Anne Moll, Neue Internationale 229, Juni 2018
Die letzte Große Koalition hat die Krise im Gesundheitswesen ausgesessen – zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in allen Bereichen der Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsberufe hat sie nichts getan. Die „neue“ Koalition aber will es anders machen! Gesundheitsminister Spahn verkündet: „Wir haben das Problem erkannt“.
Er verspricht „Reformen“ – oder, genauer, droht damit: Schließungen von Notfallambulanzen, Ausweitung der Praxisstunden für ÄrztInnen, Einführung der Hebammenausbildung an Hochschulen, Einführung einer generalisierten Pflegeausbildung und damit praktisch die Abschaffung der Kinderkrankenpflege. Außerdem verspricht er, höhere Löhne für die Pflegeberufe und bundesweit 8.000 oder vielleicht „sogar“ 13.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege zu schaffen. Eine Arbeitszeitverkürzung von 20 % bei vollem Lohnausgleich wird zwischendurch erwogen …. Vielleicht sollen die Pflegeberufe aus der Krankenhausfinanzierung rausgenommen werden? Und gleichzeitig sollen die Krankenkassenbeiträge sinken, …
Der neue Gesundheitsminister präsentiert sich nicht nur als Reformer, er schlägt auch – frei nach dem Motto „Viel hilft viel“ – einander widersprechende Maßnahmen vor. Wird die Gesundheitsministerkonferenz dazu beitragen, dass die Versorgung von Pflegebedürftigen und Kranken besser wird?
Das darf angezweifelt werden. Alles, was wir von den EntscheidungsträgerInnen hören, ist nichts weiter als billiger Populismus und weit entfernt von guten Lösungen. Wundern muss uns das nicht, denn mit der Einführung der DRGs (Diagnosis Related Groups) 2004 (der Abrechnung nach sog. „Fallpauschalen“) wurden die politischen Weichen für eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung gestellt und das Ergebnis wird zunehmend sichtbar. Ändern kann sich das nur durch massiven Druck der Beschäftigten.
Seit es beachtliche Streiks für mehr Personal im Krankenhaus an der Berliner Uniklinik Charité 2015 und 2017 gab, hat sich die Gewerkschaft ver.di diesen Themas mit einer bundesweiten Kampagne angenommen. In mehreren Städten gibt es Bündnisse für mehr Personal im Krankenhaus. In den letzten 14 Monaten fand einiges an Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit und fanden auch Demonstrationen und Streikaktionen statt.
Dass auch diese alles in allem doch recht schwachen und auf wenige Krankenhäuser beschränkten Aktivitäten schon für Druck gesorgt haben, zeigt die Reaktion von den Krankenhausbetreibergesellschaften, aber auch das schnelle Einlenken der ver.di-FunktionärInnen bei Konflikten. So wurde versucht, Demonstrationen und Warnstreiks zu verbieten. Ver.di hat bei Verhandlungsangeboten die Aktionen zumeist ausgesetzt. Nirgendwo versuchen die Gewerkschaftsführung und der Apparat, die aktiven Beschäftigten auf weitere Streikaktionen vorzubereiten.
Das zeigt erstens, dass die politischen Absichtserklärungen, etwas zu verbessern, vor allem Beruhigungspillen für alle im Gesundheitssystem Beschäftigten sind, und zweitens, dass ver.di dabei die Rolle einer Vermittlerin und auch einer Kontrollinstanz spielt. Die Kraft der Beschäftigten, sollten sie gemeinsam bundesweit für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, wird von der gesamten Branche und der Regierung gefürchtet. Es gibt durchaus enormes Potential, die Belegschaften auf die Straße zu bringen. Doch zugleich zeigen sich die Schwierigkeiten auch bei der Vorbereitung und Mobilisierung zur Demonstration am 20. Juni. Ver.di ruft zur Demonstration gegen die Gesundheitsministerkonferenz auf und stellt auch durchaus richtige Forderungen. Aber die Mobilisierung findet nicht flächendeckend, sondern mit sehr unterschiedlicher Intensität statt. In vielen Städten wird fast nichts dafür getan. Vor allem aber gibt es keine Kampfperspektive über die Demonstration hinaus. Die Gewerkschaftsführungen versuchen allenfalls, über Volksbegehren und andere Initiativen politische Dynamik zu entfalten, während die Perspektive eines politischen Streiks für mehr Personal, gleiche Arbeitsbedingungen und höhere Löhne, hinreichende Ausfinanzierung, Enteignung der Gesundheitskonzerne und Verbesserung der Gesundheitsversorgung nicht thematisiert wird.
Dabei ist die schlechte Situation in Krankenhäusern und in der Pflege einer breiten Öffentlichkeit bewusst. Die LINKE will eine dauerhafte Kampagne zu diesem Thema machen. Das müsste ver.di eigentlich nutzen und die betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampagnen damit verbinden. Auch die SPD müsste unter Druck gesetzt werden, dass sie sich an öffentlichen Kampagnen beteiligt. Doch dazu braucht es auch in ver.di einen Kurswechsel.
Und zwar überall, das heißt einheitlich und bundesweit! Für alle, das heißt für alle Bereiche und alle Berufsgruppen. Genug Personal heißt: für eine bedarfsgerechte Versorgung und gesunde Arbeitsbedingungen, kontrolliert von den Beschäftigten! Der Kampf dafür muss aber gerade auch von ver.di systematisch organisiert werden. Wir schlagen vor: