Arbeiter:innenmacht

Schlichterspruch im öffentlichen Dienst – Nein zu einem „Kompromissvorschlag“ mit Haken! Einleitung der Urabstimmung!

Susanne Kühn, Infomail 1220, 17. April 2023

Am 15. April veröffentlichte die Schlichtungskommission ihre Empfehlung für einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen. Diese sieht folgende Schritte vor:

  • Einkommensteuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro (Juni 2023: 1.240 Euro, Juli 2023 bis Februar 2024: 220 Euro pro Monat)
  • Ansonsten bis März 2024: Nullrunde
  • Tabellenwirksame Erhöhung erst ab März 2024: 200 Euro 5,5 %, insgesamt mindestens 340 Euro
  • Einmalzahlungen für die Azubis von 620 Euro (Juni 2023) und dann monatlich 110 Euro. Ausbildungsentgelte erhöhen sich um 150 Euro ab März 2024
  • Laufzeit: 24 Monate ab Januar 2023 statt geforderten 12 Monate

Auch wenn der Spruch der Schlichtung nur eine Vorlage für die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innenverbänden am 22. April darstellt, so stehen die Zeichen auf Annahme. Der Vorsitzende der Kommission, der Bremer Verwaltungsrechtler Hans-Henning Lühr (SPD), der von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden war, ist natürlich voll des Lobes für seine Empfehlung, die er als „fairen Interessenausgleich, für den natürlich auch viel Geld in die Hand genommen werden muss“, anpreist. Auch der von Bund und Kommunen benannte Stellvertreter der Kommission, der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), hält die Annahme für „verkraftbar“.

Klar ist, dass die Vorsitzenden der Schlichtung und eine nicht näher definierte Mehrheit für die Empfehlung waren. Wer aber wirklich dafür (oder dagegen war), wissen wir nicht sicher. Schließlich gilt die Geheimhaltungspflicht – und an die halten sich die Vertreter:innen der Schlichtung mehr oder minder eisern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verhandlungsführerin für den Bund begrüßte jedenfalls die Einigung, was nahelegt, dass zumindest die Vertreter:innen des Bundes dafür sind. Unklar ist, wie es die kommunalen Arbeit„geber“:innen“ sehen, wo weit mehr Hardliner:innen sitzen. Lt. NEUES DEUTSCHLAND vom 17.4.2023, das sich hier auf die Süddeutsche Zeitung beruft, stimmten 24 der 26 Kommissionsmitglieder mit Ausnahme zweier Stimmen aus dem Arbeit„geber“:innenlager für den Vorschlag.

Offen kommuniziert wurde aber nichts. Unklar ist daher, wie die 12 gewerkschaftlichen Vertreter:innen und insbesondere jene von ver.di und GEW abgestimmt haben. Angesichts der neutral bis wohlwollend gehaltenen gewerkschaftlichen Außendarstellung liegt es wohl nicht fern, dass sie dafür stimmten. Aber sicher wissen wir das nicht. Denn die Vertreter:innen der Gewerkschaften verstecken sich hinter einer Verschwiegenheitspflicht, die vor allem eine gegenüber den eigenen Mitgliedern ist. Warum die „eigenen“ Vertreter:innen welches Votum abgaben, was in der Schlichtungskommission besprochen wurde und warum sie der Empfehlung zustimmten oder nicht – darüber wird die Mitgliedschaft erst gar nicht informiert, dazu sind sie den Mitgliedern nicht einmal rechenschaftspflichtig. Mit Demokratie hat diese Mauschelei, die vom Apparat weitgehend auch für die Tarifverhandlungen akzeptiert wird, nichts zu tun!

Diese Verschwiegenheitspflicht ist freilich nicht nur für die sog. Arbeitgeber:innen praktisch, sie nützt auch der Bürokratie und erschwert eine offene Diskussion und Aussprache über den angebotenen Schlichtungsspruch.

Einschätzung des Vorschlags

Und dies ist dringend nötig, weil der Spruch besser erscheint, als viele erwartet hatten – aber auch, weil er eben nur besser erscheint. Gefordert waren 10,5 %, aber mindestens 500 Euro. Ein solches Ergebnis hätte bedeutet, dass bis zu einem Einkommen von 4.762 Euro alle 500 Euro erhalten hätten, für alle darüber hinaus eine starke prozentuale Steigerung eingetreten wäre.

Die Kombination von Sockel (200 Euro) und Prozenten (5,5 %) aus dem Schlichtungsvorschlag ergibt eine kontinuierliche Steigerung über fast alle Gehälter, die dafür nicht so heftig ausfällt. Die Mindesterhöhung 340 Euro kommt nur in der Entgeltgruppe 1 und dem Einstiegsgehalt bei EG 2 und EG 20 zum Tragen. Insgesamt steigen jedoch die mit den geringsten Einkommen vergleichsweise schlecht aus.

Gegenüber der Forderung ist also die Mindesterhöhung niedriger, die hohen Gehälter erhalten eine deutlich geringere Steigerung. Für einen sehr großen Teil der Beschäftigten, alle die derzeit in Vollzeit bis 4.220 Euro erhalten, bedeutet die Schlichtungsempfehlung eine Erhöhung von mindestens 10,5 %. Und auf dessen Zustimmung dürften die Gewerkschaftsvorstände spekulieren.

Zwei Jahre Laufzeit sind ein Jahr zuviel

Der große Haken bei der Empfehlung ist nicht die Kombination von Sockel und prozentualer Steigerung, sondern – einmal mehr – die Laufzeit.

Zwei Jahre bedeuten zwei Jahre Stillhalten, zwei Jahre Friedenspflicht und damit zwei Jahre „Planungssicherheit“ für die sog. Arbeitgeber:innen, die in kritischen Bereichen wie bei den Krankenhäusern die nächsten „Reformen“ über die Bühne bringen wollen.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten zudem auch, dass wir über diesen Zeitraum nicht auf weitere Preissteigerungen und damit verbundene Reallohneinbußen reagieren können.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten, dass die tabellenwirksame Lohnerhöhung unter der Preissteigerung bleiben würde, wenn sie auf ein Jahr umgerechnet wird.

Bezüglich der Inflation sollen die Beschäftigten statt einer vollen Lohnerhöhung mit einer einkommensteuerfreien Prämie von insgesamt 3.000 Euro geködert werden. Das bringt den Beschäftigten kurzfristig mehr Cash, aber keine Punkte bei der Rente. Die Summe hört sich schön an, geht aber nicht in die Tariftabelle ein – und entlastet damit Bund und Kommunen bei der nächsten Tarifrunde.

Nein!

Daher müssen wir die Tarifkommission bei den Versammlungen in den nächsten Tagen deutlich unter Druck setzen und auffordern, den Spruch der Schlichtung abzulehnen und den Kampf für die vollen 10,5 % und 500 Euro Mindesterhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr aufzunehmen. Am Verhandlungstisch wird das auch am 22. April nicht erreichbar sein. Daher sollte die Urabstimmung eingeleitet werden, um möglichst rasch zum Erzwingungsstreik überzugehen.

Die Mobilisierung bei den Warnstreiks mit rund einer halben Million Beteiligten hat gezeigt, dass wir kampffähig sind. Auch einige Zugeständnisse der Schlichtung verdeutlichen, dass die sog. Arbeitgeber:innen unsere Macht fürchten, wenn wir sie denn einsetzen. Daher:

  • Nein zum Schlichtungsergebnis!
  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung!
  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!
  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!
  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!
image_pdfimage_print

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Palästina Kongress 2024 – Wir klagen an!

Aktuelle Veranstaltungen

Mai
1
Mi
10:00 Gewerkschaften und Lohnabhängige... @ Berlin
Gewerkschaften und Lohnabhängige... @ Berlin
Mai 1 um 10:00
Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive! Gegen Krieg, Kürzungspolitik und rechte Hetze @ Berlin
Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive! Gegen Krieg, Kürzungspolitik und rechte Hetze Aufruf des Klassenkämpferischen Block Berlin zum 1. Mai, Infomail 1251, 16. April 2024 In den letzten Wochen fanden bundesweit zahlreiche Streiks statt, zum[...]

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Südamerika - Politik, Gesellschaft und Natur

Ein politisches Reisetagebuch
Südamerika: Politik, Gesellschaft und Natur
Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen