Martin Suchanek, Neue Internationale 287, November 2024
Mit großer Mehrheit verabschiedete der Parteitag von Halle eine Kompromissresolution zum Krieg im Nahen Osten. Nur wenige Tage später folgte der Beschluss des Berliner Landesvorstandes dieser Linie, um so die Wogen des Landesparteitags vom 11. Oktober zu glätten.
Doch das wollte eine Reihe bekannter rechter, prozionistischer und proimperialistischer Funktionär:innen längst nicht mehr. Der ehemalige Berliner Fraktionschef Udo Wolf und der bis 2023 Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn hatten den Parteitag in Halle erst gar nicht abgewartet und erklärten schon vorher ihren Austritt. Wenige Tage später, am 23. Oktober, erklärten fünf Mitglieder des Abgeordnetenhauses, angeführt von den langjährigen Senator:innen Klaus Lederer und Elke Breitenbach, ihren Austritt aus der Partei.
In einer auf X (vormals Twitter) verbreiterten Erklärung beklagen sie, dass es ihnen immer weniger möglich wäre, sich im Landesverband für „unsere inhaltlichen Positionen und unsere strategischen Orientierungen einzusetzen“.
Schön wäre es, könnte man sagen. In Wirklichkeit verabschieden sich die fünf und etliche andere Vertreter:innen des rechten Parteiflügels, weil ihnen die Parteilinie nicht rechts genug war.
Das wird deutlich, wenn man den angeblich so radikalen Beschluss von Halle genauer betrachtet. Der Text „Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus“ versucht einmal mehr, es allen Flügeln der Partei recht zu machen.
So enthält er ein Bekenntnis zur Zweistaatenlösung und zum Fortbestand des zionistischen Staates. Das Rückkehrrecht der Palästinenser:innen wird ebenso wenig erwählt wie die einzige fortschrittliche Lösung, nämlich die eines demokratischen, säkularen und sozialistischen Palästina, in dem alle Menschen unabhängig von Nationalität und Religion leben können. Die Gewalt der israelischen Kriegsmaschinerie und des Widerstandes gegen diese werden gleichermaßen verurteilt.
Allerdings enthält der Text auch eine Verurteilung der Kriegspolitik des israelischen Staates und des Angriffs auf den Libanon. Die Kriegsverbrechen der IDF und der Genozid in Gaza werden als solche benannt. Und schließlich fordert die Linkspartei einen sofortigen Waffenstillstand, das Ende der Besatzung, die Einhaltung des Völkerrechts und die Anerkennung des Internationalen Gerichtshofs, ein Ende aller Waffenlieferungen und Abschiebungen von Palästinenser:innen.
Politisch geht der Beschluss von Halle über den Rahmen kleinbürgerlich-pazifistischer Politik nicht hinaus, was bei einer reformistischen Partei auch nicht weiter verwunderlich ist.
Doch schon das ist den ausgetretenen Linksparteiler:innen vom rechten regierungssozialistischen Flügel viel zu viel. In einer Partei, die einen Genozid einen Genozid nennt, die einen Bruch des Völkerrechts einen Bruch des Völkerrechts nennt und die Waffenlieferungen für einen Genozid ablehnt, fühlen sich Lederer, Wolf, Breitenbach und Co. offensichtlich fehl am Platz. Dass sie sich vom Acker machen, sollte für die Mitglieder der Linkspartei, die ansonsten wenig Grund zur Freude haben, eine gute Nachricht sein. Das eigentlich Problem besteht vielmehr darin, dass DIE LINKE über Jahre Leute, denen die Solidarität mit Israel nie bedingungslos genug sein konnte, die sich die deutsche Staatsräson nicht minder zu eigen gemacht hatten als die Bundesregierung, an ihrer Spitze wirken ließ, selbst wenn sie wie bei der Frage von Waffenlieferungen gegen die Beschlüsse der Partei verstießen. Mit Lederer und Co. verlassen wichtige Protagonist:innen des rechten Flügels die Partei, die seit Jahren nicht nur für antipalästinensischen Rassismus, bedingungslose Unterstützung für Israel, sondern auch für eine faktische Westanbindung, NATO-Expansion und eine opportunistische Regierungspolitik und Mitverwaltung des Kapitalismus stehen. Und natürlich verpassen es die Rechten nicht, ihren Austritt aus der Partei auch noch mit angeblicher „Machtübernahme“ durch „Traditionalist:innen“ und vorgeblicher Toleranz gegenüber dem „linken Antisemitismus“, ihr Codewort für Antizionismus, zu begründen und inszenieren.
Doch die Linkspartei wäre nicht die Linkspartei, wenn sie die ehemaligen Genoss:innen, die die Partei und ihre Mitglieder mit Schmutz bewerfen, als antisemitisch oder zumindest „weich“ gegenüber dem Antisemitismus diffamieren, nicht weiter mit Samthandschuhen anfasste. Dabei sind Lederer und Co. im Grunde nichts weiter als selbstgefällige Gefolgsleute und ideologische Helfershelfer:innen des deutschen, „liberalen“ Imperialismus in der Linken. Es wäre das Mindeste, diese nicht nur aus der Partei zu jagen, sondern die Rückgabe ihre Mandate an sie zu verlangen und jede Zusammenarbeit im Abgeordnetenhaus mit ihnen einzustellen. Doch weit gefehlt, die Berliner Linkspartei lässt den fünf Denunziant:innen weiter alles offen. Wen sie wollen, mögen sie doch in die Partei zurückkehren, in der Fraktion im Abgeordnetenhaus verbleiben – sowieso. Man muss kein Fan von Wagenknecht und BSW sein, um sich nicht zu fragen, warum deren Populismus so viel schlimmer als die offen imperialistischen Positionen von Lederer und Co. gewesen sein soll? Warum die reaktionären Denunziationen der angeblich „woken“ Linkspartei schlimmer gewesen sein sollen als die der Palästinasolidarität?
Dieses unwürdige Nachtraben und Hinterherlaufen verweist auf das politische Problem, das in der Linkspartei nach wie vor besteht. Der Kompromiss von Halle und Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Berliner Landesverband sind das Ergebnis mehrerer Faktoren. Erstens der Empörung und des Entsetzens über den barbarischen Krieg des israelischen Staates gegen die Palästinenser:innen und jetzt auch im Libanon. Die Forderung nach einem Waffenstillstand, einem Ende des Krieges und aller Waffenlieferungen spricht sicherlich der Mehrheit der Mitglieder und verbliebenen Wähler:innen der Partei aus der Seele, unabhängig davon, wie nah oder weit sie politisch von einer revolutionären Lösung entfernt sein mag. Zweitens steht ein Teil der Linkspartei auch in Verbindung zur Solidaritätsbewegung mit Palästina und unter deren Druck – einem Druck, den er auch auf dem Berliner Landesparteitag mit Anträgen Ausdruck verliehen hat. Auch dies könnte noch weitaus konsequenter erfolgt sein, aber der linke Flügel der Partei ist auch nicht einfach eingeknickt. Drittens versucht die neue Bundesparteiführung um Schwerdtner und van Aken, nicht noch mehr Prestige unter Aktivist:innen der Palästinasolidarität zu verlieren und daher auch dem Druck aus der Partei und auf sie Rechnung zu tragen.
Die Verlautbarungen der Führung der Berliner Abgeordnetenhausfraktion und Parteiführung sowie Äußerungen von Ramelow, der Parteimitglieder als Spinner:innen beschimpft, die sich mit dem Widerstand in Palästina solidarisieren, verdeutlichen, dass Teile des Apparates und Establishments der Partei viel lieber Leute vom linken als vom rechten Flügel verloren hätten. Und sie werden es beim Bedauern und Pöbeln nicht belassen. Während Lederer und Co. jede parteischädigende Handlung gleich vorab verziehen wird, fordern andere Disziplinarmaßnahmen gegenüber antiimperialistischen und antizionistischen Mitgliedern der Partei.
In jedem Fall sollten wir den Druck, der jetzt auf die Partei wirkt, und den Abgang von Lederer und Co. nutzen, um die Linkspartei selbst unter Druck zu setzten. Bei allen Schwächen des Antrags von Halle: Wenn die Linkspartei ihre verlorene und oft beschworene Glaubwürdigkeit wirklich wiedererlangen will, so muss sie der Forderung nach einem Waffenstillstand, einem Stopp aller Waffenlieferungen an Israel und aller Abschiebungen von Palästinenser:innen auch Taten folgen lassen. Sie muss aktiv im Rahmen der Palästinasolidarität für diese Ziele mobilisieren, muss diese in die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften tragen – und dies ist zugleich auch das einzige Mittel, das hilft, die verbliebenen kleinen Lederers und andere Fans der Staatsräson aus der Partei und überhaupt aus den Reihen der politischen Linken zu drängen.
Guter Artikel!