Arbeiter:innenmacht

Bundeshaushaltsentwurf: Kürzungshammer kommt

Jürgen Roth, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Bereits vor der Debatte des Haushaltsentwurfs für 2024 in der 1. Lesung des Bundestags, unmittelbar nach der Ampelklausur machte die FDP deutlich, dass die Reform der Kindergrundsicherung die letzte große sozialpolitische Reform dieser Legislaturperiode bleiben werde.

Union und FDP vereint gegen Arme

Mitnichten handelt es sich dabei um eine „große sozialpolitische Reform“. Darauf werden wir an anderer Stelle ausführlich eingehen. FDP-Generalsekretär Biran Djir-Sarai führte als Begründung für erforderliche Sparmaßnahmen hohe Zinsen und Inflation an. Sekundiert wurde er von CDU-Fraktionschef Merz und seinem Vize Spahn. Laut Merz ist die Ursache dafür, dass so viele Kinder in „prekären Verhältnissen“ leben, mangelnde Bildung und Ausbildung. Ständig höhere Transferleistungen könnten daran nichts ändern. Ins gleiche Horn tutete Spahn mit seiner Kritik an der Erhöhung des Bürgergelds – um sagenhafte 61 Euro wohlgemerkt! Merz sieht hierin eine Gefährdung des Lohnabstandsgebots. Die mickrige Erhöhung des Mindestlohns von 12 auf 12,41 Euro wurde von ihm natürlich nicht kritisiert, denn dem Abstandsgebot wäre mit einer deutlicheren Erhöhung auf 14 Euro wie von der LINKEN gefordert besser Rechnung getragen worden. Aber da sind sich alle 3 Herren ja einig: Es geht ihnen um Kürzung bei den Armen und Lohnarbeiter:innen generell. Gefördert werden müssen für sie „die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ – sprich, das Kapital!

Haushaltskonturen

Gleich zu Beginn der 1. Lesung gab der federführende Bundesfinanzminister Christian Lindner die Marschroute vor. Die Zeit der krisenbedingten Mehrausgaben mit „Doppelwumms“, Sondervermögen und Co. wegen Coronakrise und Explosion der Strom- und Heizkosten mit Entlastung für die Bürger:innen, v. a. aber die Unternehmen, sei vorbei.

Geplant sind Ausgaben des Bundes in Höhe von 445,7 Mrd. Euro, 30 Mrd. weniger als in diesem Jahr. Im kommenden rechnet Linder mit 37 Mrd. Euro Kosten allein für Schuldzinsen, einer Verzehnfachung im Vergleich zu 2021. Mit einer Neuverschuldung von 16,6 Mrd. will er das 2. Jahr in Folge die Schuldenbremse einhalten. Diese untersagt de facto ab 2011 eine Nettoneuverschuldung der Gebietskörperschaften.

Zugleich sollen die Unternehmen 2024 mit dem kürzlich vom Kabinett verabschiedeten „Wachstumschancengesetz“ um 7 Mrd. Euro entlastet werden. Einsparungen gibt es dafür beim Sozialen und den Bundeszuschüssen für Renten- und Pflegeversicherung. Letztere sollen komplett entfallen. Ab 2028 seien noch drastischere Einschnitte nötig, wenn die Coronakredite zurückgezahlt werden müssten und das Bundeswehrsondervermögen aufgebraucht sei.

Für Redner:innen der Union ging der Haushaltsentwurf zwar in die richtige Richtung, doch müsse der Finanzminister die Regierung „auf Kurs bringen“. Den Fraktionen von Union und AfD geht die Wirtschaftsförderung dagegen nicht weit genug und auch Kürzungen könnten in vielen Bereichen drastischer ausfallen.

SPD und Grüne stellten sich grundsätzlich hinter die Vorlage, kündigten aber Verbesserungen in den kommenden Haushaltsberatungen an. Allerdings sei der Spielraum durch die Rückkehr zur Schuldenbremse geringer geworden.

Für die Linksfraktion kritisierten Gesine Lötzsch und Janine Wissler vor allem die Mehrausgaben für Verteidigung. Bildung und Gesundheit müssten bluten und eine wirkliche Kindergrundsicherung werde unterbleiben, weil man nicht Reiche höher besteuern und die Schuldenbremse aussetzen wolle. DIE LINKE forderte auch als einzige Fraktion höhere staatliche Ausgaben und v. a. Investitionen in Klimaschutz, Bildung und für eine Verkehrswende.

Einzelhaushalte

Bei der abschließenden Beratung im Rahmen der 1. Lesung am 8. September ging es im Parlament noch einmal hoch her. Insbesondere drehte sich die Deabtte um den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), des mit Abstand größten Postens. Er soll im kommenden Jahr 171,67 Mrd. Euro umfassen. Fast drei Viertel davon entfallen auf Pflichtzahlungen (Rente, Alters- und Erwerbsminderungsgrundsicherung). Fast ein Viertel verschlingt die Grundsicherung für Arbeitsuchende (43,3 Mrd.). Der winzige Rest entfällt auf die Förderung der Integration von Behinderten. Für das Bürgergeld sind nur 540 Mio. Euro mehr vorgesehen. Der Sozialetat ist der einzige neben dem für Verteidigung, in dem Erhöhungen vorgesehen sind, allerdings nur um 5,44 Mrd.

Einmal mehr echauffierten sich Union und AfD über die Erhöhung des Bürgergelds und den zu geringen Lohnabstand. Ressortchef Heil (SPD) konterte mit dem Verweis, diese Kritiker:innen könnten sich ja für höhere Löhne einsetzen. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) musste ihm beipflichten. Die Kürzungen bei den Verwaltungskosten der Jobcenter betragen 200 Mio. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst verursacht dort aber Mehrkosten von 300 Mio., so dass zu befürchten ist, dass sie aus den Töpfen für die Eingliederungshilfen beglichen werden und folglich den Erwerbslosen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Grünen monierten, dass zukünftig 700.000 Arbeitslose unter 25 Jahren zur Arbeitsagentur wechseln sollen und damit nicht aus Steuern, sondern von der Arbeitslosenversicherung finanziert werden sollen. Damit würde der BMAS-Etat um 1 Mrd. Euro entlastet.

Heil kündigte ein Rentenpaket an und verwahrte sich gegen die Forderung von Merz, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen. Wissler sprach von einem „Kahlschlag“ angesichts der geplanten Einschnitte bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung, Jugendlichen und politischer Bildung sowie der finanziellen Minimalausstattung für die Kindergrundsicherung – 2,4 statt der geforderten 12 Mrd. Am 1. Dezember soll der Bundeshaushalt nach der 2. Lesung verabschiedet werden.

Außer im sozialen Bereich sind auch woanders teils drastische Kürzungen vorgesehen. Humanitäre Hilfe (beim Auswärtigen Amt) soll 1 Mrd. weniger erhalten (- 36 %). Dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Svenja Schulze (SPD) sollen 276 Mio. Euro für die Krisenbewältigung genommen werden (- 22 %), sein Gesamtetat schrumpft um 5 %. Die Ausgaben für Klimaanpassung vermindern sich um ein Drittel. Erhebliche Minderausgaben kommen auf den Katastrophenschutz zu (90 Mio., – 23 %), das Technische Hilfswerk erhält 10 % weniger. Die Anwohner:innen im Ahrtal wird’s freuen!

Weitere Einsparbeispiele: Bundesfreiwilligendienst (53 Mio., – 25 %), Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt an Kindern werden halbiert. Mittel für die Umsetzung der UN-Konvention betr. Rechte von Menschen mit Behinderungen werden um 13 % zurückgefahren, Kinder- und Jugendplan (- 44,6 Mio., – 19 %), Bafög (- 25 %), Müttergenesungswerk und Familienferienstätten (-  93 %).

Gewinner

Um 1,7 Mrd. auf 51,8 Mrd. Euro steigt der Einzelplan 14 (Verteidigung). Insgesamt belaufen sich die Mittel fürs Militär zusammen mit den Anteilen aus dem Sondervermögen (19 Mrd.) und Ausgaben für Rüstung und Truppe aus anderen Ressorts (14 Mrd.) aber auf stattliche 85 Mrd. Euro. Minister Pistorius (SPD) hätte lieber 10 Mrd. mehr als 2023 kassiert, verwies aber darauf, dass erstmals das von der NATO vorgegebene Ziel von Rüstungsausgaben in Höhe von 2 % des BIP erreicht seien. Bundeskanzler Scholz (SPD) versicherte, dies sei auch zukünftig garantiert. Die Unionsparteien waren damit nicht zufrieden. Es seien damit nur die Personalmehrkosten gedeckt und 2 % vom BIP gälten mittlerweile als Untergrenze.

Deutschland ist nach den USA zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine. Die Militärhilfe beläuft sich bis jetzt auf 22 Mrd. Euro. Bis Ende des Jahres wird es auch 10.000 ukrainische Soldat:innen ausgebildet haben. Die BRD müsse hier die Führung übernehmen, so Pistorius. Assistiert wurde er von einer (oliv)grünen Rednerin, die auf die „wertebasierte Ordnung des Westens“ große Stücke hielt, die Ordnung des Mehrwerts eben, des Profits. Redner:innen der Linksfraktion warnten vor einem neuen Wettrüsten, den Auswirkungen von Krieg und Zerstörung auf die Umwelt. Treffend war der geschichtliche Vergleich mit Sparkanzler Brüning, dessen Austeritätspolitik das Ende der Weimarer Republik einläutete.

Genau das droht uns, wenn wir diesem Streichorchester nicht in den Arm fallen. Rüsten wir uns auch!

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