicht. Insbesondere im Güterverkehr würde über Leiharbeit für die Unternehmen ein Risiko genommen werden, nämlich wenn man z. B. im Falle einer Wirtschaftskrise und abbestellter Güterzüge das lästige Personal an der Backe hat. Neben dem rollenden Material (das auch oft genug geleast ist oder gemietet) wäre man dann einen anderen laufenden Kostenfaktor los und man könnte sich ganz aufs Kerngeschäft, also Geld Verdienen, konzentrieren.

Den begünstigenden Rahmen für Fair Train stellen dabei im Gegensatz zum Fernverkehr auf der Straße zwei Faktoren da. Erstens ist, auch wenn der Eisenbahnmarkt europaweit liberalisiert ist, das Bahngeschäft nach wie vor ein vor allem nationales Ding. Während auf deutschen Autobahnen als Folge der EU-Osterweiterung sehr viele Fahrer:innen aus osteuropäischen Ländern unterwegs sind und es einen gnadenlosen Preiskampf nach unten gibt (ausgetragen u. a. über Lohnkosten, schlechte Arbeitsbedingungen usw.), fahren auf deutschen Gleisen in den allermeisten Fällen nach wie vor deutsche Lokführer:innen. Denn während die Sprache für das Fahren eines LKW quasi egal ist und die Straßenverkehrsregeln auch weitestgehend gleich sind, ist der Bahnbetrieb etwas, das zwingend die Landessprache voraussetzt sowie eine besondere Qualifikation, im jeweiligen Land Züge bewegen zu dürfen. Das begrenzt von vornherein natürlich den Arbeitskräftemarkt enorm, der – und das ist der zweite Aspekt – weitgehend leergefegt ist.

Das führt uns zum Kalkül der GDL-Chef:innen. Wenn ausreichend viele Lokführer:innen zu Fair Train wechseln, dann könnte sich die GDL zumindest für das Lokpersonal die Tarifverhandlungen sparen, sondern dem Markt einfach die eigenen Konditionen aufdrücken. Weit davon entfernt, diese Größe zu haben, werden die nächsten ein, zwei Jahre zeigen, ob die e. G. by GDL ein Experiment oder mehr ist.

Politisch falsch und fatal ist sie schon jetzt.

Kampf statt Markt

Die Idee, sich durch den Zusammenschluss zu einer Genossenschaft dem Gewitter des Marktes, also dem Druck der Kapitalist:innen zu entziehen, ist nicht neu. Gewisse Überbleibsel gibt es davon bis heute, etwa in Form von Wohnungsbaugenossenschaften, Volksbanken oder der Raiffeisensparkasse. Auch Produktionsgenossenschaften oder eine Art Arbeiter:innenselbstverwaltung sind nicht neu.

Für die Arbeiter:innenklasse birgt diese Strategie, Wettbewerb durch Wettbewerb zu ersetzen, mehrere problematische Aspekte:

  • Das Geschäftsrisiko der Kapitalist:innen wird automatisch zu unserem. Haben wir als Beschäftigte z. B. der Deutschen Bahn in Krisensituationen immer noch die Möglichkeit, die Kosten der Krise dem Konzern aufzudrücken (im Endeffekt kommt unser Lohn selbst in dem maroden Cargo-Laden immer noch pünktlich), gibt es diese Möglichkeit für Beschäftigte einer Leiharbeitsgenossenschaft nicht. Der Kunde bestellt die Dienstleistung ab und fertig.
  • Sollte Fair Train keine marktrelevante Stellung einnehmen, kann es sehr schnell in einen Preiskampf mit anderen Personaldienstleister:innen geraten. Die Mitglieder der Genossenschaft werden zu Selbstausbeuter:innen. Ökonomisch exakt betrachtet, sind sie es von vorneherein. Im Endeffekt muss hier auf einen Nachfrageüberhang für Arbeitskräfte spekuliert werden.
  • Nicht zuletzt bedeutet der Schwenk von der Gewerkschaft zur Genossenschaft auch nicht, einer Arbeiter:innenselbstverwaltung näherzukommen. Im Gegenteil wird hier wie in allen Genossenschaften zwar einmal im Jahr zur regulären Mitgliederversammlung geladen werden, die wirtschaftlichen Geschicke der Firma liegen aber ganz in den Händen einer intransparenten und nicht wählbaren Führung.
  • Die Genossenschaft wird also nicht nur einem Zentralisierungs- und Bürokratisierungsprozess unterzogen, sie fungiert vor allem als Kapital. Die GDL wandelt sich, je nach Erfolg der Unternehmung, von einer Gewerkschaft zu einer weiteren Zeitarbeitsfirma. Die Genossenschafter:innen mit einem hohen Anteil entwickeln sich entweder selbst zu Leuten, die vom Gewinn ihrer Unternehmung leben wollen. Die Genossenschafter:innen mit geringen Anteilen, die weiter als Lokführer:innen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, geraten in eine widersprüchliche Klassenposition – und das umso mehr, je höher ihr Anteil an der Genossenschaft ist.

Dass die Führung der Unternehmung intrasparent, nicht wählbar sein und gemäß dem Diktat des Marktes agieren wird müssen, bringt uns zurück zur aktuellen Situation. Einerseits befindet sich die GDL dank Tarifeinheitsgesetz z. B. bei der Deutschen Bahn AG in Konkurrenz zur Gewerkschaft EVG (über die man am „Großen Tag“ in populistischer Manier gepfeffert herzog, als sei sie die eigentliche Feindin, und wenn man sich den Eisenbahnbossen schon mit einer Leiharbeitsfirma andient, ist an dieser Vermutung vielleicht auch was dran – kampfstarke Streikgewerkschaft hin oder her), die bei der DB abgesehen vom Zugpersonal die Mitgliedermehrheiten innehat. Daher auch das Eintreten der GDL-Führung und Claus Weselskys für die Zerschlagung der DB. Für eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnmarktes stünde die GDL dann schon mit Fair Train in den Startlöchern, ganz nach dem Motto: Egal, welches Unternehmen den Zug besitzen, mieten oder fahren lassen will: Wir stellen das Personal.

Dem was wir, auch aus Sicht einer Verkehrswende, brauchen, bringt uns das nicht näher. Anstatt einer Genossenschaft, wo sich die Eisenbahner:innen zusammenfinden sollen gegen einen durchliberalisierten Markt oder einen Managementselbstbedienungsladen DB, braucht es eine einzige staatliche Bahn, die wir als Eisenbahner:innen in Verbindung mit den lohnabhängigen Kund:innen demokratisch kontrollieren. Denn Eisenbahn können wir besser als „die da oben“ – sitzen sie im Bahntower, auf der Bühne oder uns gegenüber. Sie wollen alle nur das Beste für uns, Herr Seiler, Herr Weselsky und Herr Burkert – und doch sind sie die Fortsetzung einer eisenbahnzerstörenden Geschichte.

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