Arbeiter:innenmacht

TVöD/Bund und Kommunen: Bürokratie redet sich auch die Mitgliederbefragung schön

Mattis Molde, Infomail 1223, 20. Mai 2023

27 % haben sich beteiligt, 66 % haben zugestimmt, also 34 % abgelehnt. Rund zwei Drittel der ver.di-Mitglieder in Bundesverwaltungen, Behörden, kommunalen Einrichtungen und Unternehmen haben also den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD/BK) angenommen.

Rund ein Drittel lehnte einen Abschluss, der deutlich unter der Inflationsrate blieb und einem Reallohnverlust gleichkommt, ab. Es durchschaute offenkundig das sozialpartnerschaftliche Spiel der Bürokratie. Zur Einschätzung des Abschlusses siehe: Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!

Doch klar, zwei Drittel sind auch genug, um den Abschluss nachträglich zu legitimieren. Zwei Drittel sind Grund genug für die Verantwortlichen in ver.di, dem Ergebnis zuzustimmen, nachdem auch das Störmanöver der sächsischen Nahverkehrsbetriebe ausgeräumt war.

Solche Einwände am Ende eines umstrittenen Abschlusses sind übrigens so häufig, dass sie geradezu als Bestandteil des Tarifrituals bezeichnet werden müssen. Ob inszeniert oder nicht, auch der dreckigste Deal der Gewerkschaftsführung bekommt dadurch am Ende nochmal den Glanz des erkämpften Erfolges.

Und so wie Gewerkschaftsspitzen schon das Verhandlungsergebnis schönredeten und -rechneten, so wird natürlich auch das Ergebnis der Befragung zum Beweis für funktionierende „Demokratie“ umgedeutet.

Was bedeutet das Ergebnis?

Ist es 73 % egal, was rauskommt? Sind sie unentschieden? Zwischen „gut oder schlecht“ oder „schlechter Abschluss, aber was jetzt noch ändern“? Es gibt auf jeden Fall Gründe, sich nicht an der Befragung zu beteiligen, die keineswegs eine passive Zustimmung zum Kurs der Gewerkschaftsführung signalisieren, sondern Ausdruck von Unzufriedenheit sind, verbunden mit der Unfähigkeit, eine bewusste Kritik am Abschluss, am Ablauf der Tarifverhandlungen oder an der Gewerkschaftspolitik allgemein zu entwickeln.

Natürlich bildet die verbreitete Passivität auch der organisierten Gewerkschaftsmitglieder die Grundlage dafür, eine Passivität, die aber aufs Beste und bewusst von der Bürokratie in Gewerkschaft, Betriebs- und Personalräten gefördert wird, die immer behauptet, „für Euch“ zu handeln, was das „statt Euch“ mit einschließt. Nur angesichts dieser Situation liegt Christine Behle nicht falsch, die eine Quote von 27 % eine gute Beteiligung nennt. Schließlich ist die Befragung ja in keiner Weise bindend. Auf das Ergebnis hat, das war immer klar, ihr Resultat faktisch keinen Einfluss. Das niedrige Engagement der Mitglieder ist aber zugleich das, was die Bürokratie gerne will. Sie sollen nur dann und nur so aktiv werden, wie es in ihre Konzepte passt. Außerhalb von Tarifrunden ist für die Masse der Mitglieder im Grunde keine Engagement vorgesehen, das über die Bezahlung von Beiträgen hinausgeht.

Die Befragung als solche ist ja durchaus so gestaltet, dass sie den Einzelnen eine Entscheidung überlässt, die eigentlich der Beratung und Debatte bedarf. So besitzen die Gewerkschaftsführung (und die bürgerlichen Medien!) die Hoheit über die Informationen zum Verhandlungsergebnis. Kritik wird unterdrückt, Alternativen können nicht oder nur in vergleichsweise gut organisierten und aktiven Sektoren diskutiert werden. Für die Masse der Mitglieder findet eine Diskussion faktisch nicht statt.

Wir müssen die Befragung folglich danach bewerten, wie hoch die aktive Unterstützung für die Politik der Führung ausfällt, und die ist mit 17,82 % nicht wirklich berauschend. Mehr als 9 % bewusste Ablehnung stellen ein echtes Potential für eine oppositionelle und kämpferische Bewegung von unten dar. Dieses muss aber organisiert werden.

Das einzelne Mitglied – und als solches wird es ja befragt – kann kaum eine volle Analyse eines Abschlusses durchführen, dessen Inhalt schon ausreichend kompliziert gestaltet worden ist. Schon gar nicht kann es beurteilen, wie die Kampfbereitschaft bundesweit ist und potentiell entwickelt werden kann.

Dazu ist eine Bewegung nötig, die nicht nur Aktive an der Basis vernetzt und den Informationsvorsprung der Bürokratie versucht auszugleichen, sondern die auch eine konkrete alternative Strategie und Taktik in Tarifrunden entwickelt, die von den Interessen der Beschäftigten und nicht denen des Staates und der Arbeit„geber“:innen ausgeht, also letztlich auf einer anderen Politik als der SozialpartnerInnenschaft basiert.

Die – am Beispiel dieser Tarifrunde – für die Kündigung des Schlichtungsabkommens kämpft, das der Gegenseite das Heft des Handelns in die Hand gibt, gegen die Beteiligung an einer „Konzertierten Aktion“ Sturm läuft, bei der die Spitzen der Gewerkschaften Deals mit Kapital und Kabinett ohne jegliche politische Legitimation durch die Basis aushandeln, und die dafür eintritt, dass Mitgliederversammlungen über Verhandlungsergebnisse entscheiden.

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