Arbeiter:innenmacht

Nach Solingen: Solidarität mit den Angehörigen heißt Nein zur rassistischen Hetzkampagne!

Wilhelm Schulz, Infomail 1262, 28. August 2024

Am 23. Februar 2024 jährte sich die Verleihung des Stadtrechts an die später weltweit bekannte Klingenstadt Solingen zum 650. Mal. Am vergangenen Freitag gegen 21:30 Uhr stach ein Angreifer auf dem zu dieser Zeit gut besuchten Marktplatz anlässlich des Volksfests der Vielfalt zu 650 Jahre Solingen auf Menschen ein. Beim Angriff starben drei Personen, acht weitere wurden verletzt, davon vier schwer. Der Täter entkam. Am Samstagabend stellte sich ein syrischer Tatverdächtiger selbst der Polizei. Mittlerweile sollen alle Verletzten außer Lebensgefahr sein. Das Attentat ist tragisch und den Angehörigen gilt unser Mitgefühl. Doch droht das Attentat, zu einer Kampagne zur weiteren innenpolitischen Verschärfung und Ausweitung des Racial Profiling instrumentalisiert zu werden.

Informationen nach sollte der mögliche Täter bereits seit Anfang 2023 aufgrund der Dublin-Reglungen nach Bulgarien abgeschoben werden, da diese rassistische Verordnung den Antrag auf Asyl nur dort als zulässig verbucht, wo eine Person erstmalig EU-Boden betritt. Vermutlich auch deshalb ist die Person in Deutschland abgetaucht, um einer Abschiebung zu entgehen. Die Erzählung behauptet hier also dreist: Wenn die Person abgeschoben worden wäre, dann wäre das ja nicht unser deutsches Problem gewesen. Eine Perspektive, die nie die Frage stellt, wie solch leidvolle Taten verhindert werden könnten, sondern nur, wie die Täter:innen bei „uns in Deutschland“ abgeschoben werden können.

Barbarei gegen Aufklärung?

Schon seit einigen Wochen läuft eine politische Debatte, angestoßen durch das SPD-geführte Bundesinnenministerium, das Waffenrecht zu verschärfen und „Messerverbotszonen“ einzurichten. Nach dem Attentat von Solingen scheint nun auch die letzte Koalitionärin, die FDP, ihre Position gegen die Verschärfung geändert zu haben.

Doch eine solche Gesetzesverschärfung, die wir strikt ablehnen, braucht auch Umsetzung. Braucht mehr Polizei, braucht stichprobenartige Personenkontrollen in Innenstädten und findet statt inmitten einer rassistischen Auseinandersetzung zu scheinbar importierter Gewalt. Sie reiht sich ein in eine Welle an Verschärfungen oder auch sich jedweder rechtlicher Grundlage entziehender Maßnahmen von Bundes- und Landesregierungen, wie Angriffe auf die Versammlungs-, Organisierungs-, Bewegungs- und Pressefreiheit der letzten Monate zeigen.

Es zeigt auf, dass eine ach so progressive Koalition wie die Ampel in Zeiten zugespitzter Krisenhaftigkeit auch an den unterschiedlichsten Fronten der Innen- und Außenpolitik massive Verschärfungen hin zu Autoritarismus und Ausweitung eines inneren Ausnahmezustands einführen kann. Es ist die Begleitmusik zu Abschiebekampagnen und dem Umbau Deutschlands zur Kriegstüchtigkeit.

Höcke – und das Begehren nach dem Lynchmob

Auch weit rechts der Ampel soll das Attentat von Solingen politisch ausgenutzt werden. Bereits vor einigen Wochen kam es zu vergleichbar tragischen Bildern in Großbritannien, als ein 17-jähriger Teenager drei Mädchen ermordete und 10 weitere Menschen verletzte, darunter acht weitere Kinder. Schnell fegte eine Kampagne, gespickt mit Lügen, durchs Land und ein reaktionärer Mob sammelte sich auf den Straßen, griff muslimische Gemeinden an, skandierte Slogans, wie „England till I die“ (England, bis ich sterbe). Er zeigte das giftige revanchistische Potential einer Tory-Partei nach 5.168 Tagen an der Regierung im Niedergang und einer neuen Labour-Regierung. Ein Potential für die rechtspopulistische Reform UK von Nigel Farage und unter Abstrichen für die English Defence League vom Faschisten Tommy Robinson. Börn – „Bernd“ – Höcke versucht, das hier aufzugreifen, wenn er auf X skandiert, dass sich deutsche Thüringer:innen nicht an die „Zustände“ gewöhnen, sondern sich „befreien“ sollen vom „Irrweg der erzwungenen Kulturalisierung“.  So meldete am Sonntag die „Junge Alternative“ in Solingen unter dem Motto „Remigration rettet Leben“ eine Kundgebung an, die laut Stern mit den Worten begann „Wir sind heute hier angetreten, nicht um zu trauern, sondern Anzuklagen“. Auch wenn sich an dieser nur 30 Leute beteiligten und der Gegenprotest um einiges größer gewesen ist, so  kann dies – insbesondere kurz vor den Landtagswahlen – eine gewisse Sprengkraft entfalten. 

IS: Die Rattenfänger:innen sind überall

Mittlerweile hat der Islamische Staat (IS) ein Bekenner:innenschreiben veröffentlicht, wonach es sich angeblich um einen Kämpfer aus ihren Reihen handeln solle, der Rache für Muslim:innen in Palästina und sonst wo verüben sollte. Der IS setzt nicht zuletzt auch darauf, dass die Situation von Muslim:innen in den westlichen Nationen sich verschlechtert, in der Hoffnung, dass sie das radikalisiert und in seine Arme treibt. Hier treffen also Pest und Cholera aufeinander. So ist es wenig überraschend, dass den Ermittler:innen keine Hinweise über einen Zusammenhang mit dem IS vorliegen. Trotzdem überschlagen sich die Nachrichten hierzu, spätestens nachdem er laut Staatsanwaltschaft nicht ausgeschlossen werden konnte.

Wie weiter?

Für uns ist deshalb klar: der Kampf gegen Straßengewalt ist ein sozialer und für demokratische Rechte. Geflüchtete, die traumatisiert von Krieg und Verfolgung nach Europa fliehen, werden hier der permanenten Bedrohung durch Abschiebung ausgesetzt, in Massenunterkünften auf engstem Raum mit anderen Traumatisierten zusammengepfercht. Auch migrantisierte deutsche Staatsbürger:innen, wenn sie (zugeschriebene) Verwandtschaft zu arabischen Staaten suggerieren, werden angesichts des Genozids in Gaza unter Generalverdacht gestellt und sollen sich zur deutschen Staatsräson bekennen. In diesen Kanon reiht sich die aktuelle Debatte ein. Sie behauptet, dass v. a. Araber:innen fremd in „unserer“ Kultur seien, sie müssen angeblich mit harter Hand zwangsintegriert oder abgeschoben werden.

Die rassistische Spaltung nimmt hierzulande eine Qualität an, der sich Gewerkschaften und die Arbeiter:innenbewegung nicht verschließen dürfen. Sie fürchten sich jedoch davor, den Kampf gegen den aufkommenden Rassismus in den eigenen Reihen zu führen. Die neue Qualität droht, zur Normalisierung von Hetzjagden zu verkommen. Was wir brauchen, sind Kampagnen gegen antimuslimischen Rassismus an Schule, Uni und im Betrieb, die sich für volle Staatsbürger:innenrechte für alle hier Lebenden einsetzen, der bürgerlichen Abschottungspolitik den proletarischen Internationalismus entgegenstellen. Wenn der rechte Mob vor Geflüchtetenunterkünfte mobilisiert, dann braucht es massenhaft organisierten Selbstschutz. So kann die Arbeiter:innenbewegung die gezielte Isolierung von Geflüchteten durchbrechen und der rechten Gefahr Etwas entgegenstellen.

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