Tobi Hansen, Revolutionärer Marxismus 46, Oktober 2014
In diesem Artikel wollen wir die politisch-ökonomische Lage der EU im Jahr 2014 analysieren, die Erfahrungen seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2007 etwas anreißen und einen Ausblick geben, wie unsere Einschätzung der Perspektiven für dieses „einmalige“ Projekt ist.
Die EU an sich ist etwas Einmaliges in der Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise. Verschiedene Nationalstaaten und damit einhergehend nationale Bourgeoisien „vereinigen“ sich zu einem Markt, zu einem Währungsraum, zu einem Produktionsstandort. Das Einmalige daran ist, dass kein Nationalstaat die anderen besetzt hält und militärisch die Vereinigung vollzogen hat. Da sich dies jedoch trotzdem nicht auf gleichberechtigter Grundlage und der Herausbildung eines wirklich europäischen – supra-nationalen – Kapitals vollzogen hat, ist das Projekt EU schon mal in seinen Grundzügen ein krisenhaftes Projekt, in dem die Klasseninteressen verschiedener nationaler Bourgeoisien aufeinander treffen. Marktanteile, Profitraten, Steuererleichterungen und Produktivität sind die Parameter der Klasseninteressen der verschiedenen Bourgeoisien – diese sollen in einem europäischen Binnenmarkt, möglichst auf Kosten der Konkurrenz und gegen die Lohnabhängigen durchgesetzt werden.
Wie im Nationalstaat auch wurden europäische staatliche Institutionen und Rahmenbedingungen, zeitgleich mit der Schaffung der ökonomischen Struktur, aufgebaut. Eine EU-Bürokratie, inklusive Kommission und Parlament, ein föderaler Ministerrat der Regierungschefs, eine Zentralbank und ein Gerichtshof sind die „supranationalen“ Bestandteile dieses EU-Projektes.
Angetrieben von den stärksten Kapitalistenansammlungen in der BRD und in Frankreich wurde aus der EG (Europäische Gemeinschaft) eine EU, ein gemeinsamer Währungsraum und Binnenmarkt aus heute 28 EU-Staaten, von denen 18 den EURO als gemeinsame Währung haben.
Für das deutsche und französische Kapital sind „freie“ Märkte und Konkurrenz ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. In vielen industriellen und verarbeitenden Sektoren liegen Monopolkonzerne beider Staaten gegenüber der europäischen Konkurrenz vorn, konnten dadurch Marktanteile übernehmen und Konkurrenz aufkaufen oder schließen. Wenn im Jahr 2013 50% aller produzierten Autos in der EU von deutschen Konzernen hergestellt wurde, zeigt das einmal die Folgen der Einkaufstour von VW & Co. in den letzten 20 Jahren, aber auch was imperialistisches Monopol bedeutet.
Die Grenzen fielen und die gleiche Währung galt für Einkauf/Verkauf. Dies stärkte die Exportkapitale aus Frankreich und der BRD. Deutschland konnte im Rahmen seiner Rolle als europäische Führungsmacht die kapitalistische Wiedervereinigung vollziehen und die Reste der Verluste von Souveränität nach 1945 überwinden. Die DDR wurde industriell ausgeschlachtet, die Arbeitskräfte abgeworben und das heutige Ostdeutschland als Niedriglohnland bis heute erhalten. Dies war die direkte Osterweiterung des deutschen Kapitalismus.
Die EU ist ein imperialistisches Projekt, welches ein kapitalistisches Europa als Hauptkonkurrent der USA etablieren will und mittelfristig die USA als Hegemonialmacht ablösen sollte. Diese Ziele sind die Ziele des deutschen und französischen Imperialismus. Angekoppelt und ihnen untergeordnet sind mehrere kleinere Imperialismen wie die Niederlande, Italien, Spanien oder Schweden. In der EU steht nur der britische Imperialismus in klarer „Opposition“ gegenüber Berlin, Paris und Brüssel. Bis 2010, so war die Planung der Agenda von Lissabon von 2000, sollte die USA als „attraktivster Investitionsstandort“ abgelöst werden. Damit trat die EU in offene Konkurrenz zur USA. Allerdings blieb die wirtschaftliche Union weiterhin ohne nennenswerten militärischen Arm. Hier ist das EU-Kapital weiter fest im Rahmen der NATO an den US-Imperialismus angebunden und muss sich dessen militärischer Führungsrolle unterordnen. Sowohl Britannien als auch untergeordnete EU-Staaten können dies immer wieder nutzen, um der deutschen Führungsrolle in Europa entgegenzutreten – wie sich in der Ukraine-Krise klar gezeigt hat.
Die Krise seit 2007 hat den Lissabon-Perspektiven einen klaren Strich durch die Rechnung gemacht. Die EU verlor an ökonomischer Bedeutung. Der Anteil an der globalen Industrieproduktion sank; Rezession und Stagnation bestimmen die Konjunktur seit 2008. Viele Staaten Südeuropas sind weiter in der Rezession, haben eine steigende Massenarbeitslosigkeit und sind Teil der „Schuldenkrise“, welche in Folge diese Nationalstaaten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit trieb.
Im Vergleich zum Jahr 2008 ist das BIP im Jahr 2012 um 1,7% niedriger im Euro Raum, in der gesamten EU um 1,4%. Allein Deutschland (+2.5%), Frankreich (+0.6%) und Österreich (+1.5%) konnten Steigerungen des BIP verzeichnen (Quelle eurostat – isw grafik bb). Die Industrieproduktion im Euroraum sank zwischen 2007 und 2012 um 9,9%. Damit sank auch der globale Anteil an der Industrieproduktion. Während in Deutschland die Produktion nur um 1,4% sank, sind es besonders die Staaten West und Südeuropas die eine Periode der Deindustrialisierung erlebt haben – Frankreich (- 13,7%), Spanien (- 27%), Portugal (-17%), Italien (-20,8%) oder natürlich Griechenland mit minus 28%.
Die Krise hat doppelt gewütet: Zum einen in einer weiteren Phase von Konzentration und Rationalisierung in der Industrie und zum anderen bei den Staatsschulden der Euro-Staaten. Ähnlich der USA überflutet die EZB (Europäische Zentralbank) seit einigen Quartalen die Finanzmärkte mit Niedrigzinspolitik – aktuell bei 0,25%. Dies führt zwar bei der deutschen Börse zu neuen Rekorden, aber andererseits zum Aufbau neuer, durch reine Spekulation „gedeckter“, Verschuldung (Wachstum auf Basis von fiktivem Kapital).
Innerhalb der imperialistischen Blöcke hat die EU während der Krise eingebüßt. Die saloppe Bezeichnung „kranker Mann“ oder „japanische Krankheit“ wird heute von den Börsengurus für die EU angewendet. Die EU ist heute mitnichten der attraktivste Investitionsstandort für die Auslandsdirektinvestitionen (ADI) geworden und steht weiterhin hinter der USA und China. Die EU als Ganzes konnte die schwachen Wachstumsraten der Industrieländer (1-1,5%) der letzten Jahre nicht halten, verlor den Anschluss an die USA und sieht sich stärkerer Konkurrenz der sog. „Schwellenländer“ (oder BRIC – Brasilien, Russland, Indien, China) ausgesetzt.
Die Ursache dafür ist, dass die tiefe Weltwirtschaftskrise seit 2007 die ökonomischen Widersprüche der EU nicht nur verschärft, sondern deutlich sichtbar gemacht hat. Die EU verfügt über staatliche Rahmenbedingungen, einen gemeinsamen Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung in der Eurozone, aber nicht über ein EU-„Gesamtkapital“. Die jeweiligen nationalen Interessen der Kapitalfraktionen brechen offen auf. Die Krise sorgt für eine schärfere Konkurrenz und die bisherigen Großkonzerne haben ihre Marktanteile ausgebaut, Konkurrenz aufgekauft und Millionen entlassen. Dies wurde noch gefördert durch die Sparpakete der Troika mit den Massenentlassungen im öffentlichen Dienst – es findet ein imperialistischer Kahlschlag innerhalb der EU statt.
Dies bringt zwar die EU insgesamt in eine Abwärtsspirale, stärkte jedoch zeitgleich den deutschen Imperialismus während der Krise relativ. Innerhalb der EU muss sich der deutsche Imperialismus gegen immer weniger Konkurrenz durchsetzen und hat in den industriell verarbeitenden Sektoren seine Monopolstellung ausgebaut. Gleichzeitig bleibt der deutsche Imperialismus konkurrenzfähig gegenüber den USA, China, Japan und konnte 2013 einen neuen Handelsbilanzrekord vorweisen und den von 2007 übertreffen (198 Mrd. Euro gegenüber 195 Mrd. Euro ). Allerdings wirkt sich der Abschwung in Europa auch auf die deutsche Position auf den Weltmärkten negativ aus – nicht nur durch sinkende Exporte in EU-Länder, sondern auch weil die Marktanteile schwächelnder EU-Kapitale auch von der Nicht-EU-Konkurrenz übernommen wurden (siehe z.B. das Alstom-Debakel von Siemens). Die zugespitzte Konkurrenz, der soziale Kahlschlag in weiten Teilen Südeuropas und die stärker auftretende Dominanz Deutschlands haben das EU Projekt in eine tiefe politische, ideologische und nicht zuletzt ökonomische Krise gestürzt.
Nach der Ablehnung des EU Verfassungsvertrages bei Referenden in den Niederlanden und Frankreich wurden einige Bestandteile durch die Verträge von Lissabon 2009 übernommen. Allerdings blieben einige Ziele unerreicht bzw. auf halbem Weg stecken.
Im Ministerrat gilt bei der Außen- und Sicherheitspolitik wie auch bei Finanzen und Wirtschaft weiterhin die Einstimmigkeit bei Gesetzesvorlagen. Das Mehrheitsstimmrecht ist bei den untergeordneten Gesetzgebungsverfahren eingeführt (55% der Mitgliedsstaaten, die 65% der Bevölkerung repräsentieren), wodurch die größten Volkswirtschaften automatisch die Mehrheit stellen. Die EU-Bürokratie ist weiterhin abhängig von den führenden EU-Staaten und deren direkter Vollstrecker. Dies wurde während der Schuldenkrise deutlich, als die EU-Bürokratie in den Krisenstaaten „Regimechange“ betrieb. Während die Schuldenkrise Griechenland, Portugal, Irland, Spanien Italien im Griff hatte, gab es neben Sparpaketen und Strukturprogrammen auch eine neue Dimension der EU-Bürokratie. Angefangen mit der tiefen Regierungskrise der PASOK unter Ministerpräsident Papandreou 2010 bis zur Installation von Monti als Ministerpräsident Italiens gab es technokratische Eingriffe in die „Souveränität“ der EU-Staaten.
Ministerpräsident Papandreou wollte 2010 eine Volksabstimmung über weitere Sparmaßnahmen, den Verbleib in der Eurozone und die Annahme von Krediten durchführen. Noch bevor dies geplant werden konnte, spaltete der damalige Finanzminister Venizelos die Regierungspartei und formte danach eine „Regierung der nationalen Einheit“ aus Teilen der PASOK-Fraktion, der neokonservativen ND und der rechtspopulistischen LAOS-Partei. Ministerpräsident für ca. ein halbes Jahr wurde dann der damalige EZB-Vizechef Papademos, welcher sofort alle Maßnahmen der EU umsetzte und die Idee der Volksabstimmung begrub.
Mehr als ein Jahr konnte der ehemalige EU-Kommissar für Finanzen, Mario Monti, die Regierungsgeschäfte von Italien, der drittgrößten Ökonomie des Euroraums führen, ohne jemals ein Mandat per Wahl bekommen zu haben. Wie in Griechenland zerbrach eine Regierungspartei mit absoluter Mehrheit an dem Diktat der Finanzmärkte. Berlusconi verlor kurzzeitig die Führung über seine Partei, welche dann die „Expertenregierung“ Montis gemeinsam mit der oppositionellen PD unterstützte.
Diese technokratischen „Übergangsregime“ setzten direkt die Vorgaben aus Brüssel und Berlin um. Die EU zerbrach ganz praktisch die politische Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten. Obwohl die EU-Bürokratie gegenüber ihren globalen Konkurrenten USA und China sehr viel langsamer Eingriffe in die Wirtschaftsordnung vornehmen kann, ist es jedoch gleichzeitig gelungen, den politischen Einfluss der Bürokratie zu stärken. Zusammen mit dem IWF, aber auch selbstständig wurden „Troikas“ für die Krisenländer gebildet, die ähnlich einer kommunalen Zwangsverwaltung die Exekutive der Staaten überwachen, zu gewissen Teilen ersetzen und Vorgaben für sie entwickeln.
Damit gelang der EU-Bürokratie eine „nachholende“ Entwicklung – die Kontrolle, die vor Ausbruch der Krise nicht direkt möglich war, wurde während der Schuldenkrise zwangsimplementiert.
Vor der Schuldenkrise konnten Mitgliedsstaaten gemäß Vertrag von Maastricht (Euro-Einführung) Strafverfahren bekommen, wenn ihr Defizit 3% überschritt. Zunächst wurden die 3% obsolet während der Schuldenkrise. Dann verließ sich die EU-Bürokratie nicht mehr auf Verträge und Verfahren – während der Krise gab es neue Kredite nur bei Unterschrift unter die Sparpakete.
Während der Schuldenkrise wurde in der EU der reale Gehalt einer bürgerlichen Demokratie deutlich: Diejenigen mit der größten ökonomischen Macht bestimmen. Die Anderen werden verwaltet bzw. ihrer wenigen demokratischen Möglichkeiten beraubt. So wurden in Griechenland und Ungarn bspw. die Streikrechte eingeschränkt. Nach US-amerikanischer Methode kann nun die jeweilige Regierung entscheiden, ob ein Streik zulässig ist oder nicht. So drohte die griechische Regierung in den Jahren 2010-2012 mehrfach Streikenden im öffentlichen Dienst mit der direkten Kündigung und verstärkte repressive/disziplinarische Maßnahmen gegen die Beschäftigten. In Deutschland nennen Kapital und Staat solche Gesetze „Tarifeinheit“, womit kleinere Gewerkschaften verdrängt und ihnen die Organisierung, die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht quasi abgesprochen werden.
Diese Tendenzen zusammengefasst zeigen die Entwicklung der EU – eine von den stärksten Kapitalfraktionen kontrollierte Bürokratie ermächtigt sich über die Souveränität der Nationalstaaten, um die Wirtschafts, Finanz und Sozialpolitik neu zu ordnen, eben im Interesse der stärksten Kapitalfraktionen.
Die Schuldenkrise dieser Staaten war und ist direkte Folge der Finanzkrise von 2007-2009. Die Verluste der Finanzmärkte, der Banken und der Fonds wurden zum Teil direkt übernommen oder in staatliche „Bad Banks“ überführt oder vom ESM/ESFS (Rettungsschirmfonds) teilfinanziert. Die Folge ist ein erheblicher Zuwachs der Staatsverschuldung der EU. In der EU stiegen die Staatsschulden von 2007 bis 2012 um genau 50% von 7,3 auf 11 Billionen Euro, in der Eurozone um 43% von 5,9 auf 8.6 Billionen Euro. Dies ist eine direkte Folge der Finanzkrise und gleichzeitig neues Spekulationsobjekt auf den Börsen wie ein enormes Druckmittel gegenüber den Staaten Süd -und Osteuropas.
Im Verlauf der Krise sind bis 2012 mind. 1,6 Billionen Euro per Rettungsschirm u.a. Maßnahmen in die Banken und die Finanzmärkte geflossen. Aktuelle Staatsanleihen haben meist eine zeitliche Befristung von 5-6 Jahren, was bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten der EU jährlich 2 Billionen zur Refinanzierung ihrer Schulden brauchen. Diese Ausgangslage brachte Berlusconi in Italien zu Fall und birgt weiterhin große fiskalische Risiken.
Natürlich stiegen mit den Schulden auch die jährlichen Zinszahlungen. Die EU-Staaten insgesamt zahlten 2012 380 Mrd Euro an Zinsen an die Großbanken und die Finanzindustrie. Dass diese trotzdem weiterhin in der Krise ist, liegt an den anderen Dimensionen dieser Branche. Als der Rettungsschirm ESM im Jahr 2012 in Höhe von 750 Mrd Euro aufgespannt wurde, gab es eine Schätzung der EZB über die Schuldenmenge der Großbanken in der EU: sie belief sich auf ca. 10 Billionen Euro, also vergleichbar mit der Schuldenmenge aller EU-Staaten.
In diesen Dimensionen übersteigt dann auch mal die Bilanzsumme der „nationalen“ Finanzindustrie das BIP des dazu gehörigen Staates. Der IWF stellte dies 2011 für Großbritannien (8,6 Billionen $ Bilanzsumme gegenüber 2,3 Billionen $ BIP), für Frankreich (7,6 zu 2,6 ), für Deutschland (3.6 zu 3.3) und die Niederlande (1,7 zu 0,8) als führenden Finanzmetropolen fest.
Für die Staaten der Schuldenkrise vervielfachten sich die Zinszahlungen während der Krise massiv. Dies ging einher mit schlechteren Ratings der herrschenden Agenturen. Für die Eurozone stiegen die Zinsraten zwischen 2009-2012 um 16%, in der der gesamten EU um 23% – für die „Krisenländer“ gibt es Zuwächse von 85% in Irland, von 68% in Spanien, 52% in Portugal und 23% in Italien. Für diese und andere Staaten werden die Höchststände aber noch kommen, schließlich wurden viele aktuelle Schuldpapiere im Jahr 2008 zu relativ niedrigen Zinsen abgeschlossen, deren Refinanzierung erst noch ansteht.
Die Krisenstaaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien, einige Zeit „PIIGS“)-Staaten genannt, stecken dadurch in einer Schuldenspirale fest. Wenn bei rezessiver volkswirtschaftlicher Entwicklung die Schulden inklusive Zinszahlungen steigen, bleibt den öffentlichen Haushalten immer weniger Spielraum für Investitionen. Gleichzeitig wird durch die Sparpakete Abbau des öffentlichen Sektors betrieben – aus rein kapitalistisch volkswirtschaftlicher Sicht gibt es wenig Hoffnung auf einen Aufschwung bei dieser Ausgangslage.
Bei diesem europäischen Schuldenkreislauf bekommen die Schuldenstaaten neue Kredite, um die alten Kredite bei der Finanzindustrie der führenden Kapitalfraktionen zu bedienen – hier wirkt imperialistische Konkurrenz, welche durch die EU-Bürokratie und die EZB reguliert bzw. institutionalisiert wird.
Die Niedrigzinspolitik der EZB tut ihr Übriges zur Aufrechterhaltung dieser Schuldenkrise. Mit derzeit 0,25% beim Leitzins wird der Finanzmarkt weiter mit billigem Geld geflutet – die Finanzindustrie kann ihrerseits willkürlich ihre Zinsen festlegen – ein Bombengeschäft. Die Sanierung der Gewinne der Finanzindustrie ändert also nichts an einer weiterhin restriktiven und teuren Kreditvergabe. Bei insgesamt sinkender Investitionstätigkeit in der Realwirtschaft wird so Konjunkturschwäche bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldmenge produziert. Die Schwäche der Nachfrage führt in der EU immer stärker in die Deflation bei gleichzeitig niedrigen Zinsen, ein Hauptmerkmal der „japanischen Krankheit“ und Vorboten weiterer Krisenhaftigkeit und allgemeiner Tendenz zu Stagnation oder gar Depression.
Während Krise und Spardiktate weiter wüten, verschlechtert sich zunehmend auch die soziale Lage der Arbeiterklasse in Europa. Von 2000-09 konnte in der EU ein durchschnittlicher Reallohnzuwachs vom 8,1% erreicht werden, dieser Trend hat sich inzwischen umgekehrt.
Zwischen 2010 und 2012 konnte nur in einem Drittel der EU-Staaten ein Reallohnzuwachs erreicht werden, aktuell sind Schweden mit 2,2% und Deutschland mit 1,8% die Spitzenreiter. Die größten Einbußen betreffen die Beschäftigten in Griechenland (-20,3%), Portugal (-10,2%), Irland (-6,6%) und Spanien (-6%). Selbst der EU-Kommissar für Soziales, Laszlo Andor, beschreibt die soziale Lage als „marode“ und stellt bei der Vorstellung des EU-Sozialberichts 2012 fest: „Nach einigen Jahren der Dauerkrise sind die meisten nationalen Sozialsysteme kaum noch in der Lage, die Einkünfte der Haushalte gegen die Folgen der Krise zu schützen“ (press releases, 8.1.13)
Dies liegt zum einen an der massiv gestiegenen Massenarbeitslosigkeit, speziell in Südeuropa, und andererseits an den Sparmaßnahmen im Sozialsystem, zu denen die Krisenländer per Troika und EU-Bürokratie gezwungen wurden. Gleichzeitig wurden in diesen Saaten auch die Massensteuern erhöht, speziell die Gebühren für den Öffentlichen Dienst, die Energieversorgung und den Gesundheitsbereich.
In Griechenland findet in dieser Kategorie derzeit ein „sozialer Feldversuch“ statt, mit wie wenig Einkommen Kapitalismus „funktionieren“ kann. So wurde der Mindestlohn von 751 auf 585 Euro im Monat gesenkt, das Arbeitslosengeld von 462 auf 322 und dessen Bezugsdauer auf ein halbes Jahr befristet. Ebenso wurden die Renten um mindestens ein Fünftel gekürzt. In Griechenland gibt es eine wachsende Zahl von Haushalten, die über gar kein Einkommen mehr verfügen und von der Strom-, Wasser- und Gasversorgung abgeschnitten sind. In Thessaloniki waren das 2012 z.B. ca. 20% aller Haushalte. Während des Winters 2013/14 wurde Holz wieder bevorzugtes Heizmittel in vielen Städten Griechenlands. Dies veranlasste zwar das Gesundheitsministerium zu Warnungen – eine „gesündere“ Heizvariante gab es trotzdem nicht.
2011 waren in der gesamten EU 120 Millionen Menschen, etwa ein Viertel der Bevölkerung, von Armut bedroht bzw. betroffen. Seit Ausbruch der Krise steigt diese Ziffer in Süd- und Osteuropa weiter an. Es gibt innerhalb der EU eine immer stärkere Spaltung der Einkommen und der sozialen Lage. In Südeuropa sind 25-30% von Armut betroffen, in Osteuropa liegen die Ziffern zwischen 30 und 50%, z.B in Bulgarien (49%) oder Lettland (40%). Die EU hat bislang nur die Daten bis 2011 erfasst, das Jahr 2012 hat diese Tendenz eher noch verstärkt.
Besonders betroffen ist die junge Generation, für die dann meistens weniger vom Haushaltseinkommen verwendet wird, hier liegen die Armutsraten insgesamt höher (EU 27%) – eine ganze Generation wächst in Armut auf. Während bei den Beschäftigten, den RentnerInnen und der Jugend gespart wird, steigt z.B. in Deutschland die Zahl der Einkommensmillionäre massiv an – zwischen 2007 und 2012 um 22,9% auf über eine Million. Das gleichzeitig auch in Deutschland das Armutsrisiko, auch mit Beschäftigung, wächst, zeigt, dass die Krise auch hier wütet. Über 16 Millionen Menschen, die arm bzw. von Armut bedroht sind, zählt die EU insgesamt.
Lt. EU trifft Armut zu, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: Probleme bei der Mietzahlung, keine ausreichende Heizung der Wohnung, unbeglichene laufende Rechnungen, Fehlen eines Farbfernsehers, einer Waschmaschine, eines Telefons und nicht mindestens jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einnehmen können.
Der Kapitalismus in der Krise kann somit noch nicht einmal in Europa die niedrigsten Bedürfnisse für alle erfüllen, die früheren „Horrorszenarien“ US-amerikanischer Zustände sind heute für breite Teile der Klasse düstere Realität geworden. Der deutsche Imperialismus „stützt“ sich dabei auf ca. 1.000 Tafeln im Land, welche Arbeitslosen, Rentnern und Prekären den regelmäßigen Zugang zu Lebensmitteln sichern. In Griechenland übernehmen das z.T. die Faschisten oder die orthodoxe Kirche, während auf der anderen Seite die Millionäre und Milliardäre in der EU 8 Billionen Euro angehäuft haben.
Mit der tiefen ökonomischen Krise seit 2008 ging ein Sozialkahlschlag durch die EU, wie es dieser Kontinent davor Jahrzehntelang nicht erlebt hatte. Im Vergleich zu 2008 stieg die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2013 in der gesamten EU um 66%, von 16,2 auf 27 Millionen. Eine noch höhere Steigerungsrate gab es in der Eurozone, hier stieg die Arbeitslosigkeit um 71%, von 11,4 auf 19,5 Millionen.
Dies ist eine imperialistische Krise, die nur durch Zerschlagung und Schließung von Produktionskapazitäten der in der Konkurrenz unterlegenen Kapitalfraktionen „gelöst“ werden kann. Fast unnötig zu erwähnen, in welchen Staaten die Arbeitslosigkeit quasi explodierte – in Griechenland und Spanien liegt die offizielle Arbeitslosenquote bei knapp 30%. Auch die anderen süd- und osteuropäischen Staaten (Italien, Portugal, Kroatien, Bulgarien, Slowakei) haben mit gestiegener und weiter steigender Arbeitslosigkeit zu tun. Zum einen hatte die Deindustrialisierung enormen Anteil an der Arbeitsplatzvernichtung. In Spanien z.B. haben seit 2007 mehr als 200.000 Unternehmen geschlossen, v.a. kleinere und mittelständische Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten verschwanden fast gänzlich vom Markt, sie stellten 97% aller Schließungen in Spanien (Quelle FAZ 11.9.12).
Zum anderen haben die Sparangriffe auf den öffentlichen Dienst in Südeuropa den anderen großen Arbeitssektor unterhöhlt; dort wird nur noch entlassen und eingespart – Neueinstellungen sind rar gesät.
Die Krise hat in Südeuropa eine ganze Generation aussortiert. Vor 2007, in den Boomjahren der „Globalisierung“, wurde der nachwachsenden Generation eingebläut, dass sie mit entsprechender Qualifikation (meist Hochschulabschluss) keine Armut mehr zu fürchten hätte. Jetzt stehen Millionen unter 25-Jährige auf der Straße. In Griechenland 58%, in Spanien 56%, in Portugal 37%, in Italien 40%, in Irland 28% und auch in Frankreich 26% der jungen ArbeitnehmerInnen werden nicht mehr verwertet und haben auch keine Aussichten darauf. Stattdessen wirbt das deutsche Kapital wieder vermehrt Arbeitskräfte aus Südeuropa an. Da können sich die heutigen Arbeitsmigranten Tipps bei den Großeltern holen; die konnten als „Gastarbeiter“ schon Erfahrungen sammeln. Ende 2012 arbeiteten schon ca. eine halbe Million jüngere Südeuropäer in Deutschland. Speziell im Gesundheitsbereich werden gezielt Kräfte angeworben. Das deutsche Kapital ist auch hier Nutznießer der Krise. Die Fachkräfte werden angeworben, ohne zuvor einen Cent in die Ausbildung gesteckt zu haben, und gleichzeitig dienen die niedrigeren Löhne als Druckmittel gegenüber den einheimischen Arbeitskräften – da gibt es eine Menge Erfahrung des Kapitals hierzulande.
Die Krise hat in der EU nicht nur die Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen stärker zum Vorschein kommen lassen. Diese bedienten sich auch verstärkt rassistischer und nationalistischer Ressentiments und Methoden. Vor Ausbruch der ökonomischen Krise gab es bereits einen Aufschwung anti-islamischer Formationen wie der „Freiheitspartei“ des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden. Diese Politik wurde konstant als Untermalung des „Kriegs gegen den Terrorismus“ betrieben. Angst vor Al Qaida, Angst vor „Schläfern“, Angst vor Salafisten, Angst vor Kalifaten in Europa – nichts war zu dumm, als dass es nicht benutzt worden wäre, um die imperialistische Politik gegenüber den islamischen Staaten zu rechtfertigen und Minderheiten in Europa stärker zu drangsalieren und zu überwachen.
Seit 2008 und speziell seit der Schuldenkrise 2010 sind Rassismus und Nationalismus auch innerhalb der EU und innerhalb der „Wertegemeinschaft“ wieder salon- und boulevardfähig. Als Griechenland in die Pleite „geratet“ wurde, die Regierung ihren Haushalt nicht mehr refinanzieren konnte und die Spekulationsgeschäfte gegen die griechischen Staatsanleihen prima liefen, wurden auch die rassistischen Ressentiments gegen die Griechen und die Südeuropäer wieder geschürt.
In Deutschland brauchte es dazu keine neue rassistische Organisation – die national-konservative AfD kam erst 2013 zur Welt; hier übernahmen die Bundesregierung und die „Mainstreammedien“ die rassistische Propaganda. Die Griechen waren faul, meist korrupt, gingen so früh wie möglich in Rente, hatten bei der Euroeinführung betrogen. Als die Stimmung richtig hochkochte, forderte ein FDP-Hinterbänkler aus der Bundestagsfraktion die Übergabe griechischer Inseln an Deutschland.
Diese Nord/Süd-Spaltung ist bekannt als europäischer Rassismus, wie auch Rassismus gegenüber den osteuropäischen Staaten seit deren „Integration“ immer wieder funktioniert hat. Bei den verschiedenen Osterweiterungen der EU waren es v.a. deutsche und österreichische Politiker, welche den Zuzug von Arbeitskräften aus diesen Staaten blockierten und gleichzeitig der Stimmungsmache der Rechten Vorschub leisteten – nach dem Motto: „Wer nimmt wem die wenigen Arbeitsplätze weg?“
Mit der Schuldenkrise wurde diese Argumentation noch verschärft. Kanzlerin Merkel brachte es bei einer Tagung der Mittelständischen Vereinigung der CDU auf den Punkt: „Wer weniger arbeitet und mehr Urlaub macht, der soll erst mal anfangen zu sparen, bevor andere für ihn zahlen“. Gemeint war damit die griechische Volkswirtschaft, deren ArbeiterInnen im übrigen mehr Stunden pro Jahr arbeiten und weniger garantierte Urlaubstage haben als Deutschland.
In Finnland konnten die „Wahren Finnen“ (PERUS) bei den Parlamentswahlen 2011 19% der Stimmen gewinnen, v.a. mit einem Wahlkampf gegen die „Rettungspakete“ für Griechenland und Co.
Der Aufstieg der rechten und nationalen Kräfte in den letzten Jahren ist in verschiedenen Facetten zu beobachten. Zum einen entstehen neue rechtspopulistische/konservative Formationen wie die „Wahren Finnen“, die „Freiheitspartei“ (PVV) in den Niederlanden oder die flämische N-VA in Belgien. Vorhandene Kräfte aus diesem Spektrum wie die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), die FN aus Frankreich (Front National) und die „Schwedendemokraten“ haben Wahlerfolge erzielt; speziell FPÖ und FN haben sich im jeweiligen Parteiensystem etabliert.
Gleichzeitig haben auch offen faschistische Parteien in den letzten Jahren in verschiedenen Staaten Massenanhang gewonnen. Dazu zählt „Jobbik“ aus Ungarn und Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in Griechenland. Dass in Jobbik eine Abspaltung im Oktober 2013 die „Magyar Hajnal“ (Ungarische Morgenröte) gegründet hat, ist erwähnenswert – allerdings würden wir sie in der Analyse trotzdem über einen „Kamm scheren“.
Die ungarische Jobbik hat in den letzten Jahren einige Wahlerfolge feiern können und konkurriert im Parteiensystem mit der MSZP (sozialdemokratisch, ehemalige Blockpartei) um den zweiten Platz hinter der allein regierenden rechts-konservativen FIDESZ unter Ministerpräsident Orban. Zu den Markenzeichen von Jobbik gehört ein stark ausgeprägter Antisemitismus, welcher sich gegen „Globalisierung“ und „Bevormundung“ des ungarischen Volkes richtet. Dies wird kombiniert mit Anti-Kommunismus, einer Vorstellung von „Groß-Ungarn“ (inkl. Teilen Rumäniens, der Slowakei, Serbien und der Ukraine) und einer militanten Garde (Magyar Garde). Diese Miliz hat immer wieder Angriffe und Pogrome auf die Roma- und Sinti-Minderheit durchgeführt und 2009 die Proteste gegen die damalige MSZP-Regierung angeführt.
Für Ungarn fordern sie einen Investitionsstopp von „jüdisch-israelischem“ Kapital, die Vertreibung der Roma und Sinti, ein Verbot aller linken Organisationen und den Anschluss der „ungarischen Gebiete“ in Revision des Vertrags von Trianon nach dem Ersten Weltkrieg (dem ungarischen „Versailler Vertrag“) – eine klassisch faschistische Programmatik.
Wurde Jobbik aus einem ehemaligen anti-kommunistischen Hochschulbund gegründet, hat die griechische Chrysi Avgi andere Wurzeln. Sie war lange Zeit nur einige hundert Mitglieder stark und agierte als faschistische Schlägertruppe gegen linke Demonstrationen – meistens auf Einladung der griechischen Polizei, zu der diese Gruppe gute Verbindungen hat. Mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen LAOS an der Papademos-Regierung diskreditierte sich erstere bei der rechten Wählerschaft und flog daraufhin bei den nächsten Wahlen im Juni 2012 aus dem Parlament. Stattdessen zog Chrysi Avgi mit knapp 7% der Stimmen ein und rangiert seitdem als drittstärkste Kraft im griechischen Parteiensystem.
Ihre Politik hat sich durch den Einzug ins Parlament nicht verändert. Linke PolitikerInnen von der KKE oder Syriza werden vor laufender Kamera physisch angegriffen; Milizen der Chrysi Avgi patrouillieren vor Parteibüros und greifen potenzielle politische Gegner und/oder „ausländisch“ aussehende Menschen an, besonders Flüchtlinge. In den letzten zwei Jahren ist es der Partei gelungen, eine Massenbasis aufzubauen. Bei ihren Umzügen zur griechischen Unabhängigkeit können sie Zehntausende Anhänger mobilisieren. Sie haben auch große elektorale Unterstützung bei der Polizei.
Mit dem Mord an dem antikapitalistischen Hip-Hoper Pavlos Fyssas im September letzten Jahres wurde deutlich, welche Absichten die griechischen Faschisten verfolgen. Ihre Taktik der Destabilisierung mit gleichzeitigem Aufbau eigener paramilitärischer Einheiten ist aus der Geschichte faschistischer Massenorganisationen bekannt. In Griechenland wandte sich zunächst der Staatsapparat gegen Chrysi Avgi, verhaftete die Führer, während gleichzeitig in der konservativen ND (Nea Dimokratia) Diskussionen über mögliche Koalitionen mit den Faschisten stattfanden.
Der Aufstieg der nationalistischen, populistischen und faschistischen Organisationen ist der tiefen ökonomischen Krise, der Schwäche der organisierten Arbeiterbewegung und Linken, aber auch der beginnenden Zersetzung verschiedener Zweige der Bourgeoisie geschuldet. Die Krise wirkt sich sozial am schärfsten auf die Arbeiterklasse inkl. der Arbeitslosen, der Flüchtlinge und der Jugend, aber auch auf verschiedene Teile der Bourgeoisie aus. Das Kleinbürgertum steht in verschärfter Konkurrenz zu den Großkonzernen, verliert massiv Marktanteile, viele Freiberufler und Selbstständige verlieren ihre soziale Sonderstellung; sie „verproletarisieren“, so z.B. viele akademische Berufe. Zunehmend größere Teile des Kleinbürgertums sehen ihre ökonomischen Interessen nicht mehr von den etablierten Parteien vertreten, da diese während der Krise hauptsächlich die Interessen des Großkapitals schützen. Dies ist der Nährboden für den Aufschwung der Rechten und die größte Herausforderung für die radikale Linke und die organisierte Arbeiterbewegung in Europa.
Trotz aller ökonomischen und sozialen Krisenzustände in der EU bleibt es weiterhin Ziel der imperialistischen Fraktionen, die geostrategische Rolle der EU auszubauen. Seit 2009 hat sich der Schwerpunkt der EU-Erweiterungen in den Osten und Südosten Europas verlagert. Ausnahme ist allein Island, das seit 2010 Kandidatenstatus hat.
Letztes Neumitglied war Kroatien zum 1.7.13, auch mit weiteren Staaten Ex-Jugoslawiens gibt es Pläne zur Aufnahme. Seit 2005 ist Mazedonien offizieller Beitrittskandidat, seit 2010 auch Montenegro. Mit Bosnien-Herzegowina, Serbien und Albanien gibt es „Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen“, welche die Vorstufe zum Kandidatenstatus darstellen.
Für die weiter östlichen Ambitionen der EU gibt es den Rahmen der „Östlichen Partnerschaft“. Dort geht es um Armenien, Aserbaidschan, Georgien und die Ukraine. Obwohl die EU aufgrund der inneren ökonomischen Krise und Zuspitzung innerhalb der imperialistischen Blöcke an Gewicht verloren hat, heißt das nicht, dass die imperialen Bestrebungen eingestellt wurden – im Gegenteil.
So sind die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise Faktoren, die es der EU durchaus erleichtern, neues Terrain zu „integrieren“. Der ökonomische Zusammenbruch in Island, die schlechte Lage auf dem Balkan und nicht zuletzt die Krise in der Ukraine treiben Teile der jeweiligen nationalen Bourgeoisie in die Hände der EU.
Dies liegt auch an der mangelnden Alternative. Russland ist zwar eine „Alternative“ zur EU, speziell auf dem Terrain der ehemaligen UdSSR, allerdings hat sich in diesen Staaten ein Block herausgebildet, der auf Abtrennung von Russland programmiert ist. Die USA konnten über den IWF ebenfalls ihren Einfluss in diesen Staaten beibehalten und in Kombination mit der EU wieder ausbauen. Allerdings kann die USA keine weitere Marktintegration anbieten. Das ist die Möglichkeit der EU, trotz innerer Krise ihren Einflussbereich auszubauen.
Anders sieht es allerdings aus, was Sicherheitspolitik und militärisch-politische Bündnisfragen betrifft – hier steht eine weitgehend zahnlose europäische Führungsmacht im Zweifelsfall weit im Schatten der NATO-Führungsmacht USA.
Wir können hier nicht auf alle Aspekte dieses Konflikts eingehen, wollen aber seine strategische Bedeutung und die Absichten der EU und speziell Deutschlands skizzieren. Seit der „Orangenen Revolution“ 2004 gibt es einerseits schärfere Auseinandersetzungen innerhalb der ukrainischen Elite und andererseits größeren Einfluss der EU, speziell Deutschlands, auf bestimmte Teile davon. Die uns als „Oligarchen“ bekannten Köpfe der verschiedenen Kapitalfraktionen versuchen seit der Unabhängigkeit, ihre Interessen im Staat und in der Ökonomie durchzusetzen. Der erste Versuch einer westlich orientierten Regierung nach der „Orangenen Revolution“ scheiterte schnell.
Der andere Teil der Oligarchie, der meistens durch den letzten Präsidenten Janukowitsch vertreten wurde, kooperiert eng mit russischem Staat und Kapital, speziell die Schwerindustrie in der östlichen Ukraine. Diese Sektoren sind einer Marktöffnung Richtung EU weniger zugeneigt, geraten sie dann doch in direkte Konkurrenz zum deutschen und französischen Industriekapital. Das sind keine rosigen Aussichten. Der eher westlich gesinnte Teil der Bourgeoisie hofft auf Investitionen der europäischen Kapitalfraktionen, um sich als dominante Fraktion in der ukrainischen Bourgeoisie zu etablieren.
In der aktuellen Situation hatte der damalige Präsident Janukowitsch versucht, zwischen Russland und der EU zu taktieren. Zuerst startete seine Regierung die Verhandlungen für ein EU-Assoziierungsabkommen mit weitreichenden Folgen für die ukrainische Ökonomie. Die Bedingungen bei Verträgen mit der EU sind folgendermaßen zusammenzufassen: strenge Marktliberalisierung, Aufspaltung der Staatskonzerne, Investitionsfreiheit für das EU-Kapital, Ende aller Subventionen für öffentliche Güter inklusive einer massiven Preissteigerung für Energie und Dienstleistungen.
Für diesen Vertrag fand Janukowitsch aber keine Mehrheit in „seinem“ Lager, und so wurde das Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnet. Danach startete Janukowitsch neue Verhandlungen mit Russland und vereinbarte neue Kredite in Höhe von ca. 13 Mrd. Euro und die Fortschreibung der niedrigeren Gaspreise für die Ukraine.
In dieser Situation mobilisierten die Gegner Janukowitschs ihre Anhänger auf dem Maidan. Dort wurde protestiert: gegen den autoritären Janukowitsch und die Korruption, und für eine Öffnung zur EU.
Während das Durchschnittseinkommen in der Ukraine bei ca. 300 Euro liegt, ist das Preisniveau durchaus mit westlichen „Standards“ vergleichbar. Viele Beschäftigte sind auf Subsistenzwirtschaft angewiesen wie auch auf staatliche Subventionen für Energie, Wohnungen und öffentliche Dienstleistungen. Als auf dem Maidan die Bereicherung eines Teil der „Oligarchie“ angeprangert wurde, fand dies Widerhall bei den städtischen Armen in Kiew, aber auch bei den Studierenden und den Mittelschichten, die keinen sozialen Aufstieg geschafft haben.
Auf dem „Euro“-Maidan traten dann die Pro-EU-Vasallen der Oligarchie als Verteidiger der Demokratie und als Kämpfer gegen Korruption und für den Weg der Ukraine in die EU auf. Boxer Klitschko wurde mit seiner Partei UDAR (Der Schlag) direkt von der Konrad Adenauer-Stiftung aufgebaut und finanziert. Eine Zeitlang vermittelten deutsche Medien sogar das Bild des Straßenkämpfers Klitschko. Diese Marionette des deutschen Imperialismus ist mitverantwortlich für die Bildung der „Übergangsregierung“, für das Paktieren mit Nationalisten und Faschisten (Swoboda und der Rechte Sektor) und die Formierung der westlich gesinnten Oligarchie hinter dem Präsidentschaftskandidaten Petro Poroschenko. Dieser hatte bislang schon Ämter inne, war Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats gewesen, eine Zeitlang auch Außenminister und auch der Zentralbank stand er auch schon vor – er war und ist bestens integriert in die ukrainische Elite.
Unter diesen Vorzeichen wurden im Mai die Präsidentschaftswahlen durchgezogen. Während die Faschisten im Osten der Ukraine einen Bürgerkrieg anzettelten, gewann Poroschenko die Wahlen. In der Ostukraine formierte sich sehr schnell Widerstand gegen die Machtübernahme der Faschisten und Oligarchen in Kiew. Auch Parteien wie die KP oder die Organisation Borotba beteiligten sich am Aufbau antifaschistischen Widerstands. So bildeten sich in vielen Städten und Regionen im Osten antifaschistische Selbstverteidigungsmilizen. Wie nötig das war, symbolisiert auch das Massaker von Odessa am 2. Mai. Dutzende AntifaschistInnen starben im örtlichen Gewerkschaftshaus, als der faschistische Mob sie einkesselte und das Haus in Brand steckte. Faschistische Kommandos wie das Asow-Bataillon überfielen Kundgebungen und AktivistInnen in Charkow und Lugansk.
Seitdem wird ein Bürgerkrieg im Osten der Ukraine geführt. Während Russland versucht, über die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk seinen Einfluss in der Ukraine aufrechtzuerhalten, finanziert der Westen das Regime Poroschenko und die faschistischen Milizen. US-Vizeaußenministerin Nuland bezifferte diese Unterstützung auf 5 Mrd. US-Dollar. Vor diesem Hintergrund konnte die EU nun auch ihr Assoziierungsabkommen mit der Ukraine durchsetzen. Damit ist auch der ukrainische Markt für das westliche Kapital erschlossen. So konnte auch der Sohn des US-Vizepräsidenten, Hunter Biden, seinen neuen Job antreten – beim größten privaten Gasproduzenten der Ukraine – Ukraine Burisma Holdings – sitzt er im Verwaltungsrat.
Mit der Neuauflage eines „Kalten Krieges“, einer deutlichen Abschottung der NATO und der EU gegenüber Russland hat der US-Imperialismus einen taktischen Erfolg errungen. Eines der strategischen Projekte des BRD-Imperialismus war nämlich die Partnerschaft mit Russland, da Russland als Brückenkopf für das deutsche Kapital nach Zentralasien fungieren soll. Durch die Zuspitzung in der Ukraine ist es den USA aber gelungen, einen Keil zwischen deutsche und russische Interessen zu treiben und eine Reihe osteuropäischer Staaten in Frontstellung gegenüber Moskau zu bringen. Dabei spielen die baltischen Staaten eine wichtige Rolle. Dort werden die russischen Bevölkerungsminderheiten seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt und benachteiligt. Jetzt dienen sie als die Staaten, die sich vor einer weiteren russischen Aggression fürchten, nachdem der US-Imperialismus sich die Kontrolle über die Ukraine gesichert hat. In dieser Hinsicht hat auch Polen eigene Regionalmachtansprüche. In der NATO wird jetzt diskutiert, inwieweit die Ostgrenzen sicher sind, das bedeutet zwangsläufig, dass eine neue Welle von Aufrüstung innerhalb der östlichen NATO-Staaten unter Führung der USA betrieben werden soll.
Der deutsche Kapitalismus ist sicher sehr daran interessiert, ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu unterschreiben und mittels seiner Marionette Klitschko seinen Einfluss zu sichern. An einer Krise und anhaltenden Sanktionen gegenüber Russland ist der BRD-Imperialismus aber überhaupt nicht interessiert. Russland ist für das deutsche Kapital ein wichtiger Markt, ein wichtiges Ziel deutscher Direktinvestitionen – diese Interessen sind nun erst einmal blockiert.
Am Beispiel der Ukraine wird die aktuelle imperialistische Periode, die zugespitzte Konkurrenz und das Ziel der Neuaufteilung der Welt sehr deutlich. Auch wenn auf dem Papier die EU das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterschrieben hat, gehört die EU doch zu den Verlierern des Konflikts. Die EU kann sich eine strategische Partnerschaft mit Russland bis auf weiteres abschminken. Statt Russland unter die Interessen des EU Blocks unter- und einzuordnen, ist derzeit eine Konfrontationslinie zwischen der EU und Russland gezogen – dies war das Ziel des US-Imperialismus. Dieser ist, neben der Ausdehnung der US-Dominanz in den ehemaligen Sowjetrepubliken, v.a. daran interessiert, keine Bündnisse zuzulassen, die tatsächlich die Weltmachtstellung der USA gefährden. Dazu kommt, dass es der USA in solchen Krisen immer wieder gelingt, einen Keil zwischen die Kapitale in der EU zu treiben und die deutsche Führungsrolle schwer zu blamieren.
Diese Politik, inkl. der inner-imperialistischen Konkurrenz zwischen der EU und den USA, wird auch für andere ehemalige Sowjetrepubliken fortgesetzt. Georgien, Aserbaidschan und die zentralasiatischen Staaten (Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan) sind als nächste im Fokus der westlichen imperialistischen Staaten – in der Ukraine wurde schon vorexerziert, mit welchen Mitteln vorgegangen werden kann.
Die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Krise hatten wir in den vorgegangen Kapiteln beleuchtet – sie wird auf dem Rücken der Klasse der Beschäftigten, der Arbeitslosen, aller ArbeitskraftbesitzerInnen ausgetragen. Gleichzeitig bedroht der Aufstieg von rechtspopulistischen und faschistischen Parteien die Existenz der organisierten Arbeiterbewegung – auf diesem Kontinent werden wieder faschistische Milizen aufgebaut.
Die organisierte Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften, reformistische und (post-)stalinistische Massenparteien hatten dieser Entwicklung auf europäischer Ebene wenig entgegenzusetzen. In den Krisenstaaten gab und gibt es weiterhin große Proteste und Massenwiderstand; dieser bleibt aber meist im nationalen Rahmen hängen, entwickelt kaum europaweite Aktionsformen und konnte keine Alternative zum Krisenregime von Kapital, Staat und EU-Bürokratie aufzeigen.
In diesem Jahr waren EU-Wahlen, hier trat ein breites Bündnis von Linksparteien und (post-)stalinistischen Parteien für ein „soziales Europa“ ein. In seinem Aufruf wendet es sich richtigerweise gegen Nationalismus, Rassismus und Krieg und will ein Europa ohne Spardiktate, Troikas und Massenverarmung. Dies ist auf dem Papier alles richtig – allerdings beschreibt es auch die Realpolitik dieser Parteien sehr gut – auf dem Papier, bei den Wahlen treten diese Formationen für ein „anderes Europa“ auf. Trotzdem schaffen sie es seit 2008 nicht, einen wirksamen europäischen Massenwiderstand aufzubauen, tragen dazu äußerst wenig bei und blockieren wesentliche Schritte auf dem Weg dahin.
Einige Parteien aus diesem Spektrum, deutsche Linkspartei und die griechische SYRIZA, streben „Mitte-Links“-Regierungen in ihren Nationalstaaten an; wiederum andere wie die griechische KKE verweigern sich selbst der kleinsten Aktionseinheit mit anderen linken Kräften. Nur bei den EU-Wahlen wird dann so getan, als ginge es um eine gemeinsame Perspektive – diese haben all diese Parteien aber mitnichten.
Als die Krise 2008 die EU voll traf und seitdem die sozial-ökonomischen Perspektiven bestimmt, wurden die europäischen Gewerkschaften unvorbereitet – sowohl politisch als auch taktisch – erwischt und sind seitdem nicht in der Lage, europaweit zu agieren. Seit 2008 hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) nur zu zwei europaweiten Aktionstagen aufgerufen. Im September 2009 und im November 2012 (14N) gab es offizielle Mobilisierungen des EGB. Diese waren jeweils gekoppelt an Generalstreiks in Spanien und Portugal; dazu gab es noch eine Demo in Brüssel vor der EU-Kommission. Das war bislang alles an gemeinsamen europäischen Aktionen der Gewerkschaften.
Beim Sozialforum 2010 in Istanbul war die Krise in Griechenland bereits am Wüten, doch statt gemeinsame europäische Proteste und Streiks zu planen, gab es fruchtlose Solidaritätsadressen von Spitzenfunktionären. Ein Zitat eines Funktionärs der französischen Bildungsgewerkschaft FSU (Fédération Syndicale Unitaire) in Istanbul war dafür bezeichnend: „Was sollen wir den griechischen Kollegen Ratschläge geben, wir können nichts für sie tun, sie werden ihren Kampf schon erfolgreich bestreiten, da bin ich mir sicher“.
Es ist ein reformistisches Dogma aus Standortpolitik und Co-Management, das die Gewerkschaftsspitzen bestimmt und Aktivitäten und Widerstand der Basis ausbremst und irreleitet. Seit der „Globalisierung“ hatten die jeweiligen Gewerkschaften sich noch stärker an den Bedürfnissen der nationalen Kapitalfraktionen orientiert. Beispielhaft dafür ist die Politik der DGB-Gewerkschaften, die auch eine bestimmende Rolle beim EGB spielen. Der DGB hat die „Agenda 2010“-Politik der Schröder-Regierung seit 2003 mitverwaltet und den Widerstand dagegen abgewürgt. In einem „Bündnis für Arbeit“ waren die Interessen der Exportindustrie wichtiger als der Schutz der Arbeitslosen und Niedrigverdienenden. Dieses Co-Management wurde von fast allen großen Gewerkschaften betrieben. Umso schwieriger wurde für die Führungen die Situation in der Krise. Hier wurden die Gewerkschaften vor vollendete Tatsachen gestellt. Der „Systemrelevanz“ der Banken und Finanzmärkte haben die Gewerkschaften nichts entgegenzusetzen. Stattdessen wurde das Bündnis mit reformistischen Parteien weiter gestärkt, um via SPD in Deutschland oder PS in Frankreich zumindest mit am Verhandlungstisch zu sitzen. In Deutschland rühmt sich die Gewerkschaftsführung immer noch für ihre Mitwirkung im Krisenjahr 2009.
Als die Regierung Sarkozy in Frankreich die Verlängerung der Lebensarbeitszeit beschloss, streikten die Gewerkschaften so lange, bis sie mitverhandeln durften – gestoppt wurde das Gesetz nicht. Stattdessen hofften sie auf Hollande und eine keynesianische Krisenlösung. Dies ist auch die einzige Alternative für die reformistischen Spitzen der Gewerkschaften und Massenparteien: keynesianische Wirtschaftspolitik. Dabei erhalten sie auch Unterstützung von „linkeren“ Strömungen wie der europäischen Linkspartei oder Attac. Während ein sozialer Kahlschlag in Europa tobt, es eine massive Umverteilung von unten nach oben gibt, verbreiten diese die Idee eines „Marshall-Plans“ für Südeuropa oder öffentliche Beschäftigungsprogramme für die arbeitslose Jugend.
Dabei wird „vergessen“, dass zusätzliche Kredite und Finanzhilfen seit Jahren nur in eine Richtung fließen, nämlich zum Kapital, und dass die gesamte öffentliche Infrastruktur derzeit angegriffen wird und es nicht einen erfolgreichen Abwehrkampf dagegen gab. Wie dann eine Kehrtwendung der EU-Politik und ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik vonstatten gehen soll, bleibt unbeantwortet. So wird nach parlamentarischem Muster vor den Wahlen die Illusion in das „kleinere Übel“ wieder geschürt. Was davon übrigbleibt, sehen derzeit die französischen WählerInnen am Beispiel der versprochenen Reichensteuer und die deutschen WählerInnen am Beispiel des versprochenen Mindestlohns, der wesentlich schlechter ausfiel, als erhofft!
In Griechenland, Spanien, Portugal und Italien konnten die Gewerkschaftsführungen die Strategie von Standortpolitik und Co-Management nicht umsetzen; sie mussten zu anderen Mitteln greifen, wie auch Protestbewegungen außerhalb der organisierten Arbeiterbewegung die Gewerkschaften zum Handeln zwangen.
In Griechenland fanden über 20 1-2-tägige Generalstreiks gegen die Sparpakete statt. Sie konnten den Kahlschlag nicht verhindern. Der befristete Generalstreik eignet sich für symbolische Proteste, aber er entwickelt zu wenig sozialen Druck, um wirklich etwas zu bewirken. Zudem nutzt er die Kampfbereitschaft auch ab und weist keine Perspektive. In der revolutionären kommunistischen Bewegung war und ist der Generalstreik eine Taktik, um die Arbeiterbewegung in Stellung gegen Kapital und Staat zu bringen, und um die Frage der Kontrolle über die Produktion auf die Agenda zu rücken und die Machtfrage zu stellen. Er soll kein Mittel sein, um die Sozialpartnerschaft zu erneuern.
Er soll vielmehr dazu dienen, grundlegende politische oder soziale Angriffe abzuwehren und dabei die Einheit der Klasse herzustellen. Eine solche Aktion führt notwendigerweise zur Zuspitzung der politischen Lage und wirft die Machtfrage auf. Dies wurde bei keinem dieser sogenannten Generalstreiks auch nur im Ansatz versucht, ja es ist gerade die Machtfrage, die die bürokratischen Führungen zurückweisen lässt.
Die Gewerkschaftsführungen haben stets nur auf die Ereignisse reagiert, haben keine Initiative gezeigt und haben es tw. „sogar“ geschafft, dass Protestbewegungen wie die „Indignados“ (die Empörten) in Spanien nichts mit den Gewerkschaften u.a. Organisationen der Arbeiterbewegung zu tun haben wollten.
Selbst bei den europäischen Aktionstagen konnte nie die Idee eines europaweiten Generalstreiks durchgesetzt oder auch nur laut gedacht werden. Stattdessen wurde auf den wenigen europäischen Konferenzen an das Allgemeingut (öffentliches Eigentum), die „Commons“, appelliert, wurde eine Verteidigung des Sozialstaats und der Demokratie in den Vordergrund gerückt. Doch selbst dieser, in einigen europäischen Staaten noch existierende, „Sozialstaat“ wurde von der Arbeiterbewegung erkämpft bzw. war eine Konzession von Kapital und Staat gegenüber kämpferischen Arbeiterbewegungen. Dass zudem die Demokratie nicht klassenneutral ist, war auch schon Mal bekannt in der Arbeiterbewegung.
Speziell die griechische Arbeiterklasse hat große Streiks und Kämpfe geführt und gezeigt, warum sie in den Jahren vor 2008 manch Sozialkürzung und Angriffe der jeweiligen Regierung abwehren konnte. Wenn aber in der jetzigen Situation kein Erfolg verzeichnet wurde, so führt dies unweigerlich zu Demoralisierung und Passivität – ein nicht nur auf Griechenland beschränktes Phänomen.
Die Spitzen der Gewerkschaften und der reformistischen Linken sprechen dann meist von der Unmöglichkeit, die Klasse zu mehr Aktion zu bewegen, berufen sich auf ein nicht vorhandenes Bewusstsein und dass sie nicht mehr tun könnten, als dieses Bewusstsein vorgibt. Sie verschweigen dabei, dass sie selbst nichts für ein kämpferisches Bewusstsein getan haben, dass sie nichts gegen die rassistische Hetze gegenüber Südeuropa unternommen haben, dass sie keine europäischen Aktionen gegen die Angriffe in Griechenland oder Italien gestartet haben und damit verantwortlich für die Demoralisierung und Passivität sind, über die sie dann klagen.
Diese Politik der ReformistInnen herauszufordern, dem Alternativen entgegen zu stellen, tatsächlich für ein klassenkämpferisches Bewusstsein in der Klasse zu kämpfen – dies wäre jetzt die Aufgabe einer radikalen Linken. Dass die radikale, sozialistische Linke in der EU meist marginalisiert ist, ist sicher ein objektives Problem. Warum und wieso das so ist, sprengt die Aufgabe dieses Artikels.
Es gibt jedoch zwei Beobachtungen: die mannigfaltige „trotzkistische“ Linke hat sich in ihren verschiedenen Formen entweder auf eine Existenz in den reformistischen Parteien und Massenorganisationen eingerichtet oder hält einen größtmöglichem Abstand zu den realen politischen Auseinansetzungen innerhalb der Klasse. Diese verschiedenen Strömungen, die eine unterschiedlich geartete zentristische Politik betreiben, konnten die anfangs genannten Aufgaben nicht erfüllen und sind auch größtenteils nicht in der Lage, methodisch und taktisch dem Reformismus etwas entgegenzusetzen.
Die größeren internationalen Strömungen wie das CWI (Comitee for a Workers International, SAV), das ehemalige VS (Vereinigtes Sekretariat der 4. Internationale, isl, RSB) oder die IST (International Socialist Tendency, MARX21) sind daran gescheitert, einen revolutionären Arm in der Arbeiterbewegung aufzubauen. Der größere Teil manövrierte weiter entlang der reformistischen und/oder neuen Linksparteien, der kleinere Teil ist durch ausgeprägtes Sektierertum fern jeder Möglichkeit, in Klassenkämpfe und/oder soziale Bewegungen einzugreifen.
In den letzten Jahren hat es aber auch neue Entwicklungen auf dem Flügel von VS und IST gegeben, die den Aufbau antikapitalistischer Parteien betrieben haben und aktiv an der Umgruppierung innerhalb der radikalen Linken teilnehmen. Projekte wie die NPA (Neue antikapitalistische Partei) in Frankreich, der Bloco Esquerda (Block der Linken, Portugal), Podemos (Spanien) oder Antarsya und SYRIZA in Griechenland sind Ausdruck dieser Entwicklung.
Diese Projekte können einen Bezugspunkt für die radikale Linke darstellen, können in Klassenkämpfe eingreifen und den reformistischen Kräften etwas entgegenstellen, was derzeit keinem anderen „radikalen“ Spektrum gelingt.
Abzulehnen sind allerdings alle Versuche, einen neuen Keynesianismus in dieser Periode von links aufzuwärmen. Die Memorandum-Gruppe (mit Teilen der SL aus der Linkspartei), inklusive Attac-Strategen und manche Gewerkschaftsspitzen versuchen derzeit, ein „linkes“ Regierungsprogramm zu schreiben – ein soziales und solidarisches Europa soll dabei vom Himmel fallen. Leider erfährt dies auch bei einigen SozialistInnen wie der isl Unterstützung. Wir sind nicht dagegen, dass eine radikale Linke auch die Regierungsfrage stellt – wie in Griechenland (dort kann es möglich werden bei der nächsten Wahl). Wir stellen uns aber gegen die Illusion, dass eine solche „linke Regierung“ mit einem wirklich anti-kapitalistischen Programm eine rein parlamentarische bleiben kann, ohne revolutionären Klassenkampf erzwungen werden und sich lange halten kann, ohne den Staat zu zerschlagen und die Diktatur des Proletariats zu errichten.
Eine, wie auch immer geartete, linke antikapitalistische Regierung muss sich auf Selbstorganisierung und Machtorgane der Klasse gründen. Sie muss den ArbeiterInnen klar machen, dass selbst die geringsten Schritte der Enteignung, Umverteilung und Produktionskontrolle vom EU-Kapital mit allen Mitteln bekämpft werden – weshalb sie auch mit allen notwendigen Mitteln verteidigt werden müssen.
Sie muss schließlich klar stellen, dass die Krise des Kapitalismus in Europe weder durch pan-europäische noch durch nationalstaatlich begrenzte Reformpolitik gelöst werden kann, sondern eine grundlegende soziale Umwälzung im kontinentalen Maßstab erfordert den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.
Die post-autonome Strömungen bieten keine Alternative zum Reformismus. Gruppierungen wie die deutsche IL (Interventionistische Linke) sind viel eher schein-radikale „Zwillinge“ der etablierten reformistischen und links-reformistischen Organisationen und Parteien auf. Natürlich ist es wichtig, breite Bündnisse und Aktionseinheiten aufzubauen und dabei möglichst viele Akteure in Bewegung zu bekommen; dies ist auch für uns eine wichtige Voraussetzung für jede Bündnis-/ Einheitsfrontpolitik. Was aber neben breiten Bündnissen wichtig ist, ist eine politische Alternative zum Reformismus.
Die Perspektive der EU bleibt von der Finanz -und Schuldenkrise bestimmt; dies gilt jetzt auch für die zweitgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raumes. Frankreichs Konjunktur stagniert seit 2012; auch in diesem Jahr wird das Wachstum die 0,5% nicht übertreffen. Ähnlich sind die Aussichten für 2015. In dieser Lage hatte Präsident Hollande im August das Kabinett umgebildet. Nachdem zuvor Ministerpräsident Ayrault geschasst wurde und der neoliberale Valls übernahm, wurde nun auch das Kabinett von den „Parteilinken“ gesäubert.
Speziell der ehemalige Wirtschaftsminister Montebourg wie auch Hamon (Bildung) und Filippetti (Kultur) verweigerten zuvor ihre Zustimmung zum Sparpaket, welches Einsparungen in Höhe von 21 Mrd. € für 2015 vorsieht. Im August wurde dieser Flügel der Regierungspartei aus der Regierung entfernt; neuer Wirtschaftsminister wurde bspw. Macron, ein ehemaliger Banker und Berater des Präsidenten. Wo eingespart werden soll, steht auch fest: bis 2017 insgesamt 50 Mrd. € bei den Sozialleistungen, den Beamtengehältern und den Renten – das Kapital bekam schon 2014 eine Steuerentlastung von 40 Mrd. €; dies wird jetzt bei den Arbeitslosen, den Rentnern und Staatsbeschäftigten wieder geholt.
Gleichzeitig wird Frankreich in den nächsten beiden Jahren erneut die EU-Stabilitätsvorgaben nicht einhalten können; das Defizit wird jeweils bei über 4% liegen – erlaubt sind offiziell nur 3%. Nun wetzt die EU-Bürokratie anscheinend schon die Messer. Speziell deutsche Medien berichten davon, dass die EU den französischen Haushalt für 2015 ablehnen könnte.
Nun wendet sich also die Austeritätspolitik der EU gegen eines der „Kernländer“, gegen die Führungsmacht Nummer 2. Dabei steht die Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund. Das französische Kapital ist speziell gegenüber dem deutschen immer weniger konkurrenzfähig. So berichtet die Welt (26.08.14) von den hohen Lohnnebenkosten in Frankreich – das französische Kapital muss pro 100 € Lohn 47 € an Sozialabgaben abführen, das deutsche nur 27 €; der EU Durchschnitt liegt bei 31 €. Das führt auch dazu, dass das französische Handelsbilanzdefizit seit 2003 konstant ist; zuvor gab es Überschüsse. 2011 gab es den Negativrekord von 71 Mrd. €, 2013 lag es bei 61 Mrd. € – innerhalb der EU gilt dies vor allem gegenüber Deutschland; dies hat sich in den letzten 5 Jahren bei 25-35 Mrd. € eingependelt.
Dem französischen Imperialismus werden seine ökonomischen Grenzen derzeit deutlich aufgezeigt; speziell der deutsche Imperialismus hat seine Vorteile in der Krise ausgebaut.
Als Hollande 2011 die Wahlen gewonnen hatte, zeichneten die deutschen Medien das Zerrbild eines umverteilenden Sozialisten, welcher inmitten der Sparpolitik eine Gefahr für den Standort EU bedeutete. In der Tat trat Hollande zumindest mit einem keynesianischen Wahlprogramm an, versprach höhere Steuern für die Topverdiener, auch Vermögen sollte besteuert und herangezogen werden, und vor allem versprach Hollande, dass die „kleinen Leute“ nicht unter der Krise leiden sollten. Dies bescherte ihm einen deutlichen Wahlsieg und eine breite Koalition in der Nationalversammlung, in der auch die „Fornt de gauche“ (Ex-KPF) und die Grünen Präsident Hollande unterstützten.
Nach knapp drei Jahren ist davon nichts mehr übrig – so schnell war noch kein keynesianisches Konzept auf dem Boden der kapitalistischen Realität gelandet. Die deutliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes wurde vom Gericht abgelehnt. Die Wende in der Sparpolitik richtet sich jetzt gegen die französische Arbeiterklasse, und die „kleinen Leute“ bekommen eine steigende Arbeitslosigkeit (inzwischen bei knapp 3,5 Millionen) und Sparangriffe bis mindestens 2017.
Zusammen mit dem Kapitalverband MEDEF und der Gewerkschaft CFDT wurde der „Verantwortlichkeitspakt“ 2020 geschlossen. Hier sollen die Unternehmen belohnt werden, wenn sie Arbeitsplätze schaffen, und zumindest eine führende Gewerkschaft hat sich für das französische „Bündnis für Arbeit“ schon mal hergegeben. Orientieren tut sich diese Politik natürlich an der Agenda 2010 aus Deutschland, welche damals eine heftige Niederlage für die deutsche Arbeiterklasse bedeutete und gleichzeitig die etablierten Gewerkschaften für diese Politik kooptierte.
Hollande macht jetzt die gleiche Politik wie die Schröder/Fischer-Regierung in Deutschland in ihrer 2. Legislatur. Allerdings hatte Rot/Grün in ihrer ersten Legislatur zumindest einige Wahlversprechen gehalten; bei Hollande ist schon jetzt nichts mehr davon übrig. Ebenfalls sammelt sich Opposition, nicht nur in der eigenen Partei – sondern auch die Front de Gauche will die Sparpolitik nicht unterstützen. Deren Spitzenkandidat Melenchon phantasiert derzeit über Volksfronten, welche für eine 6. Republik kämpfen sollen.
Die französische Linke und Arbeiterbewegung hat in den letzten 15 Jahren einige Verteidigungskämpfe gewonnen. Das können wenige Arbeiterbewegungen in Europa von sich behaupten. Das CPÉ-Gesetz wurde gekippt; die Abstimmung zur EU-Verfassung wurde zur Niederlage fürs Kapital, und auch die Proteste gegen die Krisenentlassungen 2009 inklusive „Bossnapping“ (der Geiselnahme der Vorstandsetage) waren Zeichen dafür, dass die französische Arbeiterklasse in der Lage ist, solche strategischen Angriffe abzuwehren. Zwar gab es gegen Sarkozy auch die Niederlage bei der Rentenreform (Erhöhung des Renteneintrittsalters), aber die Organisationen sind weiterhin in vielen Bereichen mobilisierungsfähig.
Es wird nun auch auf die radikale Linke wie die NPA ankommen, welche Politik sie in und für die Gewerkschaften entwickelt, inwieweit sie zusammen mit den Basisgewerkschaften der Solidaires Unitaires Démocratiques (SUD) eine Basisbewegung und Opposition aufbauen kann, die real die Arbeiterklasse mobilisiert und nicht „Volksfront-Tagträumen“ von Melenchon hinterherrennt.
Wenn die Linke und die Arbeiterklasse sich nicht klar gegen die neoliberalen Angriffe von Hollande/Valls zur Wehr setzen, dann beschleunigen sie somit indirekt den weiteren Aufstieg der Front National, welche schon bei den EU-Wahlen stärkste Kraft in Frankreich wurde. Gegenüber diesen Rechtsextremisten und den Konservativen der UMP, die wahrscheinlich auch mit dem FN Koalitionen eingehen würden, müssen sich jetzt die französischen ArbeiterInnen zur Wehr setzen. Dies können sie am besten, indem sie entschlossen die Sparangriffe bekämpfen und diese Opposition gegenüber der EU und ihren Maßnahmen eben nicht den Rechten überlassen.
Die EU-Parlamentswahlen 2014 haben den zerrissenen Charakter der EU widergespiegelt. Während in den südeuropäischen Staaten Linksparteien und neu gegründete linke/antikapitalistische Parteien Wahlerfolge feiern konnten, waren in Nord/West/Mitteleuropa teilweise die „euroskeptischen“ und rechtspopulistischen Parteien erfolgreich. In Frankreich und Großbritannien drücken die Wahlergebnisse auch die Krise des bürgerlichen Blocks aus. In beiden Staaten konnten die traditionellen konservativen Parteien (UMP, Tories) ihre Spitzenposition in ihrem Lager nicht halten; sie wurden von rechts überholt. Die FN in Frankreich und die UKIP in Großbritannien stellen signifikante Spaltungen innerhalb dieses politischen Spektrums dar wie auch die Krise dieser beiden imperialen Führungsmächte.
Während GB sich immer weiter zurückzieht, keine nennenswerte Opposition gegenüber der imperialen Führungsmacht BRD aufbauen konnte, ist Frankreich während der Krise real zum „Juniorpartner“ des deutschen Großkapitals geworden – keine verlockenden Aussichten für die Bourgeoisien dieser beiden Staaten.
Ein anderes Bild gibt es in Südeuropa. In Griechenland ist SYRIZA von Spitzenkandidat Tsipras stärkste Kraft geworden. Gemeinsam mit der KKE und Antarsya wählten fast 40% der GriechInnen links von der traditionellen Sozialdemokratie. Deren „Neuauflage“ als „Olivenbaumbündnis“, welches PASOK mit anderen Kräften aufbaute, blieb bei den 8%, die PASOK allein bei den letzten Parlamentswahlen erreichen konnte. In Spanien konnten der dortige Linksblock, das Wahlbündnis „PODEMOS“ und die baskischen Links-Nationalisten über 25% der Stimmen gewinnen; ebenso gab es in Italien eine kleine Wiederauferstehung der sozialistischen Linken: das Bündnis „Altra Europe con Tsipras“ gewann über 4%. Auch in Portugal konnten die Parteien links von der Sozialdemokratie fast 20% gewinnen. In allen südeuropäischen Staaten wurden die amtierenden Regierungen abgestraft.
Als Ergebnis hat sich auf der Ebene der EU-Kommission weiterhin ein Kartell der europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten etabliert. So können beide Blöcke ihre Posten und Pfründe retten wie auch die Regierungschefs der führenden EU-Staaten ihre Interessen durchsetzen.
Alternativen zum bislang verfolgten Sparkurs wurden kaum vorgelegt. Zwar zeichnete sich dieser Wahlkampf besonders in Deutschland durch eine zugespitzte Inhaltsleere aus; allerdings gibt es jetzt für eine gestärkte „Linke“ im EU-Parlament die Notwendigkeit, Alternativen aufzuzeigen. Dabei muss die europäische Linkspartei gezwungen werden, sich stärker auf die Bewegungen, auf den organisierten Widerstand zu beziehen, muss eine wirkliche Alternative im Klassenkampf darstellen und nicht allein eine vermeintliche Alternative im linksreformistischen Wahlprogramm.
Die Hoffnung auf etwas mehr keynesianische Krisenlösungen, die auch in einigen Teilen der Sozialdemokratie fortleben, haben weder eine ökonomische Grundlage noch entsprechen sie einem realen Kräfteverhältnis innerhalb der etablierten Blöcke. Wenn SYRIZA eine Linksregierung anstrebt, ist das zunächst nicht mehr als eine parlamentarische Möglichkeit, die aber völlig auf sich gestellt sein wird, wenn eine solche Regierung nicht durch massive Klassenkämpfe, auch in anderen Staaten unterstützt und vorwärtsgetrieben wird. Die klassenkämpferischen Kräfte in der EU brauchen eine Perspektive für einen europaweiten Klassenkampf, für gemeinsame koordinierte Aktionen, welche von den zentralen Sektionen der europäischen Arbeiterklasse geführt werden – selbst ein Programm von sozialen Minimalforderungen ließe sich nur durch solche Aktionen durchsetzen.
Somit steht die Linke in der EU vor drei zentralen Herausforderungen: Erstens die Erarbeitung eines antikapitalistischen Programms für Europa, zweitens ein Kampf gegen die verschiedenen Spielarten des Reformismus innerhalb der Linken und drittens eine klare antifaschistische Methode und Praxis gegen die braunen Rattenfänger, welche seit dieser Wahl in sehr mannigfaltiger Form in Europa auftreten.
Die beiden stärksten Parteien der europäischen Linkspartei haben ihre Positione nicht ausbauen können. Weder die deutsche Linkspartei noch die französische „Front de Gauche“ haben zugelegt, und dafür gibt es recht einfache Gründe. Diese beiden Parteien stehen rechts in der europäischen Linkspartei. Die Front de Gauche unterstützte zwei Jahre lang das verlogene Programm von Präsident Hollande, welches jetzt in ein massives Spardiktat umgeschlagen ist, und die deutsche Linkspartei versucht händeringend, in diese Position erst noch zu kommen.
Diese Politik ist höchstens dazu geeignet, als „Ersatzreformismus“ aufzutreten, sobald der bisherige sich genügend disqualifiziert hat, wird aber kaum vermeiden können, genau so zu enden, mit diesem Regierungen zu bilden bzw. früher oder später mit den sozialdemokratischen Parteien zu fusionieren. Diese Beispiele haben der Linken in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht geholfen; sie haben der „linken“ antikapitalistischen und sozialistischen Idee starken Schaden zugefügt.
Es geht für die antikapitalistisch-revolutionär gesinnten Strömungen und AktivistInnen darum, diesem reformistischen Kurs etwas entgegenzusetzen. Wir brauchen eine kämpferische Perspektive gegen das Europa des Kapitals – keine Mitverwaltung, keine sozialen Illusionen in eine wie immer geartete Linksregierung unter bürgerlich-kapitalistischer Aufsicht.
Das EU Projekt dient in erster Linie den Interessen des deutschen Imperialismus. Hier wurde ein europäischer Binnenmarkt geschaffen, welcher nun vom BRD-Kapital beherrscht wird. In der EU erwirtschaftet speziell das deutsche Exportkapital mehr als die Hälfte seiner Profite. Der Handelsbilanzüberschuss lag 2013 bei 108 Mrd. Euro (Quelle eurostat/isw-grafik). Die Beherrschung dieses Wirtschaftsraumes ist elementar für den BRD-Imperialismus. Nur dann kann das deutsche Finanzkapital auch eine globale Rolle anstreben, wenn die Konkurrenten in der EU geschlagen sind.
Gerade in den letzten 15 Jahren hat der BRD-Imperialismus seine Rolle ausbauen können, wie die Exportmacht und die Handelsbilanzüberschüsse zeigen. Waren es im Jahr 2000 nur knapp 60 Mrd. Euro Überschuss gewesen, so im Jahr 2013 199 Mrd. Euro Überschuss – der schlechteste Wert der letzten 10 Jahre waren 139 Mrd. € Überschuss im Krisenjahr 2009. Die Euro-Einführung 2001, die Steuerentlastungen fürs Kapital und der Sozialangriff Agenda 2010 unter SPD/Grünen schufen die Voraussetzungen für den Aufstieg des BRD-Imperialismus in diesem Jahrzehnt, vor allem auf Kosten der europäischen Konkurrenz.
Diese Stärke des Exportkapitals birgt aber auch schwere Probleme für den BRD-Imperialismus und die EU. Zum einen ist das deutsche Kapital sehr konjunkturabhängig, wie auch die aktuellen Prognosen im Oktober 2014 zeigen. Einen Auftragseinbruch von über 8% in der Industrie, ein Exportrückgang im August 2014 von 5,8% (allerdings wurde im Juli ein Allzeitrekord mit knapp 100 Mrd. € erreicht) werden vor allem auf die Sanktionen gegenüber Russland zurückgeführt. Die Beschränkungen im Handel mit Russland, das derzeit höchst unsichere Investitionsklima in der Ukraine und im Mittlerem Osten schlagen sich direkt auf die Aufträge des Exportkapitals nieder, obwohl sie aktuell nicht vergleichbar sind, mit den Einbrüchen von 2008 – damals ging es um 20-30% weniger Aufträge.
Zum anderen spitzen sich die ökonomischen Widersprüche in der EU weiter zu. Wenn nun Frankreich als Nummer 2 der EU Sparangriffe durchführen muss, wenn in Südeuropa eine historische Massenarbeitslosigkeit herrscht, dann ist auch das Projekt der gemeinsamen Währung und des gemeinsamen Binnenmarktes gefährdet und damit auch die wichtigste Säule des deutschen Imperialismus.
Das deutsche Kapital konnte sich in den letzten Jahren der Krise ihre eigene „Kriegskasse“ füllen. Allein die ausgeschüttete Dividende liegt seit 2006 bei über 20 Mrd. Euro pro Jahr, meistens bei knapp 30 Mrd. Euro. Damit wird teilweise die Hälfte der DAX 30-Gewinne (2013 60 Mrd. €) direkt an die Bourgeoisie ausgezahlt; die andere Hälfte dient den Konzernen für weitere Übernahmen und Expansionen. Sei es die Übernahme griechischer Staatskonzerne wie der dortigen Telekom, der Energieversorgung oder der Versuch von Siemens, mit Alstom (FRA) einen zentralen Monopolkonzern aufzukaufen – dafür ist die deutsche Bourgeoisie gerüstet.
Für den nächsten Börsencrash, nach der Hausse dieses Frühsommers mit 10 000 Punkten beim DAX, in relativ naher Perspektive, ist das deutsche Finanzkapital auf jeden Fall gut gerüstet und in der Lage, weitere Konkurrenz aufzukaufen und auszuschlachten.
Die CDU/CSU ging in Deutschland mit dem Slogan „Gemeinsam erfolgreich in Europa“ in den EU-Wahlkampf. Dies beschreibt auch zum Teil die Perspektive des deutschen Imperialismus in der EU. Die Krise stärkte die Rolle des deutschen Großkapitals – so erfolgreich war der deutsche Imperialismus selten in Europa, zumindest ohne Waffengewalt.
Auf der anderen Seite unterminiert die hegemoniale Rolle der deutschen Kapitalverwertung das Bündnis der verschiedenen europäischen Kapitalfraktionen. Spanien und Italien verlieren immer mehr ihre Rolle als imperialistische Macht; die nahe Konkurrenz seitens des deutschen Imperialismus hat sie entscheidend geschwächt. Für beide Staaten sind Jahre der Stagnation zu erwarten. Frankreich und Großbritannien, die anderen Führungsmächte, haben dem deutschen Kapital derzeit wenig entgegenzusetzen. Frankreich wird einen massiven Sozialkahlschlag durchsetzen, Großbritannien ist dabei – ihre Stellung auf den Märkten hat dies bislang nicht gestärkt. Gleichzeitig haben diese Staaten auch wiederum unterschiedliche Interessen, so dass sie keine „geeinte Opposition“ gegen BRD-Merkel aufbauen können. Das französische Kapital hat eher protektionistische Tendenzen, will derzeit dem Staat noch mehr Mitsprache bei Verkäufen und Übernahmen einräumen, und der Mittelstand und das Kleinbürgertum fürchten den EU-Binnenmarkt, die globale Konkurrenz und tendieren immer deutlicher zur Front National und deren „Anti-EU“ Politik. Dies trifft zwar zum gewissen Grad auch auf das britische Kleinbürgertum zu in der Wahl von UKIP, auf der anderen Seite ist das britische Finanzkapital aber auf offene Kapitalmärkte angewiesen, um diese letzte Trumpfkarte des GB-Kapitals ausspielen zu können, wie ebenso das Kleinbürgertum in Großbritannien bei weitem kleiner und einflussloser als das französische ist.
Diese unterschiedlichen Interessen und die vorhandene Konkurrenzsituation bietet derzeit für das deutsche Industrie/Finanzkapital die Möglichkeit, sich sämtlicher ernsthafter Konkurrenz auf dem Kontinent zu entledigen. Die Pauperisierung ganzer Gesellschaften und Volkswirtschaften ist aber auch aus bourgeoiser Sicht gefährlich und nicht immer vorteilhaft für den Standort. Investitionen anwerben wird schwierig, wenn eine Volkswirtschaft und/oder Binnenmarkt zerrüttet sind. In der globalen Konkurrenz um Investitionen steht der Euroraum schon jetzt nicht gut da. Auch für das deutsche Kapital ist die Ausschlachtung dessen nicht unbedingt nur ein Vorteil bei weiteren Expansionsplänen. Für eine starke EU in Afrika, eine starke EU in Lateinamerika und/oder einen wichtigen Mitbewerber in Asien ist die EU derzeit denkbar schlecht aufgestellt. Das einzige EU-Kapital, das nennenswert expandiert, ist das deutsche, und dem können auch schnell Grenzen gesetzt werden, wie der Ukraine-Konflikt derzeit zeigt.
Während die konkurrierenden imperialistischen Staaten innerhalb der Eurozone derzeit ihre Stellung auf den Weltmärkten verlieren, wird auch die Rolle der EU insgesamt geschwächt. Diese Tatsache ist wiederum ungünstig für die globalen Expansionspläne des deutschen Imperialismus; der EU-Binnenmarkt fällt in der Konkurrenz zurück.
Somit sind dem imperialen Projekt EU politisch-ökonomische Grenzen gesetzt, welche seit Beginn wirken. Es kann keine „friedvolle“ Vereinigung“ verschiedener nationaler Kapitalfraktionen geben, nur eine „organisierte“ Konkurrenz stattfinden, in der sich eine Kapitalfraktion durchsetzt auf Kosten der anderen. Diese Tendenz wurde durch die Krise verstärkt und beschleunigt. Dadurch ist das Projekt als Ganzes gefährdet. Pläne vom sog. „Kerneuropa“, die eine Spaltung zwischen Nord und Süd befürworten, lassen Süd- und Osteuropa nur die Alternative als „Sonderwirtschaftszone“ des „Kerneuropas“ zu existieren – dies ist keine politische Einigung des Kontinents. Derzeit erleben wir seine tiefe soziale Spaltung.
Während die soziale Krise zu Massenprotesten führt, welche in sich die Möglichkeit eines gemeinsamen europäischen Klassenkampfes tragen – die größte Bedrohung der konkurrierenden Kapitalfraktionen – gibt es gleichzeitig einen Aufstieg nationaler und faschistischer Formationen. Somit spiegelt die EU alle Facetten der imperialistischen Krise, aber auch alle Möglichkeiten für die europäische Arbeiterklasse wider.
In dieser EU können wir für einen internationalistischen Charakter der Abwehrkämpfe eintreten, können diesen kapitalistisch zwangsvereinigten Raum zum Startpunkt einer geeinten europäischen Arbeiterklasse und radikalen Linken annehmen, wie auf der anderen Seite das Kapital sich weiter radikalisiert, des Nationalismus, Rassismus und Faschismus bedient und dadurch die Ausweglosigkeit des eigenen Systems verdeutlicht.
In der imperialistischen Konkurrenz stellt die EU den Kampf um die Neuaufteilung in dieser Periode quasi im Kleinen dar. Hier setzt sich sich der deutsche Imperialismus auf Kosten der Konkurrenz, aber vor allem auf Kosten der europäischen Arbeiterklasse durch. Diese Entwicklung wird eine Zunahme an Nationalismus, Rassismus und Faschismus bedeuten, eine direkte Bedrohung für die gesamte Klasse und deren Organisationen.
Wenn aber die Proteste und Widerstände gegen die Sparangriffe antikapitalistisch-revolutionär zusammen gefasst und geführt werden, dann kann die EU-Arbeiterklasse diesem kapitalistischen Projekt ein Ende setzen, aus der Defensive rauskommen und endlich einen wichtigen Schritt zur Offensive gegen dieses ruinierte System setzen.