Mattis Molde, Neue Internationale 2023, September 2023
Die Internationale Automobilausstellung (IAA) ist nicht mehr das, was sie mal war. Einst war es die Präsentation der neuesten und teuersten Automobile zu Werbe und Verkaufszwecken, ein Ort, an dem Technik- und Autobegeisterte vor allem männlichen Geschlechts ihrer echten Leidenschaft kollektiv frönen konnten. Aber schon die Ausstellung 2021 verzeichnete zeitweise „leere Hallen“ und die Stimmung war „verklemmt“, wie Redakteur:innen von Auto motor und sport (Deutsche Automobilzeitschrift) in einem Interview mit dem VDA (Verband der Automobilindustrie) beklagten.
Die IAA 2023 sieht ein Riesenvolksfest in der Münchner Innenstadt vor, alle dürfen Probe fahren, Autos, E-Bikes, Scooter und sogar überwiegend „kostenfrei“. Angeblich geht es um „Mobility“ und im Werbefilmchen ist auch ganz kurz eine Straßenbahn zu sehen sowie zwei Fußgänger:innen – auf einem Berggrat wandernd. Wie sind sie dorthin angereist? Sicher mit dem Auto, das aber unsichtbar bleibt.
Ein Filmchen so wie die übliche Autowerbung, in der es meist um viel entlegene Natur geht, gerne steil, mit Schnee oder Sand, die ein kraftvolles Fahrzeug erfordert, gerne auch Familie mit Kindern, die im SUV (Sport Utility Vehicle; Stadtgeländewagen bzw. Geländelimousine) wundervoll geschützt sind, oder –„alternativ“ – junge moderne Individuen, die ihre besondere Individualität mit einem ebenso besonderen Kleinwagen ausleben. In dieser Werbung kommen praktisch nie andere Autos vor, schon gar nicht die Realität verstopfter Innenstädte oder blockierter Autobahnen. Das einzige Auto, das vorkommt, ist das Produkt der werbenden Firma.
Beim IAA-Werbefilmchen muss man sich anstrengen, mal kurz im Hintergrund zwei Rücklichter zu entdecken – Berge und Baby sind länger zu sehen. Die Automobilbranche hat ganz offensichtlich ein Imageproblem.
Es ist nicht so, wie die Autoindustrie gerne tut, dass sie unverdientermaßen schlechtgeredet wird. Nein, sie ist schlecht: hauptverantwortlich für den Klimawandel und für eine Verkehrspolitik, die ineffizient und teuer ist und das größte Hindernis für eine Wende dieser. Ein wahrheitsgetreuer Film über diese Branche müsste Autounfälle und Abholzungen zeigen, Waldbrände und Ölpest. Sie setzt ihre Interessen mit Lobbyarbeit, Drohungen und kriminellen Methoden durch. Sie muss bekämpft werden und die IAA ist ein guter Platz, diesen Kampf zu propagieren.
Der VDA richtet die IAA aus und besorgt die ganze politische Vertretung des deutschen Autokapitals mit Büros in Berlin, Brüssel und China. Er sorgt für die unglaublichen Subventionen für die Industrie in Form von Geldern für die Transformation (E-Mobilität, Biosprit …), Forschung, Abwrackprämien und E-Auto-Zuschüsse, für Autobahnbau und Aufbau von Ladestruktur und dazu die Unterstützung, die Autowerke von den Bundesländern erhalten. Hinzu kommt Subvention durch Kurzarbeit in einem Umfang, der die Erwerbslosenversicherung schon bis 2022 über 30 Milliarden Euro gekostet hat.
Der VDA sorgt für eine ökologisch unsinnige Klimapolitik der EU, die aber maßgeschneidert für große Oberklassen-Pkw ist: Beurteilt wird der Flottenverbrauch, das heißt durchschnittliche CO2-Ausstoß aller neuverkauften Fahrzeuge eines Herstellers, berechnet aus dem Spritverbrauch entsprechend den Angaben eben dieses Herstellers. Für E-Autos gibt’s „Supercredits“, diese senken diesen völlig fiktiven Flottendurchschnitt überproportional.
Die Logik dieses Systems, das so offensichtlich die Böcke/Ziegen zu Gärtner:innen macht, bewirkt auch, dass der Kauf jedes Kleinwagens oder E-Mobils dem jeweiligen Hersteller den Verkauf weiterer fetter SUVs erlaubt und so umgekehrt der möglicherweise gute Wille der Käufer:in konterkariert wird.
Die Autoindustrie, die dicke staatliche Subventionen kassiert, zeigt keine, Scham zugleich ein massives Arbeitsplatzvernichtungsprogramm durchzuziehen. Der Personalabbau ist im vollen Gange: Von 850.000 Beschäftigten im Jahr 2019 sind es noch 760.000 im Jahr 2022. Fast 100.000 weniger. Der Geschäftsführer des VDA, Jürgen Mindel, spricht jetzt anlässlich der IAA von „über 600.000 Beschäftigten“ der Autoindustrie.
Dieser Personalabbau spielt sich vor allem in der Autozulieferindustrie ab. Kleinere Unternehmen werden verkauft oder schließen Standorte. Größere Unternehmen wie Opel, MAN, Bosch, Conti und Mahle haben Personal in Tausendergrößenordnung abgebaut und Standorte geschlossen.
Der VDA wäscht seine Hände in Unschuld. „Die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität kann mehr Arbeitsplätze kosten, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen – und dies schon, ohne die Folgen der überstürzten aktuellen Diskussion um ein neues Klimaschutzgesetz absehen zu können. Bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte betroffen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze – und dies schon auf der Basis der bisherigen Klimaschutzgesetze“, ließ er per Pressemitteilung am 5.6.21 wissen. Also: Die Klimagesetze, die gerade den CO2-Ausstoß beim Verkehr mitnichten eingedämmt haben, sind schuld daran, dass schon Hunderttausende ihre Arbeit verloren haben.
Dieser Personalabbau hat überhaupt nichts damit zu tun, dass es den großen Unternehmen der Branche schlechtginge. VW zum Beispiel hat seinen Profit von gut 7 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf über 22 Milliarden fast kontinuierlich gesteigert.
Es ist vielmehr so, dass er diese Gewinne generiert. Die Großkonzerne zwingen die Zulieferer, ihre Teileproduktion ins Ausland zu verlagern. Teile für Verbrenner werden nicht weiterentwickelt. Wenn sie auslaufen, erfolgt der Neustart in „Low Cost Countries“. Die Teile für E-Mobility werden schon lange dort gefertigt. Die Klagelieder über die „Deindustrialisierung“ Deutschlands stammen also von den Verursacher:innen derselben.
Als Internationalist:innen geht es uns nicht darum, „Arbeitsplätze in Deutschland“ zu verteidigen. Aber diese Betriebe können auch die Fahrzeuge bauen und die nötigen Technologien entwickeln, die für eine klimagerechte Mobilität nötig sind. Ihre Belegschaften können die Kraft sein, die der Klimabewegung bislang fehlt, um andere Entscheidungen durchzusetzen.
Auf diese Kraft der ganzen Arbeiter:innenklasse müssen wir setzen. Die Rezepte der Klimabewegung waren bislang hilflos:
Das entscheidende Problem für die Verbindung von Umweltbewegung und Lohnabhängigen stellen jedoch die Führungen der Arbeiter:innenklasse, vor allem die Bürokratie und Apparate in den Gewerkschaften und Großkonzernbetriebsräten dar, die letztlich „ihre“ Autoindustrie über die Interessen der Gesellschaft stellen. Schlagwörter wie Transformation und ökologischer Umbau sind für sie Phrasen, die der Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung mehr Glanz verleihen sollen.
Es reicht daher nicht, die Lügen der Autoindustrie offenzulegen und die Schwächen der Umweltbewegung zu kritisieren. Vor allem müssen wir für einen Kurswechsel Richtung Klassenkampf in den Betrieben und Gewerkschaften und der gesamten Arbeiter:innenbewegung kämpfen.
Die Autoindustrie kann nicht ökologisch „transformiert“ werden, ohne die Macht des Kapitals anzugreifen, ja zu brechen. Andernfalls bleibt es bestenfalls bei Stückwerk. Die Enteignung der Autoindustrie – ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle – bildet daher eine Schlüsselforderung. Nur so kann ein planmäßiger Umbau im Interesse der Lohnabhängigen und ökologischer Nachhaltigkeit angegangen werden. Diese Perspektive muss sich auch die Bewegung gegen die IAA zu eigen machen.