Martin Suchanek, Infomail 1195, 9. August 2022
Längst ist der einstige SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler, Gerhard Schröder, seiner Partei zur politischen Last geworden. Doch so schnell wird die Sozialdemokratie jenen Mann nicht los, der ihr einst den Sieg über Helmut Kohl und eine rot-grüne Regierung einbrachte – und dessen Kabinett uns die Unterstützung der Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan, Hartz- und Agenda-Gesetze bescherte.
Doch wegen der rot-grünen Regierungspolitik im Interesse des deutschen imperialistischen Kapitals stand Schröders SPD-Mitgliedschaft ohnedies nie zur Disposition. Unterordnung unter die Interessen der herrschenden Klasse gehört schließlich seit dem August 1914 zum Wesen sozialdemokratischer Politik.
17 SPD-Gliederungen hatten in den letzten Monaten vielmehr die Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen Schröder – also faktisch dessen Ausschluss – gefordert wegen seiner prorussischen Politik, seiner Freundschaft zu Putin und seiner geschäftlichen Verstrickung mit russischen Energiemonopolen. Vor der Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover wurden diese Anträge am 7. August allesamt zurückgewiesen. Weitere Instanzen und möglicherweise der Weg vor bürgerliche Gerichte könnten folgen.
Wie schwer oder leicht der SPD die Trennung vom peinlich gewordenen Ex-Kanzler fallen mag, der sein Parteibuch partout nicht freiwillig abgeben will, interessiert uns ebenso wie die Parteiordnung der Sozialdemokratie nur am Rande. Wie einst beim Rechtspopulisten Thilo Sarrazin mag sich ein Ausschlussverfahren über Jahre hinziehen und der bürgerlichen politischen Konkurrenz ständig leichte Munition gegen die Sozialdemokratie liefern. Insofern würde die SPD-Spitze den Fall wohl am liebsten ad acta legen und hofft wohl darauf, dass das Thema „einschläft“, was freilich wenig mehr als ein frommer Wunsch sein dürfte, solange der Krieg um die Ukraine weiter wütet.
So tröstet sich der Co-Vorsitzende Lars Klingbeil mit der Behauptung, dass „Gerhard Schröder mit seinen Positionen in der SPD isoliert“ wäre. Mag sein.
Unter den Tisch soll dabei wohl gekehrt werden, dass es mit der Distanzierung von Schröder keineswegs bloß um eine unliebsame Personalie und einen störrischen Ex-Vorsitzenden und -Kanzler geht, der sich mit „seiner“ Partei entzweit hat. Schröder und seine Kabinette standen – wie übrigens auch jene von Kohl und die ersten Merkels – für die außenpolitische Doktrin einer strategischen Partnerschaft mit Russland.
Diese Ausrichtung stellte keineswegs weder bloß Schröders Privatmeinung dar noch beruhte sie, wie es heute die Weißwäscher:innen des aktuellen Kurses der Bundesregierung darstellen, auf einer „naiven“ Einschätzung Putins oder Russlands – und erst recht nicht auf „Männerfreundschaften“.
Die durchaus immer schon fragwürdige Kumpanei eines Kohl mit Jelzin, eines Schröder mit Putin symbolisierte in Wirklichkeit nur eine andere strategische Ausrichtung des deutschen (wie auch des französischen) Imperialismus in den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf einen eigenständigeren, zur Weltmacht fähigen, von Deutschland und Frankreich geführten imperialen EU-Block. In diesem Rahmen zielte die Partnerschaft mit Russland immer auf dieses Land als Juniorpartner ab, als militärische und geopolitische Größe, die allerdings ökonomisch immer nur eine zweite oder dritte Geige spielen konnte.
Diese strategische Option des deutschen und französischen Imperialismus stellte damals für die USA eine globale Herausforderung dar – und, wäre sie aufgegangen, keine geringere als das heutige China. Die Ukrainepolitik der USA bildete dabei seit 2004 einen der Hebel, um diese mögliche Allianz zwischen Berlin, Paris und Moskau zum Scheitern zu bringen. Spätestens 2014 waren die USA darin so weit erfolgreich, dass die „Partnerschaft“ mit Russland aufgekündigt werden musste. Mit dem Krieg 2022 ist an eine Rückkehr zu diesem Kurs, jedenfalls für die absehbare Zukunft, nicht mehr zu denken.
Derweil müssen die imperialistischen Ambitionen Deutschlands und der EU daher im Rahmen einer US-geführten westlichen Kooperation und NATO-Kriegsallianz verfolgt bzw. bewältigt werden. Für Schröder und anderer Vertreter:innen seines außenpolitischen Kurses findet sich im bürgerlichen politischen Establishment auf absehbare Zeit kein Platz. Daher ging er einiger seiner Privilegien als Ex-Kanzler Verlust, daher will heute in der SPD niemand oder jedenfalls niemand, der/die einen Posten an der Spitze ergattern will, Schröders Namen auch nur in den Mund nehmen.
Zweifellos. Schröders zynisch-makabere Unterstützung der russischen Aggression, seine Tätigkeit für das Monopolkapital, die Kumpanei mit dem von ihm zum „lumpenreinen Demokraten“ verklärten Bonaparten Putin empören zu Recht Tausende, wenn nicht Zehntausende sozialdemokratische Parteimitglieder. Sicherlich wollen viele von ihnen aus ehrlichen, gerechtfertigten Motiven endlich den Genossen der Bosse loswerden – nicht nur wegen seiner Russland-, sondern gerade auch wegen der Regierungspolitik unter und seit seiner Amtszeit.
Afghanistan-, Jugoslawienkrieg, EU-Austeritätspolitik und Spardiktate, Hartz-Gesetze, Agenda 2010 und massive Ausweitung des Billiglohnsektors – dafür stand und steht Schröder. Doch nur er? Wohl nicht. Vom Kanzler Scholz abwärts exekutieren die Spitzen der SPD seit Jahren und Jahrzehnten diese Politik des Altkanzlers. Gewandelt hat sich im Wesentlichen „nur“ die außenpolitische, imperiale Ausrichtung.
Doch die zynische Beschönigung der russischen Invasion in der Ukraine darf nicht vergessen machen, dass der NATO-Krieg gegen Afghanistan nicht minder barbarisch war. Wer Schröder wegen seiner menschenverachtenden Pro-Putin-Politik anklagt und vor das SPD-Schiedsgericht bringt, muss sich zumindest die Frage gefallen lassen, warum niemand wegen des nicht minder reaktionären Afghanistankrieges, der Zustimmung zum 100-Milliarden-Sondervermögen, zur NATO-Aufrüstung und –Expansion ein Parteiordnungsverfahren fürchten muss(te).
Die Antwort fällt wenig schmeichelhaft aus – auch wenn es manche SPD-Mitglieder nicht hören wollen: Wer die „richtige“, d. h. westliche imperialistische Politik unterstützt, ist in der SPD gut aufgehoben.