Internationales Exekutivkomitee der Liga für die 5. Internationale, 15.12.202, Infomail 1174, 31. Dezember 2021
In den vergangenen zwei Jahren sah sich die Welt mit einer Reihe von miteinander verknüpften Krisen konfrontiert. An erster Stelle steht eine globale Gesundheitskrise. Covid-19 hat die Regierungen und Gesundheitssysteme überrascht, obwohl sie von EpidemiologInnen und der WHO vor einer wahrscheinlichen zweiten SARS-Epidemie gewarnt worden waren und die Gewerkschaften des Gesundheitspersonals darauf hingewiesen hatten, dass ihre Krankenhäuser und Kliniken nicht in der Lage sind, eine solche zu bewältigen. Covid-19 hat weltweit mehr als fünf Millionen Todesopfer gefordert und wütet mit seinen Delta- und Omikronvarianten immer noch und bricht in Ländern wieder aus, die überzeugt waren, die Krankheit unter Kontrolle zu haben, und ihre Wirtschaft wieder in Gang brachten.
In den Schlagzeilen stehen auch die zunehmenden extremen Wetterereignisse, Überschwemmungen, Waldbrände und Dürren rund um den Globus, die die Aussicht auf einen katastrophalen Klimawandel unbestreitbar machen. Dennoch war die Klimakonferenz COP26 in Glasgow nur ein weiteres RednerInnenfest. Die Öl-, Gas- und Kohlekonzerne und die von ihren Produkten abhängigen Staaten USA, China, Indien, Brasilien und Saudi-Arabien blockierten jede feste Verpflichtung zur Reduzierung dieser Quellen von CO2-Emissionen. Wieder einmal wurden die halbkolonialen Länder, vor allem in den Tropen, die bereits schwer gelitten haben, um die Milliarden betrogen, die sie zur Bekämpfung der Auswirkungen benötigen, und stattdessen wurden ihnen weitere Kredite angeboten.
Drittens verursachte Covid die stärkste jährliche Schrumpfung der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren. Die Abriegelungen zwangen die großen imperialistischen Staaten, ihre neoliberalen Dogmen bezüglich der Staatsausgaben über Bord zu werfen. Die Zinssätze, die jahrelang bei Null lagen, um die zur Stagnation neigenden Volkswirtschaften anzukurbeln, erlaubten es den Staaten nun, Billionen zu leihen und in den imperialistischen Kernländern die Lohnabhängigen (bzw. die sie beschäftigenden Unternehmen) dafür zu bezahlen, dass sie ihre qualifizierten Arbeitskräfte behalten oder diese von zu Hause aus arbeiten. Die Unterbrechung der Versorgungsketten und der Weltmärkte sowie die wiederholten Aussperrungen haben zwar enorme Verluste verursacht, doch das volle Ausmaß der Kapitalvernichtung wird erst deutlich werden, wenn die Pandemie aufhört. Der Internationale Währungsfonds sagt voraus, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt bis 2024 immer noch 2,8 % unter dem Wert liegen wird, den es vor dem pandemiebedingten Einbruch gehabt hätte.
Gleichzeitig sind diktatorische Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran in blutige Kriege in Äthiopien und im Jemen verwickelt. Am Horn von Afrika und in der gesamten Sahelzone schüren Militärputsche, islamistische Guerillabewegungen und kriminelle Banden das Chaos, während die Regierungstruppen ebenso frei Gräueltaten begehen wie die TerroristInnen. Das Wettrüsten zur See zwischen den USA und China in Ostasien, der neue AUKUS-Militärpakt zwischen USA, Australien und Großbritannien sowie Chinas Unterdrückung in Hongkong und der Provinz (Uigurisches Autonomes Gebiet) Xinjiang machen ebenfalls deutlich, dass die Welt in eine Phase verschärfter zwischenimperialistischer Rivalität eingetreten ist, die den Ausbruch von Stellvertreterkriegen zwischen den Regionalmächten verspricht.
Zusammengefasst haben diese Faktoren zu einer sich vertiefenden politischen Krise in den alteingesessenen bürgerlichen Demokratien geführt. Im Jahrzehnt nach der Großen Rezession stagnierten die Reallöhne in vielen imperialistischen Ländern und sanken in den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Begleitet wurde dies von Kürzungen der Sozialleistungen, um die enormen Subventionen für Unternehmen zu finanzieren, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft wurden.
Die bürgerliche Demokratie ohne Wohlstand ist ein instabiles Phänomen, und es hat eine weit verbreitete politische Polarisierung stattgefunden. Die Präsidentschaft von Donald Trump polarisierte und destabilisierte die US-Innenpolitik. Zwar wurde er 2020 abgewählt, aber dann erfolgte das beispiellose Spektakel, in dem er versuchte, sich an die Macht zu klammern, und die Invasion des US-Kapitols durch seine halbfaschistischen AnhängerInnen. Trotzdem sind die RepublikanerInnen in den Augen der Hälfte der WählerInnenschaft nicht diskreditiert, und ein Comeback eines/r anderen RechtspopulistIn im Jahr 2024 stellt eine reale Möglichkeit dar.
Nächstes Jahr könnte Jair Bolsonaro aufgrund seiner großen faschistischen AnhängerInnenschaft und seiner Unterstützung im Militär einen ernsthafteren Versuch als den von Trump unternehmen, sich mit einem Putsch gegen die Wahlniederlage zu wehren. Die Impf- und AbriegelungsgegnerInnen in Europa sind in der Regel mit bereits bestehenden rechten Parteien wie der Freiheitlichen Partei Österreichs und der Alternative für Deutschland verbunden. Die letztgenannte Entwicklung zeigt, wie groß die Unzufriedenheit in den Mittelschichten und auch in den weniger klassenbewussten Teilen der ArbeiterInnenklasse ist.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kam es in den letzten Jahren trotz der Beschränkungen für öffentliche Aktivitäten auch zu Massenmobilisierungen. In Indien zwang ein riesiger eintägiger Generalstreik im November 2020, gefolgt von einer einjährigen Blockade in Delhi durch Bauern und Bäuerinnen, die gegen neoliberale Landwirtschaftsgesetze protestierten, den „starken Mann“ Modi zu einem demütigenden Einlenken. Dann ereigneten sich noch die enormen Black-Lives-Matter-Mobilisierungen in den USA nach dem Mord an George Floyd.
Die großen „Schulstreiks für die Zukunft“ im Jahr 2019 haben die Frage des Klimawandels auf die politische Tagesordnung gesetzt. Die sudanesische Massenbewegung von 2018 – 2019, die den Diktator Umar (Omar) al-Baschir stürzte, kehrte im Oktober dieses Jahres zurück, nachdem der Interimspräsident Abdel Fattah Burhan die zivilen VertreterInnen aus dem Souveränen Rat verdrängt hatte. In Chile führten Massenproteste im Oktober 2019 zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung und zur Abschaffung der Pinochet-Verfassung. In der 2. Runde der Präsidentschaftswahlen wurde der Reformist Boric im Dezember 2021 ins Amt gehievt.
Die Beunruhigung der Bevölkerungen angesichts von Armut, Inflation, Arbeitslosigkeit, extremen Wetterereignissen und Krieg ist also durchaus gerechtfertigt. Immer wieder haben sie ihre Bereitschaft gezeigt, auf der Straße zu protestieren. Was fehlt, ist eine politische Führung mit einem Programm, um die Kräfte zu lenken, die den korrupten MillionärInnen und den Militärregimen die Macht entreißen und sie in die Hände von Räten und Milizen der ArbeiterInnen in den Städten und auf dem Land und der Jugend legen können.
Angesichts dieser Herausforderungen haben sich die Organisationen der ArbeiterInnenklasse und ihrer Verbündeten jedoch als träge und durch verschiedene Arten von Reformismus stockkonservativ erwiesen. Diese Blockade zu durchbrechen, damit die neue Welt aus der Agonie der alten geboren werden kann, ist die Aufgabe der RevolutionärInnen weltweit, und die internationale Organisation ist dabei der Schlüssel zum Erfolg.
Die Covid-19-Pandemie ist eindeutig noch nicht vorbei, wie die „vierte Welle“ in Deutschland, Österreich und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sowie die rasche Ausbreitung der „Omikron“variante zeigen. Sie wird weiterhin starke wirtschaftliche Auswirkungen auf ein kapitalistisches System zeitigen, das sich 2019 bereits von einem Jahrzehnt der beinahe Stagnation auf eine weitere große Rezession zubewegte. Das Virus ist nicht nur zu ansteckenderen Varianten mutiert, sondern während alle imperialistischen Länder außer Russland einen Großteil ihrer Bevölkerung geimpft haben, waren nur einige Halbkolonien (vor allem in den Golfstaaten, in Ostasien und Lateinamerika) dazu in der Lage, und das mit erheblicher Verzögerung. Der tatsächliche wirtschaftliche Tribut, den die Krankheit in Afrika, Lateinamerika und weiten Teilen Asiens fordern wird, dürfte enorm sein, doch das Angebot an Impfstoffen wurde von den imperialistischen Ländern aufgekauft. Das wahre Ausmaß der Verwüstung für die Bevölkerungen in der halbkolonialen Welt kann man nur erahnen.
Die Pandemie hat die Gesundheitsdienste der Welt an ihre Belastungsgrenze gebracht und die kapitalistischen Volkswirtschaften gestört, Lieferketten unterbrochen, Arbeitskräfte entlassen und zu Konkursen geführt. In den älteren imperialistischen Ländern konnten einige dieser Auswirkungen durch Kurzarbeit und massive Almosen an die Arbeit„geber“Innen aufgefangen werden, die durch historisch niedrige Zinssätze gestützt wurden.
Dennoch stiegen die Börsen und Anleihemärkte nach einem kurzzeitigen Absturz im zweiten Trimester 2020 bis zum Jahresende wieder auf neue Höchststände. Dies deutet nicht auf eine Erholung der Realwirtschaft hin (des Teils, der Mehrwert erzeugt und realisiert), sondern vielmehr auf eine weitere Aufblähung des fiktiven Kapitals, das keine ausreichend rentablen Ziele für Investitionen in produktive Industrien finden kann. ZentralbankerInnen und FinanzministerInnen warnen nun vor einer Rückkehr zur Inflation und, wenn die so genannten realen Volkswirtschaften um die Stagnation herum schwanken, zu einer „Stagflation“, wie sie zuletzt in den 1970er Jahren zu beobachten war, einem Jahrzehnt explosiver Klassenkämpfe, Revolutionen und Konterrevolutionen.
Die Internationale Arbeitsorganisation hat errechnet, dass in den Jahren 2020 – 2021 umgerechnet 100 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verlorengegangen sind, und befürchtet, dass die Zahl im Jahr 2022 weiter steigen wird, da staatliche Unterstützungsausgaben zurückgezogen werden und Unternehmen in Konkurs gehen, wobei junge und weibliche ArbeiterInnen am stärksten betroffen sind. Sobald der Aufschwung abgeschlossen ist, werden große Veränderungen in Handel und Industrie sichtbar werden.
Während die Regierungen der Welt auf der Klimakonferenz in Glasgow das Ziel bekräftigten, den globalen Temperaturanstieg bis 2050 unter der vom Weltklimarat (IPCC) gesetzten Grenze von 1,5 °C zu halten, ließen sie den Konzernen freie Hand, um weiterhin Bergbau und Bohrungen durchzuführen. Die IPCC-ExpertInnen sagen voraus, dass die Welt in Wirklichkeit auf einen Anstieg von 2,4 °C zusteuert. Selbst der niedrigere Wert würde extreme Hitzewellen, einen Anstieg des Meeresspiegels mit Überflutung von Inseln und Küstenstädten sowie die Zerstörung der Artenvielfalt an Land und in den Ozeanen bedeuten.
Der Klimawandel wird auch enorme politische Auswirkungen mit sich führen. In ganz Afrika haben die Verknappung der Wasserressourcen und die Versteppung von Acker- und Weideland bereits zu verstärkter Migration und zu Konflikten zwischen ViehzüchterInnen und LandwirtInnen sowie zwischen Staaten um Wasserressourcen geführt, die alle dramatisch zunehmen werden.
Unterdessen breiten sich extreme Wetterereignisse aus: riesige Waldbrände in Australien, Griechenland und entlang der Westküste der USA und Kanadas, Überschwemmungen in Deutschland und China, zerstörerische Wirbelstürme auf den Fidschiinseln und in Indonesien. In vielen Regionen Afrikas und in Afghanistan herrschen aufgrund von Dürren Hungersnöte . Obwohl das Leid in diesen Gebieten zum Teil durch Kriege und pandemiebedingte Verwerfungen verursacht wird, können die meisten dieser Ereignisse direkt auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Die Konferenz in Glasgow hat es jedoch völlig versäumt, Maßnahmen zu ergreifen, die die Ursachen des vom Menschen verursachten Klimawandels auch nur ansatzweise zu begrenzen beginnen könnten. Ihre „große Errungenschaft“ bestand lediglich in der Aufforderung an die Regierungen, ihre Subventionen für die Kohle-, Öl- und Gasförderung einzustellen, ohne dass ein wirklicher Zeitplan für die Beendigung der Förderung festgelegt wurde.
Der Klimawandel stellt ebenso wie Pandemien, Rezessionen und Kriege eine existenzielle Herausforderung für den Kapitalismus als Produktionsweise und Klassenherrschaft dar. Seine Unfähigkeit, die Produktivkräfte zu planen und entwickeln, ohne gewaltige zerstörerische Kräfte, Zusammenbrüche und zunehmende Ungleichheiten freizusetzen – was Marx den metabolischen Bruch mit der Natur nannte –, verurteilt ihn trotz all seiner technologischen und wissenschaftlichen Wunderwerke zu einem sozialen System im Verfall. Dies hat ein Schlaglicht auf die Untauglichkeit des Kapitalismus geworfen, auf die vorrangige Bedeutung des Profits gegenüber den Bedürfnissen der Menschen. Die Revolution des 21. Jahrhunderts wird sich nicht nur mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und den Kriegen befassen müssen, sondern auch mit der ganzen Reihe von Umweltkatastrophen und künftigen Pandemien, die zur Krise „Sozialismus oder Barbarei“ in unserer Welt beitragen.
Der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Michael Roberts kommentiert, dass „die Prognosen für das durchschnittliche jährliche reale BIP-Wachstum in praktisch allen großen Volkswirtschaften für dieses Jahrzehnt einen geringeren Anstieg vorhersagen als für das der 2010er Jahre – das ich die Lange Depression genannt habe“. Gleichzeitig setzt sich die Inflation in den Volkswirtschaften weltweit durch und untergräbt Löhne, Renten und Ersparnisse, was die zur Ankurbelung des Aufschwungs gedachten Ausgaben stoppen könnte, ganz zu schweigen von der Ankündigung einer neuen Ära (neo-)keynesianischer Sozialausgaben, auf die linke sozialdemokratische und populistische ReformistInnen hoffen.
Der Einbruch von 2020 beendete ein Jahrzehnt, in dem die Weltwirtschaft trotz Aufschwungs zur Stagnation tendierte. Die Ursache hierfür liegt in der Überakkumulation von Kapital, die ihrerseits darauf zurückzuführen ist, dass innerhalb der Produktion keine ausreichend rentablen Investitionsbereiche gefunden wurden und das Kapital folglich in unproduktive, ja parasitäre umgeleitet wurde. Nur eine wirklich umfassende Kapitalvernichtung, bei der alte Industrien mit niedrigen Profitraten stillgelegt werden, könnte dieses Problem in Angriff nehmen. Ein großer Einbruch, gefolgt von einer langen Depression, würde jedoch nicht nur die Profitraten langfristig erhöhen, sondern auch die anderen Hauptmerkmale unserer „Epoche der Kriege und Revolutionen“ (und Gegenrevolutionen) hervorbringen. Die Großmächte, die davon besessen sind, ihre wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft in der Welt zu verteidigen oder zu erlangen, sind noch weniger geneigt, multilaterale Institutionen, Verträge oder Vereinbarungen wieder in Kraft zu setzen. Die USA sind führend bei der Verhängung von Sanktionen gegen alle, die ihre Interessen verletzen. Kalte und Handelskriege können sich in heiße Kriege verwandeln, wenn lebenswichtige strategische Interessen auf dem Spiel stehen.
Nach dem Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan strömt eine neue Welle verzweifelter Flüchtlinge in die Nachbarstaaten wie Iran und Pakistan, angetrieben von den vielen Menschen, die in diesem Land vorm Verhungern stehen. Tausende erreichen die Grenzen der Europäischen Union, was zum Teil auf das zynische Vorgehen des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko zurückzuführen ist, der von seinem großen Bruder, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, unterstützt wird.
Putin führt einen Kampf mit der EU, seit die Nato ihre Mitgliedschaft bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt und „farbige Revolutionen“ im „nahen Ausland“, einschließlich der Ukraine, angezettelt hat. Sein Gegenangriff umfasste die Einnahme der Krim, die Unterstützung der ostukrainischen SeparatistInnen und des Assad-Regimes, eines langjährigen Verbündeten und Protegés der UdSSR und später der Russischen Föderation. Die USA und Russland sind mitverantwortlich für den Beginn eines neuen Kalten Krieges in Europa, der sich durchaus parallel zu dem zwischen den USA und China in Asien entwickeln könnte.
In China hat Xi Jinping seine Führungsrolle auf unbestimmte Zeit verlängert. Die „historische Resolution“ des sechsten Plenums des Zentralkomitees der KPCh hat seine bonapartistische Rolle noch verstärkt, indem sie ihn als „Kern“ bezeichnet und ihn auf den gleichen Status wie Mao Zedong (Mao Tse-tung) hebt. Diese Rolle des Schiedsrichters spiegelt eindeutig tiefe Spannungen innerhalb der beiden herrschenden Kräfte in China wider, der parteigebundenen militärisch-staatlichen kapitalistischen Bürokratie und der wachsenden Großbourgeoisie im Privatsektor. Xis Antikorruptionskampagne richtet sich sowohl gegen (unbekannte) bürokratische KonkurrentInnen als auch gegen superreiche KapitalistInnen wie den Alibaba-Gründer Jack Ma, die aus Angst, sie könnten Verbindungen zur chinesischen Bourgeoisie im Ausland, vor allem in Taiwan, knüpfen, in die Schranken gewiesen wurden.
Ein weiterer Aspekt ist die Verstärkung des chinesischen (Han-)Chauvinismus durch die KPCh mit der Verfolgung der UigurInnen und der Bedrohung Taiwans, den Marineanlagen im Südchinesischen Meer und den gemeinsamen Manövern mit Russland in der Nähe von Japan. Das Programm „Gemeinsamer Wohlstand“ wird als Mittel zur Überwindung der Kluft zwischen den Superreichen und den Massen sowie der Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen des riesigen Landes, einschließlich der Kluft zwischen Stadt und Land, angepriesen, und das, obwohl alle „aus der absoluten Armut herausgeholt“ wurden. Eine Reihe chinesischer Unternehmen und GeschäftsführerInnen hat sich jedoch beeilt, Geld in den herumgereichten Hut zu stecken.
Xis starkes Auftreten im Ausland, seine Nichtteilnahme an der Klimakonferenz, aber ein persönliches Treffen mit Biden, sollen zeigen, dass auch China zu einer „unverzichtbaren Nation“ geworden ist. Darüber hinaus mehren sich Hinweise aus den Staaten Südasiens und Afrikas, dass es sich bei der Neue-Seidenstraße-Initiative um ein imperialistisches Investitionsprojekt handelt, das für autoritäre und geradezu diktatorische Regime (Myanmar und vielleicht Afghanistan) attraktiv ist, weil die chinesische Hilfe nicht an die Einhaltung von Menschenrechten geknüpft ist. Wenn China, ebenso wie Russland, mit solchen Regimen assoziiert wird, könnte dies dem Land in den ideologischen Kämpfen des Kalten Krieges mit den USA nicht gut bekommen.
Aber auch die alten „demokratischen“ Imperialismen untergraben den Ruf ihres „weichen Drucks“ , indem sie sich weigern, Flüchtlinge aus Kriegen und Invasionen aufzunehmen, die sie selbst verursacht haben. Sie sind ebenso, ja mehr noch, daran schuld, dass sie sie durch hohe, mit Stacheldraht besetzte Zäune und den Einsatz von Streitkräften am Überschreiten der weißrussisch-polnischen Grenze hindern, obwohl die EU-Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind, alle Asylanträge zu prüfen.
Die Europäische Union sieht sich mit einer weiteren großen Einwanderungskrise konfrontiert, nicht wegen einer unerträglichen Zahl von Flüchtlingen und WirtschaftsmigrantInnen, sondern wegen des rassistischen Drucks populistischer Parteien, die sich dagegen wehren, dass die Regierungen ihren vertraglichen Verpflichtungen zur Bearbeitung von Asylanträgen nachkommen. Das gilt an der Kanalküste ebenso wie in den Wäldern von Belarus.
Brüssel wird seine rassistische Einwanderungspolitik fortsetzen und die „Festung Europa“ für die meisten Flüchtlinge abschotten, während es einige Fach- und hochqualifizierte Arbeitskräfte zulässt, um die rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien zu beschwichtigen. Ihr Rassismus gegen Flüchtlinge und gegen MuslimInnen wird weiterhin ein wichtiges Mittel sein, um reaktionäre Bewegungen zu mobilisieren, aber in der aktuellen Situation orientieren sich die meisten jetzt an den reaktionären Bewegungen gegen die Impfung und präsentieren sich als VerteidigerInnen der „Freiheit“.
Wäre die EU eine echte gemeinsame Volkswirtschaft, wäre sie nach den USA der zweitgrößte Wirtschaftsraum, eine wirtschaftliche Riesin, aber eine politische Zwergin. Ihr Zusammenhalt liegt Lichtjahre hinter den USA und China zurück, und der Brexit hat ihr finanzielles und militärisches Gewicht verringert. Frankreich hat sich unter Emmanuel Macron für wirtschaftlichen und politischen Föderalismus und eine von den USA unabhängige militärische Stärke eingesetzt. Deutschland hingegen hat sich mit wirklich entscheidenden Maßnahmen in diese Richtung zurückgehalten. Das Erfordernis der Einstimmigkeit bei wichtigen Reformen bedeutet, dass die osteuropäischen Staaten ein Veto gegen wichtige Initiativen wie eine einheitliche, von den USA unabhängige europäische Armee einlegen können.
In der Zwischenzeit haben die Bewegungen zur Rettung des Planeten, wie Fridays for Future und der Global Climate Strike, internationale Ausmaße angenommen. Es gab Proteste auf der ganzen Welt, einschließlich der Mobilisierung von Bauern, BäuerInnen und indigenen Gemeinschaften im globalen Süden. Aber wie Glasgow (und die Konferenz von Paris davor) gezeigt haben, waren sie nicht in der Lage, das Verhalten der Regierungen und der naturzerstörenden Konzerne zu ändern, nicht einmal die Subventionen für die Kohleproduktion „auslaufen“ zu lassen, geschweige denn den Kohlebergbau oder die Öl- und Gasförderung zu stoppen.
Demokratische Revolutionen gegen repressive Regime, die von der Jugend der Welt angeführt wurden, verbreiteten sich am Ende der Großen Rezession im Jahr 2011 in den arabischen Ländern, in Südostasien (Myanmar und Thailand) und in Lateinamerika. Da es ihnen jedoch nicht gelang, den militärischen Unterdrückungsapparat zu zerschlagen, die korrupten herrschenden Klassen zu stürzen und neue Machtorgane der ArbeiterInnen, der Jugend und der Unterdrückten zu installieren, haben sich die „demokratischen Frühlinge“ fast alle in „konterrevolutionäre Winter“ verwandelt, wofür das brutale Regime von as-Sisi in Ägypten der beste Beweis ist. Die anhaltende Mobilisierung im Sudan nach dem Putsch vom 25. Oktober 2021 unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan zeigt jedoch die Dynamik der Volkskräfte und, dass die Eliten immer wieder vor der Herausforderung stehen, in Zeiten der Wirtschaftskrise stabile, dauerhafte repressive Regime zu schaffen.
Dennoch gibt es eine regelrechte Pandemie von „starken Männern“, darunter Duterte auf den Philippinen, die Juntas in Myanmar und im Sudan, Bolsonaro in Brasilien, Erdogan in der Türkei, Modi in Indien, Xi in China, bin Salman in Saudi-Arabien – die Liste ist endlos. Das Problem, mit dem fortschrittliche Kräfte auf der ganzen Welt konfrontiert sind, ist die begrenzte Wirksamkeit von friedlichem Protest. Selbst massenhafte und langanhaltende Proteste werden scheitern, solange der Staat die Moral und Disziplin seiner Repressionskräfte aufrechterhalten kann.
Ein weiteres Merkmal der weltweiten Situation liegt in der Schwäche der „Mitte-Links“-Regierungen, die in einer Reihe von Ländern an die Macht gekommen sind und in anderen in den Startlöchern stehen, wenn es den reaktionären populistischen FührerInnen nicht gelingt, sich an der Macht zu halten. In Brasilien würde Bolsonaro wahrscheinlich durch den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva ersetzt, dessen gewählte Nachfolgerin Dilma Rousseff durch einen Putsch von Justiz und Parlament abgesetzt wurde. Es war Lulas „Volksfront“ mit den verräterischen bürgerlichen Parteien, die den Weg für Bolsonaro freigemacht hat. Selbst wenn Lula gewinnen und sich erneut im Amt etablieren sollte, würde sich der Zyklus mit ziemlicher Sicherheit wiederholen, dieses Mal mit der Hinzufügung einer mächtigen faschistischen Bewegung, einem Erbe von Bolsonaros Präsidentschaft.
Größere parlamentarische Reformen sind nur in zwei Szenarien möglich: ein florierender expansiver Kapitalismus, der sich „Brosamen von seinem Tisch“ leisten kann, oder ein Massenaufstand, der mit einer Revolution droht und ernsthafte Reformen zu einer realistischen Option für eine bedrohte herrschende Klasse macht. Da weder das eine noch das andere existiert, Letzteres aufgrund der erdrückenden Wirkung der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bürokratie, sind anhaltende politische Krisen in den kommenden Jahren fast garantiert.
Die Rückkehr der Taliban an die Macht nach der schmachvollen Niederlage der USA und dem chaotischen Abzug aus Kabul hat zur Destabilisierung ganz Südasiens, einschließlich Afghanistan, Pakistan, Indien, Bangladesch, Sri Lanka und Myanmar, beigetragen. Dahinter steht die Rivalität zwischen den USA und China und der verzweifelte Versuch Indiens, beide herauszufordern. Xi Jinpings „Neue Seidenstraße“-Initiative, die die regionale Vorherrschaft sichern soll, wird für künftige Konflikte rund um den Indischen Ozean sorgen.
Heute wird die Region jedoch von legitimen demokratischen Kämpfen um nationale Rechte erschüttert. Die UigurInnen, die Rohingya, die TamilInnen, die Kaschmiris, die BelutschInnen und eine Vielzahl ethnisch-linguistischer Gemeinschaften in Afghanistan haben alle unter Pogromen und ethnischen Säuberungen durch Militärregime und fundamentalistische Gruppen gelitten, seien sie nun hinduistisch, muslimisch, buddhistisch oder, wie im Fall der UigurInnen, angeblich kommunistisch.
Die Kräfte in Europa und Nordamerika, die sich für palästinensische Belange einsetzen, sahen sich einem bösartigen Gegenangriff des israelischen Staates und seiner UnterstützerInnen in den imperialistischen Regierungen und den rechtsgerichteten Medien gegenüber. Der anfängliche Erfolg der Kampagnen zur Entlarvung des Apartheidcharakters des israelischen SiedlerInnenstaates führte zu einer Flut von falschen Anschuldigungen wegen rassistischer Judenfeindlichkeit. Ihr größter Schlag lag in ihrem Beitrag zum Sturz von Jeremy Corbyn aus der Führung der Labour-Partei. UnterstützerInnen der palästinensischen Sache, darunter auch mutige fortschrittliche Juden und Jüdinnen, wurden in Großbritannien ins Visier genommen, und jede ernsthafte Kritik an Israel wird nun in den Medien als Antisemitismus gebrandmarkt.
Nie war die Notwendigkeit einer neuen Internationale deutlicher, wenn die ArbeiterInnenklasse der Welt und ihre natürlichen Verbündeten unter den sozial und rassisch Unterdrückten und der armen Bauern-/Bäuerinnenschaft sich vereinen und ihren Widerstand gegen die Angriffe des heimischen Kapitalismus und Imperialismus stärken sollen. Doch die Parteien, die sich selbst als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnen, und die trotzkistischen zentristischen Kräfte auf weltweiter Ebene haben sich größtenteils in die nationale Isolation zurückgezogen, selbst im Vergleich zu den antikapitalistischen, antineoliberalen, globalisierungskritischen oder Antikriegsmobilisierungen des Zeitraums 1998 – 2006.
In jenen Jahren versammelten sich auf weltweiten und kontinentalen Sozialforen KlimaaktivistInnen, indigene Gruppen, FeministInnen, progressive GewerkschafterInnen und linke sozialistische Gruppen verschiedener Art. Aber die reformistischen Parteien wie die brasilianische Arbeiterpartei (PT) und kämpferische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (wie Attac) lähmten diese Treffen mit einer Zwangsjacke aus „keine Abstimmungen“ über Maßnahmen, keine politischen Parteien, keine Debatten, die zur Annahme von politischen Konzepten führten. Die teilweisen Ausnahmen bildeten das Europäische Sozialforum in Florenz (2002) und das Weltsozialforum in Porto Alegre (2003), die eine weltweite Antikriegsbewegung mit mehreren zehn Millionen TeilnehmerInnen ins Leben riefen.
Nach der Großen Rezession, den Occupy-Bewegungen und dem Arabischen Frühling folgten internationale Bewegungen von Frauen und farbigen Menschen. ReformistInnen und RevolutionärInnen in diesen fortschrittlichen Bewegungen reichten sich in gemeinsamen Aktionen gegen Kriege und die Misshandlung von MigrantInnen erneut die Hand.
Organisatorisch basierte diese Zusammenarbeit eher auf Netzwerken als auf demokratischen repräsentativen Strukturen. Obwohl viele diese „Führungslosigkeit“ gelobt haben, überließ das die Entscheidungen über Politik und Taktik selbsternannten AkademikerInnen, radikalen JournalistInnen und „GemeindeführerInnen“. Während die meisten ihre Solidarität untereinander verkünden, erkennen sie nicht, dass all die verschiedenen Bewegungen eine viel stärkere Einheit für den Sieg benötigen. Schritte in diese Richtung könnten durch Einheitsfronten unternommen, in denen Ziele demokratisch vereinbart und dann gemeinsam umgesetzt werden.
Identitätspolitik, bei der die subjektive Erfahrung der Unterdrückung die vorrangige Determinante für Ziele und Taktiken ist, spaltet die Unterdrückten eher, als dass sie sie vereint. Obwohl viele in diesen Bewegungen tatsächlich die Notwendigkeit anerkennen, die Kräfte der ArbeiterInnenklasse zu gewinnen, und sich selbst als antikapitalistisch und sogar marxistisch bezeichnen, akzeptieren sie nicht, dass der Sturz des Kapitalismus ein gemeinsames Programm und die Integration in den Klassenkampf mittels einer revolutionären Partei erfordert. Dies ist zum Teil das Ergebnis der Versäumnisse und Verbrechen der Sozialdemokratie, des Stalinismus und der zentristischen Spielarten des Trotzkismus.
Ohne ein neues Weltprogramm für die Revolution werden die Lösungen für die brennenden Fragen der Umwelt, der Rassen- und Geschlechterungleichheit und der Armut nicht gefunden werden können. Nur eine wiedergeborene und international organisierte ArbeiterInnenbewegung, die die jungen AktivistInnen einbezieht, die sich bereits in all diesen Kämpfen engagieren, kann eine Avantgarde schaffen, die in der Lage ist, den Kapitalismus an jeder dieser Fronten herauszufordern. Die von uns skizzierten Krisen werden dazu beitragen, vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen zu schaffen, die noch größer sind als die, die 2010 – 2011 nach der Großen Rezession auftraten.
Aus diesem Grund ruft die Liga für die Fünfte Internationale alle kämpferischen und fortschrittlichen Kräfte, die den Kapitalismus und den Imperialismus als Feind anerkennen, dazu auf, sich erneut zu versammeln, um über die Strategie zu diskutieren und gemeinsame Aktionen zu organisieren. Ihr Ziel sollte die Entwicklung eines gemeinsamen Aktionsprogramms ausmachen, das den ArbeiterInnen und Unterdrückten der Welt einen Weg von den heutigen Kämpfen hin zu einer Weltrevolution aufzeigt.