Jürgen Roth, Neue Internationale 197, März 2015
Am 18. Februar 2015 ließ die Deutsche Bahn (DB) das Ultimatum der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL) verstreichen. Im Gegenzug kündigte die GdL Streikmaßnahmen bis zu 100 Stunden Dauer an. In den Augen der GdL hatte die DB am 17.12.2014 die grundgesetzlich verbriefte Koalitionsfreiheit anerkannt und die Vorbedingung zur Tarifeinheit im Unternehmen vom Tisch genommen. Sie setzte daraufhin die Streiks aus, verringerte ihre Forderung nach Wochenarbeitszeitverkürzung auf nur noch 1 Stunde und akzeptierte eine Einmalzahlung bis Februar 2015.
Die GdL interpretiert ein Schriftstück der DB, in dem steht, dass auf Grundlage der Flächentarifverträge Haustarifverträge abgeschlossen werden könnten, die so gestaltet sind, „dass die Zielsetzung des (Unternehmerverbands) Agv MoVe zur Vermeidung von Konkurrenzen (zu den Verträgen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG) erreicht werden kann“.
Sie betrachtet diese Aussage als „unglaubliche Rolle rückwärts“. Es soll bei den Tarifverhandlungen ganz im Sinn des Gesetzesentwurfs zur Tarifeinheit nicht mehr nur allein nach dem Willen der Gewerkschaften (GdL/EVG) gehen, die dort den Willen ihrer Mitglieder vertreten, sondern jeweils eine weitere Gewerkschaft (EVG/GdL) soll bei zukünftigen Tarifverträgen auch über die Mitglieder der anderen Gewerkschaft entscheidend mitbestimmen. Daraufhin verfasste die GdL das am 18. Februar des Jahres verstrichene Ultimatum: Entweder akzeptiert die DB AG ohne Vorbedingungen, dass über eine Erweiterung des für Lokführer bestehenden Flächentarifvertrags auf Zugbegleiter, Bordgastronomen, Ausbilder/Trainer und Disponenten verhandelt wird – oder die Arbeit wird niedergelegt.
Dahinter stecken noch weitere Differenzen. So will die DB AG die Schlechterstellung der Lokrangierführer im Vergleich zu den Streckenlokführern beibehalten.
Das Unternehmen hat durch geschickte Verhandlungsführung, durch seine Wechselbädertaktik aus Annäherungssignalen und Rückziehern, ein ewiges Hin und Her zweierlei erreicht: in der breiteren Öffentlichkeit weiß kaum noch jemand, worum es geht. Diese Verwirrung erleichtert das Ziel der DB-Spitze, das Prozedere in die Länge zu ziehen und der GdL den Schwarzen Peter zuzuschieben.
Zweitens steht die Gewerkschaft nach ihrem Zugeständnis bei der Wochenarbeitszeitforderung und dem seit über 2 Monaten ausgesetzten Streik mit leeren Händen da. Nicht nur die „breitere Öffentlichkeit“, sondern auch ihre Mitglieder scheinen vom Verwirrspiel dermaßen in Mitleidenschaft gezogen zu sein, dass über konkrete Streikvorbereitungen Rätselraten zu herrschen scheint.
Hinter dem Kalkül des DB-Vorstands steckt aber v.a. auch, dass der vollständig in Bundesbesitz befindliche Konzern wie kein zweiter geeignet ist, der Gesetzesvorlage der Bundesregierung zur Tarifeinheit zum Durchbruch zu verhelfen: entweder indem die Vorzüge des Gesetzes angesichts dieses Chaos‘ der Öffentlichkeit leicht verkauft werden können oder es ihm gelingt, die Auseinandersetzung dermaßen in die Länge zu ziehen, bis das neue Gesetz greift. Dieses Spielchen scheint die GdL-Bürokratie nicht zu durchschauen; zumindest setzt sie ihm nichts Angemessenes entgegen.
Natürlich stehen wir im aktuellen Konflikt wie schon in der Vergangenheit auf der Seite der GdL. Wir verurteilen entschieden die Stellungnahme des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann: „Ich habe keinerlei Verständnis für die Streikankündigung der GdL…Die Bahn ist bereits über ihren Schatten gesprungen. Dass die GdL jetzt einen Arbeitskampf starten will, erschließt sich mir überhaupt nicht. Damit wird das Instrument des Streiks diskreditiert.“ (SPIEGEL ONLINE 20. Februar 2015)
„Kollege“ Hoffmann redet wie ein Schattenminister im Bundeskabinett, wie ein unbezahlter DB-Vorständler. Als reformistischer Spitzenbürokrat, als politischer Polizist innerhalb der organisierten ArbeiterInnenbewegung muss er das tun, seiner Basis in den Rücken fallen! Viele Linke verweisen darauf, dass die EVG die bessere Gewerkschaft sei. Zwar tritt sie für eine höhere prozentuale Lohnerhöhung als die GdL ein, aber letztere fordert eine Wochenarbeitszeitverkürzung, von der sich DGB-Gewerkschaften schon jahrelang verabschiedet haben.
Vor allem aber: welche Gewerkschaft hat denn aktuell und in der jüngeren Vergangenheit Arbeitskämpfe geführt und welche nicht? Erinnert sei nur an den großen GdL-Streik 2007. Ein zweiter Vorteil der EVG und überhaupt der DGB-Gewerkschaften sei gegenüber Spartengewerkschaften wie der GdL ihr Einheitscharakter im Vergleich zu berufsspezifischem Organisationsmuster. Die GdL versucht aber gerade in der aktuellen Auseinandersetzung, durch einen Flächentarifvertrag für den gesamten Fahrdienst das Muster einer reinen Lokführergewerkschaft abzulegen. Zudem ist sie bei privaten Eisenbahnbetrieben weit besser organisiert als die EVG, welche mehr und mehr zu einer reinen DB-Hausgewerkschaft degeneriert ist. Dem Lohndumping der zahlreichen privaten Schienenverkehrsunternehmen wurde so ein Riegel vorzuschieben versucht. Wir haben schon oft betont, dass die miesen Abschlüsse der vergangenen Jahrzehnte auch aufs Konto der Zustimmung von DGB-Gewerkschaften zu Auslagerungen, Haustarifen und Spartenverträgen gingen. Für den Aufstieg der „kleinen“ Gewerkschaften (GdL, Cockpit, Marburger Bund…) sind diese also in erster Linie direkt selbstverantwortlich.
Wir stimmten aber auch nicht in den Jubel über den „Erfolg“ vom 17. Dezember 2014 ein wie andere Linke (so Winfried Wolf, Mitherausgeber der „Streikzeitung“). Die GdL ist keine linke, klassenkämpferische Gewerkschaft. Sie ist Mitglied im Beamtenbund. Wir fordern sie zum Austritt auf. BeamtInnen dürfen nicht streiken. Außerdem fordern wir – durchaus in der Tradition der SPD vor 1914 – die Abschaffung des Berufsbeamtentums, weil es die Basis des ungewählten bürgerlichen Staatsapparats verkörpert.
Wir kritisieren an der GdL-Arbeitskampftaktik, dass sie
Wir stehen im Konflikt mit DB AG und(!) EVG/DGB auf ihrer Seite, fordern aber von ihr: