Stephie Murcatto, Neue Internationale 277, Oktober 2023
Die Entwicklung der US-Arbeiter:innenbewegung und vor allem der Democratic Socialists of America (DSA) hat international viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Besonders groß war die Unterstützung, die Bernie Sanders’ Kampagne als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei erfuhr. Er bezeichnete sich offen als Sozialist und erhielt dennoch Zuspruch von Millionen. Auch wenn Sanders nie mit der Demokratischen Partei, einer der beiden zentralen politischen Stützen des US-Kapitals, brechen wollte, so offenbarte seine Kampagne, dass „Sozialismus“ keineswegs alle Wähler:innen abschreckt.
Seine Kandidatur beunruhigte nicht nur das Establishment der Demokratischen Partei um Clinton (2016) und Biden (2020), sondern fungierte als Katalysator für den massiven Zulauf und eine Linksentwicklung der Democratic Socialists of Amerika (DSA), einer Organisation, die auf eine, wenn auch nicht gerade glorreiche, Geschichte zurückblickt. Sie war über Jahrzehnte eine sozialdemokratische Minipartei. Sie trug als Mitglied der Sozialistischen Internationale deren proimperialistische Politik voll mit und fungierte als pseudolinkes Anhängsel der Demokratischen Partei und unterstützte fast jede Schweinerei der US-Außenpolitik, so auch den Vietnamkrieg.
2015 zählte die DSA 6.200 Mitglieder. Danach wuchs sie rapide an auf bis zu ungefähr 83.000 im Jahre 2022, wobei die Zahl im Jahre 2023 wieder leicht auf 78.000 gesunken ist. Dies ging zugleich mit einer Linksentwicklung der Organisation einher. 2017 trat die DSA aus der II. Internationale wegen deren neoliberaler Politik aus.
Trotz Stagnation und Rückgangs im letzten Jahr umfasst die DSA eine beträchtliche Anzahl an Mitgliedern, die relativ neu politisch organisiert sind und ein Interesse an sozialistischer Politik aufweisen. Dieser Aufschwung hat die Organisation deutlich nach links gerückt, sodass auch offen davon geredet wurde, nicht weiter der linke Flügel der Demokratischen Partei zu bleiben, sondern auch eine eigene Arbeiter:innenpartei zu gründen.
Das Verhältnis zur Demokratischen Partei bildet daher seit fast einem Jahrzehnte eine, wenn nicht die, Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung der DSA. Dies zeigt sich nicht nur bei den Conventions (Kongressen) der Partei, sondern auch daran, dass die 6 DSA-Mitglieder über die Liste der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, einer der beiden Kammern des US-Kongresses, vertreten sind. Das wahrscheinlich bekannteste Mitglied ist Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC. Auch wenn diese 6 auf dem linken Flügel der Demokratischen Partei stehen, so ist von einem Bruch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Mit der Zeit hat sich die alte Politik wieder starkgemacht. So stimmten in der aktuellen Legislaturperiode 4 ihrer Kongressmitglieder, allen voran AOC, für die Illegalisierung eines potenziellen Streikes von 100.000 Eisenbahnarbeiter:innen.
Es gibt verschiedene Basisorganisationen, bekannt als Chapters, die abhängig von ihrer Größe Delegierte zu der DSA-Convention (Parteitag) wählen. Die Tagung findet alle 2 Jahre statt, die letzte vom 4. bis 6. August 2023. Die Convention wählt die nationale Leitung, das National Political Committee (NPC). Dieses besteht aus 16 Menschen, die unter sich noch einen fünfköpfigen Ausschuss wählen, das Steering Committee (SC). Die nationale Leitung bestimmt die politischen Linien der Organisationen z. B. in ihren verschiedenen Publikationen und soll die Entscheidungen der Convention umsetzen. Dazu verfügt die DSA über einen größeren Apparat von festangestellten Organizer:innen, Buchhalter:innen und anderen Beschäftigten in New York. Das NPC kann auch verschiedene Arbeitsgruppen und Komitees ins Leben rufen, um an verschiedenen Fragen zu arbeiten und Politik zu bestimmten Themen anzuleiten.
Außerhalb der NPC gibt es verschiedene Caucuses, die effektiv die verschiedenen politischen Fraktionen innerhalb der DSA verkörpern. In diesen können sich unabhängig von Wahlen alle DSA-Mitglieder organisieren und für verschiedene politische Programme kämpfen. Dabei sind verschiedene Caucuses relevanter als andere. So gibt es z. B. den Bread and Roses Caucus, der rund um die Zeitschrift Jacobin organisiert ist und eine Linie des „schmutzigen Bruches“ mit der Demokratischen Partei vertritt. Darunter wird ein kompromisslerischer „Mittelweg“ zwischen einem klaren Austritt aus der Demokratischen Partei und einer Strategie von deren Reform verstanden. Der Reform and Revolution Caucus repräsentiert einen eher linken Flügel der DSA. Schließlich gibt es noch den Socialist Majority Caucus, der die historische Führung und die traditionellen Strategien der DSA repräsentiert. Dieser bildet auch eine der stärkeren Fraktionen.
Die Fragen, wie man zur Demokratischen Partei steht, ob und wie man eine unabhängige Arbeiter:innenpartei aufbauen soll, stand dabei auch im Zentrum der letzten Parteitage.
2021 fand die Convention noch online statt. Diese stellte letzten Endes eine Niederlage für die linkeren Teile der DSA dar, da sich die Ausrichtung auf die Demokratische Partei und auf reine Wahlpolitik verfestigte. Eine weitere Frage, die im Sinne der Rechten beantwortet wurde, war die der Wahlunterstützung für demokratische Kandidat:innen. Außerdem gibt es seither keine Rechenschaftspflicht mehr für die Mitglieder der DSA, die in verschiedenen Parlamenten oder gar exekutiven Funktionen sitzen.
Dass diese Wende nach rechts fortgesetzt werden soll, zeigte sich auch im Vorlauf für die diesjährige Convention. Der Vorsitzende des NPC, Hernandez, erklärte in einem interview zur zukünftigen Strategie der DSA: „Dort, wo wir jetzt sind, müssen wir verankert bleiben und den Umständen Rechnung tragen, mit denen wir uns auseinandersetzen.” Im Klartext: Wir müssen fortfahren mit der jetzigen Strategie bezüglich der Demokratischen Partei. Er empört sich in demselben Interview auch über die linken Teile der DSA und behauptet, dass es sich gezeigt habe, dass die Demokratische Partei keine „Sackgasse“ für die DSA und sozialistische Politik sei.
Die Convention selbst war effektiv ein großer Schlag ins Gesicht der linken Teile der DSA. Die erste Kontroverse entzündete sich schon um den Vorschlag der Leitung zu ihrem Ablauf selbst. Dieser sah vor, dass über die Anträge für eine Opposition zur imperialistischen Politik in Bezug auf den Ukrainekrieg nicht diskutiert wird. Dies wurde damit begründet, dass es keine Zeit für die Diskussion rund um den Antrag gäbe. Gleichzeitig war aber mehr als genug Zeit dafür eingeplant, darüber zu debattieren, ob eine Rose, die ein „Vote“-Schild hält, das offizielle Maskottchen der DSA werden solle. Dieser Vorschlag wurde zwar mit einer knappen Mehrheit abgelehnt, dafür fielen aber die Resolutionen über die israelische Okkupation von Palästina sowie die zum Ukrainekrieg durch.
Dafür markierten die Beschlüsse zu den Wahlen jedoch einen weiteren Schritt nach rechts zur Anpassung an die Demokratische Partei. So sprachen sich 704 Delegierte bei 184 Gegenstimmen gegen Schritte zur Bildung einer unabhängigen Partei mit eigenen Kandidat:innen aus. So heißt es: „Es ist in der jetzigen Situation für uns nicht empfehlenswert, eine politische Partei mit eigenen Wahllisten zu gründen.“
Mit diesem Beschluss der Convention wird der Fokus der DSA über die nächsten zwei Jahre nicht einfach auf die Wahlen gelegt, die tatsächlich mehr und mehr ins Zentrum der US-Politik rücken werden, sondern vor allem auf die Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei. Die DSA will auch mehr ihrer Mitglieder dabei unterstützen, sich selbst auf der Liste der Demokrat:innen aufstellen zu lassen und sich so faktisch politisch unterzuordnen.
Aber auch zur Frage der Rechenschaft hat der rechte Flügel die Mehrheit behalten können – und das, obwohl die Rechenschaftspflicht der verschiedenen DSA-Abgeordneten eine riesige Frage ist. So verrieten AOC und andere den möglichen Eisenbahner:innenstreik, so stimmte der DSA-Kongressabgeordnete Jamaal Bowman für die Bewaffnung des israelischen Militärs.
Trotzdem stimmten 60 % der Delegierten sogar gegen eine Rechenschaftspflicht in nur vage formulierter Form: „Die DSA, erwartet, dass sich Sozialist:innen in gewählten Ämtern in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der sozialistischen Bewegung verhalten.“
Man kann also zusammenfassen, dass der rechte Flügel, der Socialist Majority Caucus, gestärkt aus dem Parteitag hervorging. Starker Fokus auf die Demokratische Partei, keine Rechenschaft der Abgeordneten und eine Unterbindung der wichtigen inhaltlichen Diskussionen durch das NPC sind seine Früchte.
Trotz der Niederlage des linken Flügels der DSA ist die Organisation eine, die viele linke Kräfte an sich zieht und immer noch in sich eine Dynamik trägt. Trotz der erheblichen Hürden wäre die DSA auch in der Lage, eine Partei zu gründen. Diese Partei wäre auch eine, die die USA schon sehr lange nötig haben, denn die Wahl zwischen Republikaner:innen und Demokrat:innen ist eine zwischen zwei Übeln, die das Interesse der arbeitenden Menschen gar nicht im Sinne haben. Beide sind die historischen Parteien des US-Kapitals, des US-Imperialismus. Sie stellen letztlich nur zwei seiner konkurrierenden Flügel dar.
Deswegen ist es die Aufgabe von allen Revolutionär:innen, sich in erster Linie für den Aufbau einer Partei einzusetzen, die auch das Interesse der Arbeiter:innen als Klasse vertritt. Die Strategie des Socialist Majority Caucus, den linken Flügel der Demokratischen Partei zu bilden, ist nicht nur perspektivlos, sie stellt vor allem eine direkte Kampfansage an alle Versuche dar, die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften aus ihre Bindung an die Demokratische Partei zu lösen. Der Parteitag zeigt, dass eine Arbeiter:innenpartei nur aus dem politischen Kampf gegen diese Fraktion und im Bruch mit ihr entstehen kann.
Auch die Strategie des schmutzigen Bruches des Bread und Roses Caucus ist auf dem Parteitag gescheitert. Im Grunde hat sie dem rechtsreformistischen Mehrheitsflügel zugearbeitet, indem sie anstelle eines klaren Bruchs im Hier und Jetzt ihn auf eine ferne Zukunft vertagt, derweil jedoch eine „Realpolitik“ betreibt, die auf eine Unterstützung der Demokratischen Partei hinausläuft.
Es braucht innerhalb der DSA eine Fraktion, die für die Führung der Organisation kämpft, mit dem Ziel, die Zehntausende von Arbeiter:innen und Jugendlichen, die in die DSA eingetreten sind, für einen Bruch mit der Demokratischen Partei zu gewinnen. Auf dieser Basis müssten die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen zu einem Bruch mit den Demokrat:innen und zum Aufbau eine Arbeiter:innenpartei aufgefordert werden. Doch eine solche Kraft müsste eigenständig in die Kämpfe eingreifen und die Wahlen nutzen, um eigene Kandidat:innen aufzustellen. Dieser Prozess müsste einhergehen mit der Diskussion und Ausarbeitung des Programms einer solchen Partei, wobei Revolutionär:innen von Beginn an für ein revolutionäres Aktionsprogramm eintreten müssten.