Helga Müller, Neue Internationale 277, Oktober 2023
Am 11. Oktober 2023 entscheidet die Bundestarifkommission von ver.di über die Forderungen für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder. Derzeit läuft die Online-Mitgliederbefragung zu den Forderungen.
Auch einzelne betriebliche Organe wie die ver.di-Betriebsgruppe der FU-Berlin – diese hat eine Petition gestartet – haben ihre Forderungen aufgestellt. Inwieweit diese von der Bundestarifkommission aufgenommen werden, bleibt dabei völlig im Unklaren. In der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen konnte aufgrund des Drucks von unten eine höhere Forderung als vom Bundesvorstand beabsichtigt durchgesetzt werden.
Im Unterschied zu den Ländern gibt es vor allem bei den Kommunen eine viel höhere gewerkschaftliche Organisierung und auch viel mehr Erfahrung mit Voll- und Warnstreiks. Aber auch bei den Ländern existieren wichtige Erfahrungen aus Kämpfen und, wie diese aufgebaut werden können, teilweise auch gegen den Willen der Gewerkschaftsverantwortlichen. Insbesondere die Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW, die ja zum größten Teil Unikliniken umfassten, zeugen von dieser Erfahrung.
Zusätzlich zu den Länder- kämpfen auch die studentisch Beschäftigten für einen Tarifvertrag (TVStud). Ein solcher wurde bisher nur in Berlin durchgesetzt. Gerade studentische Hilfskräfte müssen unter äußerst prekären Bedingungen arbeiten: befristete Verträge, schlechte Bezahlung, die noch hinter der der Länderbeschäftigten hinterherhinkt, um ihr Studium zu finanzieren. Sinnvoll wäre es, die Forderungen der Studierenden direkt in den Katalog der Tarifrunde Länder aufzunehmen und den bisherigen TVStud zu einem Bestandteil des TV-L zu machen, um die gemeinsame Kampfkraft von studentischen und Länderbeschäftigten zusammenzuführen und damit durchsetzungsfähiger zu werden.
Auf Mobilisierung und Durchsetzungsstreiks scheint es der Vorstand von ver.di aber nicht anzulegen. Der Bundesvorstand hat bereits drei Verhandlungstermine festgelegt: Der erste findet am 26. Oktober, der zweite am 2./3. November und der dritte – nach der Regie des Bundesvorstands auch letzte Verhandlungstermin – am 7./8. Dezember statt.
In der Zwischenzeit erfolgen in der Regel einzelne Warn- und noch keine Durchsetzungsstreiks. Erst wenn es in der dritten Verhandlungsrunde zu keiner Einigung kommt, dann kann die Bundestarifkommission eine Urabstimmung über unbefristete Streiks durchführen. Aber auch das ist noch keine Garantie, dass es dazu kommt, wie die letzte Tarifrunde zum TVöD gezeigt hat.
Der ver.di-Vorstand und die Spitzen der anderen Gewerkschaften im öffentlichen Dienst setzen nicht auf Konfrontation, sondern auf Tarifrundenritual mit Verhandlungen. Zugleich soll dem Vorgehen ein möglichst demokratischer Anstrich gegeben werden. Daher organisiert ver.di eine Umfrage zu den Forderungen unter den Mitgliedern, deren Fragestellungen jedoch vom Apparat vorgegeben werden. Hinzu kommt, dass die einzelnen Gewerkschafter:innen hier nicht nach einer demokratischen Diskussion z. B. in ihrer Betriebsgruppe abstimmen, sondern individualisiert online ihre Kreuzchen machen müssen. Eine wirkliche Debatte um Forderungen sieht anders aus.
Aber zunächst geht es einmal darum, für Forderungen zu kämpfen, die auch wirklich einen Inflationsausgleich für alle bedeuten. Wir schließen uns hier den meisten Forderungen, die die Kolleg:innen der ver.di-Betriebsgruppe der FU Berlin aufgestellt haben, an. Diese sollten, wie in der Petition vorgeschlagen, von möglichst vielen Betriebsgruppen, Vertrauensleutestrukturen, aber auch ver.di-Ortsvereinen, -Fachgruppen, -Landesfachbereichsvorständen diskutiert, beschlossen und an die Bundestarifkommission und den Bundesvorstand geschickt werden, um einen möglichst hohen Druck auf diese auszuüben:
Aber gerade in den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes kommt es darauf an, auch den politischen Rahmen, in dem die Verhandlungen stattfinden, mit aufzunehmen: Derzeit laufen die Lesungen zum Bundeshaushalt. Hier hat die Ampelregierung deutlich gemacht, in wessen Interesse sie handelt: Einzig der Rüstungshaushalt soll massiv erhöht werden (100 Milliarden Euro Sondervermögen, in Zukunft sollen mindestens 2 % des BIP für den Rüstungsetat aufgewendet werden). Alle anderen Ressorts müssen sich auf Kürzungen gefasst machen. Insgesamt sollen 30 Milliarden Euro an Kürzungen umgesetzt werden. Gleichzeitig möchte FDP-Finanzminister Lindner die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen. Wer dies zahlen soll, ist jetzt schon klar: wir Beschäftigten, ob in der Privatwirtschaft oder beim Land, Bund oder in den Kommunen, die Jugendlichen, Kinder, Rentner:innen, Arbeitslosen, Asylsuchende und Migrant:innen – die Mehrheit der Bevölkerung.
Den Länderbeschäftigten wird vorgehalten, dass kein Geld für höhere Löhne in den Kassen und von daher nicht viel zu erwarten sei.
Aber Geld ist da, vor allem die Energieunternehmen, aber auch die Autoindustrie haben trotz Krise und Pandemie Rekordgewinne erzielt, die abgeschöpft werden müssen durch eine Übergewinnsteuer und eine progressive Erhöhung der Steuerabgaben auf Kapitaleinkommen. Dann wäre genug Geld in den öffentlichen Kassen! Ein Inflationsausgleich ist machbar! Die Kolleginnen und Kollegen können auf eine kräftige Lohnerhöhung nicht verzichten! Zum einen sind die Preise gerade bei den Lebensmitteln, bei der Energie immer noch sehr hoch und zum anderen hat die letzte Tariferhöhung von 2021 nur eine bescheidene Erhöhung von 2,8 % gebracht. Schon von daher brauchen wir in dieser Tarifrunde einen wirklichen Inflationsausgleich! Mit Einmalzahlungen ist das nicht zu machen – was wir brauchen ist eine reale Erhöhung auf die Tariflöhne!
Nicht nur die Forderungen, wie oben vorgeschlagen, müssen gegen den Bundesvorstand durchgesetzt, sondern auch deren Umsetzung erzwungen werden – wie es auch schon die Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gezeigt hat. Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen, die dafür kämpfen wollen, über die Betriebe, Dienststellen, aber auch über die Bezirke und Länder hinweg enger zusammenschließen. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen bieten dafür einen Rahmen. Setzt Euch mit diesen in Verbindung!
Gleichzeitig müssen die streikenden Kolleg:innen die Möglichkeit erhalten, über Streikmaßnahmen zu diskutieren und zu entscheiden, und zwar auf Streikversammlungen, in denen alle zusammengefasst werden. Um dies zu organisieren und damit die Kolleg:innen die Kontrolle über ihren Streik erhalten, ist der Aufbau von Streikkomitees, die z. B. aus demokratisch gewählten Tarifbotschafterinnen aus den Abteilungen bestehen sollten, die auch wieder abgewählt werden können, wenn sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, notwendig. Darüber hinaus brauchen die Kolleg:innen die volle Transparenz über die Verhandlungen statt Geheimabsprachen der Bundestarifkommission mit den öffentlichen Arbeit„geber“:innen.