Arbeiter:innenmacht

Mahle Neustadt/Donau: Geht der Kahlschlag bei den Autozulieferern weiter?

Mattis Molde, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Der Personalabbau in der Autoindustrie ist voll im Gange: Von 850.000 Beschäftigten im Jahr 2019 sind noch 760.000 im Jahr 2022 übrig gewesen, also fast 100.000 weniger. Diese Entwicklung spielt sich vor allem in der Zulieferindustrie ab. Kleinere Unternehmen wie GKN, Dura und BCS wurden verkauft oder schlossen Standorte, größere Unternehmen wie Opel, Ford, MAN, Bosch, Conti und Mahle haben Personal in Größenordnungen von tausenden abgebaut und Standorte geschlossen.

Das ist keine Überraschung. Der Verband der Automobilindustrie, VDA, hatte dies schon im Juni 2021 angekündigt: „Die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität kann mehr Arbeitsplätze kosten, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen – und dies schon, ohne die Folgen der überstürzten aktuellen Diskussion um ein neues Klimaschutzgesetz absehen zu können. Bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte betroffen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze – und dies schon auf der Basis der bisherigen Klimaschutzgesetze.“

Auf die Presseerklärung des VDA erfolgte damals keine Reaktion der IG Metall. Jetzt titelt die Juli-Ausgabe der Gewerkschaftszeitung METALL: „Volle Kraft für die Transformation“. Die volle Kraft besteht unter anderem in „Zukunftstarifverträgen“, die die IG Metall für Bosch und Mahle fordert und bei ZF schon abgeschlossen hat: „An allen Standorten sollen Zielbilder entstehen, mit neuen Produkten, Geschäftsmodellen und der nötigen Qualifizierung. Die Beschäftigten sollen die Zielbilder mitgestalten.“

Der Artikel – und der entspricht völlig dem, was auch auf Konferenzen und Versammlungen derzeit von der Führungsebene der IG Metall verbreitet wird – tut so, als ob der Verlust von tausenden Arbeitsplätzen an fehlenden Zielbildern und nicht vorhandenen Zukunftstarifverträgen (ZTV) gelegen habe.

Die gab es jedoch, sie hießen nur anders. Erst nannte man sie Standortsicherungsvereinbarungen, dann wurden die Namen vielfältiger, oft z. B. Zukunftsvereinbarung. Übereinkünfte wurden erzielt bei Restgrößen von Belegschaften, Lohnverzicht oder unbezahlter Arbeitszeitverlängerung, gerne im Namen von Qualifizierung. Zunehmend wurden in diesen Betriebsvereinbarungen auch betriebliche Gesprächskreise für neue Produkte vereinbart. Unterschrieben wurden sie von den (Gesamt)-Betriebsräten und – wenn sie in Tarifverträge eingriffen – auch von der IG Metall. Jetzt sollen die ZTV von der Gewerkschaft verhandelt werden und von dazu gebildeten Tarifkommissionen, in denen wieder die Betriebsratsspitzen sitzen.

Der einzige formale Unterschied wäre: Für Tarifverträge dürfte gestreikt werden – falls die Gerichte das als tariffähig anerkennen. Aber bislang ist in der IG Metall von Streik keine Rede, ja laut METALL sind „Zukunftstarifverträge nicht erzwingbar“. Auch die letzten Tarifrunden wurden nirgends genutzt, um mit Streiks Druck auf für den Erhalt von Arbeitsplätzen aufzubauen.

Aus den neuen Produkten, die unter der Leitung von Werksleitungen und Betriebsräten gesucht wurden, ist selten was geworden. Die Konzerne behielten sich immer die Entscheidung vor, was und wo produziert wird. Es kam vor, dass die gefundenen Produktideen einfach anderswo platziert wurden und das Werk, wo sie entwickelt worden waren, haben sie dichtgemacht.

Die METALL-Zeitung führt zum x-ten Male das Beispiel Bosch in Homburg/Saar an. Dort wurde eine Wasserstoff-Brennstoffzellen-Produktion aufgebaut. „200 Beschäftigte arbeiten bereits daran.“ Als Ersatz für abgebaute 1.000 Arbeitsplätze.

Mahle Neustadt

Betriebsräte und Belegschaft  treffen dort eine etwas realistischere Einschätzung als die Artikel in der METALL. Sie haben erkannt, dass mit schönen Worten nichts von einer Geschäftsführung zu holen ist, die es noch nicht mal für nötig hält, mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Zweimal innerhalb weniger Wochen ging die Belegschaft vors Tor, was der METALL, die auch über Mahle berichtet, keine Erwähnung wert ist.

Erstmal geht es um gut 50 der 420 Arbeitsplätze. Sie sind in Gefahr, weil die Bosse Produktion verlagern. Aber zu Recht sehen die Kolleg:innen, dass das Problem größer ist. Nach dem Auslaufen der jetzigen Aufträge sind noch keine weiteren platziert worden. Es droht, dass die Produktion schlicht ausgetrocknet wird.

Auf der Kundgebung am 23.6. haben sich mehrere hundert Beschäftigte beteiligt, unterstützt von Solidaritätsdelegationen aus anderen Mahle-Werken. Auch Vertreter:innen von SPD und CSU waren anwesend. Es fielen warme Worte. Aber damit kann kein Kampf gegen eine so entschlossene Gegnerin wie die Mahle-Geschäftsführung gewonnen werden.

Die überbetriebliche Mahle-Betriebsgruppe MAHLE-SOLI verteilte einen Flyer, der reißenden Absatz fand. Wir dokumentieren Auszüge aus dem Flugblatt. Der Widerstand bei Mahle Neustadt braucht die Solidarität aller Lohnabhängigen, vor allem aber von kämpferischen Gewerkschafter:innen in der IG Metall und der VKG. Denn die Erfahrung zeigt: Nur ein entschlossener Abwehrkampf, der sich auf die gesamte Belegschaft stützt, nur Streiks, Mobilisierungen und die Besetzung des Betriebes können letztlich den Druck erzeugen, der nötig ist, Personalabbau und Schließungen zu verhindern. Dazu können wir uns aber nicht auf den IG Metall-Apparat verlassen, dazu müssen die Beschäftigen selbst, ihren Kampf in die Hand nehmen, indem sie auf regelmäßigen Vollversammlungen ein Aktionskomitee zur Leitung zur Koordinierung des Widerstandes wählen, das ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist.

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Anhang: Auszüge aus Mahle Soli

Die IG Metall muss endlich aufhören, die Angriffe der Autokonzerne als Probleme der einzelnen Belegschaften und Betriebsräte zu behandeln!

Wenn die Tarifrunden der IG Metall, in denen Streiks möglich waren, auch genutzt worden wären, um andere Zugeständnisse zu erzwingen, wenn die IG Metall endlich alle bedrohten Belegschaften der Auto- und besonders der Zulieferindustrie zusammenbringen würde, um ein gemeinsames, verbindliches Kampfprogramm zu vereinbaren, anstatt auf Konferenzen „soziale und ökologische Transformation“ zu fordern, während die Konzerne das Gegenteil tun – dann kommen wir alle als Metaller und Metallerinnen wieder auf die Siegerstraße!

Auch Mahle ist groß darin, Arbeitsplätze dorthin zu verlagern, wo die Arbeitskraft billiger ist und der Umweltschutz weniger umgesetzt wird. „Sich seit einigen Jahren verschärfende Umweltauflagen“ hatte z. B. die GF als Gründe für die Verlagerung der Gießerei in Zell angegeben. Diese „Transformation auf Kapitalistenart“ geht auf Kosten der Arbeitenden und der Umwelt, sie ist unsozial und unökologisch.

Kämpfen statt betteln!

Die Autokonzerne haben bisher nichts dazu beigetragen, dass der Verkehr klimagerechter wird. Im Gegenteil, der CO2-Ausstoß beim Verkehr steigt. Sie haben beim Abgasmessen betrogen und ihre Werbung auf „grün“ getrimmt. Dafür haben sie noch Milliarden erhalten. Zurecht empören sich Millionen, vor allem junge Menschen, darüber. Warum kämpfen wir Metaller:innen nicht mit ihnen für eine ökologische Umstellung der Produktion auf klimagerechte Verkehrssysteme? Die Autokonzerne werden mit Milliarden subventioniert (für Forschung, Transformation, Kurzarbeit, nicht eingeforderte Strafen für Abgasbetrug, Verlagerung in andere EU-Länder …). Das Geld wäre besser aufgehoben für die Entwicklung und Produktion klimagerechter Produkte!

Verkehrswende und Arbeitsplatzwende

Die IG Metall-Spitze ist immer noch nur auf eine Antriebswende orientiert. E-Autos sollen die Weltmarktposition der großen deutschen Konzerne sichern, und damit verspricht man sich auch die Sicherung von Arbeitsplätzen in den Konzernen. Die Belegschaften der Zulieferer schauen dabei in die Röhre: E-Autos brauchen weniger Teile und die verbliebenen Teile für Verbrenner verlagern die Konzerne ins Ausland.

Eine Verkehrswende bringt andere Produkte in Spiel: mehr Straßenbahnen, Busse und Eisenbahnen. Die Verkehrswende bringt auch mögliche neue Verbündete ins Spiel. Auch wenn die Klimabewegung bisher ähnlich erfolglos bei den Regierungen war wie die IG Metall beim Durchsetzen ihrer Forderungen gegen die Konzerne, gemeinsam könnte sich eine Kraft entwickeln, die über Appelle an die eine oder andere Seite hinausgeht, die statt Kreuzungen zu blockieren, und gelegentlicher Proteste vorm Werkstor die Betriebe besetzt und die Produktion umgestaltet.

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