Susanne Kühn, Neue Internationale 273, Mai 2023
Der EVP-Chef und CSU-Vize Manfred Weber mimt den Einpeitscher: „Die EU schlafwandelt in eine neue Migrationskrise, obwohl der rasant steigende Migrationsdruck offensichtlich ist“, lässt er Mitte April verlauten.
Damit will er unter anderem der italienischen Regierung Meloni beispringen, als deren Fürsprecher sich Weber seit einiger Zeit hervortut. Anfang Mai hat Italien den Notstand ausgerufen. Eine „Flüchtlingswelle“ soll gestoppt werden.
Weber, Meloni und andere Rechte bzw. Konservative fordern, dass die Außengrenzen der EU noch weiter abgeriegelt werden.
Dabei erreichten gerade 31.000 Flüchtlinge in den ersten drei Monaten die Küsten Maltas und Italiens. Das stellt zwar eine deutliche Steigerung gegenüber 2022 dar. Aber die Ursache dafür bildet keine „Flüchtlingswelle“, sondern eine Veränderung der Fluchtrouten. Nur wenige Menschen kommen noch über die Türkei, die Balkanroute oder Marokko nach Europa. Mehr als die Hälfte der nach Italien Geflüchteten nimmt die gefährliche Reise über den Seeweg auf sich – trotz der barbarischen Zustände in Tunesien selbst und trotz der lebensgefährlichen Route. Allein 2023 (Stand 12. April) fanden 600 Flüchtende im Mittelmeer den Tod, seit dem Jahr 2014 sind es insgesamt 26.358 Menschen.
Nun wollen Weber und Co. ein weiteres Abkommen mit der tunesischen Regierung, die für die EU die rassistische Drecksarbeit erledigen soll, ähnlich wie die Türkei in ihrem Abkommen mit der EU.
Diese Forderung steht für eine weitere brutale Barbarisierung des EU-Grenzregimes. Die Hetzkampagne soll den Boden für eine weitere rassistische Abschottung, verschärfte Einsätze von Frontex, Auffanglager an den EU-Außengrenzen, Kriminalisierung von ehrenamtlichen Fluchthelfer:innen sowie verschärftes Vorgehen gegen Flüchtlinge und Asylbewerber:innen in Deutschland und anderen EU-Staaten bereiten.
Dabei plant die EU längst, was Weber vorschlägt. Beim Gipfel im Februar 2023 wurden ein weiteres Mal eine Verstärkung der Grenzkontrollen und die Beschleunigung von Abschiebungen beschlossen. Außerdem müssen zukünftig Ablehnungen von Asylanträgen in einem Land auch in allen anderen anerkannt werden.
Strittig war und ist nur, wie der rassistische Spuk finanziert werden soll: über Haushalte der Staaten, über jenen der EU oder im Rahmen des „Solidaritätsmechanismus“ zwischen den Ländern.
Zu Recht bezeichnet Pro Asyl die sog. „Flüchtlingskrise“ als Rassismuskrise. „Die EU – ein Bund aus 28 Staaten, mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 15 Billionen Euro – ist 2015 nicht wegen einer Million Schutzsuchender in die so genannte Flüchtlingskrise geraten – sondern aufgrund der Fliehkräfte immer weiter um sich greifender nationalistischer und rassistischer Tendenzen. Rassismus und Populismus sind verantwortlich für die aktuelle ‚Flüchtlingskrise’ der EU. Nicht die Flüchtlinge.“
Nur ein kleiner Teil der über 100 Millionen Geflüchteten weltweit schafft es bekanntlich in die EU, deren imperialistische Mitgliedsstaaten jedoch kräftig mitwirken an jenen Verhältnissen, die die Menschen zur Flucht zwingen.
In Deutschland haben 2022 193.000 Menschen einen Asylantrag gestellt. Die oft beschworene Steigerung ergibt sich statistisch einfach daraus, dass während der Pandemie auch die Zahlen der Geflüchteten und Asylbewerber:innen deutlich zurückgingen. Gestiegen ist im letzten Jahr die Anerkennungsquote (auf 72 % bei Erstanträgen) – und das trotz einer extrem rigiden Überprüfung. So erhielten laut Pro Asyl „im Jahr 2022 fast 40.000 zunächst vom BAMF abgelehnte Asylsuchende doch noch einen Schutzstatus, in den meisten Fällen durch eine Gerichtsentscheidung, aber auch, weil das BAMF die ursprüngliche Ablehnung korrigierte. In über der Hälfte dieser Fälle erhielten Menschen aus Afghanistan nachträglich Schutz, weil sie mit ihrer Klage bei Gericht oder einem Folgeasylantrag erfolgreich waren oder das BAMF mit einem Abhilfebescheid den ursprünglichen, falschen Bescheid aufhob.“
So erhalten zur Zeit zwar die meisten Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien eine zumindest vorübergehende Anerkennung, Anträge von Menschen aus dem Iran werden hingegen in den meisten Fällen abgelehnt. So viel zum Menschenrechtsland Deutschland.
Allein diese wenigen Zahlen machen deutlich, dass die sog. „Flüchtlingswelle“ eine Erfindung ist, dass es vor allem um die Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen geht – und darum, den Boden für weitere Gesetzesverschärfungen und eine noch rigidere Abschottungs- und Abschiebepraxis vorzubereiten.
Dieser Entwicklung muss entschieden entgegengetreten werden.