Arbeiter:innenmacht

Deutschland schiebt im großen Stil ab – in die Türkei

Jonathan Frühling, Neue Internationale 287, November 2024

Nach monatelangen Verhandlungen erklärt sich die Türkei bereit, bis zu 500 abgelehnte Asylbewerber:innen pro Woche (!) aufzunehmen. Die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) jubelt und bezeichnet die Übereinkunft als einen „großen Fortschritt“. Die Zahl der ausreisepflichtigen Türk:innen liegt derzeit bei 14.500.

Tatsächlich liegt die Türkei bei den Herkunftsländern von Geflüchteten auf Platz drei, nach Syrien und Afghanistan. Dies ist auch kein Wunder, denn sie kann spätestens seit den Säuberungen im Staatsapparat nach dem Putsch 2016 und der Einführung des Präsidialsystems 2017 als Diktatur bezeichnet werden. Demokratische Rechte werden dabei immer weiter untergraben, wie Amnesty International attestiert. Die Regierung kontrolliert fast alle Medien, Politiker:innen oppositioneller Parteien werden gnadenlos inhaftiert und deren Strukturen zerschlagen, Pressefreiheit existiert quasi nicht und Menschen der LGBTQIA+-Community werden verfolgt. Hinzu kommt, dass es in der Türkei eine kurdische Minderheit gibt, die von der Regierung systematisch unterdrückt wird. Bei Bedarf entfesselt diese sogar einen Krieg im eigenen Land, um die türkische Vorherrschaft zu sichern. Zuletzt passierte das 2016. In Folge des Krieges wurden ganze Stadtviertel eingeäschert. Deshalb sind laut Pro Asyl auch die meisten türkischen Asylbewerber:innen Kurd:innen. Zudem gab es 2023 im Süden des Landes ein gewaltiges Erdbeben, welches die Lebensgrundlage von hunderttausenden Menschen zerstört hat. Die ist wohl auch der Grund dafür, wieso die Asylanträge in den ersten 8 Monaten des Jahres 2024 auf 21.590 gestiegen sind.

Katastrophale Nachricht

Für alle Türk:innen, die in Deutschland Schutz suchen möchten, ist das eine weitere katastrophale Nachricht. Allerdings ist das auch nur eine Konsequenz der Praxis, dass nicht mal 10 % der Schutzsuchenden auch tatsächlich Asylstatus erhalten. Grund dafür ist eine jahrelange Aushöhlung des Asylrechts. AfD und CDU schaffen es also erfolgreich, die Ampel vor sich herzutreiben. Die Forderungen der Rechten zu erfüllen, hat allerdings noch nie dazu geführt, dass eine Partei Stimmen von Wähler:innen zurückgewinnen kann, die nach rechts abgewandert sind. So ist es auch in diesem Fall. Laut aktuellen Umfragen würde die AfD mehr Stimmen als die SPD bekommen und die Ampelkoalition zusammen nicht mal so viele Stimmen wie die CDU. Zementiert wird der Rechtsruck weiter dadurch, dass viele ehemalige Wähler:innen der Linkspartei das rassistische Bündnis Sahra Wagenknecht unterstützen.

Mit dem Abkommen wird der am meisten unterdrückte Teil der Arbeiter:innenklasse in Deutschland weiter entrechtet. Doch selbst wenn die Menschen bleiben können, sind sie durch ihre Herkunft und oft mangelnde Sprachkenntnisse von besonderer Unterdrückung und Ausgrenzung betroffen. Viele Geflüchtete leben segregiert in Zeltlagern fernab der Gesellschaft und sind einer Residenzpflicht unterworfen. Sie erhalten Bezahlkarten statt Geldleistungen und unterliegen oftmals einem Arbeitsverbot, was sie oft genug zur Schwarzarbeit weit unter dem Mindestlohn zwingt. Selbst Geflüchtete mit regulärem Job sind zum Teil von Abschiebungen betroffen. Das Absurde dabei ist, dass Deutschland unter einem akuten Fachkräftemangel leidet. Deshalb versucht die Regierung gleichzeitig, gezielt Fachkräfte anzuwerben. Die restriktive Asylpolitik soll also vor allem die Rassist:innen zufriedenstellen und zum Teil auch für die deutsche Wirtschaft „nutzlose“ Geflüchtete aussortieren.

Gewerkschaften in die Pflicht nehmen

Genau hier stehen eigentlich Gewerkschaften in der Pflicht, aktiv zu werden, da sie sich zumindest den Worten nach für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Leider bleiben sie jedoch passiv und positionieren sich nicht für das Bleiberecht und gegen Abschiebungen. Faktisch passen sie sich dem Narrativ an, dass Geflüchtete den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Zu lange hat man die Politik der Regierung und Unternehmen mitgetragen, den Standort Deutschland (also die Interessen des deutschen Kapitals) zu schützen. Dies alles trägt dazu bei, dass es heute keine Seltenheit mehr ist, dass Gewerkschaftsmitglieder AfD wählen. Bei der EU-Wahl 2024 hat die AfD mit 18,5 % unter ihnen sogar besser abgeschnitten als im Rest der Gesellschaft (15,9 %). Damit werden die Gewerkschaften immer nutzloser dafür, die Interessen der Arbeiter:innen zu vertreten.

Der Kampf gegen die Abschiebungen muss an den Schulen, Unis und auf der Straße stattfinden, aber vor allem in den Betrieben und Gewerkschaften. Nur so können die Arbeiter:innenklasse gegen Spaltung und Segregation mobilisiert und ein Meinungsumschwung in der Bevölkerung erreicht werden. Die klassenkämpferische Linke in den Gewerkschaften muss wieder in die Offensive gehen und der Arbeiter:innenklasse beweisen, dass nur (internationale) Solidarität ihre Lage verbessern kann. Ein Ausgangspunkt dafür kann die „Vernetzung kämpferischer Gewerkschaften“ sein, die versucht, linke Kräfte in den Gewerkschaften zu bündeln. Der Kampf muss unmittelbar beginnen, denn die Regierung wird sonst noch weiter gehen: Von SPD bis AfD wird nämlich sogar schon die Abschiebung straffällig gewordener Geflüchteter aus Syrien und Afghanistan diskutiert.

Wir fordern deshalb:

  • Geflüchtete in die Gewerkschaften!
  • Keine schmutzigen Deals mit Ägypten, der Türkei, Tunesien oder Libyen!
  • Kein Mensch darf abgeschoben werden!
  • Alle Grenzen müssen geöffnet werden, damit niemand auf der Flucht stirbt!
  • Volle Staatsbürger:innenrechte für Geflüchtete!
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