Arbeiter:innenmacht

Verbote gegen Palästinasolidarität: Diktatorische Allüren im demokratischen Wolfspelz

Jan Hektik, Neue Internationale 273, Mai 2023

Solidarität mit Israel ist in Deutschland Teil der Staatsräson. Jede Person, die schon einmal mediale Berichterstattung oder Bundestagsdebatten zum Thema des palästinensischen Widerstandes mitbekommen hat, weiß genau, was das heißt. Am 15.05. ist wieder die alljährliche Nakba und wie letztes Jahr stehen die Uhren des deutschen Rechtsstaats auf Verbot.

So wurden in Berlin am 15. und 16. April zwei Demonstrationen in Solidarität mit den politischen Gefangenen in Palästina verboten. Eine weitere Kundgebung am 17. April wurde ebenfalls untersagt.

Während in Palästina der Widerstand gegen die israelische Apartheid hochkocht und sich auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht mehr kontrollieren lässt, demonstrieren gleichzeitig über 100.000 Menschen allein in Tel Aviv gegen die demokratiefeindlichen Reformen der Regierung Netanjahu auf der Straße. Eine Verbindung der Kämpfe bleibt jedoch aus – nicht zuletzt, weil die Bewegung gegen die reaktionäre Regierung selbst den Kampf für die demokratischen Rechte der Palästinenser:innen letztlich ablehnt.

Hetze und Repression

Doch hier in Deutschland, im ach so demokratischen Westen, wo man eine solche Perspektive der gemeinsamen Solidarität und der Kämpfe gegen israelische Besatzung und die weitere Beschneidung demokratischer Rechte in der Region leichter verbinden könnte, wurden Demonstrationen in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf am Wochenende von der Polizei verboten und vom Verwaltungsgericht bestätigt.

Auslöser dessen ist ein Shitstorm der Presse aufgrund eines Ausrufs auf einer Demo „Tod Israel! Tod den Juden!“ Es wird wegen Volksverhetzung gegen Unbekannt ermittelt und die Demonstrationen eine Woche später wurden verboten mit der Begründung, es sei wahrscheinlich, dass es zu weiteren volksverhetzenden Straftaten und gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte. Zu letzteren kam es übrigens auf erstgenannter Demo nicht.

Darüber hinaus „vergisst“ die bürgerliche Berichterstattung zu erwähnen, dass sich die Organisator:innen der Demonstration entschieden gegen reaktionäre antisemitische Parolen aussprachen. Solche müssen natürlich entschieden abgelehnt werden. Wer einmal Demonstrationen organisiert hat, weiß jedoch auch, dass Veranstalter:innen von Aktionen mit hunderten oder tausenden Teilnehmer:innen keine Verantwortung für reaktionäre Äußerungen Einzelner übernehmen können.

Doch der bürgerlichen Hetze geht es genau darum, eine solche Äußerung eines/r Unbekannten, die/der durchaus auch ein/e Provokateur:in sein kann, den Organisator:innen wie überhaupt der gesamten Palästinasolidarität in die Schuhe zu schieben. Dies läuft über die falsche und reaktionäre Gleichsetzung von Antisemitismus mit Antizionismus.

Zweierlei Maß

Hinzu kommt, dass, nebenbei, auch mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um linke und rechte Demonstrationen geht.

Der Heßmarsch ist eine von Neonazis jährlich veranstaltete Demonstration zu Ehren und in Gedenken des NSDAP-Mitglieds Rudolf Heß, der nach dem Krieg auf Nachfrage sagte, er bereue nichts, und tatsächlich an der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden mitgewirkt und diese politisch bis zu seinem Tod verteidigt hat. 2019 verhöhnte der Veranstalter die Opfer des NSU und sagte, dass für Rudolf Heß kein Denkmal gebaut werde, da er „kein Drogenhändler“ und „nicht schwul“ gewesen sei.

Wagt es nicht, uns diese Heuchelei als Kampf gegen Antisemitismus zu verkaufen! Wenn die absolute Mehrheit aller gegen Jüdinnen und Juden gerichteter Straftaten von weißen Nazis begangen wird, diese offen marschieren können und dann den davon Betroffenen mit der Begründung des Antisemitismus das Demonstrationsrecht genommen wird, ist das blanker Hohn. Noch widerlicher wird das Ganze, wenn man die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse mit einbezieht.

Solidarität!

Allein dieses Jahr wurden über 83 Palästinenser:innen durch IDF (Israel Defense Force) oder bewaffnete Siedlergruppierungen getötet. Das palästinensische Gebiet ist von allen Seiten eingezwängt. Die dort wohnenden Menschen leben wie in einem großen Freiluftgefängnis und sind immer wieder Angriffen seitens Israels ausgesetzt. Auch Amnesty International attestiert ihm die Klassifizierung als Apartheidstaat nach UN-Recht, weil es de facto zwei Klassen an Staatsbürger:innen gibt und die palästinensische Bevölkerung weitgehend entrechtet ist.

Die Gewalt der Unterdrücker und die der Unterdrückten sind außerdem nicht mit gleicher Elle zu messen! Aussagen wie „Tod den Juden“ sind gerade im Interesse eines fortschrittlichen Widerstandes zu verurteilen und wer sie verbreitet, muss von Palästinademos verwiesen werden. Doch wir glauben keine Sekunde, dass es dem deutschen Staat oder der Springerpresse um den Schutz des jüdischen Proletariats geht. Wir glauben keine Sekunde, dass es dem israelischen Staat um den Schutz des jüdischen Proletariats geht. Und wir glauben keine Sekunde, dass eine reaktionäre Äußerung eines/r Einzelnen einen gerechten Kampf um nationale Befreiung illegitim macht.

Wir sind solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf! Wir kritisieren zugleich die aktuelle Führung des Kampfes, seien es islamistische Kräfte wie die Hamas, seien es bürgerliche wie die Fatah. Aber verteidigen den Widerstand gegen alle heuchlerischen Angriffe des deutschen Staates und seiner Medien.

  • Schluss mit den Demonstrationsverboten! Schluss mit den Verboten palästinensischer Organisationen und Vereine!
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