Arbeiter:innenmacht

AfD-Landrat in Sonneberg: das Desaster der „Einheit der Demokrat:innen“

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Leo Drais, Infomail 1226, 29. Juni 2023

Zehn Jahre nach ihrer Gründung stellt die AfD zum ersten Mal einen Landrat. Im südthüringischen, historisch eigentlich fränkischen Sonneberg gewann Robert Sesselmann die Stichwahl gegen den bisherigen Amtsinhaber Jürgen Köpper (CDU) mit 52,8 Prozent. Der Sieg hat die bürgerliche Welt in einen kleinen Aufruhr versetzt, das mediale Echo erreichte sogar internationale Zeitungen.

Ampelkrise und Union

Dabei kommt der Wahlsieg der sogar vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften thüringischen AfD unter Goebbels-Nachahmer Höcke eigentlich für niemanden großartig überraschend daher. Er ist Ausdruck natürlich der lokalen, aber noch mehr der bundesweiten politischen Gemengelage, auf die die AfD sich dann auch abseits fast jeglicher kommunaler Themen von Anfang an populistisch gestützt hatte: „Themenbereiche, die jetzt konkret hier vor Ort sind, die interessieren die Leute nicht“ (Sesselmann).

Das Konzept hat gezogen und in diesem Sinne muss auch der Sieg der AfD verstanden werden, als Statement der überzeugten AfD-Wähler:innenschaft, das mehr in Richtung der Regierung zielt als auf Jürgen Köpper oder andere Lokalpolitiker:innen.

Selten war das Fressen für die AfD reichhaltiger, und es gibt keine linke Kraft, die es ihr streitig macht. Zwar ist das Thema Corona weitgehend durch, und auch wenn Sesselmann fleißig einen rassistischen Wahlkampf gefahren hat, dürfte es nicht das Thema Asyl und Migration gewesen sein, was entscheidend zum Erfolg der Rechten geführt hat.

Vielmehr ist dieser Erfolg dank der Krise der Ampelregierung und der Unfähigkeit der Union, daraus zu profitieren, zu verzeichnen. Das offenbart auch der Blick auf Sonntagsfragen zu verschiedenen Wahlen. In Thüringen würde die AfD stärkste Kraft werden, bundesweit misst sie sich mit der SPD um Platz zwei hinter der Union.

Im Ukrainekrieg ist die AfD neben Sahra Wagenknecht die einzige relevante politische Kraft, die sichtbar gegen die NATO-Unterstützung Selenskyjs auftritt. Gegen Aufrüstung hat sie natürlich auch nichts, aber sie will den deutschen Imperialismus lieber an der Seite Putins sehen, dann gibt es bestimmt auch wieder günstiges Gas. Feind:innen selbst der beschränkten bürgerlichen Demokratie unter sich!

Vor allem aber ist da das Thema Wirtschaftskrise und das von Habeck und Regierung in Arbeit befindliche Gebäudeenergiegesetz („Heizungsgesetz“), womit die AfD zur Zeit mobilisieren kann.

Während ihr Rassismus und ihre völlig irrationale Coronapolitik vor allem Affekte bedient und bediente, trifft ihre Opposition gegen die ohne nennenswerte soziale Abfederung geplante „Wärmewende“, die keine ist, die Sorgen tausender kleiner Hausbesitzer:innen auf den Kopf. Es ist doch alles was sie haben, das Kleinbürger:innentum und verbürgerlichte Teile der Arbeiter:innenklasse. Der Blick nach Sonneberg bestätigt diese Analyse bis zu einem gewissen Grad auch. Sonneberg ist keine abgehängte Region. Als Zentrum der Spielwarenindustrie hat die Stadt keine massive Deindustrialisierung wie viele andere Orte in der ehemaligen DDR durchgemacht.

Eine grundlegende Analyse geht den Kommentaren in bürgerlichen Medien oft ab. Wer wählt die AfD? Es ist vor allem eine Partei der Kleinbürger:innen, der Akademiker:innen und Mittelschichtler:innen. Das heißt nicht, dass sie nicht auch von Arbeiter:innen gewählt wird, aber ihr Programm und ihre sozialen Wurzeln sind kleinbürgerlichen Ursprungs.

Ängstliche Kleinexistenzen

Trotzdem ist die soziale Lage von gehobeneren Teilen der Arbeiter:innenklasse mit der großer Teile des Kleinbürger:innentum durchaus vergleichbar.

Beide, Kleinbürger:innen und Arbeiter:innenaristokratie, machen zusammen den größten Teil der Eigenheimbesitzenden in Deutschland aus bzw. derer, die sich bis an ihr Lebensende bei der Bank verschuldet haben, um so zu tun, als gehöre ihnen ein kleiner sicherer Hort auf der Welt, die brennt. Und weil sie brennt, wird das, was man sich hart erarbeitet hat, als bedroht wahrgenommen, wobei Corona, Krieg, Klimakrise (Für die der Mensch natürlich nichts kann, und gibt es sie überhaupt?) und Inflation diese Verlustängste bestätigen und befeuern.

Wenn die Finanzierung des eigenen Lebens mit scheinbarer Unabhängigkeit wie einem Haus (das einen dann an einen Ort bindet, von dem man nur mit der angeblichen Freiheit Auto wieder wegkommt) sowieso schon auf Kante genäht ist, dann kann so eine staatlich verordnete Wärmepumpe schon mal ein Schlag ins Kontor sein.

Die AfD findet hier einen nicht zu unterschätzenden Anknüpfungspunkt realer Sorgen. Weil eine rationale Opposition gegen Krise und Ampel fehlt, kann sie sich hier aufbauen. An tatsächlichen Mitschuldigen der Misere – Habeck, Baerbock, Scholz usw. – wird eine falsche Kritik geübt, eine die darauf hinausläuft, in Verteidigung des „hart arbeitenden kleinen Mannes“ eine wütende irrationale Sündenbocksuche zu betreiben, wo Ursachen und Wirkungen gegeneinander vertauscht oder geleugnet werden oder auf die eingetreten wird, die noch unter einem/r stehen.

Die Kritik am „Genderwahn“, der Hass auf Geflüchtete und Migrant:innen findet eine unheilvolle Zusammenkunft mit der einzigen sichtbaren Opposition im Bundestag gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Allgemeinheit. In dieser Lage wird die AfD für viele wählbarer, so wie es einst die NSDAP wurde. „Die machen wenigstens ihr Maul auf!“ „Die lassen nicht alles mit sich machen!“, wobei Weidel und Höcke auch der Vorteil zuteil wird, dass sie bisher in keiner Postion mit politischer Verantwortung saßen und daher bisher nicht zu den willigen Vollstrecker:innen des deutschen Kapitals wurden, das selbst bisher auch (noch) kein Interesse daran, äußert, auf sie zu setzen.

Sollten sie eines Tages in dieser Position sitzen (bequem und auskömmlich mit den Steuern des „kleinen Mannes“ bezahlt), so werden sie von den Peitschenhieben auf die, die sie wählten, mit Knüppelschlägen auf die ablenken, gegen die sie heute ihren Rassismus und Sexismus entfachen.

Robert Sesselmann sitzt in keiner solchen Position.

Er wird auf lokaler Ebene verwalten und „denen da oben“ die Schuld für alles geben können, was nicht läuft, und diese werden dazu genug Angriffsfläche bieten. Er wird einen fortgesetzten Wahlkampf für Björn oder Joseph Höcke-Goebbels fahren, nächstes Jahr sind Landtagswahlen in Thüringen.

Bauchlandung der Demokrat:innen

Was in Erfurt praktiziert wird, ist jedoch in Sonneberg gescheitert. Die „Einheit der Demokrat:innen“ ist auf dem Bauch gelandet. Im Erfurter Landtag hält die CDU de facto die Minderheitsregierung Ramelows aus. Um die nächsten Landtagswahlen steht es noch prekärer.

Für die CDU ist das in gewisser Weise alternativlos, was nicht heißt, dass sie Rot-Rot-Grün nicht auch fleißig von rechts unter Druck setzen kann. Bisher jedenfalls kann sich die Union noch kein Zusammengehen mit der AfD leisten, die in so vielen Punkten den Erfordernissen der deutschen Kapitalist:innen entgegensteht (Außenpolitik, „grüne“ Industrie …).

Für alle Linken und DIE LINKE ist eine „Einheit der Demokrat:innen“ jedoch nicht nur nicht alternativlos, sondern für sie und die Arbeiter:innenklasse (2023 in erster Linie politisch) tödlich. Die Mitverwaltung des Kapitalismus in Landesregierungen, die absolut unzureichenden Antworten auf die Krise mit dem Bestreben, vielleicht doch von SPD und Grünen auf Bundesebene zum Mitregieren eingeladen zu werden, die Unfähigkeit, eine konkrete Perspektive zu weisen und Kämpfe abseits des Parlamentarismus zu führen, bedeuten, dass die AfD kaum auf Konkurrenz trifft, wenn es um das Kanalisieren von Wut auf die Regierung geht.

Denn eigentlich liefert diese genug Vorwände, um als Linke zu wachsen. Beispiel „Heizungsgesetz“: Die Energiewende ist notwendig. Aber sie muss nicht durch die Arbeiter:innenklasse oder das Kleinbürger:innentum bezahlt werden. Statt das Land mit Millionen kleiner Privatwärmepumpen zu bestücken, sollte es pro Gemeinde ein zentrales E-Heizwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung geben, bezahlt durch die fossilen Profite von RWE und Co. Damit ließe sich dann auch auf lokaler Ebene gegen einen Robert Sesselmann kämpfen.

Mit einer „Einheit der Demokrat:innen“ ist so eine antikapitalistische Perspektive jedoch unmöglich. Die Politik von Ampel und CDU besteht ja gerade darin, ein realpolitisch-kapitalistisches Es-geht-nicht-anders zu fahren.

Statt einer Einheit der Demokrat:innen muss die Linke auf eine Einheitsfront der organisierten Arbeiter:innenklasse hinwirken – gegen die AfD, aber eben auch gegen die Regierung. Es ist der einzige Weg, der mittelfristig der rechten Gefahr wirklich etwas entgegenstellen kann. Versagt die Linke darin, so wird die letzte Landtagswahl in Thüringen nicht die einzige Wiederholung der Geschichte gewesen sein (siehe: https://arbeiterinnenmacht.de/2020/02/10/tragoedie-und-farce-in-thueringen/).

Versagt sie darin nicht, könnte aus so einer Einheitsfront eine Partei entstehen, die eine wirkliche Alternative formuliert, eine Alternative zum Kapitalismus, der zwangsläufig zu Höckes und Sesselmännern führen muss, wenn er nicht überwunden wird.

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