Arbeiter:innenmacht

Polen vor der Wahl

Zorro2212, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Markus Lehner, Infomail 1233, 6. Oktober 2023

Die Parlamentswahlen am 15. Oktober in Polen werden allgemein als Schicksalswahl bezeichnet. Nicht dass es wie 1989 um grundlegende Fragen der Eigentumsverhältnisse ginge, aber ein dritter Wahlerfolg der rechtsnationalistischen PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) würde die schon bestehenden autoritären Tendenzen verschärfen, wenn nicht für längere Zeit unumkehrbar machen.

Bilanz der PiS

Die PiS-Regierungen schafften es in den letzten Jahren, wesentliche Merkmale liberaler Demokratie zu unterhöhlen. Bekannt sind vor allem die Justizreform (direkter politischer Einfluss auf die Ernennung von Richter:innen) und die Kontrolle über die öffentlichen Medien. Beides entscheidend, um die nationalkonservative „Wende“ durchzusetzen, die sich z. B. in einer de facto Abschaffung des Rechts auf Abtreibung, von Rechten von LGBTIAQ-Menschen, von nationalen Minderheiten und Geflüchteten etc. ausdrückt. Sie beinhaltet auch eine weitere Stärkung der gesellschaftlichen Rolle der besonders konservativen katholischen Kirche in Polen. Bezeichnend ist die jüngste Episode um die Enthüllung eines Privatsenders über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, die vom ehemaligen Papst Johannes Paul II. als Erzbischof von Krakau gedeckt worden waren. Diese Enthüllungen führten zu reaktionären Massendemonstrationen gegen diesen „Angriff auf das Andenken des Heiligen“ und darauffolgend zu einer Gesetzesinitiative der PiS-Regierung, die solche Angriffe auf den Geheiligten unter Strafe stellt (wie auch schon früher Veröffentlichungen über polnische Beteiligungen an der Verfolgung der Jüd:innen im Zweiten Weltkrieg gesetzlich mit schweren Strafen verbunden wurden).

Diese eindeutig reaktionäre Charakteristik der PiS hat allerdings sozialpolitisch eine Kehrseite: Die oppositionelle PO (Bürgerplattform) unter dem damaligen Ministerpräsidenten (2007 – 2014) Donald Tusk zeichnete sich durch besonders neoliberale Angriffe auf soziale Bedingungen von Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen aus, z. B. Erhöhung des Renteneintrittsalters, Verschlechterung von Gewerkschaftsrechten, Streichung von Sozialleistungen, radikale Privatisierungen. Dies führte nicht nur zu einer weiteren Verschlechterung der sozialen Lage vieler Rentner:innen und der Verschlechterung des Zugangs zum Gesundheitssystem, sondern auch zu wachsenden sozialen Protesten gegen die PO-Regierung.

Die Situation der polnischen Arbeiter:innenklasse war seit der Wende 1989 durch das Problem der Spaltung der Gewerkschaftsbewegung geprägt (heute gibt es drei mittelgroße Gewerkschaftsverbände bei einem niedrigen Organisationsgrad von 12 %). Die großen Illusionen in „Solidarnosc“ als gewerkschaftliche und politische Kraft (mit über 10 Millionen Mitgliedern bei ihrer Gründung und rund 2 Millionen im Jahr 1989) zerbrachen schnell in der Periode der Schocktherapie. Während sie in den frühen 2000er Jahren als politische Gruppierung in der Bedeutungslosigkeit versank, ist sie als NSZZ Solidarnosc (Unabhängige selbstverwaltete Gewerkschaft Solidarität) heute eher eine typisch „christliche Gewerkschaft“ und mit 600.000 Mitgliedern auf das Niveau der ehemaligen Staatsgewerkschaft OPZZ (Bundesweiter Gewerkschaftsbund) gesunken, die der Linken nahesteht und zumeist in Arbeitskämpfen radikaler auftritt. Der dritte Verband FZZ (Gewerkschaftsforum) versteht sich als „neutrale“ Gewerkschaft zwischen den beiden Blöcken. Gegen die Tusk-Regierung waren sich allerdings alle Gewerkschaften erstmals einig und mobilisierten auch erfolgreich, was zum Sturz der neoliberalen PO-Regierung 2015 beigetragen hat. Allerdings ist es seitdem mit ihrer Einheit auch wieder vorbei, nachdem Solidarnosc offensiv die PiS unterstützt. Dies ist auch verbunden damit, dass die PiS einige Forderungen der Gewerkschaft aufgegriffen hat, insbesondere was das Zurückdrehen der Rentenreform betrifft, aber auch den Ausbau bestimmter Sozialleistungen, z. B. Das 500+-Kindergeld, das im gegenwärtigen Wahlkampf auf 900+ auszudehnen versprochen wird (ein Zloty entspricht zurzeit 0,22 Euro).

Polens Wirtschaft bis zur Pandemie

Diese Politik der „sozialen Wohltaten“ für „echte Pol:innen“ war möglich geworden durch die zeitweise günstige wirtschaftliche Entwicklung seit etwa 2005. Selbst während der „Großen Rezession“ gab es in Polen positive Wachstumszahlen, anders als in den meisten anderen europäischen Ländern. Diese Entwicklung basierte auf erhöhten Ausbeutungsraten der polnischen Arbeiter:innenklasse (längere Arbeitszeiten, niedriges Lohnniveau, geringe betriebliche Rechte etc.), einem trotzdem gewichtigen Binnenmarkt, günstigen Energiekosten (Kohle und Öl auch aus Russland!) und einem Anschluss an die Lieferketten insbesondere der deutschen Industrie. Das kräftige Wirtschaftswachstum über mehr als ein Jahrzehnt schien Polen auf ein Niveau mit den großen westeuropäischen Ökonomien zu führen.

Die sozialen Zugeständnisse der PiS-Regierung seit 2015 und die weiterhin günstige wirtschaftliche Entwicklung stärkten sowohl ein neues nationales Selbstbewusstsein im Kleinbürger:innentum, als auch Illusionen vieler Arbeiter:innen in die PiS als „kleineres Übel“ angesichts der Erfahrungen mit der PO und der sozialdemokratischen SLD (Bund der Demokratischen Linken). Die PO führte im Wesentlichen die „Reformen“ der SLD-Regierungen der 2000er Jahre fort. Dies erklärt auch den Erfolg der PiS bei den letzten Wahlen 2019. Damals gewann sie 6 Prozent hinzu und siegte mit 43,6 % klar vor dem Wahlbündnis der PO (27,4 %). Das Linksbündnis Lewica (Linke) konnte sich mit 12,6 % (+1,4 %) leicht verbessern und insgesamt stabilisieren. In diesem Bündnis trat neben der SLD auch erstmals die 2015 gegründete „Razem“ („Gemeinsam“) an. Insgesamt errang die PiS im Rahmen der Fraktion „Vereinigte Rechte“ eine Parlamentsmehrheit und war nicht auf Koalitionspartner:innen, z. B. die rechtsextreme „Konfederacja“ (Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit; 6,8 %), oder eine Allianz mit der Bäuer:innenpartei PSL (8,6 %) angewiesen.

Veränderung der ökonomischen Lage

Inzwischen hat sich die ökonomische Lage wie auch die außenpolitische Situation vollständig gewandelt. Polen wurde spätestens durch die Coronakrise schwer getroffen wie auch von der folgenden Lieferkettenkrise und den weltweiten Inflationstendenzen. Es weist die höchste Inflationsrate in Europa (derzeit bei 12 %) auf, ist weit von einem Wiedererreichen des Vorcoronaniveaus entfernt (das letzte Quartal zeigt sogar einen Einbruch von – 8,5 %). Insgesamt leidet die Ökonomie sowohl unter steigenden Energiekosten seit dem Beginn des Ukrainekriegs als auch unter allgemeinen Transformationsproblemen. Dazu zählen z. B. die Auflagen zum Ausstieg aus der Kohleförderung wie auch der Umbau der Automobilindustrie (einige deutsche Automobilfirmen haben in diesem Jahr Personal in polnischen Werken abgebaut).

Kein Wunder, dass die PiS-Regierung nicht nur zur Justizreform, sondern auch zum EU-Transformationsprogramm mit Brüssel, dem Green Deal, auf Konfrontationskurs steht. Inzwischen haben sich die Strafzahlungen an die EU auf über eine halbe Milliarde Euro angesammelt. Gravierender ist aber die Einbehaltung von 35 Milliarden aus dem Coronawiederaufbaufonds der EU. Polen ist nicht im Euro und muss daher seine Währung durch besonders hohe Zinsen abfangen, auch um ein weiteres Steigen der Inflation zu vermeiden. Dies und das Zurückhalten der billigen EU-Kredite aus dem Fonds führt zu stark verschlechterten Finanzierungsbedingungen, was sich insbesondere im Baubereich und bei der Verschuldung im privaten Sektor stark bemerkbar macht. „Innovative“ Regierungsgeschenke wie „Kreditferien“ (Aussetzen von Ratenzahlungen) tragen ihrerseits nicht zur Bonität des polnischen Finanzsystems bei. Die Regierung steht wirtschaftlich derartig unter Druck, dass sie seit einiger Zeit einen Kompromiss mit der EU in Bezug auf die Justizreform anstrebt, um die Freigabe des Coronafonds zu erreichen. Sie scheitert damit aber an ihren Verbündeten in der rechten Fraktion, insbesondere dem Justizminister. Ergebnis ist weitere nationalistische Propaganda in Bezug auf „deutschen Kolonialismus“, der aus Brüssel betrieben würde. Insbesondere der Führer der oppositionellen PO, der nach seiner Zeit als EU-Ratspräsident (2014 – 2019) nach Polen zurückgekehrte Donald Tusk, wird inzwischen systematisch als „deutsche Marionette“ auch und insbesondere in den Staatsmedien verunglimpft.

Konfrontation PiS-PO

Höhepunkt der Kampagne war sicherlich die Verabschiedung des allgemein als „Lex Tusk“ bezeichneten sogenannten „Antiagentengesetzes“. Dieses sollte vordergründig Menschen, die Agententätigkeit für Russland betrieben hatten, aus Staatsämtern und insbesondere auch Kandidaturen für solche ausschließen. Dabei wurde jedoch in den ersten Entwürfen des Gesetzes „Agententätigkeit“ so weit gefasst, dass auch „nachgiebige Politik“ gegenüber Russland als solche bezeichnet werden konnte – und zufälligerweise wurden vor allem Beispiele von Vereinbarungen mit Russland aus der Regierungszeit von Tusk bzw. seiner Zeit im EU-Rat zitiert. Es war mehr als offensichtlich, dass man ihn – als möglichen Hauptgegner bei den jetzigen Parlamentswahlen – aus dem Rennen nehmen wollte. Für ihn und die PO war dies andererseits eine gelungene Vorlage, um die wachsende Zahl der Menschen, die von den autoritär-reaktionären Wendungen der PiS abgestoßen sind, hinter sich zu versammeln und mehrere Massenkundgebungen zu organisieren. Alleine im Juni waren etwa eine halbe Million Menschen auf der Protestversammlung; die letzte fand jetzt am 1. Oktober statt. Nach Intervention aus Brüssel und auch der US-Regierung musste das Gesetz wesentlich entschärft werden.

Die PiS konterte diese Oppositionsmobilisierungen mit den schon erwähnten Demonstrationen zur Verteidigung von Johannes Paul II. und dem Schüren von Hass gegen Migrant:innen. Dazu kam man auf die „geniale“ Idee, die Wahl am 15. Oktober mit einer Volksabstimmung zu verbinden, bei der man beantworten kann, ob man dafür ist, dass tausende „Illegale“ wie von der EU gefordert in Polen aufgenommen werden müssten. Mit dieser Scheinfrage kann man in den Staatsmedien auf Steuerkosten billige Wahlkampfsendezeit verbraten. Peinlich nur, dass vor Kurzem ein Korruptionsskandal in Bezug auf den Verkauf von EU-Migrationsdokumenten aufflog, an dem führende PiS-Funktionär:innen maßgeblich beteiligt waren. Tatsächlich ist dies auch nur einer von vielen Skandalen, in die die PiS-Partei inzwischen verwickelt ist – so dass auch von dieser Seite her viele in Polen inzwischen die Nase von dieser Partei voll haben.

Trotzdem verfängt sowohl ihre nationalistische wie soziale Demagogie weiterhin – und anhaltend gibt es berechtigte Ablehnung des Wirtschafts- und Sozialprogramms der PO von Donald Tusk. Daher steht die Wahl nach den jüngsten Umfragen weiterhin Spitz auf Knopf. Die PiS wird wohl einige Prozentpunkte verlieren. Umfragen prognostizieren 38 %, womit sie nicht mehr weit entfernt von einer gestärkten PO wäre, deren Wahlbündnis etwa 32 % erwarten kann.

Andere Parteien

Lewica dürfte angesichts der Polarisierung etwas verlieren, aber mit um die 10 % weiterhin sicher im Parlament vertreten sein. Bedenklich sind auch die prognostizierten 10 % der inzwischen immer rechtsextremer auftretenden Konfederacja, die als einzige der aussichtsreichen Parteien für einen Austritt aus der EU wirbt (und damit selbst für die PiS schwer als Koalitionspartnerin infrage kommt). Wahlentscheidend dürfte das Abschneiden des Zentrumsblocks aus PSL und der Polska 2050 (eine Partei des „dritten Lagers“, meist aus ehemaligen PO-Mitgliedern). Sollte er die 8 %-Hürde, die in Polen für Wahlbündnisse besteht, überwinden, hätte die PiS wahrscheinlich verloren. Sollte es das Bündnis jedoch nicht schaffen, könnte die PiS wohl wie bisher weitermachen.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass in den letzten Wochen vor allem um die Basis der PSL, die Bäuer:innenschaft gekämpft wird.  Deren Bedeutung lässt sich an der Tatsache ablesen, dass in Polen noch 12 % der Arbeitskräfte im Agrarsektor beschäftigt sind. Insbesondere die Proteste gegen Billiggetreide aus der Ukraine führten offenbar bei der PiS zu Panik, da sie um ihre satte Unterstützung auf dem Land und vor allem im Osten von Polen fürchtete. Prompt begann die polnische Regierung, das EU-Getreideabkommen mit der Ukraine zu torpedieren und sogleich, überhaupt (nicht nur polnische) Waffenlieferungen, wenn auch nur als Verhandlungsfaustpfand, infrage zu stellen. Nichts davon hat wirklich Substanz, zeigt aber, wie leicht in Polen mit den historischen antiukrainischen Ressentiments Politik gemacht werden kann – und wie fragil selbst die „unumstößliche“ Unterstützung Polens für die bedrängte Ukraine ist.

Drohende Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse

Die polnischen Arbeiter:innen wie auch die Millionen ausgebeuteten Ukrainer:innen, die nicht erst seit dem Krieg in Polen als Billigarbeitskräfte eingesetzt werden, haben jedenfalls angesichts der ökonomischen und politischen Lage weder von einer PiS noch einer PO-geführten Regierung irgendetwas anderes als massive Angriffe zu erwarten. Sicherlich würde eine Fortsetzung der PiS-Regierung eine weitere Verstärkung autoritär-reaktionärer Repression bedeuten, der so oder so massive gesellschaftliche Mobilisierung entgegengesetzt werden muss. Beide politischen Lager wären aber angesichts der Verschuldung und der ökonomischen Einbrüche auch zu weiteren Verschlechterungen bei Arbeitsbedingungen und sozialen Leistungen bereit. Wie weit die PiS-Regierung hier gehen kann, hat sie schon beim jüngsten Lehrer:innenstreik gezeigt.

Insofern erscheint das reformistische Wahlbündnis Lewica als einzige Alternative und insbesondere Razem als einzig sichtbare linke Kraft in den größeren Mobilisierungen. Schon im Februar hatten sich 5 größere Gruppierungen für ein erneutes gemeinsames Antreten als „Nowa Lewica“ (Neue Linke) zusammengefunden: die SLD, Wiosna („Frühling“), die PPS (Polnische Sozialistische Partei), Unia Pracy (Arbeitsunion) und Razem. Razem ist international durch eine stärker jugendliche Basis und Verbindungen in Deutschland etwa zur IL oder zur Linkspartei bekannt. International war sie lange Zeit im Rahmen der „Progressiven Internationale“ von Varoufakis und Sanders aktiv. Aus letzterer trat sie allerdings nach Beginn des Ukrainekrieges wegen der mangelhaften Solidarisierung mit der vom russischen Imperialismus überfallenen Ukraine aus. Razem hatte (stärker noch als die anderen genannten Organisationen) eine wichtige Rolle in den gesellschaftlichen Mobilisierungen gegen die reaktionäre PiS-Politik gespielt, insbesondere in den radikaleren Protesten der Frauenbewegung (v. a. zum Abtreibungsrecht), den Kämpfen um LGBTIAQ-Rechte, aber auch bei Protesten rund um die wachsenden Sektoren prekärer Beschäftigung (was man auch in Deutschland jüngst bei denen der LKW-Fahrer in ihrem Kampf gegen Lohnraub wahrnehmen konnte).

Lewica

Lewicas Wahlprogramm fokussiert sicherlich auf richtige Themen: Gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit auf eine 35-Stundenwoche, gleitende Inflationsanpassung von Renten und Sozialleistungen, Anpassung der Gehälter der öffentlich Beschäftigten, Abschaffung der Bestimmungen, die prekäre Beschäftigungsverhältnisse ermöglichen, sowie der reaktionären Beschränkungen von Abtreibungen, Rückgängigmachung der Justizreform, Abschaffung der Sonderrechte der katholischen Kirche und vieles mehr. Razem stellt zwar einige der Spitzenkandidat:innen wie Adrian Zandberg und Magdalena Biejat, ist aber ansonsten vor allem weiterhin als „Bewegungspartei“ in den verschiedenen Protesten aktiv. Wahlkampf wird nur als „Lewica“ betrieben.

So richtig viele dieser Forderungen sind, so undeutlich werden die verschiedenen Strömungen darin, wie diese umgesetzt werden können angesichts der Machtverhältnisse nicht nur in Parlament und den politischen Strukturen. Nicht nur der polnische Kapitalismus wird zunehmend aggressiver, auch verschiedene Rechtsorganisationen unterhalten immer militantere Milizen, die nicht nur gegen Minderheiten und Migrant:innen verstärkt mit Gewalt vorgehen. Auch Streiks werden mit bewaffneten Streikbruchorganisationen bekämpft (wie auch jüngst auf deutschen Autobahnraststätten gegen LKW-Fahrer zu sehen war). Angesichts der Schwäche der polnischen Gewerkschaftsbewegung (nur die OPZZ unterstützt offen die Lewica-Forderungen) braucht es eine entschlossene und breite Mobilisierung der Arbeiter:innen, Jugendlichen und der armen Landbevölkerung, um jede einzelne dieser Forderungen auch konsequent durchzukämpfen und die Bewegung gegen die Widerstände der Rechten und des Kapitals zu schützen.

Richtigerweise werden die Verteidigung demokratischer Rechte und insbesondere des Abtreibungsrechtes und von LGBTIAQ-Rechten in den Vordergrund gestellt und andererseits die Wirtschaftspolitik der PO angeprangert. Zugleich wird offen eine Möglichkeit der Koalition mit diesen Neoliberalen angedeutet und völlig offengelassen, was dann mit den Forderungen geschehen soll.

In Bezug auf den Ukrainekrieg gibt es eine eindeutige Stellungnahme gegen die imperialistische Aggression Russlands. Angesichts der Millionen ukrainischer Arbeiter:innen im eigenen Land kann man sich auch die Ignoranz eines Teils der westeuropäischen Linken gegenüber den Opfern des russischen Imperialismus nicht leisten. Razem (und Lewica insgesamt) unterstützen jedoch nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung der Ukrainer:innen.

Razem kritisiert zwar richtigerweise die NATO als imperialistisches Militärbündnis. Aber die Vorstellung, die NATO sei in diesem Konflikt „ein notwendiges Übel“, ist im besten Fall naiv zu nennen. Auch wenn diese derzeit nicht direkt interveniert, so stellt ihr Eingreifen in den Krieg keinen zu vernachlässigenden Neben-, sondern vielmehr einen bestimmenden Faktor im Krieg dar. Das Eingreifen der westlichen imperialistischen Mächte und ihrer Militärallianz sowie der Wirtschaftskrieg gegen Russland werden durch deren geostrategische und ökonomische Interessen motiviert, nicht durch die Sorge um „Demokratie“ und „Selbstbestimmung“. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie daran arbeiten, die halbkoloniale Abhängigkeit der Ukraine zu festigen, diesmal also durch EU- und US-Imperialismus. Mit den ukrainischen Arbeiter:innen auch in Polen sollte vielmehr gemeinsam dafür gekämpft werden, dass die Ukraine die Mittel zu ihrer Verteidigung ohne westliche Diktate und Bedingungen erhält und die ukrainischen Lohnabhängigen darin unterstützt werden, eine eigene, vom reaktionären Zelenskyj-Regime und vom ukrainischen Nationalismus unabhängige Arbeiter:innenpartei aufzubauen.

Kritische Unterstützung für Lewica

Auch wenn wir also in Polen keine Partei sehen, die mit ausreichender Verankerung für ein revolutionäres Programm der Arbeiter:innenklasse zur Wahl antritt, so ist es sicherlich so, dass Lewica (und insbesondere Razem darin) tatsächlich diejenigen Teile der Arbeiter:innenklasse und der Jugend hinter sich vereinigen, die den kommenden Angriffen auf demokratische und soziale Rechte aktiv und teilweise auch militant entgegentreten wollen. Natürlich müssen wir angesichts der Erfahrungen insbesondere mit der SLD vor Illusionen in dieses reformistische Wahlbündnis warnen. Insbesondere geht es darum, jegliche Koalition mit den zwei bürgerlichen Hauptparteien aufs Schärfste zu bekämpfen (auch die Razem-Führung redet mehr oder weniger deutlich von möglichen Koalitionen). Andererseits werden eine Wahlenthaltung und ein weiterer Sieg der Rechten die Dynamik der Abwehrkämpfe in keinem Fall verbessern. Auch wenn Lewica bei den Wahlen nur 10 % erringen wird, so werden die kämpferischsten Teile der Arbeiter:innenbewegung, der linken Jugend und die politisch fortschrittlichsten Teile der Frauen- und LGBTIAQ-Aktivist:innen beim Urnengang dieser Partei ihre Stimme geben. Es ist auch klar, dass sich unter diesen Schichten auch jene Arbeiter:innen und Jugendliche befinden, die am ehesten für den Aufbau einer revolutionären Alternative zum Reformismus gewonnen werden können.

Eine kritische Wahlunterstützung für Lewica sollte dazu genutzt werden, Kräfte für weitere Mobilisierungen zu gewinnen und vor allem in den unterstützenden Gewerkschaften für die Vorbereitung betrieblicher und gewerkschaftlicher Abwehrkämpfe zu werben und diese zu verstärken. Bei einer entsprechenden Vertiefung und Radikalisierung solcher Kämpfe kann dies vorangetrieben werden bis zur Frage der Bildung einer auf Organe des Kampfes gegründeten Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung. Eine solche Perspektive muss zugleich damit verbunden werden, den Bruch mit den verräterischen Bürokratien innerhalb von Lewica und der OPZZ voranzutreiben – und gleichzeitig den Kampf für die Bildung einer neuen revolutionären Arbeiter:innenpartei in Polen zu führen.

image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vom Widerstand zur Befreiung

Für ein freies, demokratisches, sozialistisches Palästina!

Broschüre, A4, 48 Seiten, 3,- Euro

Aktuelle Veranstaltungen

Mai
1
Mi
10:00 Gewerkschaften und Lohnabhängige... @ Berlin
Gewerkschaften und Lohnabhängige... @ Berlin
Mai 1 um 10:00
Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive! Gegen Krieg, Kürzungspolitik und rechte Hetze @ Berlin
Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive! Gegen Krieg, Kürzungspolitik und rechte Hetze Aufruf des Klassenkämpferischen Block Berlin zum 1. Mai, Infomail 1251, 16. April 2024 In den letzten Wochen fanden bundesweit zahlreiche Streiks statt, zum[...]

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Südamerika - Politik, Gesellschaft und Natur

Ein politisches Reisetagebuch
Südamerika: Politik, Gesellschaft und Natur
Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen