Jaqueline Katherina Singh / Martin Suchanek, Infomail 1221, 24. April 2023
„Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“, lobt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke die Tarifeinigung zwischen Gewerkschaften und den sog. Arbeitergeber:innen bei Bund und Kommunen über den grünen Klee. Natürlich, so die Spitzen der Gewerkschaften, hätte der Abschluss auch „schmerzliche“ Seiten, doch das gehöre schließlich zu einem Kompromiss.
In den bürgerlichen Medien wird von „der größten Tariferhöhung seit Jahrzehnten im öffentlichen Dienst“ geschrieben und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einem „guten und fairen Tarifabschluss“. Doch wir wissen, dass das nicht stimmt. Denn das Ergebnis ist mehr als bescheiden.
Die Gewerkschaften und die sog. Arbeitgeber:innenverbände haben somit einen Abschluss erzielt, der faktisch dem Ergebnis der Schlichtung gleichkommt:
Konkret bedeutet das: 2023 gibt es einer Nullrunde und es wird versucht, das mit einer Einmalzahlung schönzureden, die über Monate verteilt ankommt, Aber das ist nur einer der Kritikpunkte. Das wohl größte Problem stellt die Laufzeit von zwei Jahren dar. Wird die tabellenwirksame Entgelterhöhung darauf berechnet, so entpuppt sich die „beachtliche“ Einkommenssteigerung als Reallohnverlust.
Kurzum: Politisch stellt das Ergebnis einen Ausverkauf dar und eine Niederlage der Gewerkschaften. Das betrifft einerseits das materielle Ergebnis, d. h. vor allem die lange Laufzeit. Vor allem aber wurde eine weitere Chance vertan, mit einer kämpferischen Tarifrunde und einem unbefristeten Streik eine reale Trendwende durchzusetzen. Außerdem hätte die Auseinandersetzung mit der bei der Bahn und anderen Lohnkämpfen verbunden werden können (z. B. an den Flughäfen).
Ironischer Weise hat Frank Werneke durchaus recht, dass selbst dieser Abschluss nur zustande kam, weil Hunderttausende aktiv die Warnstreiks getragen haben, Zehntausende ver.di und anderen Gewerkschaften beigetreten sind. Aber sowohl in den Diskussionen wie bei den Arbeitsstreiks wurde deutlich: Nach Jahren des Reallohnverlustes und angesichts von Preissteigerungen, die für Grundbedürfnisse wie Wohnen, Lebensmitteln, Energie weit über der Inflationsrate liegen, wollen die Mitglieder nicht nur einen Ausgleich auf dem Konto, sondern sind dafür auch bereit, in einen zähen, langwierigen Kampf zu treten.
Das betrifft vor allem die kämpferischen Sektoren im öffentlichen Dienst – und zwar nicht nur die traditionellen „schweren Bataillone“ wie Stadtreinigung und Nahverkehr, sondern vor allem auch neue Avantgardeschichten wie in den Krankenhäusern, die sich in den letzten Jahren in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen formiert haben.
Diese Entwicklung wird mit dem Abschluss faktisch von der Bürokratie ausgebremst. Eine Streikbewegung hätte nämlich eine weitere Zuspitzung des Klassenkampfes erfordert. Sie hätte zumindest das Potential gehabt, das sozialpartnerschaftliche Tarifritual zu durchbrechen.
Genau das will der sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaftsapparat aber nicht. Er zieht einen faulen Kompromiss einer solchen Konfrontation vor. Das ist eine für Revolutionär:innen sicher nicht neue Lehre, die sich aber die kämpferischen Schichten selbst zu eigen machen müssen.
Es reicht daher nicht, den Abschluss zu verdammen. Und es wäre falsch, aus Frust aus den Gewerkschaften auszutreten. Aber es ist unbedingt notwendig, sich klarzumachen, warum die Führung, warum deren Apparat, warum die von ihr kontrollierte Tarifkommission so handeln.
Die reformistische Gewerkschaftsführung und ihre Bürokratie sind nicht einfach bessere oder schlechtere Vertreter:innen der Klasse. Sie hegen ein Eigeninteresse als Vermittler:innen zwischen Belegschaften und Dienstgeber:innen bzw. Unternehmer:innen im ökonomischen Kampf. Sie müssen zwar bis zu einem gewissen Grad auch mobilisieren, um den „Verhandlungspartner:innen“ ihre Stärke zu zeigen – aber sie wollen um fast jeden Preis am sozialpartnerschaftlich regulierten Tarifritual festhalten. Sozialpartnerschaft ist aber nicht nur ein Verhalten, sondern hat einen Inhalt: Die Interessen des deutschen Kapitals und seines Staates im Lande und auch globalen Konflkikten gegen die internationale Konkurrenz zu schützen.
Zur Zeit wollen auch (noch) die Regierung und auch (noch) Spitzen der „Arbeitgeber:innenverbände“ an dieser Partnerschaft festhalten.
Gleichzeitig ist dies jedoch nicht unveränderlich. Denn die Tarifrunde zeigt, dass diese Form der Regulierung des Klassengegensatzes bröckelt, beispielsweise der Unmut bei den Vertreter:innen der Kommunen, die letztlich für eine härtere Gangart des Kapitals insgesamt stehen. Die Absetzbewegung gibt es aber auch bei uns. In den Warn-, Arbeitsstreiks und auch bei den Versammlungen zur Schlichtung wurde eine breite Ablehnung des Ergebnisses durch politisch bewusstere und kämpferischere Schichten sichtbar.
Noch vor den Verhandlungen hatte sich die ver.di-Führung verpflichtet, die Mitglieder zum Ergebnis zu befragen. Es geht hier aber nicht um demokratische Entscheidungen. Selbst wenn 100 % mit Nein stimmen würden, wäre die Führung daran nicht gebunden.
Ver.di inszeniert vielmehr ein pseudodemokratisches Stimmungsbild, ein Plebiszit, um sich für den schlechten Abschluss die Legitimation der Mitglieder einzuholen.
Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen. Angesichts des medialen Trommelns für den Abschluss und des innerorganisatorischen Informationsmonopols des Apparates ist eine Zustimmung bei der Befragung, die bis zum 14. Mai läuft, faktisch sicher.
Aber alle kritischen und kämpferischen Gewerkschafter:innen sollten die Abstimmung nutzen, um möglichst viele für ein Nein zu gewinnen, denn das Ergebnis wird auch einen Gradmesser für die innergewerkschaftliche Stimmung und bis zu einem gewissen Ausmaß für das Kräfteverhältnis abgeben.
Noch wichtiger als die Abstimmung ist, dass wir die Diskussionen und Versammlungen der nächsten Tage und Wochen nutzen, um das Nein möglichst stark und öffentlich sichtbar zu machen. Dazu braucht es Versammlungen von Streikaktivist:innen, von Betriebsgruppen in den Unternehmen und Abteilungen. Diese sollten nicht nur den Abschluss diskutieren und ihre Kritik artikulieren. Sie sollen auch Beschlüsse fassen, die zum Nein bei der Befragung aufrufen.
Sie sollen außerdem dazu aufrufen, dass Vorstand und Tarifkommission im, wenn auch unwahrscheinlichen, Fall einer Mehrheit gegen den Abschluss an dieses Ergebnis gebunden sein müssen. Sie müssen außerdem dazu aufgefordert werden, in diesem Fall die Urabstimmung einzuleiten und den Kampf für die ursprünglichen Forderungen – also 10,5 % und mindestens 500 Euro für alle bei einem Jahr Laufzeit – einzuleiten.
Solche Beschlüsse sollten öffentlich gemacht werden, um zu verdeutlichen, dass kritische Betriebsgruppen und Versammlungen keine Ausnahmefälle, sondern ganz schön viele sind. Gerade jetzt müssen sich Aktivist:innen dort, wo es noch keine Betriebsgruppen gibt, sich als solche zusammenfinden!
Viele von uns sind enttäuscht. Unsere Perspektive kann aber nicht sein, einfach auszutreten aus Protest. Nein, wir wollen uns praktisch in den Gewerkschaften organisieren und nicht dafür einstehen, dass unsere Kämpfe nicht weiter ausverkauft werden. Also lasst uns gemeinsam zusammenstehen und eine klassenkämpferische Opposition in den Gewerkschaften aufbauen!
Lasst und gemeinsam mit der VKG diesen Protest am Ersten Mai mit Flugblättern, Transparenten, Redebeiträgen und in klassenkämpferischen Blöcken zum Ausdruck bringen! Lasst uns gemeinsam in allen Städten Ortsgruppen der VKG aufbauen!
One thought on “Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!”