Arbeiter:innenmacht

Politische Krise in Pakistan hält an

Shehzad Arshad, Infomail 1194, 7. August 2022

Schwere Instabilität und Krisen sind in Pakistan zur Normalität geworden. Die derzeitigen politischen Turbulenzen begannen Anfang April, als die Opposition in der Nationalversammlung einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Imran Khan stellte. Der Parlamentspräsident versuchte diesen mit zweifelhaften Mitteln zu verhindern und lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass sich die USA gegen die Regierung verschworen hätten.

Nach einer Woche steigender politischer Spannungen, begleitet von der Intervention des Armeechefs und des Obersten Gerichtshofs, scheiterte dieses undemokratische Manöver und der Misstrauensantrag wurde erneut gestellt. Khans Partei, die Pakistan Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit; PTI), verlor ihre Mehrheit und die Regierung stürzte. Daraufhin wurde Shehbaz Sharif von der Pakistanischen Muslimliga (PML-N; N für Gruppe Nawaz) zum Premierminister ernannt.

Streit um den Punjab

Nachdem die PML-N die Zentralregierung errungen hatte, begann der Kampf um die Macht im Punjab, der größten Provinz Pakistans. Hier standen sich Hamza Shahbaz von der PML-N und deren Verbündete auf der einen Seite und die PTI und die Pakistanische Muslimliga-Q (PML-Q; Q für Gruppe Quaid-e-Azam) auf der anderen Seite gegenüber.

Während des dreimonatigen Konflikts wurde Hamza Shahbaz zweimal zum Regierungschef gewählt, aber im Mai 2022 entschied der Oberste Gerichtshof, dass Mitglieder der Punjab-Versammlung ihre Sitze verlieren sollten, weil sie gegen den Beschluss ihrer Partei, der PTI, verstoßen hatten, indem sie Hamza Shahbaz unterstützten. Als für diese Sitze Neuwahlen abgehalten wurden, gewann die PTI mit einer großen Mehrheit.

Trotz des Sieges der PTI bei diesen Nachwahlen und, obwohl sie die Mehrheit in der Punjab-Versammlung errungen hatte, wurde Hamza Shahbaz zunächst wieder zum Regierungschef gewählt, weil der stellvertretende Sprecher des Abgeordnetenhauses die Stimmen der Mitglieder der PML-Q auf der Grundlage einer früheren Gerichtsentscheidung für ungültig erklärte. Der Oberste Gerichtshof wies dieses Manöver jedoch zurück. So wurde schließlich Chaudhry Pervaiz Elahi (PML-Q) mit den Stimmen von PTI und PML-Q zum neuen Premierminister der Provinz gekürt.

Diese schmutzigen Tricks beider Seiten beweisen nicht nur den verkommenen Charakter der politischen Parteien Pakistans. Es handelt sich um mehr als eine weitere Runde undemokratischer und autoritärer Maßnahmen, die selbst den bürgerlichen Verfassungsrahmen zum Gespött machen. Diese Kämpfe sind selbst Ausdruck tiefer und schwerwiegender Spaltungen innerhalb des Staates, die die herrschende Klasse im Parlament nicht zu überwinden vermag.

Die politische Krise hat ein solches Ausmaß erreicht, dass die herrschende Klasse und ihre politischen Führerungen sich als unfähig erweisen, die drängenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme des Landes zu lösen. In der Tat wird der Regierungswechsel im Punjab die inneren Widersprüche jetzt noch vertiefen.

Nationale Auswirkungen, die Krise und der Internationale Währungsfonds

Die Niederlage der PML-N in der parlamentarischen Versammlung des Punjab hat die Bundesregierung selbst in ernste Gefahr gebracht. Die Krise des Staates hat sich verschärft und die Widersprüche in den staatlichen Institutionen haben sich zugespitzt. Ein Ausdruck davon war die jüngste Sitzung des Obersten Justizrates, bei der fünf vom Obersten Richter nominierte Richter:innen von anderen Mitgliedern abgelehnt wurden. Auch in der Armee gibt es ernsthafte Meinungsverschiedenheiten darüber, wie es nach dem Scheitern des PTI-Regierungsprojekts weitergehen soll, was sich in der derzeitigen Krise deutlich widerspiegelt. Diese und andere Auseinandersetzungen haben die entscheidende Rolle der Armee im Land in der unmittelbaren Zukunft eingeschränkt.

Die PML-N, die schon vorher ernsthafte innere Widersprüche in Bezug auf das weitere Vorgehen aufwies, steht nach ihrer Niederlage bei den Wahlen in Punjab nun unter starkem Druck. Die Partei übt nun wieder offen Kritik an den gespaltenen und gescheiterten staatlichen Institutionen. Sie macht das Militär und die Justiz für alle Missstände verantwortlich und stellt sich selbst als Kämpferin für Demokratie und die Herrschaft des Volkes dar.

In Wirklichkeit handelt es sich nicht um ein Ringen um die Demokratie, wie einige Liberale und Linke meinen. Es ist eindeutig ein Kampf um die Interessen und die Verwaltung des Systems. Es gibt Widersprüche in Bezug auf den Nutzen und die Methoden zur Steuerung des Systems. Einen Hauptgrund für die gegenwärtige Krise stellt auch die Position Pakistans im globalen kapitalistischen System dar.

Bevor er 2018 an die Macht kam, behauptete Imran Khan, er würde eher Selbstmord begehen, als zum Internationalen Währungsfonds zu gehen und dessen Bedingungen zu akzeptieren. Nach ein paar Monaten im Amt vergaß er jedoch schnell seine Worte und schloss einen Deal mit dem IWF ab, wobei er für die kommenden Jahre extrem harte Auflagen hinnahm, die auch heute noch gelten müssen.

Nach der Einigung unternahm er im Namen der Korruptionsbekämpfung die schlimmsten Angriffe auf die Arbeiter:innen und die Armen. Als das Covid-19-Virus das Land traf, wurden die Kreditrückzahlungen verschoben und das IWF-Programm ausgesetzt. Das Regime steckte Milliarden von Rupien in die Taschen der Kapitalist:innen im Namen der nationalen Wirtschaft. Dies führte zu einem historischen Anstieg ihrer Profite und einer begrenzten Erholung der Wirtschaft, aber alle strukturellen Probleme blieben ungelöst oder verschlimmerten sich sogar.

Bald hatte das Leistungsbilanzdefizit die Wirtschaft fest im Griff. Während dieser Zeit fuhr die Regierung Imran Khan fort, sowohl die Kapitalist:innen zu belohnen als auch die arbeitende Bevölkerung anzugreifen und ihr das Leben schwerzumachen. Außerdem führte die Aussetzung der IWF-Bedingungen während des Höhepunkts der Pandemie dazu, dass die Vereinbarung selbst 2021 neu verhandelt werden musste. Dies führte zu zusätzlichen Auflagen wie Subventionskürzungen, weiteren Privatisierungen und einer Reform der Staatsbank. Jetzt präsentiert sich der PTI-Chef als Freund des Volkes, der gegen Ungerechtigkeit kämpft. Das ist eine Farce.

In der Zwischenzeit hat die Regierung Shehbaz Sharif die drakonischen Bedingungen für die Fortsetzung des IWF-Programms akzeptiert – und die gesamte Verantwortung für die Krise der vorherigen Regierung Imran Khan in die Schuhe geschoben. Obwohl die Steuern enorm gestiegen sind und die IWF-Vereinbarung vollständig umgesetzt wurde, ist der Wert der Rupie in weniger als vier Monaten um 27,2 % gesunken. Die Reserven, die Ende März noch 11,425 Mrd. US-Dollar betrugen, sind bis zum 22. Juli auf 8,575 Mrd. zurückgegangen. Das reicht nicht aus, um den vierzigtägigen Bedarf an Einfuhren des Landes zu decken.

Trotz der Zustimmung zu den IWF-Bedingungen wurden dem Land im Juli 1,8 Mrd. US-Dollar vom IWF nicht überwiesen. Erst nach einem Anruf des Armeechefs bei der US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman teilte der IWF schließlich mit, dass Pakistan alle Bedingungen akzeptiert habe und das Programm bis Ende August wieder in Kraft gesetzt werden würde.

Nach Angaben von Finanzminister Miftah Ismail werden weitere 4 Mrd. US-Dollar von befreundeten Ländern (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) erwartet, um die Devisenreserven zu stabilisieren. Außerdem sind Darlehen in Höhe von 3,5 Mrd. US-Dollar von der Asiatischen Entwicklungsbank, 2,5 Mrd. US-Dollar von der Weltbank und 400 bis 500 Mio. US-Dollar von der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank vorgesehen. Dies bedeutet, dass die Wirtschaft des Landes auf der Grundlage von Schulden steht. Derzeit beläuft sich die Verschuldung auf 72 % des Bruttioinlandsprodukts, und der Anteil der Schuldentilgung am Haushalt des Landes beträgt 40 % und wird im nächsten Jahr wahrscheinlich 50 % übersteigen.

Die Regierung muss im nächsten Haushaltsjahr 21 Mrd. US-Dollar an Auslandsschulden zurückzahlen, während das Leistungsbilanzdefizit im Haushaltsjahr 2021 – 2022 17,406 Mrd. US-Dollar beträgt. Durch die Aufwertung des US-Dollars kann das Leistungsbilanzdefizit entgegen den Erwartungen der Regierung wieder ansteigen.

Zur Deckung all dieser Zahlungen wird eine weitere Kreditaufnahme erforderlich sein und aufgrund der Abwertung der Rupie ist auch ein weiterer Anstieg möglich. Dies bedeutet, dass die Pakistaner:innen mit einer dramatischen wirtschaftlichen Situation konfrontiert sind. Auch wenn die Wirtschaft nicht unmittelbar vom Bankrott bedroht ist, so ist sie doch aufgrund struktureller Probleme und ihrer Position im globalen kapitalistischen System ernsthaften Risiken  ausgesetzt.

Die einzige Lösung, die die herrschende Klasse vertritt, ist die Umsetzung der IWF-Politik, damit das System nicht zusammenbricht und weiterhin im Interesse der Kapitalist:innen funktioniert. Um die Forderungen des IWF und anderer Kreditgeber:innen zu erfüllen, greift die Regierung die Arbeiter:innen, die bäuerliche Bevölkerung und die Armen an.

Derzeit liegt die Inflationsrate in Pakistan bei 40 %. Dieses Monster von Inflation erdrückt das Leben der einfachen Leute. Für die Arbeiter:innenklasse, die Armen in der Stadt und auf dem Land ist es schwierig geworden, sich zwei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Schon jetzt erhalten die Menschen keine medizinische Behandlung und müssen ihre Kinder von Bildungseinrichtungen abmelden.

Die Befolgung dieser IWF-Politik bedeutet, dass die pakistanische Wirtschaft weiter schrumpfen wird, was zur Folge hat, dass mehr Arbeiter:innen arbeitslos oder unterbeschäftigt werden. Das heißt, die Regierung hat beschlossen, die Arbeiter:innen und die Armen im Namen der wirtschaftlichen Erholung lebendig zu begraben. Darüber hinaus wird sie auch die Privatisierung von Elektrizitätsunternehmen und anderen Einrichtungen verfolgen. Die Regierung hat dem IWF solche Pläne zugesichert, und die reguläre Versammlung hat einen Gesetzentwurf für den Verkauf staatlicher Unternehmen an die Regierungen befreundeter Länder verabschiedet.

Was ist zu tun?

Jetzt müssen sich die Organisationen der Arbeiter:innenklasse, der Bäuer:innenschaft, der Armen und aller Unterdrückten, die Opfer des IWF und der Regierung auf ein Aktionsprogramm einigen. Die Gewerkschaften, linken Parteien und Organisationen müssen einen gemeinsamen Kampf gegen die Angriffe und für eine alternative Lösung der aktuellen Krise führen. Dazu schlagen wir eine Reihe von Kernforderungen vor, um die Krise im Interesse der Arbeiter:innenklasse zu lösen.

Zum Beispiel sollte der Mindestlohn ausreichen, um den Arbeiter:innen eine angemessene Lebensqualität zu ermöglichen. Ihre Löhne sollten an die Inflation gekoppelt sein. Für jeden einprozentigen Anstieg der Inflation sollte es eine einprozentige Lohnerhöhung geben.

Um eine solche Forderung durchzusetzen und einen wirksamen Kampf zu führen, werden die derzeit zersplitterten Gewerkschaften, die nur ein kleines Prozent der 60 Millionen starken Arbeiter:innenklasse organisieren, und die sehr schwachen linken Organisationen nicht ausreichen. Sie müssen für Massenversammlungen und die Wahl von Aktionsräten in allen Betrieben, ob privat oder öffentlich, in Arbeiter:innenbezirken, in der Stadt und auf dem Land eintreten.

Auf diese Weise können die derzeit Unorganisierten organisiert werden und gemeinsam mit den bestehenden Gewerkschaften und linken Parteien kämpfen, indem sie die Arbeiter:innen und Armen zu Massendemonstrationen, Besetzungen und Massenstreiks versammeln, um das IWF-Programm aufzuheben und die Reichen für die Krise zahlen zu lassen. Solche Organe könnten auch die Umsetzung von Forderungen wie einem Mindestlohn und der Indexierung von Löhnen und Sozialleistungen oder Renten kontrollieren.

Anstelle der Privatisierung sollten staatliche Einrichtungen der demokratischen Kontrolle der Arbeiter:innenklasse unterstellt werden. Alle Einrichtungen, die nach der Privatisierung geschlossen wurden, sollten unter Kontrolle der Arbeiter wieder verstaatlicht werden. Diejenigen, deren Verwaltung dem privaten Sektor überlassen wurde, sollten der demokratischen Kontrolle der Arbeiter:innenklasse unterliegen, wodurch alle Arten der Privatisierung rückgängig gemacht werden.

Anstatt Arbeitsplätze abzubauen, sollte die Arbeitszeit verkürzt werden, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Bildungs- und Gesundheitshaushalte sollten aufgestockt werden, indem Kapitalist:innen, Großgrundbesitzer:innen, multinationale Unternehmen und andere reiche Teile der Gesellschaft mit einer Vermögenssteuer belegt werden. Auf dieser Grundlage könnten neue Gesundheitszentren und Bildungseinrichtungen geschaffen werden.

Es muss Schluss sein mit allen Steuerbefreiungen und Subventionen für die Kapitalist:innen- und Grundbesitzer:innenklasse. Massive Mittel sollten in die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft fließen, insbesondere um den Konsumbedarf der Massen zu decken. Das Land sollte von den Großgrundbesitzer:innen enteignet und der Bauern- und Bäuerinnenschaft und den Landarbeiter:innen übergeben werden. Es sollten Preiskontrollkomitees eingerichtet werden, die die ländlichen Produzent:innen mit den Arbeiter:innen in den Städten verbinden.

Die Mittel für Entwicklungsprojekte müssen in großem Umfang aufgestockt werden, damit soziale Einrichtungen und kostenlose Wohnungen für die Arbeiter:innenklasse sowie für die Armen auf dem Land und in der Stadt gebaut werden können.

Unternehmen, die Strom produzieren, müssen vom Staat übernommen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter:innenklasse gestellt werden.

Die Ablehnung des IWF-Programms, einschließlich der Weigerung, die Schulden der globalen Wirtschaftsinstitutionen zurückzuzahlen, ist eine Vorbedingung für die geplante und ausgewogene Entwicklung der Wirtschaft. Aber all dies kann niemals von einer Regierung durchgeführt werden, die dem Kapitalismus verpflichtet ist.

Wir brauchen eine Regierung, die sich auf die Arbeiter:innenorganisationen selbst stützt, die im laufenden Kampf geschaffen werden müssen, um die bestehende katastrophale Situation zu bewältigen und die Interessen der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung zu verteidigen.

Die Unterstützung für eine solche Strategie wird nicht spontan erfolgen, sie muss durch eine entschlossene Kampagne gewonnen werden. Diejenigen, die die Notwendigkeit einer revolutionären Strategie erkennen, sei es in linken Parteien oder Gewerkschaften, müssen sich organisieren, um in allen Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie unter den unterdrückten Schichten der Gesellschaft, den Frauen, der Jugend und den unterdrückten Nationalitäten für diese Strategie zu kämpfen.

Sie müssen sich zusammenschließen, um die politische Grundlage für eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei zu diskutieren und ein Aktionsprogramm auszuarbeiten, das den Kampf gegen den IWF mit dem Vorantreiben einer Revolution der Arbeiter:innenklasse in Pakistan und der gesamten Region verbindet. Auf diese Weise können wir uns gegen die Krise der herrschenden Klasse und ihre Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und die Armen in Pakistan wehren.

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