Arbeiter:innenmacht

Welches Programm für den KI-Kapitalismus?

Felix Ruga, REVOLUTION, Infomail 1220, 20. April 2023

Künstliche Intelligenz gab es in primitiverer Form schon lange. Doch mit dem Projekt „ChatGPT“ ist eine Welle von Verblüffung bis Begeisterung durch die digitale Welt gegangen: Krass, was auf einmal geht! Dinge, die noch vor wenigen Jahren wie Science Fiction gewirkt haben, sind jetzt öffentlich zugänglich. Weniger bekannt ist die neuere Version „ChatGPT 4“: Im Gegensatz zu ChatGPT 3, welches eigentlich nur bekannte Informationen gezielt und clever remixen und ausgeben kann, wird bei der neuen Version argumentiert, dass diese Formen tatsächlicher Intelligenz aufweise. Das heißt: Probleme lösen, deren Antwort(en) zu äquivalenten Problemen nicht eingespeist wurde/n. Dieser Fortschritt ist innerhalb weniger Jahre geschehen und vor allem viel früher, als alle erwartet haben. Daneben stehen auch einige andere Bereiche, die ebenfalls auf maschinelles Lernen zurückgreifen, in den Startlöchern: künstliche Produktion von Bildern und Videos, autonomes Fahren und die Verwendung von „Big Data“ in den Naturwissenschaften.

Als Reaktion darauf kam schon von selbsternannten Expert:innen wie Elon Musk, dass die Technologie so fieberhafte Fortschritte an den Tag lege, dass man für eine Weile die Notbremse in den Entwicklungsstudios ziehen müsse, um rechtliche, ethische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen herzustellen. Zum einen kann das wieder ein cleverer Werbetrick sein und ist letztendlich wahrscheinlich nur schwer umsetzbar, zum anderen macht das aber schon einen richtigen Punkt: Für den Kapitalismus kann die ganze Angelegenheit tatsächlich weiterreichende Änderungen mit sich bringen. Die Rahmensetzung sollten wir aber nicht allein der herrschende Klasse überlassen. Es muss die Aufgabe der Arbeiter:innenbewegung sein, darauf programmatische Antworten zu liefern! Diese würden wir an der Stelle grob in zwei Teile unterteilen: die staatlichen und die wirtschaftlichen Änderungen.

Social Credits und Drohnen

Aus Filmen und Videospielen kennen wir die dystopischen Zukunftsszenarien, in denen sich künstliche Intelligenz mit autoritären Staaten mischt: ein allmächtiger Staat, der mittels automatisierter Überwachung und Bestrafung die Bevölkerung kontrolliert, ohne dass dafür echte Menschen ihre Moral dazwischenschalten können. Erhebungen können mit Drohnen und bewaffneten Robotern zerschlagen werden. Kriege werden nicht durch Menschenhand geführt, aber dennoch sind es die Menschen, die darunter leiden.

Das sind natürlich arg einseitige und künstlerische Darstellungen, aber dennoch muss uns klar sein, dass im Zweifelsfall und in zugespitzten gesellschaftlichen Situationen alle Technologien gegen die Arbeiter:innen verwendet werden können. Das ist sicherlich auch eine Angst, die viele momentan mit künstlicher Intelligenz verbinden, und auch eine, die Kommunist:innen unbedingt ernst nehmen sollten, worauf sie eine Antwort formulieren müssen, ohne in fortschrittsgläubigen Spott zu verfallen.

Die zentrale Losung sollte dabei sein, dass die Entwicklung und Verwendung vor allem von fortgeschrittener künstlicher Intelligenz unter Arbeiter:innenkontrolle gestellt und dafür die jeweiligen Techunternehmen enteignet werden müssen. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich zuverlässig zu erreichen, dass diese nicht dazu eingesetzt wird, um automatisierte Unterdrückung und massenhaftes Leid zu produzieren, sondern um die progressiven Elemente wirklich herauszuschälen: Entlastung und Befreiung von Teilen der entfremdeten Arbeit. Außerdem hätte künstliche Intelligenz in einer demokratischen Planwirtschaft ein besonderes Potential, wenn es um die Erhebung von Bedürfnissen und Verteilung von Gütern geht. Dazu wollen wir demnächst noch einen Artikel am Beispiel von „Cybersyn“ in Chile veröffentlichen.

Klar sollte sein: Halten wir diese Technologie nicht auf, sondern integrieren sie in ein Programm für mehr Freizeit und Freiheit! Doch wie sieht hier die wirtschaftliche Ebene aus?

Roboterarme und schmutzige Hände

Die kapitalistische Epoche wird begleitet von vielen „technologischen Revolutionen“. Und seien es nun die Dampfmaschine, die Elektrizität oder die Digitaltechnik: Jedes Mal war die Befürchtung groß, dass diese dazu führen, dass die Menschen nun ein für alle Mal überflüssig gemacht werden und die Arbeitslosigkeit riesig sein wird. Doch letztendlich ist es doch alles etwas anders gekommen, indem zwar viele Arbeitsstellen überflüssig geworden sind, aber die Arbeitskraft selbst nicht. Wird das bei der künstlichen Intelligenz genauso laufen?

Ein entscheidender Unterschied könnte sein, dass vorherige Technologien nicht so leicht kopierbar, sondern immer an „Materie“ geknüpft sind. Für Maschinen und Elektrizität braucht man eben Rohstoffe und Arbeit, um mehr Menschen damit zu versorgen. Dadurch kommt es vor allem in Halbkolonien dazu, dass selbst bei vorhandenem Know-how keine Technisierung durchgeführt wird, weil selbst der ineffizienteste Einsatz von Arbeitskraft immer noch günstiger ist, als eine Maschine anzuschaffen.

Je weiter nun die Technisierung fortschreitet, desto mehr Arbeitskraft wird frei und sie damit insgesamt billiger, was wiederum die Technisierung ausbremst. Deswegen werden bis heute so viele Tätigkeiten weiterhin per Hand und unter scheußlichsten Bedingungen durchgeführt. Das ist eines der vielen Argumente dafür, dass der Kapitalismus in Wirklichkeit technologischen Fortschritt aufhält, statt ihn zu beschleunigen.

Doch dieses Mal könnte es anders sein: Künstliche Intelligenz kann, wenn sie erst mal entwickelt ist, relativ leicht skaliert werden und damit einen großen Teil der Kopfarbeit ersetzen. Selbstverständlich stecken dahinter immer auch ein materieller Rechner, der irgendwo stehen muss, und eine Internetverbindung dorthin. Das ist aber selbst jetzt schon sehr weit verbreitet. Und die Effizienz von künstlicher Intelligenz wird in den nächsten Jahren schnell anwachsen. Die Vermutung liegt also nahe, dass sich in Zukunft Informatiker:innen, Designer:innen, Ingenieur:innen und Berater:innen aller Art darauf gefasst machen müssen, einer künstlichen Intelligenz Aufträge zu erteilen, anstatt selbst die Arbeit des Programmierens, Designs, Entwickelns oder Beratens auszuführen.

Das würde aber viele Berufe doch wieder überflüssig machen, wenn das nicht durch kräftiges Wirtschaftswachstum aufgefangen wird. Leider droht auch das Szenario, dass das deren Arbeitskraft entwerten könnte und sie wieder in ersetzbare Handarbeit oder in nutzlose Bullshitjobs treibt. Aber wie bereits gesagt wurde: Künstliche Intelligenz hat genauso wie alle anderen technologischen Fortschritte das Potenzial, Menschen von unnötiger und ermüdender Arbeit zu befreien.

Um das zu erkämpfen, müssen Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien die alte, aber ungeahnt aktuelle Forderung aufgreifen: Verteilung der Arbeit auf alle Hände! Das bedeutet konkret: Wir verkürzen die Arbeitszeit radikal, während der ausgezahlte Lohn erhalten bleibt. Arbeiter:innen sollen sich kostenlos umschulen dürfen, während der Staat die Löhne weiterzahlt. Das wird finanziert durch massive Besteuerung der Reichen, die durch diesen technologischen Fortschritt sicherlich profitieren werden.

Falls wir diesen Kampf nicht aufnehmen, wird es dazu führen, dass wieder vor allem die Kapitalist:innen davon profitieren und die bürgerliche Staaten ihre Macht stärken. Wir müssen der herrschenden Klasse die schillernde Zukunft abringen, die uns der technische Fortschritt verspricht!

Wir fordern also:

  • Enteignet die Techunternehmen und stellt sie unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Offenlegung aller Codes und Algorithmen, auf deren Basis KI arbeitet und Entscheidungen trifft, um rassistische und andere unterdrückerische Muster zu erkennen und zu bekämpfen!
  • Sensibilisierung und Schulung von Entwickler:innen für die ethischen Herausforderungen dieser neuen Technologie, z. B. in der Einspeisung diskriminierender Datensätze!
  • Flächendeckende Bildungsangebote im Bereich des Codings und digitaler Kompetenz in allen Schulen!
  • Deckung des enormen Strombedarfs der Server durch erneuerbare Energien!
  • Arbeitszeitverkürzung und kostenlose Umschulung bei gleichem Lohn!
  • Massive Besteuerung der Reichen!
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