Arbeiter:innenmacht

Sudan: Die Konterrevolution schlägt zu, unterstützt vom ägyptischen Diktator und der saudi-arabischen Monarchie

Liga für die Fünfte Internationale, 4. Juni 2019, Infomail 1058, 5. Juni 2019

Das Blutvergießen in Khartum am Montag, den 3. Juni, beweist wieder einmal, dass elementare demokratische Rechte für die Regime in den meisten Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas unerträglich sind. Der Schlag gegen die Revolution, die Omar al-Bashir am 11. April gestürzt hatte, insbesondere gegen die seit fünf Monaten dauernde Sitz-Blockade vor dem Hauptquartier der Armee, forderte laut der sudanesischen Ärztevereinigung 35 Tote, darunter ein achtjähriges Kind, und 116 Verletzte.

Bei der Unterdrückung der Platzbesetzung wurden scharfe Munition, Blendgranaten und Gas verwendet und Peitschen gegen Jugendliche, Frauen und Kinder eingesetzt. Es werden auch Angriffe auf DemonstrantInnen aus den Krankenhäusern Al Mualim und Royal Care gemeldet. Angesichts der vielen Berichte über Vermisste und über Leichen, die im Nil treiben, werden die Zahlen vermutlich noch steigen.

Schwer bewaffnete paramilitärische Einheiten der berüchtigten schnellen Eingreifgruppen wurden am Dienstag in der Hauptstadt eingesetzt, um die Brücken zu bewachen, die den Nil zur Partnerstadt Omdurman überqueren, und Konvois von gepanzerten Fahrzeugen bewegten sich bedrohlich durch die Stadt. Diese Sondereinheiten, die bei den völkermord-ähnlichen Kriegen in Darfur und Südsudan eingesetzt worden waren, haben allen Grund, eine demokratische Revolution zu zerschlagen, die ihre monströsen Verbrechen ans Tageslicht bringen könnte.

Die neue Diktatur im Sudan wird von General Abdel Fattah al-Burhan, dem Vorsitzenden des Übergangsrates des Militärs TMC (Transitional Miltary Council), und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo („Hemeti“) geleitet. Er kündigte an, dass der TMC „die Verhandlungen mit der Alliance for Freedom and Change“ einstellen werde, dem einzigen Organ mit einem Hauch von demokratischer Legitimität im Sudan. Tatsächlich war der Angriff des TMC zu erwarten gewesen, weil die AFC (Alliance for Freedom and Change = Allianz für Freiheit und Veränderung) der Kontrolle durch das Militär und der Beteiligung an zu einer bloßen Fassade degradierten Zivilregierung nicht zustimmen wollten und weil die Massen ihre Besetzung des Platzes vor dem Hauptquartier der Streitkräfte nicht aufgeben wollten. Ein weiterer Faktor war der zweitägige Generalstreik vom 28. bis 29. Mai, der den Generälen wohl Angst gemacht hat, aber ihre Macht nicht gebrochen hat. Dies zeigt, dass in einer revolutionären Situation Generalstreiks, die nur Proteste sind,  nicht ausreichend sind, um die Machtfrage zu lösen.

Al-Burhan behauptet nun, dass Wahlen innerhalb von neun Monaten stattfinden und die Gespräche über diese unter „regionaler und internationaler Aufsicht“ geführt werden sollen. Er denkt dabei zweifellos an seine finanziellen Förderer in Riad und an den militärischen Geheimdienst Ägyptens und ist der Meinung, dass neun Monate Repression ausreichen werden, um der Bewegung das Rückgrat zu brechen. Wenn die sudanesischen Generäle in den nächsten Monaten nicht durch anhaltende Massenaktionen daran gehindert werden, werden wir eine Welle von Verhaftungen, Folterungen von AktivistInnen und die Wiederherstellung der Macht der regimetreuen islamistischen Parteien und Milizen erleben. Dann und nur dann wird es möglich sein, inszenierte „freie und faire“ Wahlen abzuhalten, so wie es Abdel Fattah el-Sisi in Ägypten getan hat.

Die Massen in Khartum und Omdurman reagierten auf die Niederschlagung der Besetzung mit der Errichtung von Barrikaden aus brennenden Fahrzeugen. Jetzt hängt alles davon ab, ob die sudanesischen Gewerkschaften einen allgemeinen, unbefristeten Generalstreik beginnen und durchführen können, der von Milizen der Massen geschützt wird, und ob die mutigen Jugendlichen und Frauen zu den einfachen Soldaten auf den Straßen und in den Kasernen durchdringen und sie für Meuterei gegen ihre Offiziere und Kommandeure gewinnen können.

Der Berufsverband „Sudanese Professionals Association“ (SPA) hat am 3. Juni zu einem „politischen Generalstreik und zivilem Ungehorsam“ aufgerufen, der „bis zum Sturz des Regimes dauern soll“. Er fordert auch „die Streitkräfte des Volkes und der Polizei auf, die Pflicht zu erfüllen, das sudanesische Volk vor den Milizen, paramilitärischen Brigaden und Janjaweeds der TMC zu schützen und sich dem Willen des Volkes anzuschließen, das Regime zu stürzen und ein völlig ziviles Übergangsregime einzuführen“ (die Janjaweeds waren die Milizen, die für die schlimmsten Gräueltaten in Dafur verantwortlich waren).

Es ist jetzt klar, dass nur eine volle soziale Revolution, eine Revolution, die das militärische Oberkommando zerschlägt und die Soldaten von der Disziplin befreit, gegen unbewaffnete Zivilisten vorzugehen, die elementaren Freiheitsrechte bringen kann, die in den imperialistischen Kernländern Nordamerikas und Westeuropas als selbstverständlich gelten. Doch gerade diese imperialistischen Staaten sind die wichtigsten Unterstützerinnen der saudischen absoluten Monarchie und der ägyptischen Diktatur.

Regionale Konterrevolution

Die Regime in Nordafrika und im Nahen Osten, die dachten, sie hätten den arabischen Frühling zerschlagen und könnten ihre Völker wieder ungehindert berauben, waren entsetzt über das Wiedererwachen von Massenprotesten in Marokko und Algerien und schließlich über die Revolution im Sudan.

Saudi-Arabien und Ägypten sind die regionalen Bastionen der Konterrevolution und unterstützen das blutrünstige sudanesische Militär, nicht zuletzt, weil sie sudanesische Truppen für den völkermörderischen Krieg, den sie im Jemen führen, als Söldner angeheuert haben. Darüber hinaus sind diese Staaten besonders vertrauenswürdige Verbündete der USA, die gerade mehr als drei Milliarden Euro zur „Stabilisierung“ des Sudans, seiner NATO-Verbündeten und des rechtsgerichteten Premierministers Israels Benjamin Netanyahu überwiesen haben. So sehr Macron, Merkel oder sogar Trump auch die Menschenrechtsverletzungen öffentlich beklagen und ein Ende der Gewalt fordern mögen, so sehr dient dies bloß zur Beruhigung der Öffentlichkeit in ihren Heimatländern. Sie werden die lukrativen Waffenlieferungen an einen der regionalen Schlächter nicht stoppen. Frei nach Roosevelts Bemerkung über einen lateinamerikanischen Militärdiktator: „Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn!“

Die anderen imperialistischen Mächte, z.B. China, das Hunderttausende Angehörige der uigurischen Bevölkerung in Konzentrationslager getrieben hat und den Völkermord der Generäle Myanmars an den Rohyngia unterstützt, und Russland, das derzeit die brutale Unterdrückung von Idlib in Syrien unterstützt, haben zweifellos ihre eigenen Interessen und Rivalitäten mit den USA und Europa. Aber sie sind sich einig mit diesen, die Vernichtung von jungen Menschen, Frauen und ArbeiterInnen, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, zu unterstützen.

Die sudanesische Bevölkerung verdient und benötigt deshalb die Unterstützung von SozialistInnen, Gewerkschaften, Frauen- und Jugendorganisationen in Europa und Nordamerika sowie in Afrika und Asien. Wir müssen darum kämpfen, die gesamte Hilfe für das sudanesische Regime und seine regionalen Verbündeten, wie die Saudis, zu blockieren. Im Mai weigerten sich die italienischen HafenarbeiterInnen in Genua ebenso wie die französischen Hafenarbeiter in Le Havre und Marseille, ein Schiff mit Waffen für die Saudis zu beladen, die Krieg im Jemen führen. Die SozialdemokratInnen, die Labour-Parteien, die Europäische Linke und die Gewerkschaftsverbände sollten diese großartigen Beispiele aufgreifen und alles in ihrer Macht stehende tun, um ihre Regierungen zu zwingen, die Hilfs- und Waffenverkäufe an die Saudis einzustellen, nicht nur wegen des schrecklichen Krieges im Jemen, sondern auch als Akt der Solidarität mit unseren sudanesischen Brüdern und Schwestern. An Universitäten und Schulen sollten Solidaritätsbekundungen organisiert werden.

Die Herausforderungen der Revolutionen, die immer noch spontan in der ganzen Welt ausbrechen, sowie die Notwendigkeit der Solidarität verdeutlichen die Notwendigkeit revolutionärer Parteien und einer revolutionären Internationale. Die Kämpfe für demokratische Rechte, für Revolution, für Frauenrechte und für die Rechte der Lohnabhängigen, die zur ArbeiterInnenmacht führen, das sind untrennbare miteinander verbundene Aufgaben, um den Sieg in Ländern wie dem Sudan zu erringen und diesen über die gesamte Region und die darüber hinausgehenden Kontinente zu verbreiten.

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