Frederik Haber, Neue Internationale 240. September 2019
Gesamtmetall hat sich Gedanken gemacht und lange vor der nächsten Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie Vorschläge zur Reform des Flächentarifvertrags veröffentlicht. Der Präsident dieses Arbeit„geber“-Verbandes, Reiner Dulger, hat dazu ein Interview gegeben und Wind ins Sommerloch geblasen (SZ, 23.7.19).
Als Angriff auf die IG Metall wird dies in den Medien und von politischer Seite angesehen und in der Tat schiebt Dulger der IG Metall den Schwarzen Peter für alles Mögliche zu: Die Gewerkschaft habe mit dem letzten Tarifabschluss Arbeitsplätze in Deutschland, mit der Einführung von Ein-Tages-Streiks die „Arbeitskampfparität“ gefährdet und sei damit schuld daran, dass jetzt noch mehr Firmen in eine Verbandsmitgliedschaft „Ohne Tarif“ (OT) wechseln würden.
Nach neun Jahren Boom steht die Wirtschaft in Deutschland vor einer heftigen Rezession und diejenigen, die am fettesten davon profitierten, jammern schon mal. Das deutsche Export-Kapital, das mit der Autoindustrie, dem Maschinenbau und der Rüstungsindustrie überwiegend in Gesamtmetall organisiert ist, hat gemeinsam mit der Chemie-Industrie nicht nur die globale Konkurrenz in den Boden gestampft, sondern auch weiter höhere Profite als die meisten Branchen im heimischen Markt eingefahren. Natürlich waren diese auch erheblich höher als die Lohnerhöhungen der Beschäftigten. Jetzt vernichten oder verlagern in vielen Konzernen die KapitalistInnen Arbeitsplätze.
Der Begriff der „Parität“ ist im Zusammenhang mit Arbeitskampf bereits lächerlich. Die KapitalistInnen lehnen jegliche „Parität“, also Waffengleichheit, in allen betrieblichen Auseinandersetzungen ab. Weder einzelne Beschäftigte noch Betriebsräte und Gewerkschaften haben irgendwo einen Krümel davon.
Die Flucht in den „OT“-Bereich haben die UnternehmerInnen selbst organisiert. Es war ein wichtiger Teil der Kampagne, die Tarifbindung zu untergraben. 1996 galt noch für 70 Prozent der Beschäftigten im Westen und 56 Prozent im Osten ein Flächentarifvertrag. 2018 waren es nach Angaben des Instituts- für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nur noch 49 beziehungsweise 35 Prozent.
Dabei hat es die IG Metall doch nicht an Anpassungsfähigkeit mangeln lassen und sofort betont ihre Sprecherin: „Von der Tarifautonomie und den Flächentarifverträgen profitierten Beschäftigte wie Unternehmen gleichermaßen … Dies einseitig in Frage zu stellen, schadet allen.“ (Handelsblatt, 23.07.2019 ). Die Spitze der Gewerkschaft hält unverrückbar an der SozialpartnerInnenschaft fest, eine ausführliche Erklärung zu Dulgers Vorstoß fehlt bisher.
Vermutlich wird sie auf dem Gewerkschaftstag kommen, der am 6. Oktober in Nürnberg beginnt. Vermutlich ist Dulgers Attacke auch auf diesen gezielt. Eine Steilvorlage für den Vorsitzenden Hofmann, sich nochmals in dem „Erfolg“ von 2018 zu sonnen und scharfe Worte in den Raum zu werfen. Eine gute Gelegenheit, von der Zuspitzung in vielen Betrieben und Konzernen abzulenken und seine SozialpartnerInnen an ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern, die sie trotz aller Beschwörungen noch nie wahrgenommen haben.
Auch Dulger argumentiert letztlich im Namen der Partnerschaft. Er weiß, dass er die Kollaboration der reformistischen Gewerkschaftsführung braucht, um die Belegschaften von Großbetrieben und in arbeitsteiligen Industrien zu kontrollieren. Und da bereitet ihm der wachsende Anteil der OT-Mitglieder in seinem Verband Sorgen.
Es könnten ja wirklich Zeiten kommen, in denen es keine Drohung an die Gewerkschaften ist, dass durch Verbandsaustritte Streiks in einzelnen Betrieben nötig würden, „Häuserkampf“ heißt das im Gewerkschaftssprech. Zeiten, in denen die Gewerkschaften eine kämpferische Führung entwickeln, KollegInnen die Dinge selbst in die Hand nehmen und/oder die trägen BürokratInnen zum Kampf zwingen. Dann heißt OT eben auch OF: „Ohne Friedenspflicht“. Das heißt, die einzige legale Lücke im bundesdeutschen Anti-Streikrecht wäre offen.
Genau hier fordert Dulger aber jetzt: „Genauer: Ohne Bindung an den Flächentarifvertrag. Diese Unternehmen halten sich dann nicht gezwungenermaßen, aber freiwillig an den Tarifvertrag, oder zumindest an große Teile davon. Deshalb sollten wir Tarifbindung künftig anders definieren. Wenn ein Tarifvertrag zum Beispiel aus maximal 25 Komponenten besteht, könnte man jeden als tarifgebunden bezeichnen, der mehr als fünf oder sechs davon akzeptiert.“ (SZ, 23.7.19)
Der Traum des Kapitalisten Dulger, der die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen für Teufelszeug hält: Betriebe werden als tarifgebunden bezeichnet, wenn sie 20 % dieser Abmachungen freiwillig einhalten. Eine solche Bezeichnung macht nur Sinn mit rechtlichen Konsequenzen. Will Dulger diese für die Beschäftigten oder für die Unternehmen? Will er, dass Tarifteile für die Beschäftigten einklagbar sind oder will er das Streikrecht erneut einschränken? Oder beides?
Es scheint so, als ob das „Draufhauen auf die IG Metall“ (Handelsblatt) nur Begleitmusik ist. Dass es vielmehr um ein Angebot an die IGM-Spitze geht, dieser mehr „Tarifbindung“ = Einfluss zu verschaffen, wenn auch in einer Mogelpackung, und zugleich die Friedenspflicht auf diese OT-Betriebe auszudehnen. Es geht um einen neuen Angriff auf das Streikrecht, also eine Fortsetzung der bisherigen Krönung der verräterischen Klassenzusammenarbeit, als 2015 dieses für Minderheitsgewerkschaften abgeschafft worden war. Kriege werden mit Friedensverträgen vorbereitet. Klassenkriege auch.
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Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen