Shezhad Arshad, Neue Internationale 287, November 2024
Am 14. Oktober protestierten Studierende der Punjab Group of Colleges (PGC) in Lahore massiv gegen eine Vergewaltigung auf einem College. Der Übergriff fand Berichten zufolge einige Tage zuvor auf dem Gulberg-Campus statt, wo ein Wachmann eine Studentin im ersten Jahr vergewaltigte.
Die Student:innen sind sich sicher, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hat, doch der Direktor hat gedroht, ihren Protest zu unterbinden. Die Student:innen des Gulberg-Campus 10 sagen: „Sie wurde in den Keller gerufen und der Wachmann vergewaltigte sie“. Als sie ihre Schreie aus einem Klassenzimmer hörten, gingen die Student:innen hin, um der Kommilitonin zu helfen, deren Zustand so schlecht war, dass die Dozent:innen einen Krankenwagen riefen und sie ins Krankenhaus gebracht wurde.
Als sich die Student:innen dieser Hochschule versammelten, um zu protestieren und Maßnahmen und eine Untersuchung gegen den Beschuldigten zu fordern, wurden sie vom Rektor der Universität und anderen Dozent:innen eingeschüchtert. Aber sie gaben nicht auf. Vielmehr riefen sie über die sozialen Medien zum Handeln auf. Dies führte zu den Protesten am 14. Oktober sowohl auf dem Gulberg-Campus 10 als auch in anderen Campusgebäuden. Studierende anderer privater und staatlicher Hochschulen und Universitäten schlossen sich dem Protest gegen die Vergewaltigung und in Solidarität mit den protestierenden Studierenden an.
Zunächst versuchten einige der staatlichen Behörden, die Studentierenden zu beruhigen und die Proteste zu verhindern. Die Polizei nahm den Beschuldigten in Gewahrsam, und der Minister für Hochschul- und Schulbildung der Provinz Punjab (Pandschab), Rana Sikandar Hayat, besuchte die Studierenden und versprach ihnen Gerechtigkeit. Es wurde sofort klar, dass dies ein leeres Versprechen war.
Tatsächlich schaltete die Hochschulverwaltung die Polizei ein, um die Demonstrant:innen anzugreifen, und leugnete, dass die Vergewaltigung jemals stattgefunden hatte. Auch die Medien und die staatlichen Behörden wandten sich massiv gegen die Demonstrant:innen und beantworteten ihre Proteste mit Drohungen, Erfindungen und Verleumdungen. Allein an diesem Tag wurden mehr als 28 Student:innen durch Polizeigewalt verletzt.
Die Polizei behauptete, es sei keine Anzeige gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger erstattet worden und ihre Ermittlungen hätten ergeben, dass es keinen solchen Übergriff gegeben habe, obwohl der Wachmann verhaftet worden war.
Die Regierung und die Medien richteten sich gegen die Student:innen. In einem Video erschien eine Polizeibeamtin, die einer bekannten und einflussreichen Familie angehört, Shahr Bano, in den sozialen Medien und rezitierte Koranverse, um zu „beweisen“, dass es sich um ein Gerücht handelte und ein solcher Vorfall tatsächlich nicht stattgefunden hatte. Dies wurde auch auf der Facebook-Seite der PGC geteilt, um ihr Dementi zu untermauern.
Dieselbe Beamtin (Shahr Bano) erschien auch in einem anderen Video mit dem Onkel der Studentin. In diesem Video sagte der Onkel, dass der Name des Mädchens in den sozialen Medien verwendet wurde, ihr aber nichts dergleichen passiert sei. Er sagte aus, sie sei vor 10 Tagen die Treppe hinuntergefallen und es lägen Röntgenbilder und ärztliche Berichte vor, die dies beweisen würden.
In der Zwischenzeit vernichtete die College-Verwaltung Beweise für die Vergewaltigung, und die Polizei stellte sich auf die Seite der College-Verwaltung, so dass das Opfer und ihre Familie in großer Angst leben. Die Ministerpräsidentin von Punjab, Maryam Nawaz, erklärte, die angebliche Vergewaltigung sei eine „erfundene Nachricht“, und beschuldigte Imran Khans Partei Tehreek-e-Insaaf (PTI; Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit), die „Falschmeldungen“ in den sozialen Medien zu verbreiten. Dies hat zu einer Situation geführt, in der Liberale und Menschen auf der Linken ziemlich verwirrt sind, da einige glauben, dass es sich tatsächlich um eine Verschwörung der PTI handelt.
Die Student:innen sind jedoch nicht bereit, diese Lügen zu akzeptieren. Sie alle wissen, dass Belästigungen, sexuelle Übergriffe und sogar Vergewaltigungen auf dem Campus von PGC, einer der größten privaten Universitäts- und Hochschulgruppen, an der Tagesordnung sind. Sie befindet sich im Besitz von Mian Amer Mahmood, dem nicht nur der Fernsehsender Dunya News gehört, sondern auch zwei staatlich anerkannte Universitäten und 56 Hochschulen, an denen rund 70.000 Student:innen eingeschrieben sind. Die Gruppe ist etwa 132,6 Millionen US-Dollar (37 Milliarden Rupien) wert und hat Tausende von Mitarbeiter:innen. Das Bildungswesen wirft großen Profit ab, und Mian Amer hat ein großes Interesse an diesem Geschäft und ist eng mit der herrschenden Elite verbunden.
Es ist klar, dass die ganze Angelegenheit vertuscht wird, damit das im Namen der Bildung aufgebaute Geschäftsimperium keinen Schaden nimmt und es keinen Widerstand gegen die Art und Weise gibt, wie die private Bildung zu einer profitablen Branche geworden ist. Derzeit gibt es Tausende von privaten Bildungseinrichtungen, darunter auch große Konzerne, und das ist ein Geschäft, das Billionen von Rupien wert ist. Sie alle verfolgen das gleiche Interesse, dass sich die Student:innen weder gegen diesen speziellen Vorfall noch gegen sexuelle Belästigung und andere Formen des Missbrauchs im Allgemeinen wehren.
Bei all dem wurde die Rolle der politischen Parteien der pakistanischen Elite auf eklatante Weise entlarvt. Anstatt die Student:innen zu unterstützen, verteidigen sie nun das System, das zu systematischem sexistischen Missbrauch und Vergewaltigung führt. Die regierende Pakistanische Muslimliga (Nawaz) versucht, einen zusätzlichen politischen Vorteil zu erlangen, indem sie behauptet, die Vergewaltigungsvorwürfe seien eine Verschwörung der PTI. Sie unterstützt eine private Einrichtung trotz der sehr beunruhigenden Berichte und obwohl die sexuelle Belästigung in diesen privaten Einrichtungen zunimmt.
Der Kampf der Student:innen ist noch nicht zu Ende. Am 15. Oktober gab es Solidaritätsaktionen und Proteste in anderen Städten des Punjab wie Gujranwala, Gujrat (Gudschrat), Faisalabad, Jaranwala und Kamoke sowie in Peschawar (Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa) und vielen anderen Städten. Fortschrittliche Student:innen in Lahore, insbesondere das Progressive Student:innenkollektiv, sind in dieser Frage weiterhin sehr aktiv und stehen an der Seite der Student:innen gegen Polizeigewalt. Am 15. Oktober veranstalteten sie einen Protestmarsch vom Government (Regierungs-)College in Lahore zur Punjab-Versammlung und hielten eine Sitzblockade am Faisal Chowk, an der Hauptstraße Shahrah-e-Quaid-e-Azam, einer wichtigen Straßenkreuzung in Lahore, ab. Sie erhoben die folgenden Forderungen:
Seit dem 14. Oktober hat sich die Bewegung noch weiter ausgebreitet, aber auch die Repressionen und Übergriffe der Polizei haben zugenommen. So kam es am 17. Oktober zu großen Protesten auf den Straßen von Rawalpindi, bei denen mehr als 250 Student:innen verhaftet wurden. Das Progressive Student:innenkollektiv, eine der wichtigsten Organisationen, die die anfänglich sehr spontanen Proteste unterstützten, erklärte am 16. Oktober auf X (vormals: Twitter): „Solange die Forderungen der Student:innen nicht erfüllt sind, werden wir diese Proteste auf das ganze Land ausweiten“. Sie brauchen und verdienen die Unterstützung aller Arbeiter:innen- und fortschrittlichen Organisationen, der gesamten Arbeiter:innen-, Gewerkschafts- und Frauenbewegung für ihren mutigen Kampf.
In Pakistan kommt es täglich zu Übergriffen gegen Frauen an Schulen, Hochschulen, Universitäten und am Arbeitsplatz. In den meisten Fällen dulden die Opfer es jedoch stillschweigend, weil sie wissen, dass den Tätern nichts passieren wird, wenn sie sich zu Wort melden, sondern sie selbst eine Diffamierung erleiden. Oftmals bringen Familien Frauen auch im Namen der „Ehre“ zum Schweigen oder beschuldigen sie sogar. Daher ist diese Bewegung sehr wichtig und sie sollte Kritik gegen sexuelle Belästigung und Patriarchat hervorbringen. Antibelästigungskomitees sollten in allen Institutionen, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft gebildet werden, anstatt auf die Regierung oder die Hochschulleitungen zu warten.
Die Student:innen sollten ihre eigenen Ausschüsse wählen, um eine unabhängige Untersuchung der Vergewaltigung ihrer Kommilitonin durchzuführen. Die Ausschüsse sollten Fälle sexueller Übergriffe untersuchen und an den Schulen, Hochschulen und Universitäten gewählt werden und in diesen sollten demokratische Entscheidungen gegen sexuelle Belästigung getroffen werden. Dies wird den Student:innen helfen, gemeinsam Widerstand zu leisten, selbst wenn die Verwaltung versucht, die Fälle zu leugnen oder die Kriminellen zu unterstützen. Solche Ausschüsse sollten nicht auf die Studierenden beschränkt sein, sondern auch die Arbeiter:innen und Gewerkschaften auf dem Campus einbeziehen. Ebenso sollte die Sicherheit auf dem Gelände nicht von privaten Unternehmen oder der Verwaltung organisiert, sondern von Studierenden und Arbeiter:innen kontrolliert werden, damit sie die Opfer und nicht die Täter schützen.
Diese Bewegung gegen sexuelle Belästigung ist sehr wichtig. Dieser Protest zeigt die Wut der Studierenden über die Situation an den Hochschulen. Die wachsende kapitalistische Krise bedeutet bereits, dass ihr Leben miserabel sein wird, und selbst nach der Ausbildung werden sie möglicherweise keinen guten Job finden. Derzeit protestieren Lehrer:innen an staatlichen Schulen und Arbeiter:innen in anderen Abteilungen im gesamten Punjab gegen Privatisierungen und andere Kürzungen. Auch in vielen anderen Provinzen kommt es zu massiven Protestbewegungen. In dieser Situation erweitert sich der Raum für öffentlichen Widerstand.
Dies eröffnet die sehr reale Chance, die Proteste der fortschrittlichen Studierenden, die auf dem Campus gegen Sexismus und Patriarchat kämpfen, mit den Kämpfen der Arbeiter:inen zu vereinen. Dies würde den Aufbau einer massiven gemeinsamen Bewegung gegen Repression, Sexismus und die Privatisierungs- und Kürzungsprogramme des IWF-Programms ermöglichen, die Arbeiter:innen, Student:innen und die Masse der Bevölkerung betreffen. Zu diesem Zweck müssen die sich im ganzen Land entwickelnden Bewegungen eine Einheitsfront der fortschrittlichen Studierenden, der Linken und der Gewerkschaften in einem umfassenderen Kampf gegen die Angriffe der Regierung, der bürgerlichen und reaktionären Institutionen und der Kapitalist:innenklasse bilden.