Arbeiter:innenmacht

Das Phänomen Babler

Mit #teambabler und #GemeinsamBeginntJetzt hat Babler in sozialen Medien für sich geworben. Bildrechte: Verein Machen wir was

Alex Zora, Infomail 1226, 13. Juni 2023

Mit diesem Ausgang hatte wohl kaum jemand gerechnet. Nachdem auf dem Parteitag Hans Peter Doskozil vom rechten Parteiflügel noch als Sieger verkündet worden war, musste die Wahlkommission zwei Tage später zugeben, dass sie die Stimmen vertauscht hatte und doch Andreas Babler vom linken Parteiflügel die Mehrheit für sich gewinnen konnte. Viele linke Sozialdemokrat:innen mochten ihr Glück kaum fassen, konnten sie doch einen ersten wichtigen Sieg gegen die Parteibürokratie davontragen. Wie wir in weiterer Folge aber hoffentlich verdeutlichen können, ist die innerparteiliche Auseinandersetzung – trotz aller Appelle zur Einheit – damit noch lange nicht abgeschlossen, sondern steht eigentlich erst am Anfang.

Was davor geschah

Um die aktuellen Ereignisse in der österreichischen Sozialdemokratie zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Wesentlich hierfür sind die Entwicklungen, die sich innerhalb und außerhalb der Partei seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 abspielten. Nach einer anfänglich noch recht zaghaften und abwartenden Politik schwenkte die damalige Bundesregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann spätestens im Herbst 2015 auf klar rassistische Antworten um. Sinnbildlich dafür stand die Errichtung eines Grenzzauns an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld. Recht kurze Zeit später – im Winter 2016 – wurde dann von der SPÖ-geführten Regierung der Kurs weiter verschärft. Es wurde eine Obergrenze für Geflüchtete geschaffen. Damit durfte jährlich nur mehr eine begrenzte Anzahl an Asylsuchenden in Österreich aufgenommen werden. Im März war dann die österreichische Regierung – mit Außenminister Sebastian Kurz – zentral an der Schließung der Fluchtrouten über den Westbalkan beteiligt.

Das alles führte zu großem Unmut in der SPÖ. Der linke Flügel – insbesondere die Jugendorganisationen – begehrte immer offener gegen den rechten Kurs der Parteiführung auf. Gleichzeitig drängte der rechte Parteiflügel auf einen noch stärker rassistischen Kurs und die Öffnung der Bundespartei in Richtung einer Koalition mit der offen rassistischen FPÖ. Der rechte Flügel sammelte sich insbesondere rund um die SPÖ-Burgenland, die schon im Frühling 2015 eine Koalitionsregierung mit der FPÖ eingegangen war. Auf der 1. Mai-Demonstration der SPÖ in Wien krachten dann die Lager offen aufeinander. Die traditionelle Beschwörung der Einigkeit in der Partei wurde dort durch ein Pfeifkonzert während der Rede von Werner Faymann gestört. Das, sowie die Tatsache, dass der SPÖ-Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer im ersten Durchgang der Wahl nur 11,3 % erreichte, führten dazu, dass der Bundeskanzler nur kurze Zeit später seinen Rücktritt verkünden musste.

Nach Faymanns Rücktritt wurde Christian Kern neuer Parteichef. Wir schrieben damals: „Der rechte Flügel und Teile der Gewerkschaftsbürokratie fordern eine Öffnung in Richtung der FPÖ, mit der im Burgenland bereits koaliert wird. Die linken Teile und die Jugendorganisationen stellen sich gegen den rassistischen Kurs der Partei und fordern fortschrittliche Antworten in der sozialen Frage ein. Auch das neue Team an der Parteispitze, das um den ehemaligen ÖBB-Manager Christian Kern aufgezogen wird, kann die existenzielle Krise der SPÖ nicht kaschieren. Sein Auftrag ist die Befriedung der Partei, bisher bringt er aber vor allem seine eigenen Vertrauten in höchste Positionen. Ein Überspielen der Konflikte wird die Krise der Partei nur vertiefen und die Position des linken Flügels, der kämpferischen Gewerkschafter:innen und der Jugendorganisationen weiter untergraben.“ (http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=2136)

Im Wesentlichen erwies sich unsere Analyse als richtig. Christian Kern schaffte es, die tiefen Widersprüche in der Partei zu übertünchen. Ihm wurde sowohl vom linken wie auch rechten Parteiflügel das Vertrauen ausgesprochen – die Parteijugend sowie alle Bundesländer stellten sich hinter ihn als neuen Parteichef. Das Übertünchen der Differenzen innerhalb der SPÖ wurde aber auch recht bald um einiges einfacher. Nicht einmal ein Jahr lang war Christian Kern Bundeskanzler einer funktionierenden Bundesregierung und mit der Verbannung der SPÖ auf die Oppositionsbank nach der Wahl 2017 war es deutlich einfacher, die Widersprüche der Partei im Zaum zu halten. Auch der linke Flügel konnte sich insbesondere im Widerstand gegen die reaktionäre Politik von ÖVP und FPÖ wieder in der Partei stärken. Diese Perspektive hatten wir 2016 noch unterschätzt.

Mit der Ablösung Christian Kerns durch seine persönlich ausgesuchte Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst 2018 änderte sich politisch sehr wenig an der Spitze der SPÖ. Sie stand weiterhin für eine staatstragende Politik (insbesondere auch während der Coronapandemie), die versuchte, die Widersprüche in der SPÖ auszusitzen. Nach dem historisch schlechtesten Abschneiden der SPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 zeigte sich im Frühling 2020 dann, wie viel Rückhalt Rendi-Wagner in der SPÖ verloren hatte. Ohne Gegenkandidat:in in der Mitgliederbefragung erreichte sie nur eine Zustimmung von 71,4 %.

Insgesamt zeigte sich der linke Parteiflügel hier auch deutlich kompromissbereiter, es wurde kaum öffentliche Kritik an der Parteiführung geäußert. Anders sah das beim rechten Parteiflügel aus. Insbesondere Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlands, schoss sich immer wieder medial gegen Rendi-Wagner ein. Hier spielte in der innerparteilichen Auseinandersetzung sicherlich ein kräftiger Schuss Sexismus mit hinein, doch öffentlich drehte sich die Kritik an der Parteiführung vor allem um die Forderung nach einer reaktionäreren Politik in Bezug auf Geflüchtete und Migrant:innen. Der Ausbruch der Coronapandemie zögerte die Konflikte dann sicherlich noch weiter hinaus, ging es doch darum, sich in dieser komplett neuen Situation erst einmal zu orientieren. Gleichzeitig gab es – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – ein Zusammenrücken der meisten politischen Kräfte im Zuge der Politik der nationalen Einheit im Angesicht der allgemeinen Krise. Die Schwäche der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner zeigte sich letztlich insbesondere in den letzten beiden Jahren sehr deutlich. Trotz der riesigen Verwerfungen der österreichischen Innenpolitik im Zuge der ÖVP-Korruptionsaffären konnte die SPÖ kaum profitieren.

Ihre herben Verluste bei den Kärntner Landtagswahlen im März diesen Jahres brachten dann das Fass zum Überlaufen. Es sollte zu einer Mitgliederbefragung zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil um den Parteivorsitz kommen. Doch ganz so einfach sollte es dann doch nicht ausgehen.

Wenn sich zwei streiten …

Die Konflikte und Widersprüche innerhalb der SPÖ sind also keine grundsätzlich neue Sache. Sie haben sich vielmehr lange angebahnt und zeigen viele Ähnlichkeiten mit vergleichbaren Entwicklungen in anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien. In letzter Konsequenz bilden sie eine Folge des Charakters der SPÖ als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei, einer grundsätzlich widersprüchlichen Formation, die auf der einen Seite bürgerliche Politik vertritt, aber ihre soziale Basis in der Arbeiter:innenklasse und der Arbeiter:innenbewegung hat. Bürgerliche Arbeiter:innenparteien können zwar auch über lange Zeiten hinweg recht stabil wirken, aber so lange sie nicht vollkommen in eine bürgerliche Formation übergehen, wie beispielsweise die italienische Sozialdemokratie, können Entwicklungen, wie wir sie heute in der SPÖ erleben, nie ausgeschlossen werden.

Der Ablauf nach Bekanntgabe der Mitgliederbefragung fiel dann mehr als chaotisch aus. Zuerst sollten nur Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil auf dem Stimmzettel stehen. Klar festgelegt wurde diese Regel aber nirgends. Nachdem sich mit Nikolaus Kowall dann aber auch ein Kandidat der Parteilinken aufstellen lassen wollte, brach der Damm. Es meldeten sich dutzende Mitglieder (und Nicht-Mitglieder) für die Wahl zum Vorsitz an. Nachdem sich auch Andres Babler, bisher Bürgermeister von Traiskirchen, um den Vorsitz bewarb, zog dann Kowall seine Kandidatur zurück. Auf dem Stimmzettel landeten dann bekanntlich nur 3 Kandidat:innen: Doskozil für den rechten Flügel, Rendi-Wagner für das Zentrum und den Parteiapparat sowie Babler für den linken Flügel.

Im Zuge der Mitgliederbefragung traten der SPÖ auch 9.000 neue Mitglieder bei. Sie ging ausgesprochen knapp aus. Mit jeweils ungefähr einem Drittel der Stimmen landete Doskozil auf Platz 1, Babler schaffte es knapp vor Pamela Rendi-Wagner auf den zweiten Platz. Die Konsequenz war für Letztere die Ankündigung ihres Rücktritts und für Doskozil die Siegessicherheit für die endgültige Abstimmung auf dem Parteitag.

Andreas Babler hatte schon davor angekündigt, dass er es sich offenlassen würde, bei einem knappen Ergebnis auf dem Parteitag zu kandidieren, auch wenn er nicht auf Platz 1 in der Mitgliederbefragung landen würde. Schon im Vorfeld des Parteitags wurde recht klar, wie sich die unterschiedlichen Teilorganisationen positionierten. Die Mehrheit der Landesorganisationen stellte sich recht klar hinter Doskozil, einige andere positionierten sich nicht offen und nur die Vorarlberger SPÖ-Vorsitzende sprach sich für Babler aus. Dazu kamen logischerweise auch die traditionell linken Jugendorganisationen sowie auch die große Mehrheit der Frauenorganisationen. Bei den gewerkschaftlichen Delegierten dürfte Babler auch recht stark abgeschnitten haben, war doch hier insbesondere Doskozils Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (statt eines kollektivvertraglichen) schlecht angekommen. Doch die wohl größte Unterstützung kam letztlich vermutlich aus der Wiener Landespartei, die gleichzeitig auch die größte und mächtigste der SPÖ ist.

Letztlich reichte es knapp. Nach der kurzen Konfusion, die Doskozil mit einer Mehrheit sah, wurde 2 Tage nach dem Parteitag das Ergebnis korrigiert. Er wählte letztlich Babler mit 53 zu 47 % zum neuen Vorsitzenden.

Was bedeutet der Sieg von Babler?

Das zeigt recht gut, dass Babler zum Beispiel im Gegensatz zu Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party doch auch starken Rückhalt in relevanten Teilen der Bürokratie – insbesondere in Wien – genießt. Daraus lassen sich mehrere Dinge schlussfolgern. Was recht offensichtlich ist, ist, dass sich ein Teil der Bürokratie durchaus bereit zeigt, einen kantigeren Kurs einzuschlagen, um sich aus der Misere zu manövrieren. Dabei erhofft man sich sicherlich nicht nur eine Verbesserung in den Umfragen, sondern auch neue Mitglieder und Elan. Gleichzeitig hat nun aber Babler vor allem der Wiener Landespartei seinen Wahlsieg zu verdanken und wird sich in Zukunft vermutlich zweimal überlegen, ob er Kritik am Kurs von Bürgermeister Michael Ludwig anbringen kann. Ob dann die Wiener Landespartei der Ausrichtung des neuen Vorsitzenden folgt oder umgekehrt, wird sich vermutlich noch zeigen müssen. Erste Anzeichen dazu lassen sich beispielsweise in einem Standard-Interview erkennen. Auf die Frage wie er denn zum Lobautunnel stehe, gegen den Klimaktivist:innen seit Jahren mobilmachen, meinte er: „Ich werde mich mit den Wienern austauschen.“

Die Unterstützung durch Teile der Bürokratie zeigt aber auch, dass er vermutlich nicht unmittelbar mit offener oder versteckter Gegner:innenschaft des gesamten Apparats zu rechnen hat. Vielmehr wird vermutlich versucht werden – was in Bezug auf einige wichtige Punkte schon gelungen ist – seine allzu radikalen Kanten abzuschlagen. Die Losung von Geschlossenheit und Einheit war schon immer ein zentrales Mittel, mit dem linke Stimmen in der SPÖ ruhiggestellt werden sollten. Auch Babler hat diese Herangehensweise verinnerlicht. Den rechten Parteiflügel schert das hingegen recht wenig. Doskozils mediale Angriffe in Richtung Pamela Rendi-Wagner hatten nicht nur über Jahre den Konflikt eskaliert und letztlich die Mitgliederbefragung vom Zaun gebrochen, auch nach Bablers Sieg zog der rechte Flügel mit ersten Angriffen gegen ihn auf. Vom Salzburger SPÖ-Chef David Egger-Kranzinger, der vor kurzem noch das historisch schlechteste SPÖ-Ergebnis dort eingefahren hatte, gab es gleich laute Kritik an Bablers Vorschlag der 32-Stunden-Woche und seinen Positionen in Bezug auf Geflüchtete. Einheit wird in der SPÖ immer nur als Waffe gegen die Linke eingesetzt. Wenn Babler und seine Bewegung nicht bald hart gegen den rechten Parteiflügel sowie gegen den bürgerlichen Apparat vorgehen, wird ihn früher oder später dasselbe Schicksal ereilen wie Jeremy Corbyn, der letztlich von der Bürokratie der Labour Party abgesägt wurde.

Generell ist der Kurs von Babler noch nicht eindeutig definiert. Auf der einen Seite hat er mit linken Forderungen wie einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchaus radikal aufgetrumpft, was dem rechten Parteiflügel gleich sauer aufgestoßen ist. Auf der anderen Seite musste er schon bei einigen wichtigen Inhalten wie seiner politischen Kritik an der EU oder dem Bundesheer massiv zurückrudern. Das Gleiche gilt für sein Bekenntnis zum Marxismus, das er nach medialem Backlash gleich wieder fallenließ. Das zeigt recht gut die Strategie, die er und sein „Team Basis“ vertreten. Man möchte in einigen Aspekten neue Akzente setzen und den Diskurs verschieben, doch wenn dafür andere linke Positionen hinderlich werden, können diese einfach kurzerhand geopfert werden. Eine prinzipienfeste Politik sieht anders aus. Dabei hatte er noch bei seiner klar antirassistischen Politik in der Geflüchtetenfrage gezeigt, dass insbesondere vermeintlich „unpopuläre“, aber richtige Positionen langfristig zum Erfolg führen können.

Wesentlich wird sein, inwiefern Babler die Partei öffnen möchte, um die Basis aktiv zu mobilisieren sowie die Parteilinke zu organisieren. Seine fortschrittlichen Positionen (32-Stunden-Woche, Kinder- und Energiegrundsicherung, Mietobergrenze, Millionär:innen- und Erbschaftssteuer etc.) könnten als Ansatzpunkt für eine Bewegung der Gewerkschaften und Linken im Widerstand gegen die Regierungspolitik und die Teuerungskrise dienen. Wenn es letztlich nur bei Diskursverschiebung und Wahlkampfrhetorik bleibt, ist der linke Reformismus von Babler nicht einmal das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.

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