Arbeiter:innenmacht

Erfahrungen mit Kritik am verdi-Apparat

Bericht einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Neue Internationale 273, Mai 2023

10,5 %,  aber mindestens 500 Euro mehr in die Tabelle, Laufzeit 12 Monate. Das ist unsere Forderung für die Tarifrunde. Nachdem die erste Verhandlungsrunde ergebnislos und ohne Angebot vorbeiging, waren sich die Kolleg:innen und ver.di-Funktionär:innen im Bezirk noch einig und man sprach bereits über die Planung der Urabstimmung und des Erzwingungsstreiks, um unsere Forderung durchzusetzen. Auch nach dem „Angebot“ der zweiten Verhandlungsrunde hatte sich an dieser Einstellung kaum was geändert.

Doch mit Näherrücken der dritten Verhandlungsrunde, in welche keine großen Hoffnungen gelegt wurden, drohte auch die Schlichtung und der Unmut unter den Beschäftigten stieg, was sich auf Arbeitsstreiks deutlich machte. Die ver.di-Bürokratie verteidigte entgegen der Streikversammlung die Schlichtung, obwohl diese offensichtlich einen Nachteil für uns darstellt. Argumentiert wurde mit der „Sicherung des Wohlstands des Landes“. Damit ist natürlich nichts anderes gemeint als die Sicherung des deutschen Kapitals und der Klassenkollaboration. Doch dieses Verhalten des ver.di-Apparats war nicht überraschend.

Nach der dritten Verhandlungsrunde kristallisierten sich die Widersprüche und Unterschiede zwischen seinen Interessen des und denen der Beschäftigten bei den Arbeitsstreikversammlungen immer deutlicher heraus. Die ver.di-Funktionär:innen hatten unsere Forderung hinter sich gelassen – die Beschäftigten nicht. Eine Funktionärin der Bundestarifkommission stellte die Beschäftigten nach der dritten Verhandlungsrunde darauf ein, dass ein Jahr Laufzeit nicht zu machen sei und man über einen angepassten Mindestbetrag bereits nachdenke. Die Kolleg:innen waren darüber aufgebracht und taten dies auch kund. „Ich habe kein Problem mit einer Laufzeit von 2 Jahren aber unsere Forderung war 10,5 %, dann möchte ich für jedes Jahr 10,5 %!“, meinte ein Straßenbahnfahrer, der viel Beifall bekam. Viele Kolleg:innen waren verärgert über die Ansichten der Funktionärin, die uns in der Tarifkommission repräsentieren soll. Unsere Forderungen vertrat sie jedenfalls nicht, sondern das Interesse des ver.di-Apparates, der einen Schulterschluss möchte, was für Millionen Menschen Reallohnverlust bedeutet.

Nach der Schlichtung

Dass dies nicht dieselben wie die der Beschäftigten sind, zeigte sich auch nach Bekanntgabe des Schlichterspruchs. Zunächst entlud sich die Wut der Beschäftigten am Samstag, den 15. April, über die sozialen Medien. Reallohnverlust, ein Jahr Nullrunde und zwei Jahre Laufzeit. Der Bezirk berief direkt eine Sitzung ein und die Stimmung in den „sozialen“ Medien spiegelte sich bei den Kolleg:innen auf der Versammlung wider. Viele sehen die Empfehlung sehr problematisch und betonen den Reallohnverlust und erinnern auch an unsere Ursprungsforderung.

Doch die scheint gar nicht mehr „realistisch“ für die Funktionär:innen. Entgegen Aussagen zu Beginn der Tarifrunde werden Einmalzahlungen beschönigt und als „viel Geld“ verkauft. Beim Thema Erzwingungsstreik sei es nur realistisch, für das Ergebnis der Schlichtung zu streiken, wenn die Arbeit„geber“:innenseite dieses nicht annehmen werde. Und zur Laufzeit heißt es, unter 24 Monate geht nichts mehr, da es seit Jahren keine Abschlüsse mehr unter 24 Monaten gebe und dies auch ganz gut für die Planung bei ver.di sei.

Doch die Beschäftigten ließen sich davon nicht beeindrucken und äußerten laut ihre Stimmen für den Erzwingungsstreik und  eine 12-monatige Laufzeit. Denn die Begründung ver.dis, unsere Forderungen seien unrealistisch, ist nur ein Vorwand, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Deal mit den Arbeit„geber“:innen zu bekommen. Die wirklichen Interessen der Mitglieder, einen Reallohnverlust abzuwenden, spielen eine untergeordnete Rolle.

Daher ist es wichtig, dass sich aktive Beschäftigte, die Kritik am Apparat üben, verbünden und in verschiedenen Gremien Anträge für einen Erzwingungsstreik für unsere Ursprungsforderung einreichen. Denn unrealistisch ist es nicht, das hat auch die unerwartete Mobilisierungswelle der letzten Monate gezeigt.

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