Arbeiter:innenmacht

Sport: zum Beispiel Beckenbauer

Bert Verhoeff / Anefo, CC0, via Wikimedia Commons

Bruno Tesch, Infomail 1241, 9. August 2023

Die Todesnachricht von Franz Beckenbauer verdrängte am 8. Januar 2024 die brisanten politischen Schlagzeilen der Treckerblockaden unerwartet vom Nachrichtenplatz eins. Vor 15 Jahren kannte ihn noch jedes Kind. Inzwischen war seine Jahrzehnte währende mediale Präsenz jäh abgestürzt.

Im Rahmen des Untersuchungsberichts seiner Antikorruptionskommission tauchten Vorwürfe gegen den Deutschen Fußballbund (DFB) über Schmiergeldzahlungen bei Stimmenkauf für die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2006 auf. In diesem Zusammenhang schlugen die Vorwürfe gegen den „Kaiser“ wie eine Bombe ein. Der Name Beckenbauers, bislang ein begehrter Werbeträger, verlor seinen Glanz ebenso wie seine Reputation als maßgeblicher DFB-Repräsentant. Er war damals Inbegriff eines unverzichtbaren Zugpferdes des Sports, seine Autorität und Weltgeltung als Sportpersönlichkeit bildeten eine scheinbar sichere Erfolgsgarantie.

V. a. die Sensationspresse hatte ihn zur Ikone hochgeschrieben und jedes seiner Worte als bedeutendes Statement gefeiert. Gelegentliche Kritik aus liberaleren Medien, z. B. an seiner Leugnung von sklavenähnlichen Ausbeutungsverhältnissen bei den Bauten für die Weltmeisterschaft in Katar, konnte ihm noch 2013 nichts wirklich anhaben.

In den letzten zehn Jahren aber wandte sich die Medienwelt brüsk von ihm ab. Vorwürfe der Steuerhinterziehung, Millionenbeträge für ein Ehrenamt kassiert zu haben, standen im Raum. Er, der das Wort eigene Fehler sonst nicht kannte, gestand Verfehlungen nunmehr ein. Die Angriffe gegen ihn konnte er nicht verkraften. Er zog sich weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurück und erkrankte in den letzten Lebensjahren. Die „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ trat in den Schatten.

Die Karriere des Franz Beckenbauer weist in seinen Stationen jedoch über ein sportliches Einzelschicksal hinaus und vollzog sich vor dem Hintergrund einer Entwicklung, die namentlich den deutschen Fußballsport kennzeichnete.

Groß geworden in den 1950er und frühen 1960er Jahren in eher proletarischem Milieu erlebte er seinen Aufstieg in einer Zeit des Umbruchs. Der DFB vollzog mit der Einführung einer zentralen obersten Spielklasse, der Bundesliga, 1963 einen längst überfälligen Schritt hinaus aus der provinziellen Enge eines föderal verschachtelten Systems. Dies geschah mit der vordergründigen Absicht, im sportlichen Konkurrenzkampf auf internationaler Ebene nicht zurückzufallen. Diese Maßnahme bewirkte sportpolitisch jedoch auch eine Einschränkung der Verbandshoheit und v. a. stellte sie neuen Hierarchien und Eigenständigkeit auf Vereinsebene die Weichen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Statuten über Spielergehälter und Geschäftsgrundlagen von Vereinen aufweichten. Einem dieser Vereine gehörte auch Franz Beckenbauer an, der als knapp 20-Jähriger mit Bayern München in die Bundesliga einzog. Schnell machte sich bezahlt, einen Klub im Rücken zu haben, der seinen Spielern die besten Annehmlichkeiten in Form von Übungsstätten, sportlicher und medizinischer Betreuung bieten konnte. Franz Beckenbauer trug bald nicht nur den Bayerndress, sondern auch das Trikot der BRD-Auswahl, die er als Kapitän später zu Weltmeisterehren  anführen sollte.

1974 war bereits das Trikotwerbeverbot für Fußballvereine und damit ein weiterer Dominostein auf dem Wege der Durchkapitalisierung des deutschen Fußballs gefallen.

Längst konnten die Vereine ihre Unkosten nicht mehr durch den Erlös aus Stadioneintrittsgeldern für die Spielrunden oder Zuwendungen wohlwollender Mäzen:innen decken, sie mussten andere Einnahmequellen anzapfen. Zunächst wich man auf den Verkauf von Fan-Artikeln aus, doch dies erforderte auch einen erhöhten Personalaufwand.

Feste Werbeverträge mit potenten Geschäftspartner:innen waren gefragt. Neben den Vereinen konnten auch Aktive, falls sie denn sportliche Erfolge und Repräsentanz vorzuweisen hatten, sich auf die Art existenziell arrondieren. Franz Beckenbauer durch Vereinsmeister- und DFB-Auswahltitel war prädestiniert für diese Rolle. Er wäre wahrscheinlich auch Weltfußballer geworden, wenn es diese Auszeichnung denn zu seiner Aktivenzeit bereits gegeben hätte. Im Laufe seiner Karriere generierte er mehr Einnahmen als jeder andere deutsche Fußballer.

Nach dem Ende seiner spielerischen Laufbahn war er eher begleitend tätig und bewegte sich bald in den einflussreichen Kreisen der Arrivierten, auch des Fußballweltverbandes FIFA. Franz Beckenbauer hatte es nicht nötig, sich bspw. im Trainergeschäft zu verbrennen, und dennoch, als die Weltmeisterschaft 1990 anstand, schuf der DFB ihm, der längst nur noch mit dem Beinamen „Kaiser“ apostrophiert wurde, eigens einen in der DFB-Satzung nicht vorgesehenen Posten als „Teamchef“. Er wurde als Macher des Titelgewinns gefeiert, ebenso wie ihm später zugeschrieben wurde, die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland geholt zu haben.

Beckenbauer signalisierte auch den Umbruch in der öffentlichen Wahrnehmung einer Sportart. Gegründet als Mannschaftssport, der ihm weltweit den proletarischen Massenanhang beschert hat, klafft eine immer größere Dimension zwischen dem Schein des Identifikationsanreizes, dem Zusammenhalt, der Solidarität im Verein, in einer Mann-/Frauschaft und dem Starkult um Einzelpersonen, der ein völlig anderes, aber gleichermaßen Trugbild im Spitzensport vermittelt.

Franz Beckenbauer betrieb zum Schluss mit Vorliebe einen der Nähe zum Proletariat gänzlich unverdächtigen Einzelsport – Golf. Symbolisch steht dies für seinen Werdegang. Als Sohn eines mittleren Postbeamten schaffte er den Aufstieg und den damit verbundenen Ausstieg aus der Lohnarbeiter:innenklasse zum mehrfachen Millionär, zur Lichtgestalt des deutschen Fußballs – ein Aufstiegsversprechen, das heute mehr und mehr abgenützt ist und gerade deshalb täglich anhand kleiner Beckenbauers bei Sport und Spielen wiederholt wird. Noch als Kaiser war Beckenbauer zugleich seine eigene Kopie, Lichtgestalt und deren unfreiwillige Parodie zugleich. Doch trug er als Kunstfigur noch einen gewissen Schein der Einzigartigkeit mit sich. Heute sind die Idole längst zur Massenware geworden. Ihre inszenierte Individualität ist letztlich nur die Erscheinungsform des Immergleichen. Angesichts der immer größer geworden kommerziellen Sportmaschinerie erscheint der verstorbene Beckenbauer, der lange als ihr Vorreiter galt, wie aus der Zeit gefallen, ein bloß noch nostalgisches Überbleibsel einer vergangenen Periode.

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