Arbeiter:innenmacht

Staatstragender DGB: Palästinasolidarität unerwünscht

Martin Suchanek, Infomail 1253, 2. Mai 2024

In Berlin und Leipzig erhielten Polizei und Regierungen bei den DGB-Demonstrationen am 1. Mai engagierte Unterstützung von einer weiteren Hilfstruppe zur Durchsetzung der Staatsräson: den Ordner:innen und verantwortlichen Organisator:innen der DGB-Demos.

Internationale Solidarität, die über den Rahmen von hohlen Phasen und unverbindlichen Floskeln hinausgeht, also wirklich Solidarität ist, wurde kurzerhand für unerwünscht erklärt. In Berlin und Leipzig wurde schon das Tragen von Palästinafahnen verboten. Zuwiderhandelnden wurde mit dem Ausschluss aus der Demonstration gedroht, notfalls mithilfe der Polizei. Dass dies keine leere Drohung war, zeigte sich in Berlin, als Genoss:innen festgenommen und der Demo verwiesen wurden. In Leipzig konnten palästinensische und solidarische Aktivist:innen nur mitdemonstrieren, wenn sie ihre Fahnen einrollten.

Damit nicht genug: In Berlin wurde vor allem der klassenkämpferische Block Zielscheibe der Repression und Schikanen. Mehrmals wurde mit dessen Ausschluss aus der Demonstration gedroht. Eine Ordner:innentruppe, die in erster Linie von der Berliner DGB-Jugend gestellt wurde, tat sich dabei besonders hervor. Faktisch handelte es sich um antideutsche, rassistische Nachwuchsbürokrat:innen, die sich bei der Entsolidarisierung mit den Opfern der israelischen Bombenmaschinerie und Besatzung mit vollem Elan ins Zeug legten und immer wieder versuchten, die Polizei ins Spiel zu ziehen. Am Ende der Demonstration versuchten sie schließlich auch noch, den antikapitalistischen Block daran zu hindern, auf den Platz der Abschlusskundgebung zu gelangen, doch diese konnte die antideutsche Bande zum Glück beiseiteschieben.

Damit schließlich auch die Abschlusskundgebung nicht weiter „gestört“ wurde, ließen es sich die DGB-Ordner:innen nicht nehmen, weiter möglichen „Störer:innen“ Platzverweise zu erteilen. Ansonsten wurde von der Bühne wie bei den DGB-Kundgebungen im ganzen Land das „übliche“ Programm der Gewerkschaftsbürokratie abgespult. Nichts von den Lohn- und Einkommensverlusten der letzten Jahre, die die DGB-Gewerkschaften mitorganisiert haben, nichts von den laufenden und kommenden Angriffen – dafür viel Selbstbeweihräucherung, Lob auf die Sozialpartner:innenschaft und Reden, die so mitreißend waren wie die Durchsagen auf einem Bahnhof.

Ein Schlag ins Gesicht

Doch zurück zum eigentlichen politischen Skandal. Internationalismus spielte in den sozialdemokratisierten, bürokratisierten DGB-Gewerkschaften über Jahrzehnte nie mehr als eine dekorative Rolle. In den entscheidenden Momenten der Geschichte standen die Spitzen des deutschen Gewerkschaftsapparates auf Seiten „ihrer“ herrschenden Klasse oder erwiesen sich im Kampf gegen den Faschismus als gelähmt durch ihre Politik der Klassenkollaboration. Insofern sollte der nationalistische Schulterschluss der reformistisch geführten Organisationen niemanden überraschen.

Wohl aber verdienen zwei Aspekte unsere Aufmerksamkeit:

1. Der offensive, reaktionäre Charakter der Ausgrenzung.

Diese richtete sich nicht nur gegen klassenkämpferische, linke und palästinensische Aktivist:innen, Organisationen und Gewerkschafter:innen. Sie ist vor allem auch ein Schlag ins Gesicht der palästinensischen Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen selbst. Deren Aufruf „Beendet alle Komplizenschaft, stoppt die Bewaffnung Israels!“ wurde vom Lautsprecherwagen des klassenkämpferischen Blocks verlesen. Allein den Beschluss zahlreicher palästinensischer Gewerkschaften bekanntzumachen, nahmen die DGB-Ordner:innen zum Anlass, mit einem Ausschluss des Blocks zu drohen. Der Text und die Reden wären „eskalativ“, was insbesondere die Anklage an Israel verdeutlichte, in Palästina einen Völkermord durchzuführen. Gemäß dieser staatstreuen Logik eskaliert also nicht, wer den genozidalen Angriff verübt, sondern wer ihn anprangert und stoppen will.

Diese Absurdität wird nur durch den rassistischen und barbarischen Kern ihres Inhalts übertroffen.

Den DGB-Oberen ist dabei durchaus bewusst, dass diese Position nicht nur den Forderungen der palästinensischen Gewerkschaften, sondern auch den Beschlüssen internationaler Verbände direkt widerspricht. So haben am 31. Januar mehrere große Dachorganisationen (Building and Woodworkers International, Education International, IndustriALL, International Federation of Journalists, International Transport Workers’ Federation, Public Services International, UNI Global Union), denen die meisten DGB-Einzelgewerkschaften angehören, den Aufruf „Global unions call for unified action following ICJ ruling on Gaza genocide case“ veröffentlicht. Darin fordern sie Israel auf, den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes (ICJ) Folge zu leisten, „sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um Völkermord zu verhindern und die Aufstachelung zum Völkermord zu bestrafen“.

Doch die Spitzen des DGB und der Einzelgewerkschaften weigern sich beharrlich, diesen und viele weitere Beschlüsse zu übersetzen, zu veröffentlichen und ihnen Folge zu leisten. Statt internationale Solidarität mit den Arbeiter:innen aller Länder heißt das Motto: Staatsräson, gemeinsame Sache mit SPD, Grünen, FPD, CDU/CSU und notfalls auch mit der AfD. Während das Gros der Führungen in den deutschen Gewerkschaften am liebsten zu Palästina nicht sagen will und so die Regierungen nur „passiv“, durch Nichtstun unterstützt, setzen die antideutschen Einpeitscher:innen aus dem bürokratischen Nachwuchs auf offensive Entsolidarisierung, überholen das Gros des Apparates rechts, empfehlen sich solcherart schon für „höhere“ Jobs im Staatsapparat, sollte es mit der Karriere bei den Gewerkschaften doch nicht klappen.

2. Die Ordner:innen und der DGB-Apparat fungieren faktisch als politische Polizei in der Arbeiter:innenklasse.

Das ist zwar geschichtlich nichts Neues, weder in Deutschland noch international, sondern eigentlich ein Kennzeichen für die Gewerkschaften in der imperialistischen Epoche. Aber es erhebt sich die Frage, warum gegen eine im Moment eigentlich selbst nur schwache, oft sogar marginalisierte klassenkämpferische Linke in den Betrieben und Gewerkschaften am Ersten Mai derartig repressive Geschütze aufgefahren werden. Schließlich könnte der Apparat den Linken in den Gewerkschaften mit der über Jahrzehnte erprobten Politik der repressiven Toleranz begegnen, den Linken ihre Reden, Fahnen, Parolen erlauben und zugleich noch alles unter Kontrolle halten.

Der Grund dafür liegt darin, dass der Gewerkschaftsapparat selbst an seine eigenen selbstgefälligen Sonntagsreden nicht glaubt, dass ihm durchaus bewusst ist, dass seine eigene sozialpartnerschaftliche und staatstragende Politik nicht irgendwelche Fortschritte bringt, sondern die Verschlechterungen für Lohnabhängige bloß mitverwaltet und allenfalls sozialer austariert. Daher auch das ständige Mantra der Bürokratie, dass Gewerkschaften und Betriebsräte in die „Transformation“ der deutschen Wirtschaft „eingebunden“ werden müssten. Diese Mischung aus Mahnung, Erinnerung und Bittstellerei an Staat und Kapital kommt nicht von ungefähr. Schließlich wachsen die gewerkschafts- und betriebsratsfreien Sektoren, schließlich vertiefen sich die Spaltungslinien innerhalb der Arbeiter:innenklasse.

Doch statt diesen offensiv entgegenzuwirken, akzeptiert die Politik der Bürokratien ebendiese oder macht bei der Spaltung auch aktiv mit.

So bei der Entsolidarisierung mit den palästinensischen Gewerkschaften, mit den palästinensischen, arabischen und muslimischen Kolleg:innen – und damit beispielhaft mit allen rassistisch Unterdrückten. Die Gewerkschaften reproduzieren faktisch die verlogene „Willkommenskultur“ der deutschen imperialistischen Demokratie, die für immer mehr Menschen Abschottung der Festung Europa, Entrechtung, Lagersysteme für Geflüchtete und Abschiebung bedeutet. Im Gegenzug für diese Politik erhoffen sich die Bürokrat:innen ein paar soziale Zugeständnisse für ihre Kernklientel und auf deren sozialchauvinistische Einbindung in das Geschäfts- und Ausbeutungsmodell des deutschen Imperialismus.

Die Unterdrückung der Kritik an diesem Kurs manifestiert sich heute konkret vor allem an der Palästinasolidarität. Denn hier wird es heute ernst mit Staatsräson wie auf keinem anderen Gebiet. Hier muss man Farbe bekennen.

Das wissen die Gewerkschaftsspitzen. Daher führen sie, ähnlich wie die Regierungen, die Repressionskräfte und Medien auf rechtlicher, polizeilicher und ideologischer Ebene auch in den Gewerkschaften und Betrieben eine Art Präventivschlag. Niemand sollte sich daher der Illusion hingeben, dass das Vorgehen der DGB-Ordner:innen in Berlin und Leipzig ein lokales Ereignis darstelle oder nur auf den „Übereifer“ antideutscher, rassistischer Nachwuchsfunktionär:innen zurückzuführen sei, auch wenn das Vorgehen in den Städten nicht flächendeckend reproduziert wurde. So schritten beispielsweise in München, Nürnberg oder Stuttgart keine Gewerkschaftsordner:innen gegen Palästina-Fahnen oder Parolen ein, in München „begnügte“ sich die DGB-Vorsitzende Burger damit, sich davon zu distanzieren und zu verkünden, dass diese Menschen „nicht Teil unserer Bewegung“ seinen.

Den DGB-Spitzen ist zweifellos klar, dass die „bedingungslose Solidarität mit Israel“ weder in der Bevölkerung insgesamt, noch in der Arbeiter:innenklasse, noch unter den Gewerkschaftsmitgliedern über eine Mehrheit verfügt. Das heißt keineswegs, dass diese einen konsequenten antiimperialistischen, internationalistischen Klassenstandpunkt vertreten würden. Im Gegenteil, der Mehrheit der Arbeiter:innen sind die Geschichte und die Ursachen des Krieges unklar – und es wäre auch ein Wunder, wenn sie angesichts der Monopolstellung der bürgerlichen Medien und ihrer Gegenaufklärung klarsehen würden. Aber sie können dennoch nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet an einen Staat weitere Waffen und Kriegsgerät geliefert werden sollen, der binnen weniger Monate rund 35.000 Menschen, davon die meisten Zivilist:innen, wegbombardiert, Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat und mit der nächsten Großoffensive droht.

Die Spitzen der Gewerkschaften und die Mehrheit des Apparats wissen im Gegensatz zu den unteren Rängen antideutscher Nachwuchskräfte, die ganz im Geiste kolonialer deutscher Traditionen das Pogrom für eine „zivilisatorische Mission“ halten, dass die große Mehrheit der Gewerkschaftsmiglieder und auch der Arbeiter:innenklasse keine Sympathie für diesen rassistischen Unfug hegt. Sie wollen vielmehr Frieden, ein rasches Endes des Krieges, einen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe. Mit dieser, im wesentlichen sozialpazifistischen Haltung stehen sie aber im Gegensatz zur Regierung und damit auch zur Politik der Apparate. Das Risiko einer offenen innergewerkschaftlichen Diskussion zu Palästina will der Apparat aus gutem Grund nicht eingehen, daher setzt er auf Sprechverbote, Abwürgen von Diskussion und, wie am Ersten Mai, auf innergewerkschaftliche Repression und Ausschlussdrohungen. Vor diesem Hintergrund stellt das hysterische Verhalten der Ordner:innen in Berlin und Leipzig kein Zeichen der Stärke, sondern eines der Schwäche dar. Natürlich sollten wir uns nichts vormachen. Das Arsenal innergewerkschaftliche Repression ist längst nicht ausgeschöpft. Doch die Antwort darauf darf kein Zurückweichen vor Bürokratie und Vorständen sein, sondern sie muss vonseiten der linken, klassenkämpferischen, internationalistischen Gewerkschafter:innen offensiv und organisiert ausfallen.

Wir müssen die Repression, Fahnenverbote, den skandalösen Ausschluss von Kolleg:innen und deren Denuziation an die Polizei öffentlich machen und vor allem auch innergewerkschaftlich, auf Versammlungen, Gremien und in Betriebsgruppen thematisieren. Ordner:innen und Verantwortliche, die Kolleg:innen von den DGB-Demonstrationen ausgeschlossen haben oder ausschließen wollten, die sich mit einem unterdrückten Volk und mit palästinensischen Gewerkschaften solidarisieren, müssen von ihren Funktionen entfernt, ja müssten eigentlich wegen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens ausgeschlossen werden. Davon sind wir sicher noch weit entfernt und das stellt letztlich auch nicht die Hauptfrage dar.

Wohl aber ist die Solidarität mit Palästina auch in den Betrieben und Gewerkschaften eine entscheidende Kampffrage. Erstens, weil die dort Beschäftigten die Macht haben, Waffen an Israel und andere wirtschaftliche und politische Unterstützung von Krieg, Besatzung und Unterdrückung zu stoppen. Zweitens aber auch, weil die Solidarität mit Palästina auch eine entscheidende Frage darstellt, um die Unterordnung der Gewerkschaften unter den bürgerlichen Staat anzugreifen und zu schwächen. Daher müssen wir versuchen, die verschiedenen gewerkschaftlichen Initiativen und Unterschriftenlisten gegen die Politik der Vorstände zusammenzuführen und zu koordinieren.

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